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Stadt statt Hypo
Spectrum

Eine Stadt für 100.000 Menschen auf zwölf Quadratkilometern – um 19 Milliarden Euro, der geschätzten Schadensumme im Hyposkandal. Hypotopia – die Proteststadt gegen die Geldvernichtungsmaschinerie Hypo Alpe Adria. Das Modell im Maßstab 1:100 steht seit dieser Woche vor der Wiener Karlskirche.

18. Oktober 2014 - Harald Gründl
Neunzehn Milliarden Euro. Eine Zahl genannt als mögliche Schadensgröße im Hypo-Finanzdebakel. Ungeklärte politische Verantwortung, fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen für die Vermeidung einer solchen Misere, und eine Bundesregierung, deren Mitwirkung an der Aufklärung bislang von vielen als nicht ausreichend empfunden wird. Der Ruf nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss wurde laut. Der Kabarettist Roland Düringer verliest einen Brief an den früheren Finanzminister auf seinem Aussteiger-Videoblog und beteiligt sich an einer Bürgerinitiative. „Die Bürger müssen wohl wieder einmal bürgen, mit ihrer Arbeitsleistung und ihren kleinen Vermögen. Wir Steuerzahler werden für die Machenschaften der Gierigen bestraft, und die Umverteilung von Fleißig zu Reich geht munter weiter.“

Der Brief bringt den Ärger, die Ohnmacht, aber auch die Enttäuschung einer Zivilgesellschaft gegenüber ihren Politikern zum Ausdruck. Die parlamentarische Opposition bringt eine gemeinsame Petition ein, die eine umfassende Aufklärung des Hypo-Alpe-Adria-Finanzdebakels und die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Gegenstand hat. Insgesamt sammeln alle einen Hypo-Untersuchungsausschuss fordernden Initiativen rund 250.000 Unterschriften. Ein großer Teil der Stimmen wurde über die Homepage des Parlaments gesammelt. Dort kann seit 2011 auch elektronisch eine Bürgerinitiative oder eine Petition unterstützt werden – einen Internetanschluss, das Wissen und die nötige Beharrlichkeit beim Suchen der Stimmabgabeseite vorausgesetzt. Die Wirkung, die digitale Werkzeuge der direkten Demokratie entwickeln könnten, sieht man an den Tagen,an denen mehr als 10.000 Menschen unterschrieben haben und das System zusammengebrochen ist.

Neunzehn Milliarden Euro. Diese Zahl beschäftigt auch Lukas Zeilbauer, einen Bauingenieurstudenten an der Technischen Universität Wien. Wie könnte diese, für die meisten unvorstellbare Summe, vorstellbar gemacht werden? Was kann mit diesem Geld in der Realwirtschaft gemacht werden? Er ärgert sich, dass nicht mehr Menschendie Initiativen unterstützt haben. Um das Ausmaß des Debakels sichtbar zu machen, bedient er sich anfangs des Einfamilienhäuschens mit Garten. 300 m² Grund, 60m2Hausgrundfläche, zweistöckig, Gehsteig und Straßenanteil. Dreiundsechzigtausenddreihundert solcher Wohnträume à 300.000 Euro könnten mit der Hypo-Haftung realisiert werden. 150.000 Menschen hätten dann ihr Zuhause gefunden. Doch diese Speckgürteltypologie mit ihren problematischen ökologischen Auswirkungen wäre keine gute Botschaft an die interessierte Öffentlichkeit. Gemeinsam mit einem engagierten interdisziplinären Projektteam von rund dreißig Studierenden entsteht innerhalb von zwei Monaten außerhalb des Studienbetriebs die Modellstadt Hypotopia. Rund um die Bereiche Rasten, Nächtigen, Versorgen, Schaffen, Heilen, Bildung, Administration entsteht eineStadt für 100.000 Menschen auf zwölf Quadratkilometern – um neunzehn Milliarden Euro. Die erste Stadt, die ihren Gründungsmythos einer Bankenmisere verdankt.

Das Ergebnis dieses kollaborativen Planungsprozesses ist eine Stadt, die energieautark ist, in der die Einwohner radikal weniger Energie verbrauchen als heute, eine Stadt der kurzen Wege, in der kein Auto benötigt wird. Wohnen und Arbeiten wurde gemeinsam gedacht, und Ressourcen werden in intelligenten Kreisläufen geführt. Demografische Umbrüche sind ebenso thematisiert wie Ansätze einer zukunftsfähigen Mobilität. Eine glückliche Lage an einerFlussgabelung bringt das Leben ans Wasser, große Erholungsgebiete in der Stadt sorgen für Wohlbefinden.

Es gibt auch agrarische Anbauflächen und einen Bauernhof gegen die Entfremdung der Nahrungsproduktion. Im Westen liegt der Windpark, im Osten das Flusskraftwerk. Auf den Dächern drehen sich kleinere Windräder, Regenwasser wird gesammelt, Nahrungsmittel werden angebaut, und Solarpanele nutzen die Sonnenenergie. Hypotopiawirkt normal und unaufgeregt. Signifikant werden allenfalls einige über hundert Meter hohe Holzwolkenkratzer sowie die drei vertikalen Farmen zum derzeitigen Planungsstand.

Auf der Projekthomepage können Informationen über die Nutzung und die Kosten jedes geplanten Gebäudes abgerufen werden. Diese Transparenz führte schon zu interessanten Diskussionen über die bisher getroffenen Entscheidungen des Planungsteams. Warum gerade diese Nutzung, warum kostet das Gebäude so viel Geld, wo sind die Gotteshäuser? In den letzten Wochen kümmerte sich das Projektteam der Milliardenstadt jedoch hauptsächlich um den Bau des Modells im Maßstab 1:100. Sechzig mal dreißig Meter misst es – und es steht seit dieser Woche vor der Wiener Karlskirche. Siebzig Tonnen Beton formen das mit zahlreichen Helfern realisierte Modell der Proteststadt gegen den Hyposkandal.

Neunzehn Milliarden Euro. Wie hätte das Otto Neurath mittels seiner Wiener Methode der Bildstatistik im Rahmen der Volks- und Arbeiterbildung im Roten Wien auf eine der Vermittlungstafeln des Wirtschafts- und Gesellschaftsmuseums gebracht? Die angewandten Künste als Medien der Erkenntnis und Katalysatoren des Wandels spielen eine wichtige Rolle in der Neuausrichtung unserer Gesellschaft in Richtung Weltverträglichkeit und Solidarität. Das Projekt Hypotopia zeigt beispielhaft, wie eine diskursive Plattform für wünschenswerte Entwicklungen in der Stadt aussehen kann. Diskussionsabende und Filmvorführungen werden bis Monatsende die Ideen des Entwurfsteams vertiefen und zur Diskussion stellen. Die Modellstadt bietet zahlreiche Anknüpfungs-, aber auch Reibepunkte für technologische, aber auch soziale Innovation in der Stadt. Dass diese Stadt noch sehr abstrakt ist und mehr Fragen als Antworten aufwirft, das ist die eigentliche Qualität des Protestprojektes. Von hier weg könnte gearbeitet und weiterentwickelt werden, in allen Maßstäben und Disziplinen. Kooperativ und interdisziplinär. Interessante Ansätze und Modelle, die bereits bestehen oder die einen gänzlich veränderten Kontext brauchen, könnten sich in Hypotopia verorten. Und so hätte auch die Finanzwirtschaft ihre neue Rolle in der Zukunftsstadt: die Entkarbonisierung des Euro.

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