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Massgeschneidertes Lehmhaus
TEC21

Von 2007 bis 2009 realisierten die Bieler spaceshop Architekten im solothurnischen Deitingen ein besonderes Einfamilienhaus. Der Bau dient als Experimentierfeld: Abwasserentsorgung und Energieerzeugung funktionieren nahezu autark, die Mehrheit der Baumaterialien – Lehm, Stroh, Bruchsteine und Holz – stammt aus einem Umkreis von maximal 10 km und wurde unveredelt weiterverwendet.

13. Mai 2011 - Claudia Carle, Tina Cieslik
Die Anfänge des Projektes reichen bis ins Jahr 2004 zurück. Damals, nach dem Auszug seiner Kinder, konkretisierte Bauherr Ueli Flury seinen Wunsch nach weniger Wohnfläche. Als Baugrund bot sich der Garten seines damaligen Wohnhauses an, eines ehemaligen Bauernhauses mit angebauter Gärtnerei in der Dorfkernzone. Die Ausnützungsziffer des Grundstücks war noch nicht erreicht. Wichtiger als das eigentliche Gebäude war dem Bauherrn aber zunächst das bauökologische Konzept. Als Gärtner daran gewöhnt, mit den vorhandenen Ressourcen zu arbeiten und in möglichst geschlossenen Kreisläufen zu denken, wollte er diese Philosophie in den Bau einfliessen lassen. Gemeinsam mit dem befreundeten Landschaftsarchitekten Hans Klötzli und dem Bauökologen Ryszard Gorajek vom Berner Atelier für Architektur und Bauökologie AAB entwickelte er daher Lösungen für ein autark funktionierendes Gebäude mit einem möglichst geringen Aufwand an grauer Energie.

Neben den Baumaterialien umfasste der Ansatz auch Energieerzeugung und Abwasserentsorgung. Rasch wurde klar, dass der Aufwand relativ hoch ist und für einen Einpersonenhaushalt wenig Sinn ergibt. Man entschied sich daher, den Neubau in Bezug auf Fläche und Kapazität der technischen Infrastruktur für vier Personen zu konzipieren. Um die sorgfältige bauökologische Planung durch eine angemessene architektonische Qualität zu ergänzen, lud Bauherr Flury im Jahr 2006 vier Büros zu einem Studienauftrag ein, den die Bieler spaceshop Architekten für sich entschieden.

Bewegung durch Aussen- und Innenraum

Das Siegerprojekt beruht auf der Idee einer «promenade architecturale», auf der man sich zunächst von der Strasse aus entlang einer bestehenden Palisade in den hinteren Bereich des Gartens und ins Haus und anschliessend durch die seitlich gestaffelten Räume wieder in den Garten bewegt. Dieser Ablauf inszeniert unterschiedliche Ein- und Ausblicke in bzw. auf Haus und Grundstück und überspielt auch die geringe Grundfläche des pavillonartigen Baus, der nur drei Räume umfasst. Die beiden L-förmigen Lehmwände, die nahtlos vom Innen- in den Aussenraum übergehen, verweben die beiden Sphären nicht nur räumlich, sondern auch konstruktiv (Abb. 6). Wegen des hohen Grundwasserspiegels steht das Haus auf einem Sockel, was die Idee der «promenade» aufgrund der unterschiedlichen Bodenniveaus verstärkt. Betreten wird das Gebäude im zentralen Wohn-/Essbereich, der auch die Küche beherbergt und im Osten vom privaten Schlaf-/Badbereich sowie im Westen von einem Gartenzimmer flankiert wird. Das wesentliche Element der Küche ist der Stückholzherd, der sowohl zum Kochen als auch zum Heizen und zur Warmwassererzeugung dient. Er erwärmt das Wasser in einem Boiler und einem Wasserspeicher im Keller, von wo es an die Heizkörper in den Räumen abgegeben wird. Die dafür pro Jahr erforderlichen rund 10 Ster Holz stammen aus dem dorfeigenen Wald und werden vom Hausherrn zugeschnitten. Der relativ hohe Verbrauch ergibt sich aus dem Bedarf für die Warmwassererzeugung sowie aus den aufgrund des geringen Strohanteils eher mässigen Dämmwerten der Lehmwände.

Das Material gibt den Takt an

Nachdem das Raumprogramm und dessen konstruktive Umsetzung im Sommer 2007 feststanden, wurden zunächst die Strohballen für die Dämmung von Dach und Boden erworben: Die Landwirte verwenden unterschiedliche Maschinen für die Strohballenproduktion, dementsprechend unterscheiden sich deren Masse. Die Grösse der Strohballen bildete so das Ausgangsmodul für die gesamte Konstruktion. Auch das Fichtenholz aus dem Deitinger Burgerwald brauchte seine Zeit: Dem Mondkalender entsprechend wurde es Ende Oktober 2007 geschlagen. Um den Holzabfall so gering wie möglich zu halten, beschränkte man sich zudem auf die Normmasse für Holzbalken.

