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Das Neue im Alten
Spectrum

Dass die Streckhöfe, traditionell im pannonischen Raum zu finden, in den vergangenen Jahrzehnten vielfach vernachlässigt und verlassen wurden, hat viele Gründe. Manche Neuinterpretationen zeigen, wie viel an Qualität und Potenzial sie in sich bergen. Aktuelles aus dem Burgenland.

21. Juni 2014 - Karin Tschavgova
Auf der Landkarte der zeitgenössischen Baukultur Österreichs ist das Burgenland selbst für Architekturbegeisterte ein weißer Fleck. Ja doch, einiges kennt man. Etwa die frühen Bauten von Rainer, Spalt und Hiesmayr, allesamt Versuche, die ganz spezifische Schönheit der pannonischen Landschaft, ihre Frugalität und Leere in die Wirkung eines Hauses zu übertragen. Man weiß von Rückkehrern und stadtflüchtigen Künstlern, die sich in Dörfern wie St.Martin und Neumarkt an der Raab in ehemaligen Bauernhöfen ein Refugium des Rückzugs geschaffen haben – Zeichen der Wertschätzunggegenüber einer traditionellen Bauform, die offensichtlich für zeitgemäße Aneignung taugt. Gehört hat jeder auch vom Trend, die hohe Qualität burgenländischer Weine durch die bauliche Aufrüstung der Weingüter zu unterstreichen. Was anfangs, in den 1990ern, eine direkte Folge der Ostöffnung und großzügiger Förderungen war, ließ eine ganze Reihe anspruchsvoller Gebäude für Produktion und Verkauf entstehen, die heute zu den Vorzeigebetrieben des Landes zählen. Dasselbe gilt für die sogenannte gehobene Gastronomie.

Ein deutliches Anwachsen qualitativ hochstehender Bauten hatte sich bereits 2002 gezeigt, als zur ersten Vergabe des biennal ausgeschriebenen Architekturpreises des Landes 58 Objekte eingereicht wurden. Nach Jahren, in denen sich die Teilnahme meist auf rund 30 eingependelt hatte, musste die Jury ihre Auswahl heuer aus nur 16 Einreichungen treffen, was Otto Kapfinger als Juror und profunder Kenner neuer Architektur im Burgenland dazu bewog, sich mehr Breite an hoher Qualität zu wünschen. Tatsächlich stehen auch 2014 vier öffentliche Bauten (unter anderem das Kultur- und Kongresszentrum Eisenstadt von Pichler & Traupmann, besprochen im „Spectrum“ vom 31. August 2013) einer Mehrzahl privater Bauinitiativen gegenüber. Gute Beispiele verdichteten Wohnungsbaus fehlen gänzlich.

Drei der vier vergebenen Preise spiegeln Themen, die unabhängig von Ort und spezifischer baulicher Tradition überall aktuell sind: Umbau und Adaption eines kleinen frei stehenden Wohnhauses aus dem Jahr 1960, das durch Erbschaft neue Nutzer fand, für die der Ort Teil ihrer persönlichen Geschichte und Erinnerung ist (m2architekten). Neubau eines Wohnstudios von Irmgard Frank als Rückzugsort für zwei Kreative, deren Wirkungsstätte die Stadt ist. Und ein erfrischend unkonventionelles Bürogebäude im Niemandsland einer Gewerbezone an der Bundesstraße vom immer wieder überraschenden Duo Heri & Salli.

Ausgezeichnet wurde auch ein Projekt, das eine seiner Besonderheiten schon im Namen trägt: „Patchwork – Haus und Garten“, geplant von Claudia Wimberger und Christian Schremmer als Architekten und dem Büro 3:0 Landschaftsarchitektur. Viele Einzelteile, die als Qualität für sich stehen könnten, fügen sich hier, harmonisch aufeinander abgestimmt, zu einem Ganzen. Bestand und Neubau, Hof und Garten und bebaute Flächen, Wiese und befestigtes Terrain, Geschlossenheit zur Dorfstraße und Offenheit zum geschützten Hofraum bedingen einander. Feingliedrig differenziert gestaltete Grünflächen, Ecken und Übergänge lassen den von Mauern geschützten Hof zu einem Lebensraum werden, der den witterungsgeschützten Räumen ebenbürtig ist und Kinder und Erwachsene gleichermaßen ihren Platz finden lässt.

