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Kein Glamour am Berg
Das Panhans, das Kurhaus und das Südbahnhotel am Semmering: drei Beispiele für die Melancholie des Leerstandes und des freudlosen Dahinexistierens. Der ehemals mondäne Höhenluftkurort im architektonischen Dornröschenschlaf.
20. September 2014 - Iris Meder
Am Ende nützten auch die Badezimmer-Fliesen mit den vierblättrigen Kleeblättern nichts mehr. 1976 schloss das Südbahnhotel am Semmering seine Pforten. Es folgten Leerstand, Verkauf, temporäre Nutzung durch die Festspiele Reichenau und weiterer Leerstand – mit derzeit nicht absehbarem Ende. Sein seinerzeit großer Konkurrent, das Panhans, existiert seit einer brachialen Achtzigerjahre-Sanierung nach mehreren Verkäufen so irgendwie vor sich hin, während das dritte der großen Semmering-Hotels, das Palace-Hotel Deisinger, später Sanatorium Dr. Hecht, später Artis-Hotel, heute Panhans Sport Hotel, bis zur Unkenntlichkeit totsaniert wurde und heute wie ein Gewerkschaftsheim der Siebzigerjahre wirkt.
Es ist eine seltsame Sache: Einerseits scheint die ganze Region mitsamt ihrem künstlichen Ort Semmering immer noch in einer Art Paralyse gefangen zu sein, die Entwicklungen hemmt oder völlig verhindert – andererseits zeugen zahlreiche Initiativen von einem großen Interesse, das man der Gegend in der Hauptstadt und anderswo entgegenbringt. Absurderweise wird dabei seit Jahren beharrlich eine touristische Vermarktung unter dem Label Zauberberg versucht. Mit Thomas Mann und Lungensanatorien hat der Semmering freilich nichts zu tun.
Erst jüngst sind zwei recht unterschiedliche Publikationen zum Thema erschienen. Den Infrastrukturbauten der Landschaftserschließung widmet sich Roland Tuschs Buch über die Wächterhäuser der Semmeringbahn, die im Zuge eines Forschungsprojektes detailliert katalogisiert, in Planzeichnungen dargestellt und in Architektur und Kontext analysiert wurden. In dichter Reihung stehen die Häuser mit einheitlichen Grund- und Aufrissschemata, aber modifiziert nach Fassadenausführung und Material – teils verputzt, teils Bruchstein –, nach Detailaufrissen, vor allem aber nach ihrer topografischen Situierung, an der Eisenbahnstrecke, abhängig von den Gegebenheiten des Geländes und der Trassenführung der Bahn, die die Standorte und Orientierungen der schlichten Satteldachbauten bestimmte. Ein Fotoessay von Gisela Erlacher zeigt die lakonische Ästhetik der Häuser an den Schienen und in der für die Bahnreisenden inszenierten Landschaft. Mangels Glamourfaktors sind die Häuser nicht weniger als die Palasthotels von Verfall, entstellender Umnutzung und Zerstörung bedroht.
Während Roland Tusch auch das Berufsbild und das alltägliche Leben der Bahnwärter und Bahnwärterinnen – auch diese gab es – zwischen Signal geben und Hühner füttern beleuchtet, ist ein im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Jüdischen Museums Wien publizierter Bildband der Fotografin Yvonne Oswald ausschließlich dem leer stehenden Südbahnhotel gewidmet, dessen melancholische Stimmung der Abwesenheit mondäner Gäste es dokumentiert. Der eher nüchterne Altbau von 1882, der in den Siebzigerjahren in Apartments umgewandelt wurde, bleibt dabei ausgespart. Thema ist der monumentale Zubau vom Beginn des 20. Jahrhunderts, entworfen von Alfred Wildhack und Robert von Morpurgo, die im Auftrag der Südbahn-Gesellschaft nicht nur den Semmering bebauten, sondern auch Opatija – die Klientel der verschiedenen Resorts war wohl ähnlich, wenn auch am Semmering ein wenig intellektueller. Die Architektur am Berg sollte jedenfalls mehr Burgenromantik-Heimatschutz als Secession bieten. Während Franz Panhans die Wiener Theaterfachleute Fellner & Helmer für die Erweiterung seines Hotels engagierte, weist das von Franz von Krauß und Josef Tölk entworfene Kurhaus – ein weiterer trauriger Langzeit-Leerstand – immerhin einige Elemente des (um 1910 auch schon nicht mehr ganz frischen) Secessionsstils auf. Mit Alma Mahlers von Hartwig Fischel entworfenem Landhaus am Kreuzberg und Joseph Urbans Villa Landau ist die Dichte moderner Architektur in der Boomzeit des Semmerings zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg eher dürftig.
