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Ziegel zeigen
Vor einer Woche wurde in Wien der Brick Award 14 vergeben. Und es zeigt sich: In Sachen Ziegelarchitektur hinkt Österreich dem Rest der Welt weit hinterher.
17. Mai 2014 - Wojciech Czaja
Sengende Hitze, sommerlich flimmernde Luft, ein tropisch müder Blick in den Augen. Das große, ziegelrote Haus im Garten ist Opfer jenes thermisch-physikalischen Phänomens, das alles Betrachtete in sanften, leicht verschwommenen Schwingungen erscheinen lässt. Doch mit jedem Schritt wird der Zweifel größer. Und plötzlich erkennt man, dass es nicht die Natur ist, die einem ein Schnippchen geschlagen hat, sondern die Architektur höchstselbst.
Das Kantana Film and Animation Institute in der Provinz Nakorn Prathom, rund 45 Kilometer von Bangkok entfernt, ist ein Ausbildungszentrum für Filmschaffende und Animationskünstler. An den bauchigen Wänden, die bis zu acht Meter hoch in den Himmel ragen, treffen Licht und Schaffen aufeinander. Die mal hellen, mal dunklen, sich rhythmisch abwechselnden Flächen scheinen das Gebäude in Bewegung zu versetzen. Fast so, als würde eine 36-Millimeter-Filmrolle langsam, ganz langsam durch den Filmprojektor rattern.
Vergangene Woche wurde das Aufsehen erregende Bauwerk im Architekturzentrum Wien mit dem Wienerberger Brick Award 2014, Grand Prize, ausgezeichnet. Vier weitere Juryprojekte in den Kategorien Wohnen, öffentliches Gebäude, Umbau/Sanierung und Umgang mit vorhandener Stadtstruktur (siehe unten) sowie zwei Wienerberger Special Awards gingen nach China, Deutschland, Belgien, Spanien, Kroatien und Finnland. „Ich hätte mir niemals gedacht, dass so ein kleines, lokales Projekt jemals so große Aufmerksamkeit in aller Welt bekommen würde“, sagt Boonserm Premthada, Architekt der thailändischen Filmschule, im Gespräch mit dem Standard. „Ich wollte niemals ein berühmtes Haus bauen. Ich wollte einfach nur das machen, was ich immer mache: Architektur, die man mit allen Sinnen begreifen kann. Architektur, die man sehen, tasten, hören, riechen und ja, von mir aus auch schmecken kann, wenn's sein muss.“
Womöglich ist diese mehr als nur visuelle Qualität, die in der Architektur oft beansprucht und selten eingelöst wird, auf den Umstand zurückzuführen, dass Premthada selbst äußerst schlecht sieht und sein Hörvermögen auf 25 Prozent reduziert ist. „Architektur hat mehr als nur mit der Optik zu tun. Nachdem ich selbst nicht minder Spaß an meinem Job haben will, bin ich auf Baustoffe und Bauweisen angewiesen, die entsprechend mehr zu bieten haben, als nur schön zu sein. Ich denke, von diesem multiperzeptiven Ansatz profitieren auch die anderen.“
Vielsinnig und vielschichtig ist auch die Baugenese, denn die Rezeptur des 2000 Quadratmeter großen Gebäudes ist bei aller Sinnlichkeit, die seine Samba tanzenden Wände ausstrahlen, eine sehr einfache: Man nehme Lehm, einige Holzrahmen, viele helfende Hände und Füße, die die feuchte Erde in Form bringen, und baue mit der Bevölkerung einen Brennofen, in dem man die 600.000 in Handarbeit gefertigten Ziegelsteine schließlich brennen und für die nächsten Jahrhunderte haltbar machen kann.
Hohles Innenleben
„Meist kommen bei öffentlichen Projekten nur die großen, überregionalen, wenn nicht sogar globalen Baustoffproduzenten und Baufirmen zum Zug“, erklärt Premthada. „Doch für mich war wichtig, dass die Dorfbewohner an diesem Projekt mitarbeiten können und dass die Wertschöpfungskette so weit wie möglich in der Region bleibt. Nur wenn diese Kriterien gesichert sind, darf die Architektur von sich behaupten, nachhaltig zu sein.“ Der manuelle Arbeitsprozess ist übrigens nicht zu übersehen. Immer wieder kommen an der Ziegeloberfläche Hand- und Fußabdrücke zum Vorschein.
