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Kleinvieh macht auch Mist
Fragwürdige Planungen, undurchsichtige Vergabeverfahren, explodierende Baukosten - kaum ein öffentliches Großprojekt ohne „Unregelmäßigkeiten“. Vieles läuft „wie geschmiert“.
20. März 2010 - Reinhard Seiß
Dass Skandale wie bei der Errichtung des Entrees zum Wiener Prater oder des Skylink am Flughafen Schwechat immer wieder passieren, ist schlimm genug. Dass sie oft ohne rechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung bleiben, ist noch viel bedenklicher. Nach wie vor wird Misswirtschaft im öffentlichen Sektor mit der Blauäugigkeit der Entscheidungsträger entschuldigt, nach wie vor wird Korruption mit Begriffen wie Freunderlwirtschaft und ähnlichen Verharmlosungen abgetan.
Die Akzeptanz dieser Unsitten dürfte unter anderem darin begründet sein, dass die Benefits eines „wie geschmiert“ funktionierenden Planungs- und Bauwesens eine recht breite Streuung aufweisen. Eine Statistik des Deutschen Bundeskriminalamts über die Verteilung von Schmiergeldern nach Branchen stützt diese Vermutung: Mit einem Anteil von 25,4 Prozent sind Baubehörden absolute Spitzenreiter - weit vor Gesundheitswesen oder Polizei.
Allein durch Preisabsprachen bei öffentlichen Baumaßnahmen entsteht in der Bundesrepublik jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden von fünf Milliarden Euro, der nicht allein aus überteuerten Großprojekten, sondern auch aus systematischer Korruption an der Basis resultiert. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um einen Betrug am Auftraggeber, sondern um einen Betrug gemeinsam mit den maßgeblichen Amtsinhabern. Bei allen kulturellen Verschiedenheiten zwischen Deutschland und Österreich dürfte die Situation hierzulande nicht viel anders sein.
Ein Unterschied besteht dagegen zwischen Stadt und Land. Angeblich halten Landbürgermeister oder Gemeindesekretäre nicht so leicht die Hand auf, da sich das schnell herumsprechen würde. So werden rasche Baugenehmigungen lieber für die Zusage erteilt, dass die ganze Familie künftig die richtige Partei wählt - und lukrative Aufträge oder wertsteigernde Grundstücksumwidmungen gern innerhalb der weitverzweigten Verwandtschaft der Gemeindeväter gewährt. In der Großstadt hingegen ist die Anonymität zwischen Bestechenden ein guter und nützlicher Schutz.
Dennoch gibt es auch hier Verhaltensregeln für Politiker und Beamte mit Interesse an Nebeneinkünften. Die wichtigste lautet, niemals explizit Geld zu fordern oder gar eine konkrete Summe zu nennen. So erfuhr manch Wiener Häuslbauer noch zu Schilling-Zeiten, dass bei seiner Baugenehmigung § 5 zur Anwendung kommen würde. Der Antragsteller war gut beraten, nicht etwa in der Bauordnung nachzuschlagen, sondern seinen Unterlagen 5000 Schilling beizulegen. In besonders heiklen Fällen verwiesen korrupte Baupolizisten auch auf § 10.
Nach welchen Paragrafen einige Beamte seit der Währungsumstellung Baugenehmigungen erteilen, war nicht zu eruieren. Als Richtwert gilt jedoch, dass - falls man an den falschen Baupolizisten gerät - rund 700 Euro nötig sind, um aus einem vermeintlich fehlerhaften Plan für ein Einfamilienhaus ein bewilligungsfähiges Dokument zu machen.
Bei größeren Bauvorhaben werden bei der Behörde meist Architekten vorstellig. Bei ihren Plänen müssen „überkorrekte“ Beamte schon ins Detail gehen, um Gründe für eine Verhinderung oder Verzögerung der Baugenehmigung zu finden. Beliebt ist die Bemängelung des Kanalplans, der die Entwässerung eines Gebäudes darstellt. Zwar gibt es dafür Normen, doch bieten diese einen breiten Interpretationsspielraum.
Wo kein Kläger, da kein Richter
Zum Beispiel müssen im Abwassersystem Putztüren vorgesehen werden. Allein, die Frage nach der richtigen Position stellt sich nach jeder Richtungsänderung eines Rohres von Neuem. So kommt es vor, dass Beamte letztlich vom Architekten beauftragt werden, den Kanalplan gegen entsprechendes Honorar selbst zu zeichnen. Bei öffentlichen Aufträgen ist das Bakschisch freilich aus eigener Tasche zu zahlen.
