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Sprunghafter Pionier
Von der Vorspannung über die Modellstatik zum CAD, vom Realen zum Virtuellen: Der Erfindergeist Heinz Hossdorfs kannte keine Grenzen. Seine Bauten schrieben sowohl Ingenieur- als auch Architekturgeschichte.
24. Oktober 2014 - Heinrich Schnetzer
Heinz Hossdorf war Erfinder, Entwickler, ein Ingenieur mit Leib und Seele. Er wurde 1925 in eine Zeit hineingeboren, in der der Schalenbau und die Vorspanntechnik grosse Bedeutung erlangten und vor allem experimentell weiterentwickelt wurden. Die technischen Möglichkeiten, neue Tragstrukturen und Formen zu entwerfen, lagen aufgrund des erforderlichen technischen Wissens und Verständnisses vor allem in den Händen der Ingenieure. Interessanterweise haben sich Architekten immer nur peripher mit Schalen beschäftigt. Die gestalterischen Möglichkeiten sind durch die physikalischen Rahmenbedingungen stark eingeschränkt. Auch ist die Form von Schalentragwerken zu eigenständig, zu dominant. Aus dieser Konstellation bildete sich eine neue Generation von entwerfenden Ingenieuren heraus. Bedeutende Zeitgenossen von Heinz Hossdorf waren Pier Luigi Nervi (vgl. TEC21 37/2013), Eduardo Torroja, Felix Candela, Eladio Dieste und Heinz Isler.
Theorie durch Modellstatik ergänzt
Diesem Zeitgeist gehorchend, befasste sich Heinz Hossdorf vor allem mit dem Schalenbau und der Vorspannung. Damals waren für den Schalenbau nur theoretische Grundlagen vorhanden, mit denen im Wesentlichen rotationssymmetrische oder zylindrische Schalen mathematisch genau berechnet werden konnten. Für komplexere Geometrien gab es keine geschlossenen Lösungen, und die Numerik bzw. die Computertechnologie war nicht weit genug, um damit die anspruchsvollen statischen Problemstellungen lösen zu können.
Aus dem Bedürfnis heraus, die freie Formbarkeit des Betons auszuschöpfen, verbunden mit dem Mangel an statischen Werkzeugen, die eine Berechnung solcher Tragkonstruktionen überhaupt zugelassen hätten, entwickelte Heinz Hossdorf kurzerhand die Modellstatik. Dafür wurden massstabsgetreue Modelle gefertigt und im Labor belastet. Anhand der Auflagerkräfte, Verformungen und Dehnungen konnte er auf den Spannungsverlauf im Modell und über den Modellmassstab auf den der realen Struktur schliessen.
Im Gegensatz zu Heinz Isler, der die geometrischen Eigenschaften der Druckschalen aufgrund von physikalischen Gesetzmässigkeiten oder Analogien ermittelte und im grösseren Massstab nachbaute, konnte Hossdorf so Zug-Druckschalen – also komplexere vorgespannte Formen (vgl. «Statik als Handwerk», S. 28) – frei entwerfen und berechnen. Neben seinen ingenieurtechnischen Fähigkeiten besass er einen ausgeprägten Willen, den statischen und herstellungstechnischen Eigenschaften seiner Werke eine Form zu verleihen. Das Kies- und Betonwerk Gunzgen SO steht als Ikone seines Ingenieurentwurfs (Abb. S. 26).
Zentraler Grundpfeiler seiner Modellstatik war das linearelastische Materialverhalten, das Hooke’sche Gesetz. Hossdorf bewegte sich ausschliesslich in dieser Welt. Seine Modelle konnten das nichtlineare Verhalten des Stahlbetons durch Rissbildung oder durch plastische Lastumlagerungen nicht erfassen. Nur so ist es zu erklären, dass die Entwicklung der Plastizitätstheorie, die ihm neue Möglichkeiten im Stahlbetonbau eröffnet hätte, ihn nicht interessierte.
Virtuelle Werkzeuge und gebautes Erbe
In der weiteren Entwicklung der Modellstatik verwendete Hossdorf vermehrt den Computer für die Auswertung der gemessenen Daten. Er konnte damit den Spannungs- und Verformungszustand der Konstruktionen grafisch darstellen. Es entstand die von ihm benannte Hybridstatik, eine Verschmelzung oder Symbiose von physischem Modell und Computer zu einem allgemeinen Berechnungswerkzeug für den Ingenieur.
In diesem Zusammenhang erkannte Hossdorf schon früh das Potenzial der Computer. Seinem Naturell entsprechend widmete er sich ab 1978 ausschliesslich der Vision, einen Gegenstand virtuell im Computer zu erfassen und darzustellen. Er verkaufte sein Ingenieurbüro, löste seine Modellwerkstatt auf und begann zusammen mit heute namhaften Computerpionieren wie Dave Packard ein «Interdisziplinäres Technisches System» zu entwickeln – eine Software, die mit den Begriffen CAD und CAM zusammengefasst werden kann. Natürlich waren Hossdorfs Ziele hochgesteckt und seiner Zeit um Jahre voraus. Seine finanziellen und personellen Ressourcen reichten nicht aus, um das System praxistauglich fertigzustellen und bei Firmen produktiv einzusetzen. Die von ihm sehr früh erkannte Möglichkeit, mittels Computer virtuelle Gegenstände zu generieren, hat im Gegenzug dazu geführt, dass heute Berechnungsmodelle direkt im Computer erzeugt und analysiert werden. Die Berechnungen mit finiten Elementen, bei denen ein virtuelles Modell in einzelne kleine Teile zerlegt wird und die mechanischen Eigenschaften dieser Elemente mit jeweils den Nachbarelementen mathematisch beschrieben werden, haben die Welt erobert. Das physische Modell ist heutzutage nicht mehr erforderlich.
