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Starrer Rahmen, bewegter Blick
Während Wien Tagestouristen planlos und busweise in die Stadt lockt, führt St. Pölten seine Besucher mit einem durchdachten Leitsystem durch die Kulturgeschichte.
19. Dezember 2009 - Judith Eiblmayr
In der Vorweihnachtszeit präsentiert sich Wien als Metropole des Städtetourismus mit der Hauptattraktion „Shopping in der City“ als ostentative Konkurrenz zu „Shopping in der Shopping City Süd“. „Autobusse willkommen...“, wirbt eine offizielle Wiener Internetseite, und unter dieser Devise werden im „Advent 2009“ einkaufswillige Stadtbesucher vorwiegend aus Österreichs nordöstlichen Nachbarländern busweise in die Stadt gekarrt und bei den „Aus- und Einstiegsmöglichkeiten“ ins Innenstadtgetümmel entlassen. Während die Tagestouristen auf den Trampelpfaden durch die Stadt strömen und ganz ohne Leitsystem den Pfad finden – vom Schwedenplatz zur Mariahilfer Straße und via Christkindlmarkt zurück –, drehen leere Busse ihre Tour um den Ring. Ab 18 Uhr wälzt sich die träge Menschenmasse zum Beispiel durch die für den Autoverkehr gesperrte Rotenturmstraße und wartet in Gruppen am Schwedenplatz, um in den jeweils richtigen von Hunderten Bussen hineinzufinden. Ein unglaubliches Spektakel, wo man als beobachtender Wienbewohner sich wundert, denn wirbt Wien nicht eigentlich mit Kunst, Hochkultur und einer immer größer werdenden Anzahl an Vier-Sterne-Hotelbetten? Alles zu seiner Zeit und für jede Zielgruppe das spezifische Angebot: Was dem städtischen Kulturtouristen im Herbst das Belvedere, der Demel und der Naschmarkt sind, seien dem ein- und abgeladenen Shoppingtouristen in der Adventzeit das Gerngross-City-Center, der Maronibrater und der Punschstand.
Während Wien den Massenansturm an Shop-Hoppern bewusst evoziert, können kleinere Städte wie zum Beispiel Sankt Pölten, das nächstes Jahr sein 25-jähriges Bestehen als niederösterreichische Landeshauptstadt feiern wird, ihre Touristenkonzepte mit Weitsicht planen und gezielt entwickeln. Noch muss sich St. Pölten nicht mit hochfrequentem Bustourismus auseinandersetzen – auch nicht zur Weihnachtszeit –, da die Stadt derzeit über eine zu geringe Hotelbettenkapazität verfügt. Als explizites Touristenziel für einen längeren Aufenthalt hat es sich noch nicht bewähren können, und so beschränkt man sich auf Messebesucher, Kongressteilnehmerinnen und Tagestouristen.
Sankt Pölten hat mit seinen 50.000 Einwohnern eine ideale Größe um von Kulturinteressierten an einem Tag zu Fuß erforscht zu werden, und genau diese Qualität hat die Stadtgemeinde, respektive Bürgermeister Matthias Stadler, aufgegriffen, um dies maßstabsgerecht zu kommunizieren. Vor zwei Jahren veranstaltete der Magistrat von Sankt Pölten einen geladenen Wettbewerb für Grafik-Designer in verpflichtender Kooperation mit Architekten zur Planung eines „Kultur-Touristischen Leit- und Informationssystems“, das einerseits Stadtbesucher von auswärts, andrerseits die ortsansässige Bevölkerung in ihrem Interesse „abholen“ und zu den Sehenswürdigkeiten der Landeshauptstadt führen sollte. Gleichzeitig wusste man um die Notwendigkeit, die Besucher des historischen Stadtzentrums auch an das in den 1990er-Jahren errichtete Regierungsviertel mit seinen architektonisch anspruchsvollen Kulturbauten wie Landesbibliothek, Festspielhaus und Landesmuseum außerhalb des Ringes um die Altstadt heranzuführen. Man wollte ein standfestes Leitsystem, das sich ohne Sponsoren-Logo behaupten kann und dessen Einzelelemente an verschiedenen Standpunkten im Stadtraum die Wege weisen. Man wollte keine Audioguides, die man sich bei der Tourismusinformation abholen und wieder abgeben muss und auch keine übers Touchscreen-Handy abrufbaren Multimediashows.
