Artikel
Pack die Stadt bei den Hörnern!
Der Mies van der Rohe Award prämiert „Europas beste Bauten“. Und nicht selten leisten die Projekte einen nachhaltigen Beitrag für die ganze Stadt. Derzeit gastiert die gleichnamige Ausstellung in Wien.
26. Juli 2014 - Wojciech Czaja
Das Gute daran: Menschen mit einer Rot-Grün-Sehschwäche werden sich hier in einer adrett geputzten, fein säuberlich gemähten Parklandschaft wähnen. Das Schlechte daran: Auf ein Vögelchen oder gar herbeigehuschtes Eichhörnchen wird man hier länger warten müssen. Aber das ist bei der Bjarke Ingels Group (BIG) keine Seltenheit, denn von jeher liebt es das dänische Architekturbüro, mit einer gewissen, zelebrierten Künstlichkeit zu schockieren, ob nun auf dem Lande oder in der Stadt.
Doch die Menschen lieben das charmante, schelmische Augenzwinkern dieses wohl frechsten Architekturbüros der Welt, vor allem hier am Superkilen im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro. Traditionell leben hier viele Migranten. Fast 30 Prozent aller Einwohner sind Ausländer, darunter etwa Araber, Türken, Pakistanis und Somalis. Und nachdem die Kultur der südlichen Länder - ganz im Gegensatz zu uns mitteleuropäischen Dauerkonsumenten und Hausmuffeln - eine ist, die es versteht, den öffentlichen Raum zu nutzen und ihn zu bewohnen, ist es nicht verwunderlich, dass es kaum eine Tageszeit gibt, zu der Superkilen nicht von unterschiedlichsten Farben und Sprachen bevölkert wird.
„Das Rot ist kein Zufall, sondern hat gute Gründe“, erklärt Daria Pahhota vom Büro BIG. „Wir haben die Leute befragt, wie sie den Platz am liebsten nutzen möchten, und der Großteil der Einwohner sehnte sich nach einem Ort für Sport und Freizeitaktivitäten. Also haben wir uns am klassischen Sportplatz orientiert und die Stadt in diesem Bereich rot gefärbt.“ Die Gebrauchsspuren seien nicht zu übersehen. Inzwischen, meint Pahhota, könnte der Platz an einigen Stellen einen Neuanstrich gebrauchen.
Superkilen in Kopenhagen, ein Gemeinschaftsprojekt von BIG, Superflex und Topotek 1, ist eines von insgesamt 40 Projekten, die derzeit im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen sind. Ausgestellt werden jene Preisträger und Finalisten, die beim letztjährigen Mies van der Rohe Award 2013, bei dem herausragende Projekte aus ganz Europa prämiert wurden, auf der Shortlist waren. Seit damals tourt die Wanderausstellung durch die EU und macht Werbung für etwas mehr Mut in der Architektur.
In natura
„Architekturpreise und Auszeichnungen im Bauwesen gibt es wie Sand am Meer“, sagt AzW-Direktor Dietmar Steiner. Doch der Mies van der Rohe Award, der seit 1988 vergeben wird, sei in zweifacher Hinsicht etwas Besonderes: „Erstens sind es nicht die Architekten, die die Projekte aus Eigeninteresse nominieren, sondern unabhängige Juroren wie etwa Kulturschaffende, Kuratoren und Journalisten. Und zweitens werden die shortgelisteten Projekte nicht nur anhand von Fotos und Plänen beurteilt, sondern anhand des konkreten Bauwerks.“ Sprich: Die Jury fährt direkt vor Ort und schaut sich das Ding in natura an. Damit werde in der Beurteilung eine Qualität erzielt, von der andere Awards nur träumen können.
