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Wo ist der politische Raum?
Der Standard

Die 14. Architektur-Biennale in Venedig ist eröffnet. Entgegen dem Konzept von Rem Koolhaas haben sich einige Länder entschieden, sich mit den politischen, auch wirtschaftspolitischen Handlungsräumen auseinanderzusetzen.

7. Juni 2014 - Wojciech Czaja
Willkommen zur Fair Enough, der Expo der Ideen! Bitte registrieren Sie sich", sagt die Dame an der Rezeption, mit leicht russischem Akzent. „Hier ist Ihre Eintrittskarte!“ Weit mehr als nur leicht akzentuiert ist ihre pink-violette Montur, die so gar nicht biennalekonform ist, sondern an ein intergalaktisches Stewardess-Kostüm aus den Sechzigerjahren erinnert, als die Zukunft noch Zukunft war, Augenaufschlag und aufreizende Pose inklusive. Nun denn, hört man die innere Stimme sagen, der russische Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig war ja noch nie ein Meisterstück in Zurückhaltung und Eleganz.

Weit gefehlt. Nach wenigen Schritten kommt die große Überraschung. Kaum haben sich Auge und Hirn an das Kaleidoskop des Unmöglichen, an das Spektrum der dargebotenen Peinlichkeiten gewöhnt, erkennt man die Parodie, die die drei Kuratoren Anton Kalgaev, Brendan McGetrick und Daria Paramonova konsequent in ihr raumgreifendes Gesamtkunstwerk hineinstricken.

20 übel gestaltete Messestände, die die schlimmste Bau- und Immobilienmesse auf Investors Erden in den Schatten stellen, buhlen um die Aufmerksamkeit der mitunter schockierten Expo-Besucher. Da werden millionenfach realisierte Plattenbauwohnungen angepriesen (Pre Fab Corp, siehe Foto), da wird die Werbetrommel für des Russen kleines Sommerhäuschen gerührt (Dacha Co-op), da wird nach Lust und Laune die Historie russischen und sowjetischen Bauens zu fiktiven Produktions- und Consulting-Unternehmen verwurstet (Russian Council for Retroactive Development, Lissitzky Company und Estetika Ltd.). Die mit dem baukulturellen Gedankengut des 20. Jahrhunderts jonglierenden Ausstellerkojen nehmen kein Ende.

Sogar der richtige - und durch nichts aus seiner Rolle zu bringende - Kreditplaner steht bereits mit Brille, Krawatte und gegelter Haarpracht in seiner Box (Financial Solutions) und rückt einem nicht mehr von der Pelle, ehe man sich davon hat überzeugen lassen, dass es besser und effizienter sei, das historische Baudenkmal in der Moskauer Schutzzone abzureißen und durch einen identisch aussehenden Neubau mit Beton, Glasfaser-Verkabelung und Tiefgarage zu ersetzen. Motto auf dem Firmenplakat: „The same, but better!“

Wer am lautesten schreit

„Auf den ersten Blick mag unser Beitrag wie eine Parodie erscheinen“, sagt Daria Paramonova. „Doch tatsächlich ist das die Realität, die der russischen Architektur und Baukultur in den letzten hundert Jahren bedauerlicherweise widerfahren ist. Wir befinden uns heute in einem servicegetriebenen Markt, in dem sich alles nur um Geld und Image dreht. Es gewinnt, wer am lautesten schreit.“ Die Message sitzt.

Das Prinzip der lautesten Schreie lässt sich auf die gesamte Architektur-Biennale übertragen, die heuer zum 14. Mal stattfindet (bis November 2014). Biennale-Kommissär Rem Koolhaas - Theoretiker, Buchautor (Delirious New York) und Architekt namhafter Bauten (Casa da Música in Porto, CCTV-Tower in Peking) - stellte die heurige Architekturschau unter das Gesamtmotto „Fundamentals“ und lud die einzelnen Länder ein, den Fokus auf die Moderne zwischen 1914 und 2014 zu richten. Das kuratorische Korsett ist sehr eng. Vielleich zu eng.