Auch Bauverhandlungen und sogenannte Kollaudierungen bieten manch Beamten Möglichkeiten zur Aufbesserung ihres Gehalts. So ist die Verlegung einer Bauverhandlung von der Baustelle ins Amtsgebäude der Baupolizei versierten Projektentwicklern eine kleine Gefälligkeit wert, da Anrainer, die Einsprüche gegen eine Planung erheben könnten, sich selten die Mühe machen, dafür zum Magistrat zu gehen.
Kollaudierungen, also Überprüfungen der planungsgemäßen Bauausführung, werden immer wieder von einem üppigen Mittagessen begleitet, das der Bauherr ausrichtet. Wird bei der Begehung die eine oder andere Bausünde übersehen, kann es schon vorkommen, dass eine gute Flasche oder ein Kuvert mit 500 bis 1000 Euro den Besitzer wechselt.
Hinzu kommt, dass das Rathaus begonnen hat, das Problem Korruption offener anzugehen. Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, für „anfällige“ Magistratsabteilungen wie die Baupolizei und das städtische Liegenschaftsmanagement ebenso verantwortlich wie für die 220.000 Gemeindebauten, verweist auf mehrere Fälle während seiner dreijährigen Amtszeit, in denen bestechliche Beamte aus dem Ressort selbst wegen Bagatelldelikten ihrer Aufgaben enthoben oder gar gekündigt wurden. Allerdings, so der Vizebürgermeister, könne man nicht auf Verdacht, sondern erst auf konkrete Hinweise reagieren. Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Beobachtung zeigt, dass höhere Beamte ihre Entscheidungen seltener mit eindeutigen Erwartungen gegenüber den Antragstellern verknüpfen. Umworben wird in diesen Fällen nicht nur mit Geld, sondern auch mit Einladungen zu opulenten Festen, gemeinsamen Urlauben oder anderen praktischen Annehmlichkeiten. Immerhin geht es darum, eine lukrativere Flächenwidmung zu bekommen oder mithilfe des berüchtigten Ausnahmeparagraphen 69 ein Projekt höher, breiter oder einfach nur gewinnbringender (als ursprünglich genehmigt) bauen zu können. Da es dabei mitunter um Wertsteigerungen in Millionenhöhe geht, wäre es nicht verwunderlich, wenn einzelne gut bestallte Spitzenbeamte nicht nur beide Augen zudrücken, sondern auch die Hand aufhalten.
Wie anfällig das Wiener Planungs- und Bauwesen für Unregelmäßigkeiten dieser Art ist, zeigten in den letzten Jahren mehrere Kontrollamtsberichte - etwa jener von 2002 über die Magistratsabteilung MA 21B: Deren früherer Leiter war nebenberuflich Konsulent eines Wohnbauträgers und versuchte, für diesen eine geschützte Grünfläche in Bauland umzuwidmen. Die wohlgemerkt höchst unübliche Amtshandlung hätte eine Wertsteigerung in der Höhe von 9 Millionen Euro mit sich gebracht.
2001 untersuchte das Kontrollamt 132 großflächige Handelsobjekte, die in den Neunzigerjahren in Wien entstanden waren: In mehr als 40 Prozent der Fälle fehlten die erforderlichen Widmungen oder Genehmigungen für ein Einkaufszentrum - geflissentlich geduldet von der Baubehörde.
Die Reaktion der Wiener Stadtregierung auf diese Missstände bestand darin, die kontrollierten Magistratsabteilungen einfach aufzulösen beziehungsweise den Abteilungsleiter in Pension zu schicken. Die zuständigen Stadträte erweckten den Eindruck, als hätten sie damit nicht das Geringste zu tun gehabt. Selbstverständlich gibt es keine Hinweise darauf, dass hochrangige politische Repräsentanten der Stadt schwarze Koffer mit Geld entgegennähmen. Es gibt auch andere Verlockungen, die Entscheidungen beeinflussen könnten - von Parteispenden, die in Österreich nicht offengelegt werden müssen, über kostenlose politische Werbung in Medien bis zu gutbezahlten Funktionen nach der Rathaus-Karriere.
Wer nun meint, Bestechung und Begünstigung wären der Normalfall in der Planungs- und Bauverwaltung, der irrt natürlich - und würde der Mehrheit integrer Beamter unrecht tun. Wer jedoch denkt, es handle sich bloß um Ausnahmefälle, und seine Augen vor den teils systemimmanenten Missständen verschließt, darf sich nicht wundern, wenn auch künftig so gut wie jedes öffentliche Großprojekt zu einem Fall für den Rechnungshof, für das Kontrollamt oder für parlamentarische Untersuchungsausschüsse wird.
