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Kein Gramm zu viel
Zum Tode von Helmut Richter (1941-2014): Der Meister der scharfen Kanten und intelligenten Reduktion prägte eine ganze Generation von Architekten. Ein Nachruf.
21. Juni 2014 - Maik Novotny
Respekt, Bewunderung, Trauer, versonnene Anekdoten - all diese angemessenen Reaktionen waren zu verzeichnen, als die Nachricht vom Tod Helmut Richters, der am vorigen Sonntag, zwei Tage nach seinem 73. Geburtstag, nach langer Krankheit verstarb, bekannt wurde. Doch es war unter den spontan, schnell und reichlich eintreffenden Bekundungen vor allem eines, das hervorstach: Dankbarkeit. Und dies in einer Direktheit und Aufrichtigkeit, die selbst auf Außenstehende anrührend wirkte.
„Niemand prägte unser Büro mehr als Helmut Richter. Wir haben bei ihm studiert, in seinem Büro gearbeitet, an seinem Institut unterrichtet. Er polarisierte! Allein dafür vermissen wir ihn!“ schreiben beispielsweise Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp vom Büro Querkraft. Dass die warmherzig-wehmütigen Nachrufe einem Architekten galten, dessen Bauten auf den ersten Blick eher kantig und kühl scheinen, ist kein Widerspruch. Die Bewunderung galt vor allem seiner ansteckenden Begeisterung für Architektur und seinem unablässigen Drang zur Innovation.
Immer unter Spannung
Geboren 1941 in Graz, studierte Richter Architektur an der TU Graz und Informationstheorie sowie System- und Netzwerktheorie an der University of California in Los Angeles. Das Interesse an Mathematik sollte ihn später genauso prägen wie das zur Philosophie. 1977 gründete er gemeinsam mit Heidulf Gerngroß sein Büro, die ersten Wohnbauten wie das Haus Königseder in Oberösterreich und die Glasfassade einer Wohnanlage an der Brunner Straße in Wien sorgten für Aufsehen. In einer Zeit, als vor allem mit bildhauerischer Opulenz prunkende Raumkünstler wie Hans Hollein die heimische Architektur dominierten, setzte Richter auf die intelligente Reduktion: Glas, Metall, konstruktiv ans äußerste Minimum getrieben: kein Gramm zu viel.
In dieser Leichtigkeit, die er ins schwerfällige Wien brachte, war er am ehesten verwandt mit den technikaffinen Konstrukteuren aus Großbritannien und Frankreich, die keine Scheu vor der Industrie kannten. Doch entwickelte Richter seine völlig eigene Version des Hightech: Anstelle der laborkalten Glätte eines Norman Foster oder der hemdsärmeligen Werkstatttüftelei des genialen Erfinders Jean Prouvé verlieh Helmut Richter seiner konstruktiven Intelligenz eine sinnliche Eleganz, die immer leicht unter Spannung zu stehen schien.
Kompromisse kannte er dabei nicht: Als er bei seinem Hauptwerk, der gläsern kristallinen Informatikmittelschule in Wien-Penzing (1992-94), herausfand, dass sich ein Stahlträger über dem luftigen zentralen Turnsaal noch weiter verkürzen ließ und der Statiker folgerichtig die Mehrkosten für die Umplanung anmahnte, zahlte Richter das Weniger an Material kurzerhand mit einem Mehr aus eigener Tasche. Reich wurde er durch seine Arbeit nicht.
Absolut authentisch
„Er war absolut authentisch und ehrlich. Es gibt selten Menschen, die ihre Überzeugungen so leben, mit solchem Rückgrat, auch wenn es ihnen Nachteile bringt“, sagt seine Frau, die Architektin Silja Tillner, zum STANDARD. Dieser kantige Eigensinn machte es ihm und anderen nicht immer leicht. Als ihn sein Freund und Kollege Rob Krier Anfang der 1990er-Jahre einlud, sich an dessen neuem Stadtviertel in Potsdam zu beteiligen, lehnte er ab: Der konservative Krier hatte es zur Bedingung gemacht, aus Stein oder Ziegel zu bauen - für Richter undenkbar.
Es mag an dieser Unbeirrbarkeit liegen, dass Richter im Ausland niemals Fuß fasste. Das ist durchaus bedauerlich. Welchen Weg hätte wohl seine Karriere genommen, wäre 1982 sein maßgeschneiderter Stadtmaschinenentwurf für die Opéra Bastille realisiert worden, und nicht der heute bereits alt, schwer und müde wirkende Mitterrand-Pomp des Uruguayers Carlos Ott?
Nicht immer leicht
Mancher wird insgeheim auch dieser Fügung dankbar gewesen sein, denn schließlich sorgte Richters Fokussierung auf Wien dafür, dass er die internationale Welt nach Österreich brachte, etwa in den von ihm initiierten legendären Vortragsreihen während seiner Professur an der TU Wien von 1991 bis 2007, im Zuge deren er rund 500 Diplomarbeiten betreute. Dort prägte er eine ganze Generation von Architekten, die ihrerseits heute das österreichische Baugeschehen prägen. Sein enormes ingenieurtechnisches und bauhistorisches Wissen (er konnte alle barocken Kirchen Venedigs auswendig aufzählen, hieß es) kam ihm und seinen Schülern zugute.