Die Grafikerin Gabriele Lenz und die Architektin Anja Mönkemöller konnten den Wettbewerb unter sechs Teams für sich entscheiden, mit einem Konzept, das durch funktionalistische Präzision beeindruckt, sowohl wasdie architektonische Durchbildung der Info-Stelenfamilie, als auch den typografischen Auftritt der eigentlichen Informationen in applizierter Text- und Planform betrifft.
Die formal einheitlich in anthrazitgrau gehaltenen, pulverbeschichteten Stahlelemente mit einem gelbgrünen Signalstreifen an den Schmalseiten, die seit wenigen Wochen in Sankt Pölten aufgestellt sind und durch perfekte Materialbearbeitung im Detail beeindrucken, gibt es in drei aufeinander bezogenen Modellen: Wegweiser-Stelen, Gebäudetafeln an Hausmauern und Platz-Stelen. Die 220 Zentimeter hohen Wegweiser, auf denen ein Orientierungsplan und die angeführten Zielobjekte Aufschluss über den Weg zu diesen geben, funktionieren als konventionelle Hinweistafeln an den Gehwegen im städtischen Gefüge. An den bezeichneten Orten angekommen, findet sich nun entweder eine an der Hausmauer montierte Gebäudetafel oder eine den Ort beschreibende großformatige Platz-Stele. In einer zweiten Ausbaustufe 2010 werden in formal gleicher Art je ein Info-Pavillon beim Bahnhof und in der Mariazeller Straße realisiert werden.
Das Besondere an der Gestaltung von Lenz und Mönkemöller ist, dass die Stelen nicht selbstreferenzielle City-Lights oder wie üblich passive Trägerplattformen für Texte sind, sondern zu einem Stück „sprechender Architektur“ werden und die Informationskonsumenten zur Aktivität auffordern: Die kleinen wie die großen Tafeln haben – unmittelbar neben der Schrift – rechteckige Ausschnitte, wodurch der touristische Blick gerahmt und somit auf das Wesentliche gelenkt wird. Herkömmliche Tafeln wie jene des Denkmalamtes an einem geschützten Gebäude werden als reine Textinformation, mit Fähnchen geschmückt, der Fassade vorgeblendet. Die sich nobel abhebenden, leicht gekippten Sankt Pöltner Objekt-Tafeln hingegen geben dem Betrachter, noch während er die Infos liest, eine subtile Hintergrundinformation, indem ein Fassadendetail im Rahmen fokussiert wird.
Bei den Platz-Stelen wird dieses Prinzip um noch eine – kreative – Dimension erweitert: Der Flaneur, die Flaneuse können sich, wie beim Fotografieren ein eigenes Stadtbild gestalten! Durch die Distanz zwischen der Rahmung und einem „Schaustück“ am oder rund um den Platz können Blickwinkel und Bildausschnitt selbst bestimmt und ein Objekt eigener Wahl in den Rahmen gerückt werden – sei es ein Gebäude, ein Baum oder auch eine Person. Der bewegte Blick durch den starren Rahmen erzeugt eine Spannung, die dem touristisch noch unverdorbenen Sankt Pölten zugute kommen wird. Und vielleicht wird es stadtflüchtige Wiener geben, die, bevor auch dort „Busse willkommen“ sind, der niederösterreichischen Landeshauptstadt mit der Bahn eine Tagesvisite abstatten und sich direkt vom Bahnhof weg von einem intelligenten System mit starker Bodenhaftung durch die Kulturgeschichte der Stadt leiten lassen.
Während Wien den Massenansturm an Shop-Hoppern bewusst evoziert, können kleinere Städte wie zum Beispiel Sankt Pölten, das nächstes Jahr sein 25-jähriges Bestehen als niederösterreichische Landeshauptstadt feiern wird, ihre Touristenkonzepte mit Weitsicht planen und gezielt entwickeln. Noch muss sich St. Pölten nicht mit hochfrequentem Bustourismus auseinandersetzen – auch nicht zur Weihnachtszeit –, da die Stadt derzeit über eine zu geringe Hotelbettenkapazität verfügt. Als explizites Touristenziel für einen längeren Aufenthalt hat es sich noch nicht bewähren können, und so beschränkt man sich auf Messebesucher, Kongressteilnehmerinnen und Tagestouristen.