Auch hier gibt es Verhaltensregeln für Politiker und Beamte mit Interesse an Nebeneinkünften. Die wichtigste lautet, niemals explizit Geld zu fordern oder eine Summe zu nennen.
Die Akzeptanz dieser Unsitten dürfte unter anderem darin begründet sein, dass die Benefits eines „wie geschmiert“ funktionierenden Planungs- und Bauwesens eine recht breite Streuung aufweisen. Eine Statistik des Deutschen Bundeskriminalamts über die Verteilung von Schmiergeldern nach Branchen stützt diese Vermutung: Mit einem Anteil von 25,4 Prozent sind Baubehörden absolute Spitzenreiter - weit vor Gesundheitswesen oder Polizei.
Allein durch Preisabsprachen bei öffentlichen Baumaßnahmen entsteht in der Bundesrepublik jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden von fünf Milliarden Euro, der nicht allein aus überteuerten Großprojekten, sondern auch aus systematischer Korruption an der Basis resultiert. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um einen Betrug am Auftraggeber, sondern um einen Betrug gemeinsam mit den maßgeblichen Amtsinhabern. Bei allen kulturellen Verschiedenheiten zwischen Deutschland und Österreich dürfte die Situation hierzulande nicht viel anders sein.
Ein Unterschied besteht dagegen zwischen Stadt und Land. Angeblich halten Landbürgermeister oder Gemeindesekretäre nicht so leicht die Hand auf, da sich das schnell herumsprechen würde. So werden rasche Baugenehmigungen lieber für die Zusage erteilt, dass die ganze Familie künftig die richtige Partei wählt - und lukrative Aufträge oder wertsteigernde Grundstücksumwidmungen gern innerhalb der weitverzweigten Verwandtschaft der Gemeindeväter gewährt. In der Großstadt hingegen ist die Anonymität zwischen Bestechenden ein guter und nützlicher Schutz.
Dennoch gibt es auch hier Verhaltensregeln für Politiker und Beamte mit Interesse an Nebeneinkünften. Die wichtigste lautet, niemals explizit Geld zu fordern oder gar eine konkrete Summe zu nennen. So erfuhr manch Wiener Häuslbauer noch zu Schilling-Zeiten, dass bei seiner Baugenehmigung § 5 zur Anwendung kommen würde. Der Antragsteller war gut beraten, nicht etwa in der Bauordnung nachzuschlagen, sondern seinen Unterlagen 5000 Schilling beizulegen. In besonders heiklen Fällen verwiesen korrupte Baupolizisten auch auf § 10.
Nach welchen Paragrafen einige Beamte seit der Währungsumstellung Baugenehmigungen erteilen, war nicht zu eruieren. Als Richtwert gilt jedoch, dass - falls man an den falschen Baupolizisten gerät - rund 700 Euro nötig sind, um aus einem vermeintlich fehlerhaften Plan für ein Einfamilienhaus ein bewilligungsfähiges Dokument zu machen.
Bei größeren Bauvorhaben werden bei der Behörde meist Architekten vorstellig. Bei ihren Plänen müssen „überkorrekte“ Beamte schon ins Detail gehen, um Gründe für eine Verhinderung oder Verzögerung der Baugenehmigung zu finden. Beliebt ist die Bemängelung des Kanalplans, der die Entwässerung eines Gebäudes darstellt. Zwar gibt es dafür Normen, doch bieten diese einen breiten Interpretationsspielraum.
Wo kein Kläger, da kein Richter
Zum Beispiel müssen im Abwassersystem Putztüren vorgesehen werden. Allein, die Frage nach der richtigen Position stellt sich nach jeder Richtungsänderung eines Rohres von Neuem. So kommt es vor, dass Beamte letztlich vom Architekten beauftragt werden, den Kanalplan gegen entsprechendes Honorar selbst zu zeichnen. Bei öffentlichen Aufträgen ist das Bakschisch freilich aus eigener Tasche zu zahlen.
Auch Bauverhandlungen und sogenannte Kollaudierungen bieten manch Beamten Möglichkeiten zur Aufbesserung ihres Gehalts. So ist die Verlegung einer Bauverhandlung von der Baustelle ins Amtsgebäude der Baupolizei versierten Projektentwicklern eine kleine Gefälligkeit wert, da Anrainer, die Einsprüche gegen eine Planung erheben könnten, sich selten die Mühe machen, dafür zum Magistrat zu gehen.