„In all den 25 Jahren“, meint Antoni Vives, Präsident der Fundació Mies van der Rohe, die den Award seitdem in regelmäßigen Abständen vergibt, „hatten wir bereits 335 Projekte auf der Shortlist. Und all diese Projekte haben massiv dazu beigetragen, die europäische Stadt weiterzuentwickeln, und zwar mit einem gewissen Savoir-faire und einer Qualität auf internationalem Niveau.“
Dass dieser Beitrag kein dauerhafter und auch kein unendlich kostspieliger sein muss, beweist das Projekt „Red Bull Music Academy 2011“ in Madrid, das mit dem „Emerging Architect Special Mention Award“ ausgezeichnet wurde. Ursprünglich hätte das Flügel verleihende Musikfestival in Tokio stattfinden sollen. Doch nachdem das Erdbeben und der Tsunami die Prioritäten in Japan in diesem Jahr anders gesetzt hatten, musste das Festival kurzfristig abgesagt und übersiedelt werden. Die Wahl fiel auf Madrid.
„Niemand hat für möglich gehalten, dass dieses Projekt realisiert werden kann“, erinnert sich Architektin María Langarita im Gespräch mit dem STANDARD. „Wir hatten zwei Wochen Konzeptphase, zwei Wochen Planungsphase und acht Wochen Bauzeit. Danach musste alles stehen. Und noch dazu war das nicht irgendwann unterm Jahr, sondern im Hochsommer, Bauzeit August, also genau dann, wenn die spanischen Baufirmen und Konzerne auf Urlaub sind und das Land auf Sparflamme funktioniert.“
Aus der Not wurde eine Tugend gemacht. Auf komplizierte Bausysteme, aufwändige Konstruktionen und etablierte Markenware musste verzichtet werden. Stattdessen griffen Langarita und ihr Partner Víctor Navarro zu billigem, handelsüblichem Sperrholz. Nachdem der Baustoff nicht sonderlich wetterfest und somit auch nicht resistent gegen aufsteigende Bodenfeuchte ist, mussten die Büros, Garderoben, Technikräume, Bühnenelemente und Tribünen aufgeständert werden. Für den nötigen Schutz von oben sorgt das bestehende Dach der einstigen Großmarkthalle Matadero, die der Red Bull Music Academy Obdach gab.
Dramatisch und abenteuerlich
„Es ist sich alles irgendwie ausgegangen, aber niemals im Leben hätte ich damit gerechnet, dass wir mit diesem billigen Projekt zwei Jahre später den Mies van der Rohe Award gewinnen würden“, meint Langarita. „Das beweist für mich einmal mehr, dass auch temporäre Bauten keine Projekte zweiter Klasse sind, sondern durchaus eine gewisse architektonische, bauliche und kulturelle Qualität haben können. Und das ist gut so, denn nicht alles im Leben ist für die Ewigkeit bestimmt.“
Randnotiz: Die Red Bull Music Academy stieß bei den Madrilenen auf so große Resonanz, dass die Sperrholzlandschaft nicht - wie ursprünglich geplant - nach dem Festival wieder abgebaut wurde, sondern nach wie vor in Verwendung ist. Heute wird sie von der Stadt Madrid bespielt und hört auf den Namen „Nave de Música“.
Einem gläsernen Schiff nicht unähnlich ist jedenfalls das Harpa Concert Hall and Conference Centre im Hafen von Reykjavík, das beim Mies van der Rohe Award 2013 den Hauptpreis einheimsen durfte (DER STANDARD berichtete). Dem wohl stolzesten Projekt Islands der letzten Jahre, für das die Architekten Batteríid und Henning Larson sowie der isländische Künstler Olafur Eliasson verantwortlich zeichnen, ist im Architekturzentrum Wien der größte und prominenteste Platz gewidmet. Die kleinen Modelle vermitteln eine Idee davon, wie dramatisch und abenteuerlich die dreidimensional geformte, prismatische Glasfassade in Richtung Stadtzentrum blickt.
„Das Harpa Centre ist nicht nur ein Konzerthaus, sondern auch ein Konferenzzentrum mit perfekter Ausstattung und Dolmetschkabinen für bis zu neun Sprachen“, sagt Harpa-Chef Ásgeirsson im Interview mit dem STANDARD. „Island hat sich damit auf die internationale Landkarte katapultiert. Denn nun können wir nicht nur spektakuläre Landschaft anbieten, sondern auch eine hochrangige Konzert- und Architekturszene. So gesehen leistet zeitgenössische Architektur einen enormen Beitrag zur Aufwertung eines Ortes, und den haben wir dringend benötigt.“ Ganz gleich, ob das nun in Reykjavík ist - oder in einem einst sogenannten Problembezirk in Kopenhagen.