Der Bauherr wünschte sich bereits zu Beginn ein Lehmhaus. Neben der hohen Wärmespeicherfähigkeit des Materials sprach auch das angenehme Raumklima in Lehmhäusern mit einer relativ hohen, konstanten Luftfeuchtigkeit für diese Wahl. Lehm absorbiert zudem Gerüche – was sich bei der Nutzung der Wohnküche ohne Dunstabzug bereits als grosser Vorteil erwiesen hat. Die monolithischen Lehmwände sind auch visuell das dominierende Material des Baus. Sie sind in Lehmwellerbau-Technik errichtet, einer Massivlehmkonstruktion, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in Ostdeutschland bei landwirtschaftlichen Ökonomiegebäuden zum Einsatz kam.[1] Dafür werden Stroh und Lehm in einem Mischungsverhältnis von ca. 25 kg Stroh auf 1 m³ Lehm gemischt, ohne Schalung mit einer Mistgabel zu einer Wand von bis zu 80 cm Höhe aufgeschichtet und anschliessend mit einem scharfen Spaten abgestochen (Abb. 3). Die Dicke der Wände von 80 cm ergab sich aus dem zu erreichenden Dämmwert – im Gegensatz zum zunächst favorisierten Stampflehm konnten mit dieser Technik die kantonalen Richtwerte eingehalten werden (s. Kasten S. 33). Das Stroh bietet zudem einen Witterungsschutz: Durch das Abstechen des Lehms sind die Halme von oben nach unten gerichtet, sodass Niederschläge ablaufen können und der dahinter liegende Lehm geschützt ist. Das Haus in Deitingen besteht aus vier horizontalen Schichten, die um das ganze Gebäude laufen. Konstruktiv geschützt werden die Lehmwände zudem durch bis zu 1.50 m grosse Dachüberstände. Das Dach und der Boden bestehen aus einer aufgedoppelten Balkenlage, in deren Zwischenräume die Strohballen als Dämmung gepresst wurden (Abb. 7). Die Dachhaut aus synthetischem Kautschuk ist mit einem Ziegelschrotsubstrat bedeckt und begrünt. Abgetragen werden die Dachlasten über in die Lehmwand eingelassene Holzstützen. Dieses Tragwerk ermöglichte zum einen den Bau eines Daches zum Schutz der Lehmwände während der Herstellung (Abb. 2). Zum anderen konnte so auf das Schwinden des Lehms reagiert werden: Während Fenster und Türen fest in die Holzkonstruktion montiert waren, konnten sich die Wände während des Trocknens innerhalb der Konstruktion bewegen, das Schwindmass betrug dabei etwa 10 cm. Ein weiteres lokales Baumaterial findet sich im Keller: Über Jahre vom Bauherrn gesammelte ehemalige Grab- und Brückensteine bilden die Kellermauern und den Sockel des Hauses. Um die graue Energie minimal zu halten, sind sie unbearbeitet mit Lagerfugen aus Trasskalkmörtel vermauert – ein reines Trockenmauerwerk im Keller akzeptierte der Tragwerksplaner nicht. Der Kellerboden besteht aus verdichtetem Mergel. Neben seiner Funktion als Lagerraum für Wein, Obst und Gemüse dient der Keller auch als Standort der Gebäudetechnik (Kompost-WC, Warmwasserboiler).

Graue Energie

Die Mehrheit der Baumaterialien stammt aus einem Umkreis von maximal 10 km und wurde roh belassen, um den energetischen Aufwand für Herstellung und Transport möglichst tief zu halten. Ausnahmen bilden die Flachdachabdichtung aus synthetischem Kautschuk, das Dachrandblech aus verzinntem Kupfer und die Doppelisolierverglasung. Auf Klebstoffe, Beschichtungen und Oberflächenbehandlungen wurde zugunsten eines gesunden Innenraumklimas verzichtet.

Die Bilanz der grauen Energie des Gebäudes, in die auch Lastwagentransporte und Maschineneinsätze eingerechnet wurden, ergibt mit 17.4 kWh/m2a einen Wert, der deutlich unter dem Zielwert des SIA-Effizienzpfades von 30 kWh/m2a liegt – dies trotz Eingeschossigkeit und relativ hohem Kelleranteil. Nicht eingerechnet ist in diesen Wert allerdings der Energieaufwand für die Trocknung der massiven Lehmwände mit Ölheizungen. Dieser war fast fünf Mal so hoch wie die graue Energie der Wände selbst (ohne Holzständer gerechnet), hätte aber mit einer besseren Zeitplanung vermieden werden können. Durch wetterbedingte Verzögerungen beim Bau der Lehmwände blieb vor dem gewünschten Bezugstermin nicht mehr genug Zeit für eine natürliche Austrocknung des Lehms.