Das Grundstück, das ein so geglücktes Ergebnis bewirkte, ist eines mit tausend Einschränkungen – ein ehemaliger Streckhof, jene historische Zeilenbauform des Dorfes, die extrem schmale und lange Flächen mit einer Abfolge von Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Stall, Kleingarten und Heustadel bebaut hat. In unseren Köpfen formen sie immer noch das Straßenbild eines typisch burgenländischen Dorfes, auch wenn die Realität vielerorts die eines Zerrbilds ist. Dem entgegenzuwirken scheint höchst an der Zeit, auch wenn der seltene Burgenland-Besucher zu bemerken glaubt, dass mancherorts zarte Anfänge von Bewusstseinsbildung schon zu einem sensibleren, bewahrenden Umgang mit dem kulturellen Erbe führen. Vereinzelt sieht man Häuser und Höfe, die bei der Renovierung in ihre alte Form zurückgeführt werden. Um lebendige Lebensräume zu bleiben und nicht nur als temporär belebte Gästehäuser zu dienen, müssten die Streckhöfe jedoch für heutige Ansprüche des Wohnens oder Arbeitens weiterentwickelt und adaptiert werden.

Setzt man sich näher auseinander mit diesem einst überall im pannonischen Raum zu findenden bäuerlichen Bautypus, so zeigt sich, wie viel an Qualitäten und an Potenzial für eine zeitgemäße, benutzerfreundliche Adaptierung und Nachnutzung er in sich birgt. Die geschlossene Bauweise lässt Rückzug und Intimität zu, zugleich kann enge Nachbarschaft entstehen, die Sicherheit und Gemeinschaftsgefühl geben kann. Auch innerhalb einer Familie macht die kleinteilige additive Bebauung differenzierte Nutzung möglich. Am voran genannten Beispiel in Deutschkreutz ist das exemplarisch ablesbar. Das Wirtschaftsgebäude wurde erhalten und ist heute Gästehaus, später vielleicht Raum für die den Kinderschuhen entwachsenen Söhne.

In jedem Fall ist das kleine Haus die zweite raumbildende Begrenzung der befestigten Terrasse, die auch dadurch zum wunderbar geschützten Sommerraum wurde. So kann jeder der alten Hofbauten neue Funktionen übernehmen und auch künftig an veränderte Bedürfnisse angepasst werden. Wer allein zurückbleibt, kann sich in einen kleinen Teilbereich zurückziehen – wer berücksichtigt im so beliebten Typus des frei stehenden Einfamilienhauses schon spätere Bedürfnisse nach Reduktion von Raumnutzung und Mitteln? Selbst die zu pflegenden Gartenflächen sind im Streckhoftypus bewältigbar.

Dass diese Häuser mit dem Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte vernachlässigt und verlassen wurden, hat mannigfache Gründe, gegen die jene nicht anschreiben konnten, die Wert und Qualität dieser baukulturellen Besonderheit schon früh erkannt hatten: Roland Rainer mit seinem Buch über das anonyme Bauen im Nordburgenland, der Kunsthistoriker Alfred Schmeller, der in den 1960er-Jahren Landeskonservator für das Burgenland war, oder Ernst Hiesmayr. Rufer und Mahner gibt es heute mehr denn je. Klaus-Jürgen Bauer hat als unermüdlicher Erforscher und Liebhaber des pannonischen Raums im Architekturraum Burgenland eine Ausstellung über Streckhöfe zusammengestellt und zeigt in einigen schönen Beispielen von Nachnutzung ihr Potenzial. Sie ist eine Besinnung auf eine nur noch marginal vorhandene regionale Kultur, doch könnte sie mit Fantasie nicht auch ein Ausblick auf eine neu zu schaffende landesspezifische Baukultur sein?

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