„Durch seine lange, schwere Krankheit ist Helmut Richter für viele in Vergessenheit geraten, für mich nicht! Als Architekt und Lehrer war er ein Genie“, sagt Andreas Gerner vom Büro gerner°gerner plus, langjähriger Mitarbeiter im Büro Richter und Assistent am Institut Richter der TU Wien. „Als Mensch hatte er Kanten, die ihn zu einem Schwierigen machten. Das hat die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer leicht gemacht. Aber gelernt habe ich viel von ihm, unter anderem die unendliche Liebe zu Details, die Forschung mit und am Material, die feine Statik. Ich bin durch ihn letztendlich noch neugieriger geworden. Ich war ihm dafür immer dankbar.“
Nicht überall wird diese Dankbarkeit geteilt: Richters gläserner Schule in Penzing droht seit einiger Zeit der Abriss. Bleibt zu hoffen, dass den bekennenden Thomas-Bernhard-Verehrer Helmut Richter das Bernhard'sche Schicksal der posthumen Anerkennung von oben rettet. „Jetzt werden viele mit netten Worten seiner gedenken. Zuerst gehasst und nach seinem Tod vereinnahmt? Schön wär's, und alle lieben jetzt seine Gebäude, die Richter-Schule wird eine Ikone der österreichischen Architektur, und niemand kommt mehr auf die absurde Idee, ihr Gewalt anzutun“, sagt Jakob Fuchs von faschundfuchs Architekten, ehemaliger Assistent am Institut Richter. Seine Büropartnerin Hemma Fasch fügt hinzu: „Helmut Richter hat wenig gebaut für einen Architekten, dessen Gebäude die Sprengkraft hatten, die Macht des Gewohnten und Bequemen nachhaltig zu zerstören. Es muss alles dafür getan werden, sein Werk als lebendes Zeugnis für die Haltung eines Visionärs zu bewahren.“
Für Richters gebautes Erbe besteht also noch Hoffnung. Wie sieht es um sein geistiges Erbe aus? Was können wir heute von ihm lernen? „Architektur und Konstruktion zusammen zu denken, wie einen biologischen Organismus“, antwortet Silja Tillner. „Heute wird viel oft nur auf die Hülle von Gebäuden geachtet, und ökonomisches Bauen heißt oft nur, dass es billig ausschaut.“ Um dieses Erbe für die Zukunft zu sichern, überlegt man jetzt an der TU Wien, einen Helmut-Richter-Preis für Architektur und Konstruktion auszuloben. Damit auch die nächsten Generationen die Dankbarkeit für den Meister der klugen Sparsamkeit teilen werden.
„Niemand prägte unser Büro mehr als Helmut Richter. Wir haben bei ihm studiert, in seinem Büro gearbeitet, an seinem Institut unterrichtet. Er polarisierte! Allein dafür vermissen wir ihn!“ schreiben beispielsweise Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp vom Büro Querkraft. Dass die warmherzig-wehmütigen Nachrufe einem Architekten galten, dessen Bauten auf den ersten Blick eher kantig und kühl scheinen, ist kein Widerspruch. Die Bewunderung galt vor allem seiner ansteckenden Begeisterung für Architektur und seinem unablässigen Drang zur Innovation.
Immer unter Spannung
Geboren 1941 in Graz, studierte Richter Architektur an der TU Graz und Informationstheorie sowie System- und Netzwerktheorie an der University of California in Los Angeles. Das Interesse an Mathematik sollte ihn später genauso prägen wie das zur Philosophie. 1977 gründete er gemeinsam mit Heidulf Gerngroß sein Büro, die ersten Wohnbauten wie das Haus Königseder in Oberösterreich und die Glasfassade einer Wohnanlage an der Brunner Straße in Wien sorgten für Aufsehen. In einer Zeit, als vor allem mit bildhauerischer Opulenz prunkende Raumkünstler wie Hans Hollein die heimische Architektur dominierten, setzte Richter auf die intelligente Reduktion: Glas, Metall, konstruktiv ans äußerste Minimum getrieben: kein Gramm zu viel.
In dieser Leichtigkeit, die er ins schwerfällige Wien brachte, war er am ehesten verwandt mit den technikaffinen Konstrukteuren aus Großbritannien und Frankreich, die keine Scheu vor der Industrie kannten. Doch entwickelte Richter seine völlig eigene Version des Hightech: Anstelle der laborkalten Glätte eines Norman Foster oder der hemdsärmeligen Werkstatttüftelei des genialen Erfinders Jean Prouvé verlieh Helmut Richter seiner konstruktiven Intelligenz eine sinnliche Eleganz, die immer leicht unter Spannung zu stehen schien.
