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Eine undichte Stelle
Das Wiener Stadthallenbad ist endlich eröffnet. Die Farce um seine Sanierung endet wohl vor Gericht.
2. August 2014 - Christian Kühn
In der aktuellen Ökonomie der Aufmerksamkeit ist der Wert der Architektur im Schwinden begriffen. Noch vor zehn Jahren setzte das amerikanische „Time Magazine“ unter dem viel versprechenden Titel „The Shape of Things to Come“ den Stararchitekten Daniel Liebeskind aufs Titelblatt und ließ ihn und andere Götter in Schwarz über die Zukunft der gebauten Umwelt räsonieren. Auch in einer der jüngsten Ausgaben von „Time“ ging es in einem immerhin knapp 40 Seiten starken Sonderteil um Architektur unter dem Titel „The Smarter Home“. Das Titelblatt zeigte diesmal allerdings die Zeichnung eines Einfamilienhauses, das zwar ästhetisch eher ins Fertighausparadies der „Blauen Lagune“ passen würde, technisch aber einiges verspricht, unter anderem seinen eigenen Energiebedarf abzudecken, durch ausgefeilte Sensorik auf die Bedürfnisse seiner Nutzer zu reagieren und über LEDs beliebige Lichtstimmungen erzeugen zu können.
Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass Architektur außerhalb der Reservate der Architekturkritik in einem neuen Rahmen diskutiert wird: als Gerüst, auf das wir Schalter und Tasten montieren, mit denen wir unseren Komfort steuern. Mit der Realität des Architekturschaffens haben solche Fantasien freilich nur wenig zu tun. Die zunehmende Komplexität der Gebäudetechnik ist ein Faktum, das die Architektur dazu zwingt, viele ihrer klassischen Mittel neu zu denken. Der Schluss, dass Ingenieure und Haustechniker und eine vielleicht noch entstehende Berufsgruppe von Interfacedesignern eine ganzheitliche architektonische Planung ersetzen könnten, wäre freilich verhängnisvoll. Am Ende stünde dann oft ein saftiger Bauskandal – die andere verblieben Möglichkeit für ein Gebäude, heute noch in die Zeitung zu kommen.
Das Wiener Stadthallenbad hat sich in den vergangenen Jahren zu einem solchen Skandal entwickelt, in dessen Zentrum die Frage des Vertrauens zwischen der Bauherrenseite und den verantwortlichen Architekten steht. Begonnen hat dieser Skandal im Jahr 2009, als die Stadt Wien den schon lange fälligen Entschluss fasste, das Stadthallenbad zu sanieren. Das Sportamt hatte einen Planer mit einem Sanierungsentwurf beauftragt, der auf eine grobe Verunstaltung des Gebäude hinausgelaufen wäre. Dass die Verantwortlichen nicht wirklich wussten, womit sie es zu tun hatten, zeigte sich schon an dem kleinen Detail, dass in der Projektbeschreibung ein gewisser Arnulf Rainer als Architekt des Ursprungbaus aus dem Jahr 1974 angeführt war.
Tatsächlich handelt es sich beim Stadthallenbad um eines der Hauptwerke von Roland Rainer, ein auch im internationalen Vergleich herausragendes Werk, nicht so spektakulär wie seine frühen Hallen, aber unglaublich raffiniert in Konzept und Detail. Die schräg geneigten Träger, die sich aus der Höhenstaffelung der Halle Richtung Sprungturm ableiten, geben dem Raum eine besondere Dynamik. Auch der Grundriss, an sich ein einfaches Rechteck, das der Kontur der beiden Schwimmbecken folgt, wird durch das „störende“ Element des Sprungturms in Bewegung gebracht: Die Verglasung weicht ihm in mehreren, mit der Neigung der Dachträger synchronisierten Stufen aus, während die Wettkampftribünen leicht schräg in den Raum gestellt sind, um die Blicke der Zuschauer auf die Springer zu fokussieren. Das Ergebnis ist ein pulsierender Hochleistungsraum, weder Spaßbad noch Wellness-Oase, aber seinem ursprünglichen Zweck, als Trainingsanlage für den Spitzensport zu dienen, in jeder Hinsicht angemessen.
Durch Proteste der Fachöffentlichkeit sensibilisiert, beantragte die Stadt Wien selbst praktisch im letzten Moment Denkmalschutz für das Bad und ließ in einem Generalplanerverfahren nach einem entsprechend kompetenten Architekten suchen. Georg Driendl, der selbst bei Roland Rainer studiert hat, überarbeitete die vorliegende Planung von Grund auf. Das technisch und denkmalpflegerisch größte Problem waren die bereits in den 1990er-Jahren erfolgten Sanierungen, bei denen unter anderem der Hallenboden leicht angehoben und eine Edelstahlwanne anstelle des gekachelten Beckens eingesetzt wurde. In vielen Punkten hatten sich seit 1974 Vorschriften geändert, für Geländer ebenso wie für Türhöhen, und hier galt es, sinnvolle Lösungen zu finden, teilweise unter Beibehaltung der alten Standards, wie das bei denkmalgeschützten Altbauten ja auch in anderen Fällen in Kauf genommen werden muss.
