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„Ich bevorzuge die Fußgängerzone in der Stadt“
Am kommenden Freitag startet die Doku „Global Shopping Village“ in den heimischen Kinos. Regisseurin Ulli Gladik über Schlupflöcher im Raumordnungsgesetz, Recherche-Schocks und die Zukunft des Shoppens.
18. Oktober 2014 - Wojciech Czaja
Trotz der Konkurrenz durch den Onlinehandel ist die Shoppingcenter-Dichte Europas so hoch wie noch nie. Mit 320 m² Retailfläche pro 1000 Einwohner hat Österreich - nach Slowenien - die zweihöchste Dichte in Europa. Das belegen aktuelle Zahlen von RegioData. Die Spitzenposition ist alles andere als ein Grund zur Freude, meint die Wiener Filmemacherin Ulli Gladik, die von 2011 bis 2014 an ihrem filmischen Opus Magnum „Global Shopping Village“ arbeitete. Der 80-minütige Dokumentarfilm, der am 24. Oktober in Wien Premiere hat, bietet traurige Bilder aus Österreich, Deutschland, Kroatien und Bulgarien. Vor allem aber schockiert er mit Informationen und Originalstatements aus den Abgründen der Immobilienwirtschaft. Diese - und nicht zuletzt die allzu beugsame österreichische Raumplanung - ist schuld daran, dass die Speckgürtel wachsen und die Innenstädte aussterben.
STANDARD: Wie kam die Idee zustande?
Gladik: Ich bin in Murau aufgewachsen. In den letzten 20 Jahren sind dort mehrere Kreisverkehre und Fachmarktzentren entstanden, gleichzeitig ist das kleinstädtische Leben im Ortskern verlorengegangen. Heute ist Murau tot. Das hat mich inspiriert, über die Thematik nachzudenken.
Wussten Sie zu Beginn des Projekts bereits, worauf Sie sich da einlassen?
Gladik: Die wahren Ausmaße habe ich erst erkannt, als ich auf der Real Vienna, auf der Expo Real in München und auf der Mapic in Cannes Einblick in die Immobilienwirtschaft bekommen habe. Da wird ein Shoppingcenter nach dem anderen beworben. Hier wird eine Illusion aufrechterhalten, denn in vielen ehemaligen Ostblockländern ist der private Verschuldungsgrad mittlerweile so hoch, dass die Investitionen am Marktbedarf vorbeiführen. Die Resultate sind unübersehbar. Viele Shoppingcenter sind fast leer, sind wieder geschlossen oder wurden niemals fertiggestellt.
Was war Ihr größter Schock während der Recherchen?
Gladik: Mein größter Schock war, wie offen auf den Immobilienmessen darüber gesprochen wird, auf welche Art und Weise man am schnellsten Geld machen kann. Der einzige Motor ist die hohe Rendite.
Die größte Bühne in Ihrem Film bieten Sie dem Shoppingcenter Arena in Fohnsdorf. Obwohl Fohnsdorf ein kleiner Ort ist, hat das Einkaufszentrum bereits an die 50.000 Quadratmeter Retailfläche. Wie ist das passiert?
Gladik: In einem Ort wie Fohnsdorf sind laut regionalem Entwicklungsplan 5000 Quadratmeter zusammenhängende Shoppingcenter-Fläche möglich. Mittlerweile hat die Arena wahrscheinlich schon mehr als 50.000 Quadratmeter, und sie wächst weiter. Eine Antwort war, dass es sich bei der Straße, die durch das EKZ führt, um eine öffentliche Straße handelt, und so ist die Arena per Definition kein 50.000 Quadratmeter großes Shoppingcenter, sondern eine Ansammlung von vielen Retail-Gebäuden links und rechts der Straße. So wie ich das verstanden habe, muss das ein Schlupfloch im Raumordnungsgesetz gewesen sein, das von vifen Juristen ausgelotet und ausgenutzt wurde. Jedenfalls wird die Arena als ein Shoppingcenter vermarktet. An der Einfahrt steht ein Pylon mit den Worten: „100 Geschäfte, 1 Adresse“.
Im Film ist ersichtlich, dass Sie sich um eine Stellungnahme der Raumordnungsbehörde bemüht haben, was allerdings abgelehnt wurde.
Gladik: Mich hätte die offizielle Begründung zur Größe der Arena sehr interessiert. Und ich nehme an, die Zuschauerinnen und Zuschauer auch.
Wie kommt so eine Schlupflochpolitik zustande?
