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Vor dem Parlament sind alle gleich
„Orte der Macht“: Mit feiner Ironie präsentiert Christian Kühn anlässlich der 14. Architekturbiennale in Venedig die Parlamente dieser Welt. Der von ihm verantwortete Österreich-Pavillon zeigte sich wahrscheinlich noch nie unver-krampfter und schöner als heuer.
7. Juni 2014 - Franziska Leeb
„Fundamentals“ gab Rem Koolhaas als Motto der diesjährigen Architekturbiennale aus. Also schlicht um die Grundlagen der Architektur möge es dieses Mal gehen. Die Schau im zentralen Pavillon in den Giardini, „Elements of Architecture“, ist das Ergebnis eines zweijährigen Forschungsprojekts von Koolhaas' Entwurfsklasse an der Harvard University und befasst sich mit jenen elementaren Bestandteilen, aus denen sich Architektur konstituiert. Und so erfahren wir auch von der bisher öffentlich wenig beachteten Scalologie, der Wissenschaft von den Eigenheiten und Wirkungen von Treppen, begründet vom deutschen Denkmalpfleger Friedrich Mielke. Keine Starparaden? Keine eitlen Nationalitätenshows?
Tatsächlich kaum. Erstmals in der Geschichte der venezianischen Architekturbiennale wurde den Ländern nicht nur ein schwammiger Slogan, sondern ein recht konkretes Thema vorgegeben. „Absorbing Modernity 1914–2014“ lautet es, und mehr oder weniger hielten sich alle Länderkuratoren daran und reflektierten auf ihre Weise fesselnde oder kontroverse Aspekte der Moderne in den jeweiligen Ländern. Manche scheiterten am Thema, bekamen es ausstellungsmacherisch nicht ganz in den Griff, verfielen einer zu altmodischen Didaktik und hätten vielleicht besser einfach nur ein Buch gemacht. Das einheitliche Thema bringt aber – und das ist sein eigentliches großes Verdienst – zahlreiche Querverweise mit sich, die durchaus erhellend wirken, wenn man ihre Spuren aufnimmt. Immerhin sind ja die meisten der Pavillons selbst innerhalb dieser zur Debatte stehenden Epoche entstanden und Ausdruck des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses und kulturpolitischen Willens.
An der Architektur des 1938 von Ernst Haiger umgebauten deutschen Pavillons rieben sich wiederholt die kuratorischen Konzepte. Die diesjährigen Kuratoren, Alex Lehner und Savvas Ciriacidis, kreuzten den in der Architektenschaft ungeliebten Nazi-Bau mit einer Ikone der deutschen Nachkriegsmodernde, dem 1964 von Sep Ruf in Bonn erbauten Kanzlerbungalow, den sie eins zu eins nachbauen und in den Pavillon einschreiben ließen. Die Collage visualisiert die Bedeutung von Architektur als Ausdrucksträger der jeweiligen staatlichen Selbstverständlichkeiten. Keine ideologischen Differenzen evoziert der vor der Tür wartende schwarze Mercedes, ihm könnten die Herren beider Häuser entsteigen.
Noch weitreichender wird im Österreich-Pavillon unter der Federführung von Christian Kühn das Thema des architektonischen Stils als Transporteur staatlichen Selbstverständnisses abgehandelt. Und prompt zeigt sich, dass es Bauaufgaben gibt, für die Koolhaas' These, dass die Moderne international alles absorbiert habe, nicht zutrifft. „Plenum. Orte der Macht“ lautet der Ausstellungstitel. Der bevorstehende Umbau des österreichischen Parlaments und die damit einhergehenden Debatten über die heute adäquate Form eines Parlamentsgebäudes hat Kühn dazu veranlasst, sämtliche Parlamente dieser Welt im Pavillon vergleichend zur Schau zu stellen. Als weiße Modelle im Maßstab 1:500 sind sie nun in den beiden Gebäudeflügeln in alphabetischer Reihenfolge in regelmäßigem Raster über die Wände verteilt. Um 90 Grad gekippt werden sie ihrer Monumentalität beraubt und erhalten sie maskenhaften Charakter. Diese Anordnung könnte man als kuratorische Despektierlichkeit gegenüber den Hohen Häusern der Welt auslegen, tatsächlich aber werden mit feiner Ironie erstaunliche Fakten ins Bewusstsein geholt, wird eine ambivalente Haltung gegenüber Nationalismen jedweder Art zum Ausdruck gebracht.