Die Sanierung begann 2010 und sollte im Herbst 2011 abgeschlossen werden. Wie bei vielen Sanierungen traten zusätzliche Probleme auf, die unter anderem auf jahrelange Vernachlässigung der Substanz zurückzuführen waren. Zum öffentlich gravierenden Problem wurde kurz vor Abschluss der Sanierung das Edelstahlbecken, das sich als undicht erwies. Die ausführende deutsche Firma, von der das Becken in den 1990er-Jahren stammte, empfahl, etappenweise nach den undichten Stelle zu suchen und das Bad trotzdem zu eröffnen, da die austretende Wassermenge minimal sei. Die Stadthalle unter der Führung ihrer neuen kaufmännischen Direktorin, Sandra Hofmann, entschloss sich nach kritischen Zeitungsberichten zu einem anderen Weg, nämlich einen Schuldigen zu suchen. Sie veranlasste Ende Jänner 2012 einen Baustopp und eine gerichtliche Beweissicherung.
Seit damals hat sich diese Causa zu einer Farce entwickelt, die Hunderttausende Euro an Gutachter- und Rechtsanwaltshonoraren gekostet hat. Bereits nach Plänen von Georg Driendl errichtete Teile wie der Kassenschalter beim Eingang wurden abgebrochen und neu errichtet und fertig verlegte Böden getauscht. Der Aufgang auf den Sprungturm wurde neu als Standardtreppe statt als Leiter errichtet und steht entsprechend unglücklich im Weg. Um viel Geld wurde auch eine Gesamtprüfung des vorgespannten Tragwerks durchgeführt, in der Hoffnung, das ungeliebte Gebäude könnte aus statischen Gründen als nicht erhaltenswert eingestuft werden. Die von einem Tragwerksplaner aus dem Umfeld von Pier Luigi Nervi stammende Konstruktion hielt dieser Prüfung aber mit mehrfacher Sicherheit stand.
Inzwischen ist das Edelstahlbecken dicht. Wer heute im Stadthallenbad schwimmen geht, darf sich an einer ästhetisch und funktionell hervorragend gelungenen Sanierung erfreuen. Auch die Wasserqualität ist – nach der Korrektur der Fehler, die schon zu Roland Rainers Zeiten gemacht wurden – hervorragend. Bei der Pressekonferenz zu der im Juni erfolgten Eröffnung sprach Sandra Hofmann von 300 Planungsfehlern des Generalplaners, der auf mindestens 6,8, möglicherweise 15 Millionen Euro Schadenersatz geklagt werde. Womit man wieder im ursprünglichen Budgetplan sei. Das klingt nach Realitätsverweigerung. Falls es tatsächlich zu diesem Prozess kommt, wird der Steuerzahler aller Voraussicht nach heftig zur Kasse gebeten werden. Dass das Becken schon vor der Sanierung des Bads undicht war, ist bekannt. Hätte man die Energie ins Lösen von Problemen statt in die Suche nach Schuldigen gesteckt, wäre das Bad wohl schon im März 2012 in Betrieb gegangen: ohne Skandal, als Erfolgsstory einer intelligenten und einfühlsamen Sanierung.
Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass Architektur außerhalb der Reservate der Architekturkritik in einem neuen Rahmen diskutiert wird: als Gerüst, auf das wir Schalter und Tasten montieren, mit denen wir unseren Komfort steuern. Mit der Realität des Architekturschaffens haben solche Fantasien freilich nur wenig zu tun. Die zunehmende Komplexität der Gebäudetechnik ist ein Faktum, das die Architektur dazu zwingt, viele ihrer klassischen Mittel neu zu denken. Der Schluss, dass Ingenieure und Haustechniker und eine vielleicht noch entstehende Berufsgruppe von Interfacedesignern eine ganzheitliche architektonische Planung ersetzen könnten, wäre freilich verhängnisvoll. Am Ende stünde dann oft ein saftiger Bauskandal – die andere verblieben Möglichkeit für ein Gebäude, heute noch in die Zeitung zu kommen.
Das Wiener Stadthallenbad hat sich in den vergangenen Jahren zu einem solchen Skandal entwickelt, in dessen Zentrum die Frage des Vertrauens zwischen der Bauherrenseite und den verantwortlichen Architekten steht. Begonnen hat dieser Skandal im Jahr 2009, als die Stadt Wien den schon lange fälligen Entschluss fasste, das Stadthallenbad zu sanieren. Das Sportamt hatte einen Planer mit einem Sanierungsentwurf beauftragt, der auf eine grobe Verunstaltung des Gebäude hinausgelaufen wäre. Dass die Verantwortlichen nicht wirklich wussten, womit sie es zu tun hatten, zeigte sich schon an dem kleinen Detail, dass in der Projektbeschreibung ein gewisser Arnulf Rainer als Architekt des Ursprungbaus aus dem Jahr 1974 angeführt war.
