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Baukultur ist der Schiefer in der Stadt
Der Standard

Wiens Planungswerkstatt lädt Besucher ein, über ihr Lieblingsgrätzel nachzudenken und gemeinsam neue Nutzungen für urbane Räume zu schaffen. Es ist eine Ausstellung zum Mitarbeiten - und Mitmarschieren.

18. Oktober 2014 - Wojciech Czaja
„Baukultur beschreibt die Summe menschlicher Leistungen, natürliche oder gebaute Umwelt zu verändern“, heißt es nüchtern und trocken auf Wikipedia. „Baukultur geht über die architektonische Gestaltung von Gebäuden weit hinaus und betrifft nicht nur professionelle Planer, sondern alle Menschen, da sie mit gebauter Umwelt konfrontiert sind.“ Das erschließt sich einem nur mit größtem Widerwillen.

Es geht auch anders, dachten sich Volker Dienst, Robert Temel, Barbara Feller und Antje Lehn - und schufen eine Ausstellung, die dem Begriff seine Sperrigkeit nehmen soll, indem sie sich auf Emotionales, Haptisches sowie auf ein paar konkrete Beispiele aus Wiener Grätzeln stützt. Baukultur. Denke Deine Stadt anders ist derzeit in der Wiener Planungswerkstatt zu sehen.

„Baukultur ist kein Projekt und auch kein Endresultat, sondern ein Prozess“, sagt Dienst, seines Zeichens Sprecher der Plattform Baukultur, während er durch die Schauräume führt, die nach harzigem, frisch geschnittenem Fichtenholz duften. „Daher haben wir eine Ausstellung konzipiert, die mit jedem Tag weiterwächst und erst durch die Besucher, durch die vielen Schülerinnen und Schüler komplettiert wird.“

Zu Beginn noch glich die Planungswerkstatt einem Holzlager. Balken für Balken bäumte sich da ein Stadl bis zum Ansatz des Gewölbebogens auf, Schiefergefahr und Naturnähe inklusive. Und immer wieder kleine Figürchen, kluge Sprüche, satirische Bilder. Im Laufe der Zeit jedoch füllte sich der zu Beginn noch spärlich bestückte Schauraum. Hier geht es unmissverständlich um Partizipation, um den Prozess. Übrigens: Die 20 Kubikmeter Holz, die mehr und mehr hinter einer Zettelwirtschaft verschwinden, sind nur geliehen und werden nach Ende der Ausstellung verbaut. Der Rohdachboden wartet schon.

Zu Wort kommen Wienerinnen und Bewohner konkreter Gebäude, konkreter Stadtviertel. „Transdanubien ist für uns kein Schimpfwort, sondern eine Auszeichnung.“ Und: „Das gibt's nur in Wien, wo ich mit den Badelatschen vom 23. Stock in fünf Minuten zu Fuß zum Baden an die Alte Donau gehen kann.“ Noch besser: „Das gibt's nur in Wien, dass eine Universität zur Touristenattraktion wird.“ Wie ein älterer Herr, regelmäßiger Besucher der Mensa am neuen WU-Campus, beweist: „Die glauben, das hier ist nur für die jungen Leute, aber ich bin hier auch sehr gern, ich mag die Atmosphäre.“

Auch Kritik und Vorschläge werden immer lauter, wobei der Wunsch nach einer Vergrünisierung der Stadtverwaltung unüberhörbar durch die handgeschriebenen Zeilen sickert: Man wünscht sich mehr Rad, mehr Fußgänger- und weniger Autoverkehr, mehr öffentlichen Freiraum und weniger Stellplätze, längere Grünphasen für die Fußgänger, mehr Farben und insgesamt eine fröhlichere Stimmung in der Stadt, mehr Grünflächen, frei zugängliche Dachterrassen und vor allem: „Mehr alte Häuser renovieren und weniger Neubauten.“

Viele Köche, viele Zutaten

Wie all diese Wünsche baulich manifest werden können, zeigt sich anhand von Best-Practice-Beispielen in Wien-Mitte, Favoriten, Meidling, Kagran und Stuwerviertel-Plus, dem Areal rund um den neuen WU-Campus. Ergänzt wird die Theorie von ein paar Workshops und professionell geführten Stadtspaziergängen wie etwa „Urbanes Flanieren in Meidling“ (24. 10.). Vieles ist wunderbar und respektvoll im Ansatz. Das Einzige, was man der Ausstellung vorwerfen kann, ist vielleicht ihr Pluralismus. Viele Köche, viele Zutaten, der Durchblick kommt erst beim Dessert.

„Wir möchten die Besucher animieren, sich ihr Lebensumfeld aktiv anzuschauen“, so Dienst. „Ob das nun das Ins-Gedächtnis-Rufen der vielen schönen Dinge ist oder das bewusste Beleuchten von städtischen Scheußlichkeiten. Wir alle können die Stadt aktiv mit- und umgestalten.“

Die Summe dieser Überlegungen nennt sich dann Baukultur.

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