Geschlossene, lokale Kreisläufe

Neben der Minimierung der grauen Energie lag den Planern vor allem der Gedanke der Autarkie des Gebäudes am Herzen. Die Umsetzung einer autarken Energieversorgung stellte sich in der Praxis jedoch als schwierig heraus. Da sich das Haus in einem Grundwasserschutzgebiet befindet, schied die Nutzung von Grundwasserwärme von vornherein aus. Geringes Windaufkommen und eine relativ hohe Bebauungsdichte sprachen gegen die Nutzung von Windenergie. In Erwägung gezogen wurde hingegen eine Biogasanlage, in der man die beim WC anfallenden Fäkalien sowie Feststoffe aus der Kläranlage hätte vergären und daraus Energie erzeugen können. Kleine, für einen Einzelhaushalt geeignete Biogasanlagen gibt es allerdings nur in Einzelanfertigung. Sie sind zudem unterhaltsintensiv. Daher verwarf das Planungsteam diese Option. Als weitere Variante für die Energieversorgung prüfte man die Nutzung von Wasserkraft. Der an der Grundstücksgrenze verlaufende Bach hat zwar ein geringes Gefälle, aber einen relativ hohen konstanten Abfluss, mit dem man ein Wasserrad hätte antreiben können. Diese Idee scheiterte jedoch an Bedenken des Fischereiverbandes.

Deshalb entschied man sich schliesslich für eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach des benachbarten Bauernhauses. Für eine autarke Energieversorgung hätte es eine Batterie gebraucht, die aber teuer und energieintensiv in der Herstellung ist. Der produzierte Strom wird daher komplett ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Dafür bezieht der Bauherr wiederum Ökostrom aus dem Netz, dank energieeffizienten Geräten und einem Leben ohne Fernseher und PC aber nur ein Viertel der von der Fotovoltaikanlage produzierten Menge. Der überschüssige Strom kompensiert rechnerisch mit der Zeit die im Gebäude steckende graue Energie (siehe Kasten S. 33).

Autark ist das Gebäude hingegen beim Wasserkreislauf. Das Grundstück verfügt über eine eigene Quelle, die den Bauherrn mit Wasser in Trinkwasserqualität versorgt. Das Grauwasser, also das Abwasser aus Küche, Waschbecken und Badewanne, wird in einer Pflanzenkläranlage neben dem Gebäude gereinigt und dann als Giesswasser in der benachbarten Gärtnerei verwendet (Abb. 9). Da die 2 m lange und 8 m breite, mit Schilf bewachsene Kläranlage nicht wie sonst üblich im Boden versenkt werden konnte, um ein genügend grosses Gefälle zur Gärtnerei hin zu erhalten, trennt sie den Eingangsbereich nun optisch vom Garten. Das gereinigte Wasser erreicht gemäss Messung des Kantons Trinkwasserqualität. Trotzdem hätte man es wegen der Ausweisung des Grundstückes als Grundwasserschutzgebiet nicht im Garten versickern lassen dürfen. Nur die Synergie mit der Gärtnerei ermöglichte also den autarken Wasserkreislauf.

Das WC funktioniert ebenfalls ohne Anschluss an die öffentliche Kanalisation. Die Fäkalien werden in einem Kompostbehälter im Keller gesammelt. Die Zugabe von Holzschnitzeln verbessert das Stickstoff-Kohlenstoff-Verhältnis des Komposts. Das anfallende Abwasser verdunstet grösstenteils, der Rest muss alle zwei bis drei Wochen abgelassen werden und wird vom Bauherrn zur Düngung des Gartens verwendet. Der Kompostbehälter muss nur rund zweimal pro Jahr geleert werden. Das vorkompostierte Material wird in einem Silo weiterkompostiert und kann schliesslich als Gartenerde verwendet werden.

Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus übernehmen

Da dort, wo ein Kanalisationsnetz besteht, der Anschluss von Gebäuden an dieses Netz Pflicht ist, waren der autarke Abwasser- und WC-Kreislauf nur dank einer Ausnahmebewilligung der Behörden möglich. Wäre der Anschluss an die Kanalisation nicht die einfachere und möglicherweise auch aus Sicht der grauen Energie günstigere Lösung gewesen? Einen genauen Vergleich der grauen Energie habe man nicht gemacht, erklärt Gorajek. «Vielleicht ist es mitten im Ort schon weniger sinnvoll, autark zu agieren, als beispielsweise auf einer Alp. Es ging uns bei diesem Projekt aber vor allem um die Eigenverantwortung für das gesamte Haus und alles, was dadurch an Abfällen entsteht.» Statt das Abwasser in der Kanalisation zu entsorgen und Reinigung und Bau der entsprechenden Infrastruktur anderen zu überlassen, übernehme man das selbst. «Und am Ende seiner Lebensdauer kann man das Haus mit gutem Gewissen verlassen und weiss, dass es dem Erdboden gleich wird, wenn es zusammenbricht.»


Literatur:
[01] Christoph Ziegert: Lehmwellerbau. Konstruktion, Schäden und Sanierung. Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2003

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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