Nach einer gewissen Erholung von der Zäsur des Weltkrieges plante in der Ersten Republik Adolf Loos, mit Peter Altenberg, Karl Kraus und Josephine Baker selbst häufiger Semmering-Besucher, ein nicht gebautes Schulprojekt für Eugenie Schwarzwald und ein realisiertes Haus für den Wiener Margarinefabrikanten Paul Khuner hoch über Payerbach – heute immerhin ein positives Beispiel für eine erfolgreiche, sensible Nutzung als Pension und Restaurant.
In der Zeit nach 1930 rüsteten angesichts veränderter Bedürfnisse eines anspruchsvollen reiseerfahrenen Publikums auch Panhans und Südbahnhotel ihre Infrastruktur auf, etwa durch Autogaragen mit Reparaturwerkstätten und diverse Sporteinrichtungen. Hallenschwimmbäder mit öffenbaren Glaswänden und vorgelagerten Liegewiesen waren das Ding der Stunde, entworfen von Anton Liebe und Ludwig Stiegler mit dem Gartenarchitekten Josef Oskar Wladar für das Panhans und von den Otto-Wagner-Schülern Emil Hoppe und Otto Schönthal für das Südbahnhotel. Während das Panhans-Alpenbad in den Achtzigerjahren abgebrochen wurde, ist das Schwimmbad des Südbahnhotels, auf dessen Flachdach einst zum Fünf-Uhr-Tee getanzt wurde, heute noch als ein Schatten seiner selbst erkennbar. Die auf einer Seite orange-weiß gestreiften, auf der anderen Seite gelben Marmorglas-Wandverkleidungen wurden vor einigen Jahren mutwillig kaputtgeschlagen. Details wie die Beschriftungen am Beckenrand, die verchromten Deckenluster und die elegant geschwungenen Geländer der Eistiegsleitern sind noch vorhanden, die orange lackierten Stahlrohr-Freischwinger sind mittlerweile aus dem verfallenden Bad verschwunden.
Mag auch die Melancholie des gegenwärtigen Zustandes zur Erinnerung an das vertriebene Publikum der Vorkriegszeit à la Stefan Zweig passen – der Semmering hätte eine lebendigere Zukunft verdient.
Es ist eine seltsame Sache: Einerseits scheint die ganze Region mitsamt ihrem künstlichen Ort Semmering immer noch in einer Art Paralyse gefangen zu sein, die Entwicklungen hemmt oder völlig verhindert – andererseits zeugen zahlreiche Initiativen von einem großen Interesse, das man der Gegend in der Hauptstadt und anderswo entgegenbringt. Absurderweise wird dabei seit Jahren beharrlich eine touristische Vermarktung unter dem Label Zauberberg versucht. Mit Thomas Mann und Lungensanatorien hat der Semmering freilich nichts zu tun.
Erst jüngst sind zwei recht unterschiedliche Publikationen zum Thema erschienen. Den Infrastrukturbauten der Landschaftserschließung widmet sich Roland Tuschs Buch über die Wächterhäuser der Semmeringbahn, die im Zuge eines Forschungsprojektes detailliert katalogisiert, in Planzeichnungen dargestellt und in Architektur und Kontext analysiert wurden. In dichter Reihung stehen die Häuser mit einheitlichen Grund- und Aufrissschemata, aber modifiziert nach Fassadenausführung und Material – teils verputzt, teils Bruchstein –, nach Detailaufrissen, vor allem aber nach ihrer topografischen Situierung, an der Eisenbahnstrecke, abhängig von den Gegebenheiten des Geländes und der Trassenführung der Bahn, die die Standorte und Orientierungen der schlichten Satteldachbauten bestimmte. Ein Fotoessay von Gisela Erlacher zeigt die lakonische Ästhetik der Häuser an den Schienen und in der für die Bahnreisenden inszenierten Landschaft. Mangels Glamourfaktors sind die Häuser nicht weniger als die Palasthotels von Verfall, entstellender Umnutzung und Zerstörung bedroht.