Gladik: Da fehlt offensichtlich der politische Wille. Außerdem, denke ich, mangelt es an einer gewissen Aufklärung, denn die Bürgermeister, die so ein Projekt begleiten und bewilligen, machen das im Gegensatz zum Shoppingcenter-Entwickler meist nur einmal im Leben, und verfügen oft nicht über das nötige Fachwissen und die nötige Erfahrung, um die Konsequenzen mitzubedenken: Zersiedelung, Abwanderung der Arbeitsplätze, hohe Infrastrukturkosten, und so weiter.
Würde Österreich anders aussehen, gäbe es mehr Aufklärung?
Gladik: Ich denke: ja. Ich glaube an Aufklärung.
Einige Shoppingcenter-Entwickler wie etwa die deutsche ECE haben sich auf Shoppingcenter in Innenstadtlagen spezialisiert. Ist das die Lösung zum Problem?
Gladik: Aus meiner Sicht nicht. Denn meist werden auch die innerstädtischen Shoppingcenter sehr groß dimensioniert und bilden ein eigenes Universum. Laut Stadtplaner Walter Brune, der als der deutsche Victor Gruen bezeichnet wird, ist ein Innenstadtcenter nur dann legitim, wenn das Shop-Angebot eine Ergänzung und keine Verdoppelung des Innenstadtsortiments ist. Das ist meistens nicht der Fall.
Nach all der Kritik: Gibt es für Sie persönlich auch positive Shoppingcenter-Beispiele?
Gladik: Ich finde Shoppingcenter spannend im Sinne künstlich geschaffener Orte. Und ich finde es spannend, die Menschen darin zu beobachten. Aber mir fällt kein Beispiel ein, wo ich persönlich sagen könnte: Hier fühle ich mich wohl, hier will ich mich eine Zeit lang aufhalten. Zum Einkaufen bevorzuge ich die Fußgängerzone in der echten Stadt.
Gibt es Wünsche für die Zukunft?
Gladik: Ich wünsche mir mehr Diskussion und mehr kritische Auseinandersetzung. Die Shoppingcenter-Entwicklung hat unsere Städte in den letzten 20 Jahren massiv verändert, und es gab wenig Diskussion darüber, wie wir in Zukunft leben und einkaufen wollen. Das würde ich gerne nachholen. Wenn das nicht passiert, dann werden die Leute die öffentlichen Räume in der Stadt verlassen und sich immer mehr in die eigenen vier Wände zurückziehen - was sie ohnehin schon tun. Stichwort: Online-Handel. Ist das die Zukunft, in der wir leben wollen?
ULLI GLADIK (44) absolvierte die Schule für künstlerische Fotografie bei Friedl Kubelka und studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Seit 2003 ist sie freischaffende Fotografin und Filmemacherin. Premiere ist am 24. 10. im Filmcasino Wien (19 Uhr). Am 26. 10. und 2. 11. (13 Uhr) findet ebenda eine Matinee in Anwesenheit der Regisseurin und anschließender Podiumsdiskussion statt.
STANDARD: Wie kam die Idee zustande?
Gladik: Ich bin in Murau aufgewachsen. In den letzten 20 Jahren sind dort mehrere Kreisverkehre und Fachmarktzentren entstanden, gleichzeitig ist das kleinstädtische Leben im Ortskern verlorengegangen. Heute ist Murau tot. Das hat mich inspiriert, über die Thematik nachzudenken.
Wussten Sie zu Beginn des Projekts bereits, worauf Sie sich da einlassen?
Gladik: Die wahren Ausmaße habe ich erst erkannt, als ich auf der Real Vienna, auf der Expo Real in München und auf der Mapic in Cannes Einblick in die Immobilienwirtschaft bekommen habe. Da wird ein Shoppingcenter nach dem anderen beworben. Hier wird eine Illusion aufrechterhalten, denn in vielen ehemaligen Ostblockländern ist der private Verschuldungsgrad mittlerweile so hoch, dass die Investitionen am Marktbedarf vorbeiführen. Die Resultate sind unübersehbar. Viele Shoppingcenter sind fast leer, sind wieder geschlossen oder wurden niemals fertiggestellt.
Was war Ihr größter Schock während der Recherchen?
Gladik: Mein größter Schock war, wie offen auf den Immobilienmessen darüber gesprochen wird, auf welche Art und Weise man am schnellsten Geld machen kann. Der einzige Motor ist die hohe Rendite.
Die größte Bühne in Ihrem Film bieten Sie dem Shoppingcenter Arena in Fohnsdorf. Obwohl Fohnsdorf ein kleiner Ort ist, hat das Einkaufszentrum bereits an die 50.000 Quadratmeter Retailfläche. Wie ist das passiert?