Sankt Pölten hat mit seinen 50.000 Einwohnern eine ideale Größe um von Kulturinteressierten an einem Tag zu Fuß erforscht zu werden, und genau diese Qualität hat die Stadtgemeinde, respektive Bürgermeister Matthias Stadler, aufgegriffen, um dies maßstabsgerecht zu kommunizieren. Vor zwei Jahren veranstaltete der Magistrat von Sankt Pölten einen geladenen Wettbewerb für Grafik-Designer in verpflichtender Kooperation mit Architekten zur Planung eines „Kultur-Touristischen Leit- und Informationssystems“, das einerseits Stadtbesucher von auswärts, andrerseits die ortsansässige Bevölkerung in ihrem Interesse „abholen“ und zu den Sehenswürdigkeiten der Landeshauptstadt führen sollte. Gleichzeitig wusste man um die Notwendigkeit, die Besucher des historischen Stadtzentrums auch an das in den 1990er-Jahren errichtete Regierungsviertel mit seinen architektonisch anspruchsvollen Kulturbauten wie Landesbibliothek, Festspielhaus und Landesmuseum außerhalb des Ringes um die Altstadt heranzuführen. Man wollte ein standfestes Leitsystem, das sich ohne Sponsoren-Logo behaupten kann und dessen Einzelelemente an verschiedenen Standpunkten im Stadtraum die Wege weisen. Man wollte keine Audioguides, die man sich bei der Tourismusinformation abholen und wieder abgeben muss und auch keine übers Touchscreen-Handy abrufbaren Multimediashows.
Die Grafikerin Gabriele Lenz und die Architektin Anja Mönkemöller konnten den Wettbewerb unter sechs Teams für sich entscheiden, mit einem Konzept, das durch funktionalistische Präzision beeindruckt, sowohl wasdie architektonische Durchbildung der Info-Stelenfamilie, als auch den typografischen Auftritt der eigentlichen Informationen in applizierter Text- und Planform betrifft.
Die formal einheitlich in anthrazitgrau gehaltenen, pulverbeschichteten Stahlelemente mit einem gelbgrünen Signalstreifen an den Schmalseiten, die seit wenigen Wochen in Sankt Pölten aufgestellt sind und durch perfekte Materialbearbeitung im Detail beeindrucken, gibt es in drei aufeinander bezogenen Modellen: Wegweiser-Stelen, Gebäudetafeln an Hausmauern und Platz-Stelen. Die 220 Zentimeter hohen Wegweiser, auf denen ein Orientierungsplan und die angeführten Zielobjekte Aufschluss über den Weg zu diesen geben, funktionieren als konventionelle Hinweistafeln an den Gehwegen im städtischen Gefüge. An den bezeichneten Orten angekommen, findet sich nun entweder eine an der Hausmauer montierte Gebäudetafel oder eine den Ort beschreibende großformatige Platz-Stele. In einer zweiten Ausbaustufe 2010 werden in formal gleicher Art je ein Info-Pavillon beim Bahnhof und in der Mariazeller Straße realisiert werden.
Das Besondere an der Gestaltung von Lenz und Mönkemöller ist, dass die Stelen nicht selbstreferenzielle City-Lights oder wie üblich passive Trägerplattformen für Texte sind, sondern zu einem Stück „sprechender Architektur“ werden und die Informationskonsumenten zur Aktivität auffordern: Die kleinen wie die großen Tafeln haben – unmittelbar neben der Schrift – rechteckige Ausschnitte, wodurch der touristische Blick gerahmt und somit auf das Wesentliche gelenkt wird. Herkömmliche Tafeln wie jene des Denkmalamtes an einem geschützten Gebäude werden als reine Textinformation, mit Fähnchen geschmückt, der Fassade vorgeblendet. Die sich nobel abhebenden, leicht gekippten Sankt Pöltner Objekt-Tafeln hingegen geben dem Betrachter, noch während er die Infos liest, eine subtile Hintergrundinformation, indem ein Fassadendetail im Rahmen fokussiert wird.
Bei den Platz-Stelen wird dieses Prinzip um noch eine – kreative – Dimension erweitert: Der Flaneur, die Flaneuse können sich, wie beim Fotografieren ein eigenes Stadtbild gestalten! Durch die Distanz zwischen der Rahmung und einem „Schaustück“ am oder rund um den Platz können Blickwinkel und Bildausschnitt selbst bestimmt und ein Objekt eigener Wahl in den Rahmen gerückt werden – sei es ein Gebäude, ein Baum oder auch eine Person. Der bewegte Blick durch den starren Rahmen erzeugt eine Spannung, die dem touristisch noch unverdorbenen Sankt Pölten zugute kommen wird. Und vielleicht wird es stadtflüchtige Wiener geben, die, bevor auch dort „Busse willkommen“ sind, der niederösterreichischen Landeshauptstadt mit der Bahn eine Tagesvisite abstatten und sich direkt vom Bahnhof weg von einem intelligenten System mit starker Bodenhaftung durch die Kulturgeschichte der Stadt leiten lassen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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