Die vergleichende Recherche befördert Bemerkenswertes zutage: Die meisten Parlamente der Welt stammen aus der Zeit nach 1950, und nicht die Moderne, sondern der Historismus ist der bevorzugt eingesetzte Stil, egal auf welchem Kontinent sich der Bau befindet und gleichermaßen in vorbildlich regierten Demokratien wie den verschiedenen Spielarten antidemokratischer Regierungsformen. Eigenständige architektonische Schöpfungen auf der Höhe der Zeit wie Oscar Niemeyers brasilianisches Parlament sind die Ausnahme. „Copy and paste“ scheint auch so wichtigen nationalen Angelegenheiten eine bewährte Methode zu sein, die dazu führt, dass sich das Jubelsystem von Nordkorea 1984 mit einem ähnlichen Bau identifizieren kann wie die mustergültige finnische Demokratie.
Aufschlussreich ist die gelassene Präsentation der Modelle in Kombination mit dem in der Art eines Farbfächers aufgemachten Pocketkatalog. Erstaunliche Fakten tun sich auf, wie zum Beispiel dass die Größe eines Parlaments weder mit der Größe des jeweiligen Landes noch mit der Qualität seines Parlamentarismus korrelieren muss. Auffallend häufig werden Parlamente übrigens von ausländischen Architekten gebaut. Dem österreichischen Parlament des Dänen Theophil Hansen ist in gleicher Aufmachung wie dem noch zu bauenden Parlament von Albanien sowie dem Konferenzzentrum in Dalian von Coop Himmelb(l)au eine detailreiche, kuppelförmig von der Decke abgehängte Installation gewidmet.
Der Hof des Pavillons steht im Zeichen von weniger machtstrotzenden, aber zusehends mächtiger werdenden Manifestationen modernen Demokratieverständnisses. Auf die „Arbres de la liberté“ der französischen Revolution anspielend, haben Auböck & Kárász einen Hain aus exotischen Bäumen und Stauden gepflanzt, der Vielfalt und Internationalität symbolisiert. In Richtung der 200 Parlamente schickt die von Kollektiv/Rauschen aus Twittermeldungen generierte Soundinstallation anschwellende Töne menschlichen Protests in fünf Sprachen, während von der anderen Seite Redesequenzen autoritärer Staatschefs in den Hof dröhnen.
Christian Kühn als Kommissär des Pavillons und Kurator Harald Trapp widerlegen die Mär von der wiederholt kolportierten schwierigen Bespielbarkeit des Hoffmann/Kramreiter-Baus. Sie lassen die Böden frei, um den Raumfluss nicht zu behindern, lassen die Mittelachse zur Wirkung kommen und nutzen die anstehende Sanierung, um vorläufig die begrenzende Mauer und das nierenförmige Wasserbecken zugunsten der Bepflanzung zu entfernen. Der 1934, also zur Zeit der autoritären austrofaschistischen Regierung fertig gestellte und 20 Jahre später ebenfalls von Hoffmann modernisierte Pavillon präsentierte sich wahrscheinlich nie unverkrampfter und schöner als heuer
Tatsächlich kaum. Erstmals in der Geschichte der venezianischen Architekturbiennale wurde den Ländern nicht nur ein schwammiger Slogan, sondern ein recht konkretes Thema vorgegeben. „Absorbing Modernity 1914–2014“ lautet es, und mehr oder weniger hielten sich alle Länderkuratoren daran und reflektierten auf ihre Weise fesselnde oder kontroverse Aspekte der Moderne in den jeweiligen Ländern. Manche scheiterten am Thema, bekamen es ausstellungsmacherisch nicht ganz in den Griff, verfielen einer zu altmodischen Didaktik und hätten vielleicht besser einfach nur ein Buch gemacht. Das einheitliche Thema bringt aber – und das ist sein eigentliches großes Verdienst – zahlreiche Querverweise mit sich, die durchaus erhellend wirken, wenn man ihre Spuren aufnimmt. Immerhin sind ja die meisten der Pavillons selbst innerhalb dieser zur Debatte stehenden Epoche entstanden und Ausdruck des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses und kulturpolitischen Willens.
An der Architektur des 1938 von Ernst Haiger umgebauten deutschen Pavillons rieben sich wiederholt die kuratorischen Konzepte. Die diesjährigen Kuratoren, Alex Lehner und Savvas Ciriacidis, kreuzten den in der Architektenschaft ungeliebten Nazi-Bau mit einer Ikone der deutschen Nachkriegsmodernde, dem 1964 von Sep Ruf in Bonn erbauten Kanzlerbungalow, den sie eins zu eins nachbauen und in den Pavillon einschreiben ließen. Die Collage visualisiert die Bedeutung von Architektur als Ausdrucksträger der jeweiligen staatlichen Selbstverständlichkeiten. Keine ideologischen Differenzen evoziert der vor der Tür wartende schwarze Mercedes, ihm könnten die Herren beider Häuser entsteigen.