Die Nachhaltigkeit des Kantana Film and Animation Institute im Hinterland Bangkoks hat nicht nur mit dem Einsatz lokaler Ressourcen zu tun, sondern vor allem auch mit dem Klima. Nachdem sich die Ziegel zum Teil selbst verschatten, bleibt die Mauer kühl. Dank ihres hohlen Innenlebens funktioniert sie wie ein auf den Kopf gestellter Kamin. Die im Mauerzwischenraum enthaltene Luft kühlt sich ab, fällt dadurch nach unten, wird Teil eines verzweigten Luftkammersystems im Fundament und versorgt auf diese Weise den gesamten Campus mit wohl temperierter Frischluft. Einfacher und billiger kann man eine Klimaanlage nicht bauen.
Dass das diesjährige Brick-Siegerprojekt ein so uriges, ein so archaisches ist, liegt nicht zuletzt an der Jury beziehungsweise am Juryvorsitzenden, dem chinesischen Architekten und Pritzker-Preisträger Wang Shu. Seine Vorlieben und Qualitätsstandards sind nicht zu übersehen. Auch er besinnt sich in seinen Projekten auf jene Bau- und Kulturtraditionen, die in der schleichenden Verwestlichung der asiatischen Länder mehr und mehr in Bedrängnis geraten.
„Die moderne thailändische Architektur steht im Schatten der futuristischen, von Stars geprägten Plastikarchitektur mit ihren formalen Fassaden und ihren kurzlebigen Trends“, sagt Premthada. „Der Ziegelstein als Symbol für die Einfachheit und Vielfältigkeit dieses Landes gerät dabei oft in Vergessenheit. Das Kantana Film and Animation Institute soll uns diesen Reichtum der Vergangenheit wieder ins Gedächtnis rufen.“
Dem weltweit agierenden Ziegelzampano Wienerberger war dieser symbolische Hilfeschrei einen Hauptpreis wert. „Wie man am Grand Prize, aber auch an den anderen Preisträgern erkennen kann, kommen die neuen, innovativen Ansätze in der Ziegelarchitektur eher aus Asien als aus Europa“, sagt Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender der Wienerberger AG. „Das hat einerseits klimatische Gründe, andererseits jedoch liegt das vor allem auch an der Tatsache, dass Handarbeit in Asien leistbarer ist als bei uns.“
Ob es wohl Zufall ist, dass die Gewinnerprojekte, die die Juroren heuer auserkoren haben (und nicht alle kommen aus subtropischen, immerzu warmen, asiatischen Billiglohnländern), ausschließlich aus nacktem, unverputztem Ziegelstein und Klinker bestehen? „Sagen wir mal so: Die ästhetischen Möglichkeiten in Mitteleuropa sind wahrscheinlich noch lange nicht ausgeschöpft“, sagt Scheuch und verweist auf die hierzulande vorwiegend praktizierte Styroporkultur, in der Baubranche euphemistischerweise auch Wärmedämmverbundsystem genannt. Die Häuslbauerland Österreich ist voll davon. Es geht auch anders.
Das Kantana Film and Animation Institute in der Provinz Nakorn Prathom, rund 45 Kilometer von Bangkok entfernt, ist ein Ausbildungszentrum für Filmschaffende und Animationskünstler. An den bauchigen Wänden, die bis zu acht Meter hoch in den Himmel ragen, treffen Licht und Schaffen aufeinander. Die mal hellen, mal dunklen, sich rhythmisch abwechselnden Flächen scheinen das Gebäude in Bewegung zu versetzen. Fast so, als würde eine 36-Millimeter-Filmrolle langsam, ganz langsam durch den Filmprojektor rattern.
Vergangene Woche wurde das Aufsehen erregende Bauwerk im Architekturzentrum Wien mit dem Wienerberger Brick Award 2014, Grand Prize, ausgezeichnet. Vier weitere Juryprojekte in den Kategorien Wohnen, öffentliches Gebäude, Umbau/Sanierung und Umgang mit vorhandener Stadtstruktur (siehe unten) sowie zwei Wienerberger Special Awards gingen nach China, Deutschland, Belgien, Spanien, Kroatien und Finnland. „Ich hätte mir niemals gedacht, dass so ein kleines, lokales Projekt jemals so große Aufmerksamkeit in aller Welt bekommen würde“, sagt Boonserm Premthada, Architekt der thailändischen Filmschule, im Gespräch mit dem Standard. „Ich wollte niemals ein berühmtes Haus bauen. Ich wollte einfach nur das machen, was ich immer mache: Architektur, die man mit allen Sinnen begreifen kann. Architektur, die man sehen, tasten, hören, riechen und ja, von mir aus auch schmecken kann, wenn's sein muss.“
Womöglich ist diese mehr als nur visuelle Qualität, die in der Architektur oft beansprucht und selten eingelöst wird, auf den Umstand zurückzuführen, dass Premthada selbst äußerst schlecht sieht und sein Hörvermögen auf 25 Prozent reduziert ist. „Architektur hat mehr als nur mit der Optik zu tun. Nachdem ich selbst nicht minder Spaß an meinem Job haben will, bin ich auf Baustoffe und Bauweisen angewiesen, die entsprechend mehr zu bieten haben, als nur schön zu sein. Ich denke, von diesem multiperzeptiven Ansatz profitieren auch die anderen.“
Vielsinnig und vielschichtig ist auch die Baugenese, denn die Rezeptur des 2000 Quadratmeter großen Gebäudes ist bei aller Sinnlichkeit, die seine Samba tanzenden Wände ausstrahlen, eine sehr einfache: Man nehme Lehm, einige Holzrahmen, viele helfende Hände und Füße, die die feuchte Erde in Form bringen, und baue mit der Bevölkerung einen Brennofen, in dem man die 600.000 in Handarbeit gefertigten Ziegelsteine schließlich brennen und für die nächsten Jahrhunderte haltbar machen kann.
