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Männliche Draufaufstockung
Falter

Architektur Das Palais Herberstein am Michaelerplatz wurde umgebaut und aufgestockt - Stimmen einer öffentlichen Empörung erheben sich bereits. Grundlos.

8. September 1999 - Jan Tabor
Bei Friedrich Nietzsche, meinte Kurt Tucholsky, findet man immer ein passendes Zitat. Bei Kurt Tucholsky, Ludwig Wittgenstein und Adolf Loos auch. Zum Fortschritt in der Architektur meinte Loos: „Eine Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung.“ Die Verbesserungen im und am Palais Herberstein am Michaelerplatz sind zahlreich und beachtlich, von außen betrachtet aber nicht besonders auffallend.

Die Fassade wurde sorgfältig erneuert, ohne das überreiche Dekor oder die ursprüngliche Qualität und Anordnung der Fenster zu verändern - obwohl drinnen zwei neue Stiegenhäuser eingebaut werden mussten. Am Sockelbereich hat sich auch wenig verändert - leider: Die vor rund zehn Jahren im Tourismusjugendstil errichtete Cafe-Replik Griensteidl blieb unangetastet kitschig. Eine Garage wurde nicht eingebaut. Erfreulicherweise, weil neue Dachausbauten oben ohne Garagen unten heutzutage Ausnahmen und das eigentliche urbanistische Problem des Aufstockungsgewitters sind: Aufbauten verändern die Dachlandschaft und zerstören den urbanen Straßenraum, weil die meisten frei finanzierten Luxuswohnungen mit wertsteigernden Garagenplätzen angeboten werden, die aus einstigen Geschäften oder Wohnungen im Erdgeschoß entstanden.

Manchmal bedeutet Aufstieg Abstieg. Eine derart unangenehme Richtungsverkehrung widerfuhr in den Dreißigerjahren dem Grafen Herberstein. Damals ging es vielen Menschen wirtschaftlich schlecht, sie konnten sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten und zogen in billigere um. Auch Graf Herberstein, wohnhaft im Zinspalais Herberstein auf dem Michaelerplatz, musste 1936 umziehen. Allerdings nicht weit, nur um zwei Geschoße höher - von der prachtvollen Beletage (5,5 Meter Raumhöhe) unten in das bescheidene Dachgeschoß (3,3 Meter Raumhöhe) oben. Das neue schlichte Domizil wurde von Felix Baron Nemecic, einem unbekannten Architekten, recht gekonnt auf den alten prachtvollen Unterbau gesetzt.

Die damaligen Architekturkritiker bescheinigten dem bauenden Baron Begabung und beglückwünschten den Grafen zu seinem Mut, das schreckliche Dach samt der übermächtig geratenen Kuppel, das einem französischen Barockschloss zu entstammen schien und dem Michaelertor der Hofburg unverschämt die Schau stehlen wollte, endlich zu beseitigen.

Heutzutage ist Dachgeschoßwohnung der Inbegriff des Luxuswohnens in der dichten Stadt. Früher aber, 1896, als Josef Graf Herberstein das 1818 entstandene dreigeschoßige Palais Dietrichstein (und mit ihm das dort befindliche berühmte Literatencafe Griensteidl) hatte demolieren lassen (was Karl Kraus zu dem bekannten Sprachseufzer von „demolirter Literatur“ veranlassen sollte) und sich von k. k. Hofrat und Professor an der Wiener Technischen Hochschule Carl König, dem König der neubarocken Baukünstler und entschiedenen Gegner von Otto Wagner, ein prachtvolles Zinspalais erbauen ließ, galt es noch umgekehrt: Je höher das Geschoß gelegen war, desto schlechter und billiger die Wohnung.

Architekturgeschichtlich bedeutete die 1936 erfolgte Beseitigung des ursprünglichen Daches und die Aufstockung mit einem einfachen, dekorlosen Dachgeschoß eine gewisse Pioniertat: Der Dachboden wurde als brachliegendes Bauland entdeckt. Jetzt gehört das Mietbüropalais Herberstein der Raiffeisen Zentralbank. 1998 hat sie es zu einem exquisiten Bürohaus umbauen und aufstocken lassen. Mit dem Umbau wurde der junge, kaum bekannte Architekt Karl Langer beauftragt. Er hat einen geladenen Wettbewerb gewonnen. Davor, sagt er, habe er keinen einzigen Herrn aus der Direktionsetage der Bank gekannt. Er habe bloß das beste Umbaukonzept vorgelegt. Das dürfte stimmen.