Noch weitreichender wird im Österreich-Pavillon unter der Federführung von Christian Kühn das Thema des architektonischen Stils als Transporteur staatlichen Selbstverständnisses abgehandelt. Und prompt zeigt sich, dass es Bauaufgaben gibt, für die Koolhaas' These, dass die Moderne international alles absorbiert habe, nicht zutrifft. „Plenum. Orte der Macht“ lautet der Ausstellungstitel. Der bevorstehende Umbau des österreichischen Parlaments und die damit einhergehenden Debatten über die heute adäquate Form eines Parlamentsgebäudes hat Kühn dazu veranlasst, sämtliche Parlamente dieser Welt im Pavillon vergleichend zur Schau zu stellen. Als weiße Modelle im Maßstab 1:500 sind sie nun in den beiden Gebäudeflügeln in alphabetischer Reihenfolge in regelmäßigem Raster über die Wände verteilt. Um 90 Grad gekippt werden sie ihrer Monumentalität beraubt und erhalten sie maskenhaften Charakter. Diese Anordnung könnte man als kuratorische Despektierlichkeit gegenüber den Hohen Häusern der Welt auslegen, tatsächlich aber werden mit feiner Ironie erstaunliche Fakten ins Bewusstsein geholt, wird eine ambivalente Haltung gegenüber Nationalismen jedweder Art zum Ausdruck gebracht.
Die vergleichende Recherche befördert Bemerkenswertes zutage: Die meisten Parlamente der Welt stammen aus der Zeit nach 1950, und nicht die Moderne, sondern der Historismus ist der bevorzugt eingesetzte Stil, egal auf welchem Kontinent sich der Bau befindet und gleichermaßen in vorbildlich regierten Demokratien wie den verschiedenen Spielarten antidemokratischer Regierungsformen. Eigenständige architektonische Schöpfungen auf der Höhe der Zeit wie Oscar Niemeyers brasilianisches Parlament sind die Ausnahme. „Copy and paste“ scheint auch so wichtigen nationalen Angelegenheiten eine bewährte Methode zu sein, die dazu führt, dass sich das Jubelsystem von Nordkorea 1984 mit einem ähnlichen Bau identifizieren kann wie die mustergültige finnische Demokratie.
Aufschlussreich ist die gelassene Präsentation der Modelle in Kombination mit dem in der Art eines Farbfächers aufgemachten Pocketkatalog. Erstaunliche Fakten tun sich auf, wie zum Beispiel dass die Größe eines Parlaments weder mit der Größe des jeweiligen Landes noch mit der Qualität seines Parlamentarismus korrelieren muss. Auffallend häufig werden Parlamente übrigens von ausländischen Architekten gebaut. Dem österreichischen Parlament des Dänen Theophil Hansen ist in gleicher Aufmachung wie dem noch zu bauenden Parlament von Albanien sowie dem Konferenzzentrum in Dalian von Coop Himmelb(l)au eine detailreiche, kuppelförmig von der Decke abgehängte Installation gewidmet.
Der Hof des Pavillons steht im Zeichen von weniger machtstrotzenden, aber zusehends mächtiger werdenden Manifestationen modernen Demokratieverständnisses. Auf die „Arbres de la liberté“ der französischen Revolution anspielend, haben Auböck & Kárász einen Hain aus exotischen Bäumen und Stauden gepflanzt, der Vielfalt und Internationalität symbolisiert. In Richtung der 200 Parlamente schickt die von Kollektiv/Rauschen aus Twittermeldungen generierte Soundinstallation anschwellende Töne menschlichen Protests in fünf Sprachen, während von der anderen Seite Redesequenzen autoritärer Staatschefs in den Hof dröhnen.
Christian Kühn als Kommissär des Pavillons und Kurator Harald Trapp widerlegen die Mär von der wiederholt kolportierten schwierigen Bespielbarkeit des Hoffmann/Kramreiter-Baus. Sie lassen die Böden frei, um den Raumfluss nicht zu behindern, lassen die Mittelachse zur Wirkung kommen und nutzen die anstehende Sanierung, um vorläufig die begrenzende Mauer und das nierenförmige Wasserbecken zugunsten der Bepflanzung zu entfernen. Der 1934, also zur Zeit der autoritären austrofaschistischen Regierung fertig gestellte und 20 Jahre später ebenfalls von Hoffmann modernisierte Pavillon präsentierte sich wahrscheinlich nie unverkrampfter und schöner als heuer
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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