Die meisten Länder folgten dieser Einladung und präsentieren nun traditionell konzipierte Themenausstellungen, die viel Muße und Leselust erfordern und die man eher in einem Museum erwarten würde, aber nicht im Arsenale, nicht in den Giardini. Die Redundanz und Fantasielosigkeit mancher Beiträge ist fatal. Wie oft an einem Tag will man schon „hundert Bauten aus hundert Jahren“ (Serbien, Brasilien, arabische Länder etc.) konsumieren? Die USA toppen das sogar und brummen einem gleich 1000 Häuser auf, durch die man sich Grundriss studierend und Texte lesend hindurchmanövrieren möge. Elend.

In Erinnerung bleiben daher ausgerechnet jene Pavillons, die sich über Koolhaas' Vorgabe weitestgehend hinwegsetzen und stattdessen ihre eigene Interpretation von „Fundamentals“ an den Tag legen. Dazu gehört auch Österreich. Der Beitrag des Kommissärs Christian Kühn trägt den Titel Plenum. Places of Power und widmet sich der formalen Manifestation von politischer Macht. Und das weltweit. 196 Parlamente aus 196 Ländern und autonomen Regionen werden in Form kleiner, weißer Modelle präsentiert und laden dazu ein, sich der mitunter enormen Interpretationsunterschiede von Demokratie gewahr zu werden (DER STANDARD berichtete).

„Parlamente sind eine Art bauliche Repräsentation der politischen Repräsentation“, er- klärt Ausstellungskurator Harald Trapp. „Und wenn ich mich hier so umsehe, so stelle ich fest, dass wir uns in einer tiefen Krise befinden. So unterschiedlich die Bauwerke auch sein mögen, so ähnlich und austauschbar ist das Prinzip des politischen Raumes, in dem wir uns alle bewegen.“ Gibt es ein Parlament, das einer neuen, womöglich innovativen Idee von Repräsentation gerecht wird? „Nein, eigentlich nicht. Zumindest nicht in baulicher Form.“

Aus dem Hintergrund dröhnen Schreie und Parolen. Es sind dies Wortfetzen, die wir bereits von #Occupy, #Gezi, #Taksim und #Euromaidan kennen und die nun als akustische Collage der Wiener Künstlergruppe Kollektiv/Rauschen aus den Lautsprechern und Megafonen dringen. Der neue, politische Raum, der in Form von Demos und Hashtag-Protesten aufgespannt wird, ist nicht zu überhören. Jeder wird zum Politiker. Über #Placesofpower kann man mittwittern. 20 Sekunden später erscheint die eigene Message als Klangkulisse im Garten des österreichischen Pavillons. Das geht unter die Haut.

So wie übrigens auch die vier riesigen Sanddrucker, die im israelischen Pavillon aufgebaut sind und die stundenlang irgendwelche Landkarten, Stadtpläne, Siedlungsstrukturen und Wohnungsgrundrisse ins Sandbett zeichnen. Kaum ist eine Zeichnung fertiggeritzt, wird sie gelöscht, und das Ganze geht von Neuem los. The Urburb der drei Kuratoren Ori Scialom, Roy Brad und Keren Yeala-Golan ist nicht zuletzt eine Persiflage auf die Siedlungspolitik der Israelis, die weder Stadt noch Land ist, sondern irgendwo in der Suburbanität steckengeblieben ist.

„Die gesamte Planung Israels findet Top-down statt“, erklärt Scialom. „Es werden ausgerechnet jene Masterpläne umgesetzt, die schon seit Jahrzehnten veraltet sind und die keinerlei Aktualität mehr haben. Ich habe das Gefühl, dass Israel das einzige Land weltweit ist, das heute noch am Bauhaus festhält - und das, obwohl wir längst wissen, dass die Moderne eine Utopie und alles andere als dauerhaft und demokratisch war.“

Es sind die politischen und gesellschaftskritischen Beiträge solcher großer, mitunter mutiger Protagonisten, die diese 14. Architektur-Biennale in Venedig auszeichnen. Den wenigen Ländern, die nicht davor zurückscheuen, das System Politik zu hinterfragen und die Machenschaften der Mächtigen zu durchleuchten, wird Rem Koolhaas verdanken, dass die diesjährige, ohne Zweifel prominenteste Architekturausstellung der Welt in Erinnerung bleiben wird. Heute, Samstag, wird die Biennale-Jury den Goldenen Löwen vergeben.

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