Gladik: In einem Ort wie Fohnsdorf sind laut regionalem Entwicklungsplan 5000 Quadratmeter zusammenhängende Shoppingcenter-Fläche möglich. Mittlerweile hat die Arena wahrscheinlich schon mehr als 50.000 Quadratmeter, und sie wächst weiter. Eine Antwort war, dass es sich bei der Straße, die durch das EKZ führt, um eine öffentliche Straße handelt, und so ist die Arena per Definition kein 50.000 Quadratmeter großes Shoppingcenter, sondern eine Ansammlung von vielen Retail-Gebäuden links und rechts der Straße. So wie ich das verstanden habe, muss das ein Schlupfloch im Raumordnungsgesetz gewesen sein, das von vifen Juristen ausgelotet und ausgenutzt wurde. Jedenfalls wird die Arena als ein Shoppingcenter vermarktet. An der Einfahrt steht ein Pylon mit den Worten: „100 Geschäfte, 1 Adresse“.
Im Film ist ersichtlich, dass Sie sich um eine Stellungnahme der Raumordnungsbehörde bemüht haben, was allerdings abgelehnt wurde.
Gladik: Mich hätte die offizielle Begründung zur Größe der Arena sehr interessiert. Und ich nehme an, die Zuschauerinnen und Zuschauer auch.
Wie kommt so eine Schlupflochpolitik zustande?
Gladik: Da fehlt offensichtlich der politische Wille. Außerdem, denke ich, mangelt es an einer gewissen Aufklärung, denn die Bürgermeister, die so ein Projekt begleiten und bewilligen, machen das im Gegensatz zum Shoppingcenter-Entwickler meist nur einmal im Leben, und verfügen oft nicht über das nötige Fachwissen und die nötige Erfahrung, um die Konsequenzen mitzubedenken: Zersiedelung, Abwanderung der Arbeitsplätze, hohe Infrastrukturkosten, und so weiter.
Würde Österreich anders aussehen, gäbe es mehr Aufklärung?
Gladik: Ich denke: ja. Ich glaube an Aufklärung.
Einige Shoppingcenter-Entwickler wie etwa die deutsche ECE haben sich auf Shoppingcenter in Innenstadtlagen spezialisiert. Ist das die Lösung zum Problem?
Gladik: Aus meiner Sicht nicht. Denn meist werden auch die innerstädtischen Shoppingcenter sehr groß dimensioniert und bilden ein eigenes Universum. Laut Stadtplaner Walter Brune, der als der deutsche Victor Gruen bezeichnet wird, ist ein Innenstadtcenter nur dann legitim, wenn das Shop-Angebot eine Ergänzung und keine Verdoppelung des Innenstadtsortiments ist. Das ist meistens nicht der Fall.
Nach all der Kritik: Gibt es für Sie persönlich auch positive Shoppingcenter-Beispiele?
Gladik: Ich finde Shoppingcenter spannend im Sinne künstlich geschaffener Orte. Und ich finde es spannend, die Menschen darin zu beobachten. Aber mir fällt kein Beispiel ein, wo ich persönlich sagen könnte: Hier fühle ich mich wohl, hier will ich mich eine Zeit lang aufhalten. Zum Einkaufen bevorzuge ich die Fußgängerzone in der echten Stadt.
Gibt es Wünsche für die Zukunft?
Gladik: Ich wünsche mir mehr Diskussion und mehr kritische Auseinandersetzung. Die Shoppingcenter-Entwicklung hat unsere Städte in den letzten 20 Jahren massiv verändert, und es gab wenig Diskussion darüber, wie wir in Zukunft leben und einkaufen wollen. Das würde ich gerne nachholen. Wenn das nicht passiert, dann werden die Leute die öffentlichen Räume in der Stadt verlassen und sich immer mehr in die eigenen vier Wände zurückziehen - was sie ohnehin schon tun. Stichwort: Online-Handel. Ist das die Zukunft, in der wir leben wollen?
ULLI GLADIK (44) absolvierte die Schule für künstlerische Fotografie bei Friedl Kubelka und studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Seit 2003 ist sie freischaffende Fotografin und Filmemacherin. Premiere ist am 24. 10. im Filmcasino Wien (19 Uhr). Am 26. 10. und 2. 11. (13 Uhr) findet ebenda eine Matinee in Anwesenheit der Regisseurin und anschließender Podiumsdiskussion statt.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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