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Dialog von Alt und Neu
Spectrum

Und aus Ruinen hebt sich die Vergangenheit... Unmittelbares Nebeneinander von repräsentativer Geste und Verfall: Aus der Burg Reichenstein im Mühlviertel wurde nun das Burgenmuseum Reichenstein.

23. August 2014 - Romana Ring
Es sind drei Gemeinden: Tragwein, Pregarten und Gutau, die sich das Gebiet der kleinen Ortschaft Reichenstein im oberösterreichischen Mühlviertel teilen. Das Selbstverständnis Reichensteins bezieht sich seit dem frühen Mittelalter auf die Burg, die der Ortschaft ihren Namen gibt. Sie erhebt sich – zum Teil Ruine, zum Teil bewohnt – über dem bewaldeten Felsen, den die mäandrierende Waldaist hier in einer großen Schlinge fasst. Ihre wie überdimensionierte Zinnen in den Himmel ragenden Mauerreste mit leeren, wiewohl von intakten Steingewänden gefassten Öffnungen auf der einen Seite des Burghügels und der von einem Zeltdach bekrönte Turm auf der anderen prägen das Ortsbild seit je. Die letzte große Veränderung Reichensteins ist weitgehend unsichtbar geblieben. Wir haben es nicht mehr mit der Ruine, sondern mit dem Oberösterreichischen Burgenmuseum Reichenstein zu tun, das im Laufe einer langjährigen Projektierungs- und einer infolge sorgfältiger archäologischer Erhebungen ebenfalls ausgedehnten Bauphase entstanden ist. Eine aus den Architekten Christian Hackl, Norbert Haderer, Herbert Pointner und Harald Weiß gebildete Projektgemeinschaft hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt einen Zubau entwickelt, der die Anlage durch neue Räume zum Museum ergänzt, ohne ihr über Jahrzehnte vertraut gewordenes Erscheinungsbild stark zu verändern.

Die erste urkundliche Erwähnung einer befestigten Anlage auf dem Gipfel des Felsens datiert aus dem Jahr 1230. Ein einfacher Wehrturm wurde bald durch ein lang gestrecktes Wohnhaus, ein Wirtschaftsgebäude und eine vorgelagerte Ringmauer ergänzt. Zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts entschloss man sich zum weitgehenden Abbruch und errichtete eine neue, wesentlich größere Burg, die jedoch in ihrer Kompaktheit nach wie vor die beengten Platzverhältnisse auf dem Felssporn widerspiegelte. Aus dieser Epoche stammt die heute noch intakte Burgkapelle. Dem großzügigen Ausbau der Burg zu einem Renaissance-Schloss ab dem späten 16. Jahrhundert war weniger Glück beschieden: Der Initiator der Umgestaltung, Ritter Christoph Haym, wurde kurzerhand vom Anführer seiner ob der hohen Steuern zur Finanzierung des ehrgeizigen Projektes erbosten Bauern ermordet; und obwohl bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts der Wandel von der Wehranlage zum repräsentativen Adelssitz dann doch vollzogen war, mussten die Neubauten an der Südwestseite des Burghügels – wohl dem unsicheren Baugrund geschuldet – bald wieder abgebrochen werden.

Mit dem Wegfall einer Nutzung begann der Verfall der Anlage. Die gezielte Entfernung der Decken und Dächer im frühen 19. Jahrhundert besiegelte den Niedergang zur Ruine. Die Schlosskapelle jedoch wurde weiter als Pfarrkirche genutzt, das unmittelbar anschließende „Aiststöckl“ als Schulgebäude und der ehemalige Torbau mit seinem markanten Turm als Wohnung des Pfarrers. So sind die Gebäude in bemerkenswert gutem Zustand erhalten geblieben. Im Jahr 1988 formierte sich ein Verein zur Sanierung der erst 1948 unter Denkmalschutz gestellten Ruine. Man errichtete – historisierend – einenTreppenturm und rang der alten Hauptburg mit Hilfe von Betonkonstruktionen wieder einige gedeckte Räume ab.

Die Aufgabe, ein Museum in dieses heterogene und zum damaligen Zeitpunkt keineswegs vollständig erforschte Gebilde zu fügen, beantwortete die Projektgemeinschaft Hackl/Haderer/Pointner/Weiß mit mehreren Entwürfen. Doch erst der Vorschlag, das Volumen des gesamten Neubaues im Hügel zu versenken, fand die Zustimmung des Bundesdenkmalamtes. Eine Probebohrung zur Prüfung des Baugrundes war auf keine nennenswerten Einbauten gestoßen. Umso größer war die Überraschung, als bei weiterführenden Grabungsarbeiten ebenso massive wie gut erhaltene Mauern, Bögen und Gewölbe zum Vorschein kamen. Diese galt es nun für immer abzubrechen oder in den Neubau zu integrieren, wozu man sich – eine vollständige Neuplanung in Kauf nehmend – entschied.

Die Raumfiguration wurde den historischen Bauteilen angepasst, diese wurden so weit wie möglich auch in tragender Funktion eingesetzt. Das Museum findet in einer Halle Platz, deren flaches Dach im Einklang mit dem Bestand von Ost nach West abfällt und die Fläche des Burghofes nahezu verdoppelt. Ihr ist im Süden eine Terrasse vorgelagert, deren Parapet von einer der alten Burgmauern gebildet wird. Die Südfassade des Museums mit dem Haupteingang und jener Teil der östlichen Stirnseite, der aus dem Gelände ragt, werden von einer unregelmäßig vertikal geteilten Lärchenholzfassade gebildet, in der vereinzelte Glasschlitze den Blick in die Landschaft freigeben. An der Ostseite der Halle führt eine Gitterstiege aus rostfarben beschichtetem Stahl – kostengünstiger als echter Rost! – auf das Niveau des Burghofes, der an seinem westlichen Ende auch über eine auf begrünten Stützmauern ruhende Rampe erreichbar ist. Die tragende Stahlbetonkonstruktion des Neubaues ist dunkelgrau gestrichen; dunkel ist auch der hölzerne Boden, der durch feuchtigkeitsdurchlässige Kiesstreifen von den vorgefundenen Mauerteilen getrennt bleibt; dunkel die eingebauten Stahlteile wie die Treppe, die den kleinen Einschub eines Obergeschoßes an der hohen Ostseite des Museums erschließt und weiter hinauf zum Burghof führt.

Die historischen Bauteile hingegen werden mit Ausstellungsstücken aus der Sammlung des Museums mit Licht in Szene gesetzt. Damit wird die doppelte Bedeutung der Einrichtung unterstrichen: In Reichenstein hat man nicht nur Gelegenheit, sich anhand der jeweiligen Ausstellung über gesichertes Wissen zu informieren. Die hier praktisch unverändert erhaltenen Fundstücke laden nach wie vor zu ihrer Erforschung ein. So ist etwa die ursprüngliche Nutzung eines sechseckigen Steinbeckens mit darunter liegendem, auffallend niedrigem Gewölbe – sind es Teile eines mittelalterlichen Badehauses, einer dekorativen Brunnengrotte? – noch nicht restlos geklärt.

Reichenstein hat als Ort für kulturelle Veranstaltungen eine lange Tradition, die neue Impulse aus dem Museumsbau erhält. Das unmittelbare Nebeneinander von repräsentativer Geste und Verfall und die enge Verbindung von Architektur und Landschaftsraum schaffen, jetzt noch deutlicher um den Dialog von Alt und Neu bereichert, eine Atmosphäre, der man sich nicht leicht entziehen kann.

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