Hohles Innenleben
„Meist kommen bei öffentlichen Projekten nur die großen, überregionalen, wenn nicht sogar globalen Baustoffproduzenten und Baufirmen zum Zug“, erklärt Premthada. „Doch für mich war wichtig, dass die Dorfbewohner an diesem Projekt mitarbeiten können und dass die Wertschöpfungskette so weit wie möglich in der Region bleibt. Nur wenn diese Kriterien gesichert sind, darf die Architektur von sich behaupten, nachhaltig zu sein.“ Der manuelle Arbeitsprozess ist übrigens nicht zu übersehen. Immer wieder kommen an der Ziegeloberfläche Hand- und Fußabdrücke zum Vorschein.
Die Nachhaltigkeit des Kantana Film and Animation Institute im Hinterland Bangkoks hat nicht nur mit dem Einsatz lokaler Ressourcen zu tun, sondern vor allem auch mit dem Klima. Nachdem sich die Ziegel zum Teil selbst verschatten, bleibt die Mauer kühl. Dank ihres hohlen Innenlebens funktioniert sie wie ein auf den Kopf gestellter Kamin. Die im Mauerzwischenraum enthaltene Luft kühlt sich ab, fällt dadurch nach unten, wird Teil eines verzweigten Luftkammersystems im Fundament und versorgt auf diese Weise den gesamten Campus mit wohl temperierter Frischluft. Einfacher und billiger kann man eine Klimaanlage nicht bauen.
Dass das diesjährige Brick-Siegerprojekt ein so uriges, ein so archaisches ist, liegt nicht zuletzt an der Jury beziehungsweise am Juryvorsitzenden, dem chinesischen Architekten und Pritzker-Preisträger Wang Shu. Seine Vorlieben und Qualitätsstandards sind nicht zu übersehen. Auch er besinnt sich in seinen Projekten auf jene Bau- und Kulturtraditionen, die in der schleichenden Verwestlichung der asiatischen Länder mehr und mehr in Bedrängnis geraten.
„Die moderne thailändische Architektur steht im Schatten der futuristischen, von Stars geprägten Plastikarchitektur mit ihren formalen Fassaden und ihren kurzlebigen Trends“, sagt Premthada. „Der Ziegelstein als Symbol für die Einfachheit und Vielfältigkeit dieses Landes gerät dabei oft in Vergessenheit. Das Kantana Film and Animation Institute soll uns diesen Reichtum der Vergangenheit wieder ins Gedächtnis rufen.“
Dem weltweit agierenden Ziegelzampano Wienerberger war dieser symbolische Hilfeschrei einen Hauptpreis wert. „Wie man am Grand Prize, aber auch an den anderen Preisträgern erkennen kann, kommen die neuen, innovativen Ansätze in der Ziegelarchitektur eher aus Asien als aus Europa“, sagt Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender der Wienerberger AG. „Das hat einerseits klimatische Gründe, andererseits jedoch liegt das vor allem auch an der Tatsache, dass Handarbeit in Asien leistbarer ist als bei uns.“
Ob es wohl Zufall ist, dass die Gewinnerprojekte, die die Juroren heuer auserkoren haben (und nicht alle kommen aus subtropischen, immerzu warmen, asiatischen Billiglohnländern), ausschließlich aus nacktem, unverputztem Ziegelstein und Klinker bestehen? „Sagen wir mal so: Die ästhetischen Möglichkeiten in Mitteleuropa sind wahrscheinlich noch lange nicht ausgeschöpft“, sagt Scheuch und verweist auf die hierzulande vorwiegend praktizierte Styroporkultur, in der Baubranche euphemistischerweise auch Wärmedämmverbundsystem genannt. Die Häuslbauerland Österreich ist voll davon. Es geht auch anders.
[ Brick 14", Wienerberger (Hg.), Callwey-Verlag, München 2014. 248 S. / € 49,95 ]
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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