Kollaudierungen, also Überprüfungen der planungsgemäßen Bauausführung, werden immer wieder von einem üppigen Mittagessen begleitet, das der Bauherr ausrichtet. Wird bei der Begehung die eine oder andere Bausünde übersehen, kann es schon vorkommen, dass eine gute Flasche oder ein Kuvert mit 500 bis 1000 Euro den Besitzer wechselt.
Hinzu kommt, dass das Rathaus begonnen hat, das Problem Korruption offener anzugehen. Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, für „anfällige“ Magistratsabteilungen wie die Baupolizei und das städtische Liegenschaftsmanagement ebenso verantwortlich wie für die 220.000 Gemeindebauten, verweist auf mehrere Fälle während seiner dreijährigen Amtszeit, in denen bestechliche Beamte aus dem Ressort selbst wegen Bagatelldelikten ihrer Aufgaben enthoben oder gar gekündigt wurden. Allerdings, so der Vizebürgermeister, könne man nicht auf Verdacht, sondern erst auf konkrete Hinweise reagieren. Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Beobachtung zeigt, dass höhere Beamte ihre Entscheidungen seltener mit eindeutigen Erwartungen gegenüber den Antragstellern verknüpfen. Umworben wird in diesen Fällen nicht nur mit Geld, sondern auch mit Einladungen zu opulenten Festen, gemeinsamen Urlauben oder anderen praktischen Annehmlichkeiten. Immerhin geht es darum, eine lukrativere Flächenwidmung zu bekommen oder mithilfe des berüchtigten Ausnahmeparagraphen 69 ein Projekt höher, breiter oder einfach nur gewinnbringender (als ursprünglich genehmigt) bauen zu können. Da es dabei mitunter um Wertsteigerungen in Millionenhöhe geht, wäre es nicht verwunderlich, wenn einzelne gut bestallte Spitzenbeamte nicht nur beide Augen zudrücken, sondern auch die Hand aufhalten.
Wie anfällig das Wiener Planungs- und Bauwesen für Unregelmäßigkeiten dieser Art ist, zeigten in den letzten Jahren mehrere Kontrollamtsberichte - etwa jener von 2002 über die Magistratsabteilung MA 21B: Deren früherer Leiter war nebenberuflich Konsulent eines Wohnbauträgers und versuchte, für diesen eine geschützte Grünfläche in Bauland umzuwidmen. Die wohlgemerkt höchst unübliche Amtshandlung hätte eine Wertsteigerung in der Höhe von 9 Millionen Euro mit sich gebracht.
2001 untersuchte das Kontrollamt 132 großflächige Handelsobjekte, die in den Neunzigerjahren in Wien entstanden waren: In mehr als 40 Prozent der Fälle fehlten die erforderlichen Widmungen oder Genehmigungen für ein Einkaufszentrum - geflissentlich geduldet von der Baubehörde.
Die Reaktion der Wiener Stadtregierung auf diese Missstände bestand darin, die kontrollierten Magistratsabteilungen einfach aufzulösen beziehungsweise den Abteilungsleiter in Pension zu schicken. Die zuständigen Stadträte erweckten den Eindruck, als hätten sie damit nicht das Geringste zu tun gehabt. Selbstverständlich gibt es keine Hinweise darauf, dass hochrangige politische Repräsentanten der Stadt schwarze Koffer mit Geld entgegennähmen. Es gibt auch andere Verlockungen, die Entscheidungen beeinflussen könnten - von Parteispenden, die in Österreich nicht offengelegt werden müssen, über kostenlose politische Werbung in Medien bis zu gutbezahlten Funktionen nach der Rathaus-Karriere.
Wer nun meint, Bestechung und Begünstigung wären der Normalfall in der Planungs- und Bauverwaltung, der irrt natürlich - und würde der Mehrheit integrer Beamter unrecht tun. Wer jedoch denkt, es handle sich bloß um Ausnahmefälle, und seine Augen vor den teils systemimmanenten Missständen verschließt, darf sich nicht wundern, wenn auch künftig so gut wie jedes öffentliche Großprojekt zu einem Fall für den Rechnungshof, für das Kontrollamt oder für parlamentarische Untersuchungsausschüsse wird.
Auch hier gibt es Verhaltensregeln für Politiker und Beamte mit Interesse an Nebeneinkünften. Die wichtigste lautet, niemals explizit Geld zu fordern oder eine Summe zu nennen.
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