Tatsächlich handelt es sich beim Stadthallenbad um eines der Hauptwerke von Roland Rainer, ein auch im internationalen Vergleich herausragendes Werk, nicht so spektakulär wie seine frühen Hallen, aber unglaublich raffiniert in Konzept und Detail. Die schräg geneigten Träger, die sich aus der Höhenstaffelung der Halle Richtung Sprungturm ableiten, geben dem Raum eine besondere Dynamik. Auch der Grundriss, an sich ein einfaches Rechteck, das der Kontur der beiden Schwimmbecken folgt, wird durch das „störende“ Element des Sprungturms in Bewegung gebracht: Die Verglasung weicht ihm in mehreren, mit der Neigung der Dachträger synchronisierten Stufen aus, während die Wettkampftribünen leicht schräg in den Raum gestellt sind, um die Blicke der Zuschauer auf die Springer zu fokussieren. Das Ergebnis ist ein pulsierender Hochleistungsraum, weder Spaßbad noch Wellness-Oase, aber seinem ursprünglichen Zweck, als Trainingsanlage für den Spitzensport zu dienen, in jeder Hinsicht angemessen.
Durch Proteste der Fachöffentlichkeit sensibilisiert, beantragte die Stadt Wien selbst praktisch im letzten Moment Denkmalschutz für das Bad und ließ in einem Generalplanerverfahren nach einem entsprechend kompetenten Architekten suchen. Georg Driendl, der selbst bei Roland Rainer studiert hat, überarbeitete die vorliegende Planung von Grund auf. Das technisch und denkmalpflegerisch größte Problem waren die bereits in den 1990er-Jahren erfolgten Sanierungen, bei denen unter anderem der Hallenboden leicht angehoben und eine Edelstahlwanne anstelle des gekachelten Beckens eingesetzt wurde. In vielen Punkten hatten sich seit 1974 Vorschriften geändert, für Geländer ebenso wie für Türhöhen, und hier galt es, sinnvolle Lösungen zu finden, teilweise unter Beibehaltung der alten Standards, wie das bei denkmalgeschützten Altbauten ja auch in anderen Fällen in Kauf genommen werden muss.
Die Sanierung begann 2010 und sollte im Herbst 2011 abgeschlossen werden. Wie bei vielen Sanierungen traten zusätzliche Probleme auf, die unter anderem auf jahrelange Vernachlässigung der Substanz zurückzuführen waren. Zum öffentlich gravierenden Problem wurde kurz vor Abschluss der Sanierung das Edelstahlbecken, das sich als undicht erwies. Die ausführende deutsche Firma, von der das Becken in den 1990er-Jahren stammte, empfahl, etappenweise nach den undichten Stelle zu suchen und das Bad trotzdem zu eröffnen, da die austretende Wassermenge minimal sei. Die Stadthalle unter der Führung ihrer neuen kaufmännischen Direktorin, Sandra Hofmann, entschloss sich nach kritischen Zeitungsberichten zu einem anderen Weg, nämlich einen Schuldigen zu suchen. Sie veranlasste Ende Jänner 2012 einen Baustopp und eine gerichtliche Beweissicherung.
Seit damals hat sich diese Causa zu einer Farce entwickelt, die Hunderttausende Euro an Gutachter- und Rechtsanwaltshonoraren gekostet hat. Bereits nach Plänen von Georg Driendl errichtete Teile wie der Kassenschalter beim Eingang wurden abgebrochen und neu errichtet und fertig verlegte Böden getauscht. Der Aufgang auf den Sprungturm wurde neu als Standardtreppe statt als Leiter errichtet und steht entsprechend unglücklich im Weg. Um viel Geld wurde auch eine Gesamtprüfung des vorgespannten Tragwerks durchgeführt, in der Hoffnung, das ungeliebte Gebäude könnte aus statischen Gründen als nicht erhaltenswert eingestuft werden. Die von einem Tragwerksplaner aus dem Umfeld von Pier Luigi Nervi stammende Konstruktion hielt dieser Prüfung aber mit mehrfacher Sicherheit stand.
Inzwischen ist das Edelstahlbecken dicht. Wer heute im Stadthallenbad schwimmen geht, darf sich an einer ästhetisch und funktionell hervorragend gelungenen Sanierung erfreuen. Auch die Wasserqualität ist – nach der Korrektur der Fehler, die schon zu Roland Rainers Zeiten gemacht wurden – hervorragend. Bei der Pressekonferenz zu der im Juni erfolgten Eröffnung sprach Sandra Hofmann von 300 Planungsfehlern des Generalplaners, der auf mindestens 6,8, möglicherweise 15 Millionen Euro Schadenersatz geklagt werde. Womit man wieder im ursprünglichen Budgetplan sei. Das klingt nach Realitätsverweigerung. Falls es tatsächlich zu diesem Prozess kommt, wird der Steuerzahler aller Voraussicht nach heftig zur Kasse gebeten werden. Dass das Becken schon vor der Sanierung des Bads undicht war, ist bekannt. Hätte man die Energie ins Lösen von Problemen statt in die Suche nach Schuldigen gesteckt, wäre das Bad wohl schon im März 2012 in Betrieb gegangen: ohne Skandal, als Erfolgsstory einer intelligenten und einfühlsamen Sanierung.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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