Während Roland Tusch auch das Berufsbild und das alltägliche Leben der Bahnwärter und Bahnwärterinnen – auch diese gab es – zwischen Signal geben und Hühner füttern beleuchtet, ist ein im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Jüdischen Museums Wien publizierter Bildband der Fotografin Yvonne Oswald ausschließlich dem leer stehenden Südbahnhotel gewidmet, dessen melancholische Stimmung der Abwesenheit mondäner Gäste es dokumentiert. Der eher nüchterne Altbau von 1882, der in den Siebzigerjahren in Apartments umgewandelt wurde, bleibt dabei ausgespart. Thema ist der monumentale Zubau vom Beginn des 20. Jahrhunderts, entworfen von Alfred Wildhack und Robert von Morpurgo, die im Auftrag der Südbahn-Gesellschaft nicht nur den Semmering bebauten, sondern auch Opatija – die Klientel der verschiedenen Resorts war wohl ähnlich, wenn auch am Semmering ein wenig intellektueller. Die Architektur am Berg sollte jedenfalls mehr Burgenromantik-Heimatschutz als Secession bieten. Während Franz Panhans die Wiener Theaterfachleute Fellner & Helmer für die Erweiterung seines Hotels engagierte, weist das von Franz von Krauß und Josef Tölk entworfene Kurhaus – ein weiterer trauriger Langzeit-Leerstand – immerhin einige Elemente des (um 1910 auch schon nicht mehr ganz frischen) Secessionsstils auf. Mit Alma Mahlers von Hartwig Fischel entworfenem Landhaus am Kreuzberg und Joseph Urbans Villa Landau ist die Dichte moderner Architektur in der Boomzeit des Semmerings zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg eher dürftig.
Nach einer gewissen Erholung von der Zäsur des Weltkrieges plante in der Ersten Republik Adolf Loos, mit Peter Altenberg, Karl Kraus und Josephine Baker selbst häufiger Semmering-Besucher, ein nicht gebautes Schulprojekt für Eugenie Schwarzwald und ein realisiertes Haus für den Wiener Margarinefabrikanten Paul Khuner hoch über Payerbach – heute immerhin ein positives Beispiel für eine erfolgreiche, sensible Nutzung als Pension und Restaurant.
In der Zeit nach 1930 rüsteten angesichts veränderter Bedürfnisse eines anspruchsvollen reiseerfahrenen Publikums auch Panhans und Südbahnhotel ihre Infrastruktur auf, etwa durch Autogaragen mit Reparaturwerkstätten und diverse Sporteinrichtungen. Hallenschwimmbäder mit öffenbaren Glaswänden und vorgelagerten Liegewiesen waren das Ding der Stunde, entworfen von Anton Liebe und Ludwig Stiegler mit dem Gartenarchitekten Josef Oskar Wladar für das Panhans und von den Otto-Wagner-Schülern Emil Hoppe und Otto Schönthal für das Südbahnhotel. Während das Panhans-Alpenbad in den Achtzigerjahren abgebrochen wurde, ist das Schwimmbad des Südbahnhotels, auf dessen Flachdach einst zum Fünf-Uhr-Tee getanzt wurde, heute noch als ein Schatten seiner selbst erkennbar. Die auf einer Seite orange-weiß gestreiften, auf der anderen Seite gelben Marmorglas-Wandverkleidungen wurden vor einigen Jahren mutwillig kaputtgeschlagen. Details wie die Beschriftungen am Beckenrand, die verchromten Deckenluster und die elegant geschwungenen Geländer der Eistiegsleitern sind noch vorhanden, die orange lackierten Stahlrohr-Freischwinger sind mittlerweile aus dem verfallenden Bad verschwunden.
Mag auch die Melancholie des gegenwärtigen Zustandes zur Erinnerung an das vertriebene Publikum der Vorkriegszeit à la Stefan Zweig passen – der Semmering hätte eine lebendigere Zukunft verdient.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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