Die Modellstatik hat sich von der reellen in die virtuelle Welt verschoben. Die bedeutenden Bauten von Heinz Hossdorf – ein Beitrag zu unserer Baukultur – stammen alle aus seiner frühen Zeit als entwerfender Ingenieur, als er sich noch nicht mit der virtuellen Welt auseinandersetzte. Am Ende steht eben doch das Reale, das Gebaute. Alles andere ist Werkzeug.
Theorie durch Modellstatik ergänzt
Diesem Zeitgeist gehorchend, befasste sich Heinz Hossdorf vor allem mit dem Schalenbau und der Vorspannung. Damals waren für den Schalenbau nur theoretische Grundlagen vorhanden, mit denen im Wesentlichen rotationssymmetrische oder zylindrische Schalen mathematisch genau berechnet werden konnten. Für komplexere Geometrien gab es keine geschlossenen Lösungen, und die Numerik bzw. die Computertechnologie war nicht weit genug, um damit die anspruchsvollen statischen Problemstellungen lösen zu können.
Aus dem Bedürfnis heraus, die freie Formbarkeit des Betons auszuschöpfen, verbunden mit dem Mangel an statischen Werkzeugen, die eine Berechnung solcher Tragkonstruktionen überhaupt zugelassen hätten, entwickelte Heinz Hossdorf kurzerhand die Modellstatik. Dafür wurden massstabsgetreue Modelle gefertigt und im Labor belastet. Anhand der Auflagerkräfte, Verformungen und Dehnungen konnte er auf den Spannungsverlauf im Modell und über den Modellmassstab auf den der realen Struktur schliessen.
Im Gegensatz zu Heinz Isler, der die geometrischen Eigenschaften der Druckschalen aufgrund von physikalischen Gesetzmässigkeiten oder Analogien ermittelte und im grösseren Massstab nachbaute, konnte Hossdorf so Zug-Druckschalen – also komplexere vorgespannte Formen (vgl. «Statik als Handwerk», S. 28) – frei entwerfen und berechnen. Neben seinen ingenieurtechnischen Fähigkeiten besass er einen ausgeprägten Willen, den statischen und herstellungstechnischen Eigenschaften seiner Werke eine Form zu verleihen. Das Kies- und Betonwerk Gunzgen SO steht als Ikone seines Ingenieurentwurfs (Abb. S. 26).
Zentraler Grundpfeiler seiner Modellstatik war das linearelastische Materialverhalten, das Hooke’sche Gesetz. Hossdorf bewegte sich ausschliesslich in dieser Welt. Seine Modelle konnten das nichtlineare Verhalten des Stahlbetons durch Rissbildung oder durch plastische Lastumlagerungen nicht erfassen. Nur so ist es zu erklären, dass die Entwicklung der Plastizitätstheorie, die ihm neue Möglichkeiten im Stahlbetonbau eröffnet hätte, ihn nicht interessierte.
Virtuelle Werkzeuge und gebautes Erbe
In der weiteren Entwicklung der Modellstatik verwendete Hossdorf vermehrt den Computer für die Auswertung der gemessenen Daten. Er konnte damit den Spannungs- und Verformungszustand der Konstruktionen grafisch darstellen. Es entstand die von ihm benannte Hybridstatik, eine Verschmelzung oder Symbiose von physischem Modell und Computer zu einem allgemeinen Berechnungswerkzeug für den Ingenieur.
In diesem Zusammenhang erkannte Hossdorf schon früh das Potenzial der Computer. Seinem Naturell entsprechend widmete er sich ab 1978 ausschliesslich der Vision, einen Gegenstand virtuell im Computer zu erfassen und darzustellen. Er verkaufte sein Ingenieurbüro, löste seine Modellwerkstatt auf und begann zusammen mit heute namhaften Computerpionieren wie Dave Packard ein «Interdisziplinäres Technisches System» zu entwickeln – eine Software, die mit den Begriffen CAD und CAM zusammengefasst werden kann. Natürlich waren Hossdorfs Ziele hochgesteckt und seiner Zeit um Jahre voraus. Seine finanziellen und personellen Ressourcen reichten nicht aus, um das System praxistauglich fertigzustellen und bei Firmen produktiv einzusetzen. Die von ihm sehr früh erkannte Möglichkeit, mittels Computer virtuelle Gegenstände zu generieren, hat im Gegenzug dazu geführt, dass heute Berechnungsmodelle direkt im Computer erzeugt und analysiert werden. Die Berechnungen mit finiten Elementen, bei denen ein virtuelles Modell in einzelne kleine Teile zerlegt wird und die mechanischen Eigenschaften dieser Elemente mit jeweils den Nachbarelementen mathematisch beschrieben werden, haben die Welt erobert. Das physische Modell ist heutzutage nicht mehr erforderlich.
Die Modellstatik hat sich von der reellen in die virtuelle Welt verschoben. Die bedeutenden Bauten von Heinz Hossdorf – ein Beitrag zu unserer Baukultur – stammen alle aus seiner frühen Zeit als entwerfender Ingenieur, als er sich noch nicht mit der virtuellen Welt auseinandersetzte. Am Ende steht eben doch das Reale, das Gebaute. Alles andere ist Werkzeug.
Für den Beitrag verantwortlich: TEC21
Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Solt