Langers Draufaufstockung am Palais Herberstein sieht man von der Herrengasse aus nur als Stückchen einer Feuermauer. Vom Kohlmarkt aus erblickt man bloß ein Stückchen des gesimsartig abgeschrägten, in dieser Richtung spitz auskragenden Daches. Am Michaelerplatz selbst ist das Dach erst beim Portal der Michaelerkirche zu sehen und dann zunehmend besser vom Anfang der Augustinerstraße bis zum Gewölbe der Spanischen Reitschule. Der Aufbau wirkt: eindrucksvoll, widersprüchlich, entschieden und zurückhaltend, in dieser Reihenfolge.

Teils verglast und durchsichtig, teils mit Lamellenblech abgedeckt, erscheint der neue Aufbau von dort aus gesehen wie ein Dachpavillon, der auf das schräge, grün lackierte Blechdach der früheren Aufstockung aufgesetzt wurde. Fast schwebend, eine Art Altan, erinnert er, leicht übertrieben, an die Architektur der präzisen Reduktion von Mies van der Rohe. Von dieser architekturgeschichtlichen Auffassungsecke kommt die Aufstockung auf jeden Fall (Karl Langer hat über Ludwig Wittgenstein dissertiert). Das Dach des Pavillons, eine scharfe und deutliche Kante, stößt im scharfen Winkel, der dem scharfen Winkel des Gebäudes am Eck des Michaelerplatzes und der Herrengasse entspricht, empor, negiert die Rundung der Gebäudeecke und die abgerundete Neigung des Blechdaches der ersten Aufstockung, schafft einen scharfen, beinahe aggressiven Kontrapunkt zu all der neubarocken Bewegtheit und Abgerundetheit in der unmittelbaren Umgebung.

Im Prinzip hat der Architekt die Haltung von Adolf Loos übernommen, als dieser sein Haus am Michaelerplatz konzipiert hatte. Diese Haltung ist nur scheinbar aggressiv. In Wirklichkeit ist es eine defensiv-trotzige, durchaus männliche Haltung, als Antwort auf das Übermaß der neubarocken - also weiblichen - Formen rundherum und die Nemecic-Aufstockung darunter. Karl Langer hat das Palais Herberstein mit viel Gespür für und ohne übertriebene Rücksicht auf das heikle Stadtbild aufgestockt. Seine einzige Inkonsequenz: Er ließ die malerischen Kamine als Stümpfe stehen. Nun sehen sie wegen ihrer länglichen Form wie surreale weiße Särge aus.

Im Aufbau befinden sich Räume für die Haustechnik, Sitzungszimmer und ein Betriebsspeisesaal. Der Ausblick ist einzigartig, in alle Richtungen offen. Man muss es dem Bauherr hoch anrechnen, dass diese Hochlage nicht einem Direktor für dessen privates Penthouse vorbehalten wird - wie etwa im Fall des von Harry Glück für die BAWAG umgebauten Kachelhauses am Fleischmarkt. Auch wenn der Aufbau am Michaelerplatz nicht öffentlich zugänglich ist, so wird sich doch eine Möglichkeit finden, um hinaufsteigen zu können.

Wie architektonisch vortrefflich Karl Langer den Eingangsbereich gelöst hat, lässt bereits der Einblick in dem zum Entree umgebauten und mit Pawlatschengängen versehenen Lichthof erahnen: Von dort aus ist zu sehen, wie das Palais innen verändert wurde. Im Sinn von Loos: eine Verbesserung. Erheblich und vorbildlich.

[ Die Ausstellung „Carl König 1841-1915. Ein neubarocker Großstadtarchitekt in Wien“ ist noch bis zum 12.10. im Jüdischen Museum zu sehen. ]

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