Doch die Menschen lieben das charmante, schelmische Augenzwinkern dieses wohl frechsten Architekturbüros der Welt, vor allem hier am Superkilen im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro. Traditionell leben hier viele Migranten. Fast 30 Prozent aller Einwohner sind Ausländer, darunter etwa Araber, Türken, Pakistanis und Somalis. Und nachdem die Kultur der südlichen Länder - ganz im Gegensatz zu uns mitteleuropäischen Dauerkonsumenten und Hausmuffeln - eine ist, die es versteht, den öffentlichen Raum zu nutzen und ihn zu bewohnen, ist es nicht verwunderlich, dass es kaum eine Tageszeit gibt, zu der Superkilen nicht von unterschiedlichsten Farben und Sprachen bevölkert wird.
„Das Rot ist kein Zufall, sondern hat gute Gründe“, erklärt Daria Pahhota vom Büro BIG. „Wir haben die Leute befragt, wie sie den Platz am liebsten nutzen möchten, und der Großteil der Einwohner sehnte sich nach einem Ort für Sport und Freizeitaktivitäten. Also haben wir uns am klassischen Sportplatz orientiert und die Stadt in diesem Bereich rot gefärbt.“ Die Gebrauchsspuren seien nicht zu übersehen. Inzwischen, meint Pahhota, könnte der Platz an einigen Stellen einen Neuanstrich gebrauchen.
Superkilen in Kopenhagen, ein Gemeinschaftsprojekt von BIG, Superflex und Topotek 1, ist eines von insgesamt 40 Projekten, die derzeit im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen sind. Ausgestellt werden jene Preisträger und Finalisten, die beim letztjährigen Mies van der Rohe Award 2013, bei dem herausragende Projekte aus ganz Europa prämiert wurden, auf der Shortlist waren. Seit damals tourt die Wanderausstellung durch die EU und macht Werbung für etwas mehr Mut in der Architektur.
In natura
„Architekturpreise und Auszeichnungen im Bauwesen gibt es wie Sand am Meer“, sagt AzW-Direktor Dietmar Steiner. Doch der Mies van der Rohe Award, der seit 1988 vergeben wird, sei in zweifacher Hinsicht etwas Besonderes: „Erstens sind es nicht die Architekten, die die Projekte aus Eigeninteresse nominieren, sondern unabhängige Juroren wie etwa Kulturschaffende, Kuratoren und Journalisten. Und zweitens werden die shortgelisteten Projekte nicht nur anhand von Fotos und Plänen beurteilt, sondern anhand des konkreten Bauwerks.“ Sprich: Die Jury fährt direkt vor Ort und schaut sich das Ding in natura an. Damit werde in der Beurteilung eine Qualität erzielt, von der andere Awards nur träumen können.
„In all den 25 Jahren“, meint Antoni Vives, Präsident der Fundació Mies van der Rohe, die den Award seitdem in regelmäßigen Abständen vergibt, „hatten wir bereits 335 Projekte auf der Shortlist. Und all diese Projekte haben massiv dazu beigetragen, die europäische Stadt weiterzuentwickeln, und zwar mit einem gewissen Savoir-faire und einer Qualität auf internationalem Niveau.“
Dass dieser Beitrag kein dauerhafter und auch kein unendlich kostspieliger sein muss, beweist das Projekt „Red Bull Music Academy 2011“ in Madrid, das mit dem „Emerging Architect Special Mention Award“ ausgezeichnet wurde. Ursprünglich hätte das Flügel verleihende Musikfestival in Tokio stattfinden sollen. Doch nachdem das Erdbeben und der Tsunami die Prioritäten in Japan in diesem Jahr anders gesetzt hatten, musste das Festival kurzfristig abgesagt und übersiedelt werden. Die Wahl fiel auf Madrid.
