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Wenn das Kellerabteil voll ist
Wenn das Kellerabteil voll ist, Foto: Gitta Schulz
Wenn das Kellerabteil voll ist, Foto: Judith Eiblmayr
Spectrum

Notorische Sammler, Händler, die ein Zwischenlager brauchen, Erben, die nicht wissen, wohin mit der Verlassenschaft: sie und viele andere, die unter Platznot leiden, finden seit drei Jahren in Wien-Umgebung eine Lösung ihres Problems: „Selfstorage“. Anmerkungen zu einem Phänomen anonymer Architektur.

18. Mai 2002 - Judith Eiblmayr
Wenn man durch die Gewerbegebiete von Groß- und mittlerweile auch Kleinstädten fährt, macht eine Branche mit speziell raumgreifender Aggressivität auf sich aufmerksam: die Möbelindustrie. Während Baumärkte bereits einige Jahre in ihrer selbst formulierten Maßstäblichkeit des „Mega“ verharren, sind die Möbelhäuser längst bei „Giga“ angelangt, ein Begriff, der bei Betrachtung der enormen, mit Ware angefüllten Kubaturen und der gigantischen Dichte von Werbeauftritten nicht übertrieben scheint.

Der Expansionsdrang der konkurrierenden Unternehmen ist atemberaubend, und auf den Verkaufsflächen in XXXL-Dimension werden nicht nur mit Mobiliar, sondern mit Dingen wie „langbrennenden Altarkerzen“, „Kombi-Kinderwagen nach dem Feng Shui-Prinzip“ und „Gasgrillern mit Rost und Pfanne“ - kurz gesagt: mit Dingen, die einen „schöner leben“ lassen - Kunden gekeilt. Man fragt sich nun, wenn Frau und Herr Österreicher offensichtlich all diese „Musts“ eines zeitgemäßen Lebensstils kaufen - denn noch ist keines der Möbelhäuser offiziell vom Konkurs bedroht -, wo stellen sie das Zeug hin?!

Zweifellos ist die verfügbare Wohnfläche pro Kopf in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend gestiegen und will dem Einkommen adäquat mit Mobiliar und Accessoires gefüllt und vielleicht öfter im Stil verändert werden. Gleichzeitig wird die Menge an geerbten Stücken immer größer, da es durch den Wohlstand, der sich in der jüngeren Vergangenheit entwickelte, erstmalig für breitere Bevölkerungsschichten leistbar wurde, lustvoll zu konsumieren („Shopping macht happy“) und Güter anzuhäufen.

Es kommt also einiges zusammen; und will man nicht gleich alles verschenken oder entsorgen, so ist man gezwungen zu lagern. Für Wohnungsbesitzer heißt dies meist auslagern, denn das Kellerabteil ist in aller Regel voll, und Lagerung auf Dachböden ist behördlicherseits verboten.

Diese Marktnische hat sich in den vergangenen drei Jahren mit einem Angebot gefüllt: „Selfstorage“ offeriert Lagerräume in allen Größen zur Vermietung, die, wie der Name verrät, von den Nutzern selbst direkt bedient werden können. Am Stadtrand, verkehrsgünstig gelegen, kann hier frei nach dem Motto „Aus den Augen - aus dem Sinn“ alles mit dem Auto geliefert, abgeladen und schwellenlos hinter einem Garagentor verstaut werden, was man im täglichen Leben als Ballast empfindet.

Dies gilt natürlich nicht nur für private Haushalte oder notorische Sammler, sondern ebenso für Firmen, die ein externes Archiv praktisch finden, und für Händler, die für ihre Ware ein Zwischenlager benötigen. Auch Übersiedlungsgut oder eben Verlassenschaften können wochenweise eingestellt werden.

Das System ist einfach: Jeder Mieter, der bezahlt hat, erhält seinen persönlichen Code, nach dessen Eingabe sich der Schranken zur Garagenanlage zwischen sechs und 22 Uhr öffnet. Das eingezäunte und mit Überwachungskameras gesicherte Gelände in Langenzersdorf, die erste „Selfstorage“-Anlage Österreichs, hat den nüchternen Charme von Lagerhütten; silbriggraues Blech, blaue Tore und knallrote Türen signalisieren allerdings sofort, daß hier nicht anonyme Ware gelagert, sondern eine Identifikation mit dem Ort angestrebt wird.

Lagerhallen sind klassische Bauten anonymer Architektur, die aus vorgefertigten Teilen ausschließlich nach funktionellen Kriterien zusammengebaut werden und gleichzeitig vermitteln, umgehend demontierbar zu sein, sollten sie nicht mehr gebraucht werden. Diese reine Zweckorientiertheit der Bauten findet in der Billigbauweise aus Blechpaneelen und Rolläden ihre formal authentische Entsprechung, ein Ansatz, der längst auch in der Architektur seinen Niederschlag gefunden hat; Blech als Fassadenelement ist ein in seiner Ästhetik etabliertes und gern verwendetes Material um Baukostenbewußtsein zum Ausdruck zu bringen.

Interessant an dieser in Österreich vergleichsweise neuen Art der Gebäudenutzung ist, daß mit zunehmender Etablierung der Idee auch massiver gebaut wird: Die zweite „Selfstorage“-Anlage in der Wiener Breitenfurter Straße ist bereits aus Betonfertigteilen und mehrgeschoßig errichtet, die dritte steht überhaupt in einer Baulücke, von außen nicht mehr als Lagergebäude identifizierbar. Da diese Bauten jedoch schwieriger als Blechhütten abzubauen sind, ist eine eventuelle Nachnutzung als Bürohäuser bereits planerisch mitgedacht.

In den USA, woher die Idee stammt, ist die Marktentwicklung der Branche ganz klar an Situierung und Form zu erkennen; nach echten Lagerhäusern, wo, in Holzboxen verstaut, Hab und Gut für einen längeren Zeitraum abgegeben und eingelagert werden konnten, begannen sich Mitte der 1960er Jahre in den Industriezonen der Städte die ersten Selfservice-Anlagen zu etablieren. Die zunehmende Automobilisierung der Amerikaner verhalf der Idee sehr schnell zu großer Popularität, und so rückten die Anlagen immer näher an die Kunden heran.

Mittlerweile gelten sie dann als optimal situiert, wenn sie auf halbem Weg zwischen dem Wohnviertel und dem Einkaufscenter liegen und unkompliziert täglich angefahren werden können. Vom Store zum Storage ist es dann nicht mehr weit: Ware wird gekauft, eine Zeitlang benutzt und dann gelagert. Ist das Lager voll, macht man einen Garage-Sale oder entsorgt und kann dem Konsum wieder von neuem frönen.

Diese Anlagen sehen allerdings nicht mehr wie simple Garagen aus, sondern sind, weil fix institutionalisiert, um einen architektonischen Mehrwert bemüht und versuchen, mit Putz- oder Klinkerfassaden sich an benachbarte Bank- und Postgebäude stilistisch anzupassen.

Hält der augenscheinliche Trend - siehe Möbelhäuser - zur Etablierung einer Konsumgesellschaft nach amerikanischem Vorbild an, wird sich im dichten europäischen Raum die „Selfstorage“-Idee sicher auch in subtileren architektonischen Ausformungen verbreiten.

Vom ökonomischen Standpunkt aus ist die Auslagerung des Angehäuften deshalb so genial, weil sie den Konsumenten die tägliche Konfrontation mit dem Überfluß erspart. Womöglich würden sie sonst ein Kinderwagerl ausleihen und nicht mehr kaufen!

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