Kompromisse kannte er dabei nicht: Als er bei seinem Hauptwerk, der gläsern kristallinen Informatikmittelschule in Wien-Penzing (1992-94), herausfand, dass sich ein Stahlträger über dem luftigen zentralen Turnsaal noch weiter verkürzen ließ und der Statiker folgerichtig die Mehrkosten für die Umplanung anmahnte, zahlte Richter das Weniger an Material kurzerhand mit einem Mehr aus eigener Tasche. Reich wurde er durch seine Arbeit nicht.
Absolut authentisch
„Er war absolut authentisch und ehrlich. Es gibt selten Menschen, die ihre Überzeugungen so leben, mit solchem Rückgrat, auch wenn es ihnen Nachteile bringt“, sagt seine Frau, die Architektin Silja Tillner, zum STANDARD. Dieser kantige Eigensinn machte es ihm und anderen nicht immer leicht. Als ihn sein Freund und Kollege Rob Krier Anfang der 1990er-Jahre einlud, sich an dessen neuem Stadtviertel in Potsdam zu beteiligen, lehnte er ab: Der konservative Krier hatte es zur Bedingung gemacht, aus Stein oder Ziegel zu bauen - für Richter undenkbar.
Es mag an dieser Unbeirrbarkeit liegen, dass Richter im Ausland niemals Fuß fasste. Das ist durchaus bedauerlich. Welchen Weg hätte wohl seine Karriere genommen, wäre 1982 sein maßgeschneiderter Stadtmaschinenentwurf für die Opéra Bastille realisiert worden, und nicht der heute bereits alt, schwer und müde wirkende Mitterrand-Pomp des Uruguayers Carlos Ott?
Nicht immer leicht
Mancher wird insgeheim auch dieser Fügung dankbar gewesen sein, denn schließlich sorgte Richters Fokussierung auf Wien dafür, dass er die internationale Welt nach Österreich brachte, etwa in den von ihm initiierten legendären Vortragsreihen während seiner Professur an der TU Wien von 1991 bis 2007, im Zuge deren er rund 500 Diplomarbeiten betreute. Dort prägte er eine ganze Generation von Architekten, die ihrerseits heute das österreichische Baugeschehen prägen. Sein enormes ingenieurtechnisches und bauhistorisches Wissen (er konnte alle barocken Kirchen Venedigs auswendig aufzählen, hieß es) kam ihm und seinen Schülern zugute.
„Durch seine lange, schwere Krankheit ist Helmut Richter für viele in Vergessenheit geraten, für mich nicht! Als Architekt und Lehrer war er ein Genie“, sagt Andreas Gerner vom Büro gerner°gerner plus, langjähriger Mitarbeiter im Büro Richter und Assistent am Institut Richter der TU Wien. „Als Mensch hatte er Kanten, die ihn zu einem Schwierigen machten. Das hat die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer leicht gemacht. Aber gelernt habe ich viel von ihm, unter anderem die unendliche Liebe zu Details, die Forschung mit und am Material, die feine Statik. Ich bin durch ihn letztendlich noch neugieriger geworden. Ich war ihm dafür immer dankbar.“
Nicht überall wird diese Dankbarkeit geteilt: Richters gläserner Schule in Penzing droht seit einiger Zeit der Abriss. Bleibt zu hoffen, dass den bekennenden Thomas-Bernhard-Verehrer Helmut Richter das Bernhard'sche Schicksal der posthumen Anerkennung von oben rettet. „Jetzt werden viele mit netten Worten seiner gedenken. Zuerst gehasst und nach seinem Tod vereinnahmt? Schön wär's, und alle lieben jetzt seine Gebäude, die Richter-Schule wird eine Ikone der österreichischen Architektur, und niemand kommt mehr auf die absurde Idee, ihr Gewalt anzutun“, sagt Jakob Fuchs von faschundfuchs Architekten, ehemaliger Assistent am Institut Richter. Seine Büropartnerin Hemma Fasch fügt hinzu: „Helmut Richter hat wenig gebaut für einen Architekten, dessen Gebäude die Sprengkraft hatten, die Macht des Gewohnten und Bequemen nachhaltig zu zerstören. Es muss alles dafür getan werden, sein Werk als lebendes Zeugnis für die Haltung eines Visionärs zu bewahren.“
Für Richters gebautes Erbe besteht also noch Hoffnung. Wie sieht es um sein geistiges Erbe aus? Was können wir heute von ihm lernen? „Architektur und Konstruktion zusammen zu denken, wie einen biologischen Organismus“, antwortet Silja Tillner. „Heute wird viel oft nur auf die Hülle von Gebäuden geachtet, und ökonomisches Bauen heißt oft nur, dass es billig ausschaut.“ Um dieses Erbe für die Zukunft zu sichern, überlegt man jetzt an der TU Wien, einen Helmut-Richter-Preis für Architektur und Konstruktion auszuloben. Damit auch die nächsten Generationen die Dankbarkeit für den Meister der klugen Sparsamkeit teilen werden.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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