„Niemand hat für möglich gehalten, dass dieses Projekt realisiert werden kann“, erinnert sich Architektin María Langarita im Gespräch mit dem STANDARD. „Wir hatten zwei Wochen Konzeptphase, zwei Wochen Planungsphase und acht Wochen Bauzeit. Danach musste alles stehen. Und noch dazu war das nicht irgendwann unterm Jahr, sondern im Hochsommer, Bauzeit August, also genau dann, wenn die spanischen Baufirmen und Konzerne auf Urlaub sind und das Land auf Sparflamme funktioniert.“
Aus der Not wurde eine Tugend gemacht. Auf komplizierte Bausysteme, aufwändige Konstruktionen und etablierte Markenware musste verzichtet werden. Stattdessen griffen Langarita und ihr Partner Víctor Navarro zu billigem, handelsüblichem Sperrholz. Nachdem der Baustoff nicht sonderlich wetterfest und somit auch nicht resistent gegen aufsteigende Bodenfeuchte ist, mussten die Büros, Garderoben, Technikräume, Bühnenelemente und Tribünen aufgeständert werden. Für den nötigen Schutz von oben sorgt das bestehende Dach der einstigen Großmarkthalle Matadero, die der Red Bull Music Academy Obdach gab.
Dramatisch und abenteuerlich
„Es ist sich alles irgendwie ausgegangen, aber niemals im Leben hätte ich damit gerechnet, dass wir mit diesem billigen Projekt zwei Jahre später den Mies van der Rohe Award gewinnen würden“, meint Langarita. „Das beweist für mich einmal mehr, dass auch temporäre Bauten keine Projekte zweiter Klasse sind, sondern durchaus eine gewisse architektonische, bauliche und kulturelle Qualität haben können. Und das ist gut so, denn nicht alles im Leben ist für die Ewigkeit bestimmt.“
Randnotiz: Die Red Bull Music Academy stieß bei den Madrilenen auf so große Resonanz, dass die Sperrholzlandschaft nicht - wie ursprünglich geplant - nach dem Festival wieder abgebaut wurde, sondern nach wie vor in Verwendung ist. Heute wird sie von der Stadt Madrid bespielt und hört auf den Namen „Nave de Música“.
Einem gläsernen Schiff nicht unähnlich ist jedenfalls das Harpa Concert Hall and Conference Centre im Hafen von Reykjavík, das beim Mies van der Rohe Award 2013 den Hauptpreis einheimsen durfte (DER STANDARD berichtete). Dem wohl stolzesten Projekt Islands der letzten Jahre, für das die Architekten Batteríid und Henning Larson sowie der isländische Künstler Olafur Eliasson verantwortlich zeichnen, ist im Architekturzentrum Wien der größte und prominenteste Platz gewidmet. Die kleinen Modelle vermitteln eine Idee davon, wie dramatisch und abenteuerlich die dreidimensional geformte, prismatische Glasfassade in Richtung Stadtzentrum blickt.
„Das Harpa Centre ist nicht nur ein Konzerthaus, sondern auch ein Konferenzzentrum mit perfekter Ausstattung und Dolmetschkabinen für bis zu neun Sprachen“, sagt Harpa-Chef Ásgeirsson im Interview mit dem STANDARD. „Island hat sich damit auf die internationale Landkarte katapultiert. Denn nun können wir nicht nur spektakuläre Landschaft anbieten, sondern auch eine hochrangige Konzert- und Architekturszene. So gesehen leistet zeitgenössische Architektur einen enormen Beitrag zur Aufwertung eines Ortes, und den haben wir dringend benötigt.“ Ganz gleich, ob das nun in Reykjavík ist - oder in einem einst sogenannten Problembezirk in Kopenhagen.
[ „Europas beste Bauten. Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur. Mies van der Rohe Award 1988-2013“ im AzW, Museumsquartier. Zu sehen bis 15. September. www.miesarch.com ]
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom