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Spürbare Transzendenz
Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln
Den Menschen Gewissheit geben, dass sie über den Tod hinaus nicht vergessen werden: Dieser Wunsch begleitete den Umbau der Kölner Bartholomäuskirche zum Kolumbarium durch Kissler + Effgen. Mit Licht und Schatten haben sie Räume gebildet, ohne Grenzen zu ziehen.
2. November 2014 - Uta Windhager
Überall im Land werden Kirchen geschlossen. Im Kölner Stadtbezirk Ehrenfeld etwa finden in der Pfarrei »Zu den Heiligen Rochus, Dreikönigen und Bartholomäus« nur noch in zwei der drei Kirchen weiterhin Sonntagsgottesdienste statt – die dritte dient seit Anfang dieses Jahres als Urnenbegräbnisstätte (Kolumbarium). Dass die Gemeinde 2006 beschloss, ausgerechnet St. Bartholomäus in eine Grabeskirche umzuwandeln, mag man fast als Glücksgriff bezeichnen, denn der 1959 geweihte Saalbau von Hans Schwippert strahlt genau den puristischen Ernst aus, den man sich für einen Ort der Trauer wünscht.
Das Gebäude am Bickendorfer Helmholtzplatz liegt in einem ruhigen städtischen Umfeld, dessen ehemals industrielle Prägung im Stadtbild noch deutlich ablesbar ist. Unter dem Einfluss der brutalistischen Strömungen in den späten 50er Jahren plante Schwippert hier ein Gotteshaus, das dem traditionellen Bild einer Kirche zuwiderlief, dafür aber der Ambivalenz des Orts entsprach. Der mit rotem Backstein ausgefachte Stahlbetonrahmenbau zeigt Material und Konstruktion so offen und rau, dass man den einige Stufen unter Straßenniveau liegenden Quader mit dem abgerückten Campanile auch für eine Sporthalle oder Fabrik halten konnte – in vorkonziliarer Zeit eine mutige Übertragung.
Gewebe statt Gemäuer
St. Bartholomäus ist das erste Kolumbarium im Erzbistum Köln; entsprechend viel Überzeugungsarbeit der Gemeinde war notwendig, bis das Generalvikariat dem Vorhaben zustimmte und die kirchliche Baugenehmigung erteilte. Für die relativ junge Bauaufgabe der Umnutzung einer Kirche als Kolumbarium gibt es keine Standardlösung, wohl aber strenge, von der Diözese erlassene liturgische Auflagen. In diesem Fall war es vorgeschrieben, den Ort der Trauerfeier (Kapelle) vom Ort der Beisetzung (Kolumbarium) räumlich zu trennen. Das Wiesbadener Büro Kissler + Effgen gewann den 2011 unter zwölf eingeladenen Teilnehmern ausgelobten Wettbewerb mit einem Entwurf, der mit der Klarheit des Kirchenraums arbeitet und Räume nicht durch Mauern oder Höhensprünge, sondern allein durch Licht und Schatten voneinander scheidet.
Zunächst wurde der erhöhte Chorbereich dem Niveau des übrigen Kirchenraums angepasst, der Basaltboden entfernt und ein heller Gussasphalt eingebracht. Die Kapelle, markiert nur durch ein abgehängtes Metallnetz, platzierten die Architekten an zentraler Stelle im Mittelschiff, an dessen vier Seiten die Urnenwände zehn nischenartige Kabinette bilden.
Wer St. Bartholomäus heute durch das linke Bronzeportal betritt, muss unter der Empore des Seitenschiffs erst einmal innehalten, um sich an das Schummerlicht zu gewöhnen. Beton und Ziegel, so rau wie draußen an der Fassade, verlieren durch das gedämpfte Licht ihre spröde Kargheit. Auch wirkt der Raum trotz seiner Höhe sehr intim. Es sind die von Giselbert Hoke nach Motiven des Sonnengesangs des Heiligen Franziskus gestalteten Fenster, die 1978 das ursprüngliche Klarglas ersetzten und den Charakter des Innenraums maßgeblich verändert haben: Sie filtern das Tageslicht so stark, dass es möglich ist, Kunstlicht zur Gliederung und Definition des Raums einzusetzen. Schon im Wettbewerb sahen Kissler + Effgen vor, die Kapelle nur mit einem Metallgewebe einzufassen und die räumliche Gliederung durch den gezielten Einsatz von Licht zu verdeutlichen. Allerdings konnten die Architekten bei der Realisierung dieser Idee auf keinerlei eigene oder fremde Erfahrungen zurückgreifen. Nach intensiver Recherche fand sich ein Ringgewebe aus Bronze (Alphamesh), dessen hochglanzpolierte, goldfarbene Oberfläche sich als so reflektionsstark erwies, dass es bei entsprechender Beleuchtung trotz seiner Netzstruktur als eine ausreichende räumliche Begrenzung wahrgenommen wird. Dank seines relativ geringen Eigengewichts von 3,4 kg/m2 konnte das Gewebe in einer Rahmenkonstruktion mit Stahlseilen auf sehr dezente Weise von dem Primärtragwerk der Kirchendecke abgehängt werden. Mit seinen Abmessungen von 7 x 7 x 11 m (HxBxL) wurde der Kapellenbereich den Proportionen des Mittelschiffs angepasst und bleibt nach oben offen. Darin stehen, in drei Reihen angeordnet und auf den Altar ausgerichtet, die von Schwippert entworfenen Kirchenbänke sowie ein Flügel. An drei Seiten öffnet sich die Kapelle mit einem größeren und zwei sehr schmalen Zugängen zur Umgebung. Zur Kennzeichnung und Stabilisierung sind die Öffnungen im Bronzegewebe mit schmalen Profilen eingefasst. Die Kanten der hängenden Konstruktion wurden lediglich mit einem transparenten Nylonfaden vernäht.
Licht und Schatten
Das Zusammenspiel von Licht und Material haben die Architekten gemeinsam mit arens faulhaber lichtplaner (Köln) an Musterstücken vor Ort getestet. Insgesamt wurden fünf verschiedene Licht-Raum-Szenarien entwickelt. An der Rahmenkonstruktion des Netzes wurden innen wie außen lineare LED-Leuchten montiert, die wegen des sehr kleinen Abstrahlwinkels nur das Gewebe über seine gesamte Höhe gleichmäßig in einem warmen Goldton leuchten lassen. Mit zusätzlichen Strahlern kann der Kapelleninnenraum beleuchtet werden. Während eines Trauergottesdiensts wird das Bronzegewebe von innen angestrahlt, sodass der umgebende Urnenbereich im Dunklen liegt und nicht wahrnehmbar ist. Auch auf dem hellen Estrichboden zeichnet sich die gewünschte räumliche Trennung mit Licht und Schatten deutlich lesbar ab. Während der Beisetzung wird die Kapelle dann so von der äußeren Leuchtenreihe angestrahlt, dass sie von außen kaum mehr einsehbar ist. Dafür reflektiert das Netz das Licht gleichmäßig in den Umgang und die Nischen. Ist die Kirche tagsüber für Besucher geöffnet, wird das Licht so geschaltet, dass das Netz in beiden Richtungen transparent erscheint und das golden schimmernde Material dem gesamten Innenraum eine unaufdringliche Wertigkeit verleiht.
Klarheit und Mysterium
Im Unterschied zu den meisten historischen Kolumbarien ist die Urnenwandanlage in St. Bartholomäus aus Metall. Kissler + Effgen trafen diese Materialwahl nicht zuletzt deswegen, um die geforderte Zahl von 700 Einzel- und 900 Doppelkammern so realisieren zu können, dass die einzelnen Kammern nicht über Kopfhöhe, aber auch nicht zu nah am Boden liegen. Der Stahlkorpus wurde mit einem Messingblech vollkommen bündig bekleidet, dessen vor Ort von Hand brünierte Oberfläche einen warmen, erdigen Ton erhalten hat, der sie deutlich von der ungeschliffenen Substanz der Kirche unterscheidet.
Jede Urnenkammer ziert ein mit dem Kreuzsignet des Pfarrverbunds versehener, goldglänzender Messingknauf. Nach dem Einstellen der Urne dürfen die Angehörigen den nicht mehr benötigten Knauf zum Andenken mitnehmen. An dem Bohrloch, das er verdeckte, wird nach der Beisetzung die Messingplatte zur Kennzeichnung des Grabs befestigt. Sie kann den Wünschen der Angehörigen entsprechend gestaltet werden und bietet auf einer schmalen Konsole Platz für eine Kerze und eine schmale Vase. Im Laufe der Jahre werden die Messingplatten ein zufälliges, sich ständig verdichtendes Muster auf die dunklen Flächen der Grabwände zeichnen. Den Kontrast von brüniertem und poliertem Messing setzen die Architekten auch bei der Gestaltung von Ambo, Osterkerze und Urnenpodest ein; einzig der neue Altar, ein glatter Sichtbetonkorpus greift auf Schwipperts Materialkanon zurück.
Bleiben die Figuren des von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy geschnitzten Kreuzwegs. Angebracht an den Stirnseiten der Grabwände und an zusätzlich aufgestellten Stelen, bilden die Stationen einen Ring um die Kapelle. Die 15. Station, die Jesu Auferstehung darstellt, liegt dem Kapellenausgang gegenüber – ein wohlplatziertes und bedeutsames Detail, das für die Qualität und die Klarheit des Ganzen steht.
Dass es in dieser Klarheit ein Element wie den zentralen Lichtraum gibt, der nicht eindeutig, nicht immer gleich ist, reflektiert auf wunderbare Weise die Überschreitung der Grenzen von Erfahrung, Bewusstsein und Diesseits.
Das Gebäude am Bickendorfer Helmholtzplatz liegt in einem ruhigen städtischen Umfeld, dessen ehemals industrielle Prägung im Stadtbild noch deutlich ablesbar ist. Unter dem Einfluss der brutalistischen Strömungen in den späten 50er Jahren plante Schwippert hier ein Gotteshaus, das dem traditionellen Bild einer Kirche zuwiderlief, dafür aber der Ambivalenz des Orts entsprach. Der mit rotem Backstein ausgefachte Stahlbetonrahmenbau zeigt Material und Konstruktion so offen und rau, dass man den einige Stufen unter Straßenniveau liegenden Quader mit dem abgerückten Campanile auch für eine Sporthalle oder Fabrik halten konnte – in vorkonziliarer Zeit eine mutige Übertragung.
Gewebe statt Gemäuer
St. Bartholomäus ist das erste Kolumbarium im Erzbistum Köln; entsprechend viel Überzeugungsarbeit der Gemeinde war notwendig, bis das Generalvikariat dem Vorhaben zustimmte und die kirchliche Baugenehmigung erteilte. Für die relativ junge Bauaufgabe der Umnutzung einer Kirche als Kolumbarium gibt es keine Standardlösung, wohl aber strenge, von der Diözese erlassene liturgische Auflagen. In diesem Fall war es vorgeschrieben, den Ort der Trauerfeier (Kapelle) vom Ort der Beisetzung (Kolumbarium) räumlich zu trennen. Das Wiesbadener Büro Kissler + Effgen gewann den 2011 unter zwölf eingeladenen Teilnehmern ausgelobten Wettbewerb mit einem Entwurf, der mit der Klarheit des Kirchenraums arbeitet und Räume nicht durch Mauern oder Höhensprünge, sondern allein durch Licht und Schatten voneinander scheidet.
Zunächst wurde der erhöhte Chorbereich dem Niveau des übrigen Kirchenraums angepasst, der Basaltboden entfernt und ein heller Gussasphalt eingebracht. Die Kapelle, markiert nur durch ein abgehängtes Metallnetz, platzierten die Architekten an zentraler Stelle im Mittelschiff, an dessen vier Seiten die Urnenwände zehn nischenartige Kabinette bilden.
Wer St. Bartholomäus heute durch das linke Bronzeportal betritt, muss unter der Empore des Seitenschiffs erst einmal innehalten, um sich an das Schummerlicht zu gewöhnen. Beton und Ziegel, so rau wie draußen an der Fassade, verlieren durch das gedämpfte Licht ihre spröde Kargheit. Auch wirkt der Raum trotz seiner Höhe sehr intim. Es sind die von Giselbert Hoke nach Motiven des Sonnengesangs des Heiligen Franziskus gestalteten Fenster, die 1978 das ursprüngliche Klarglas ersetzten und den Charakter des Innenraums maßgeblich verändert haben: Sie filtern das Tageslicht so stark, dass es möglich ist, Kunstlicht zur Gliederung und Definition des Raums einzusetzen. Schon im Wettbewerb sahen Kissler + Effgen vor, die Kapelle nur mit einem Metallgewebe einzufassen und die räumliche Gliederung durch den gezielten Einsatz von Licht zu verdeutlichen. Allerdings konnten die Architekten bei der Realisierung dieser Idee auf keinerlei eigene oder fremde Erfahrungen zurückgreifen. Nach intensiver Recherche fand sich ein Ringgewebe aus Bronze (Alphamesh), dessen hochglanzpolierte, goldfarbene Oberfläche sich als so reflektionsstark erwies, dass es bei entsprechender Beleuchtung trotz seiner Netzstruktur als eine ausreichende räumliche Begrenzung wahrgenommen wird. Dank seines relativ geringen Eigengewichts von 3,4 kg/m2 konnte das Gewebe in einer Rahmenkonstruktion mit Stahlseilen auf sehr dezente Weise von dem Primärtragwerk der Kirchendecke abgehängt werden. Mit seinen Abmessungen von 7 x 7 x 11 m (HxBxL) wurde der Kapellenbereich den Proportionen des Mittelschiffs angepasst und bleibt nach oben offen. Darin stehen, in drei Reihen angeordnet und auf den Altar ausgerichtet, die von Schwippert entworfenen Kirchenbänke sowie ein Flügel. An drei Seiten öffnet sich die Kapelle mit einem größeren und zwei sehr schmalen Zugängen zur Umgebung. Zur Kennzeichnung und Stabilisierung sind die Öffnungen im Bronzegewebe mit schmalen Profilen eingefasst. Die Kanten der hängenden Konstruktion wurden lediglich mit einem transparenten Nylonfaden vernäht.
Licht und Schatten
Das Zusammenspiel von Licht und Material haben die Architekten gemeinsam mit arens faulhaber lichtplaner (Köln) an Musterstücken vor Ort getestet. Insgesamt wurden fünf verschiedene Licht-Raum-Szenarien entwickelt. An der Rahmenkonstruktion des Netzes wurden innen wie außen lineare LED-Leuchten montiert, die wegen des sehr kleinen Abstrahlwinkels nur das Gewebe über seine gesamte Höhe gleichmäßig in einem warmen Goldton leuchten lassen. Mit zusätzlichen Strahlern kann der Kapelleninnenraum beleuchtet werden. Während eines Trauergottesdiensts wird das Bronzegewebe von innen angestrahlt, sodass der umgebende Urnenbereich im Dunklen liegt und nicht wahrnehmbar ist. Auch auf dem hellen Estrichboden zeichnet sich die gewünschte räumliche Trennung mit Licht und Schatten deutlich lesbar ab. Während der Beisetzung wird die Kapelle dann so von der äußeren Leuchtenreihe angestrahlt, dass sie von außen kaum mehr einsehbar ist. Dafür reflektiert das Netz das Licht gleichmäßig in den Umgang und die Nischen. Ist die Kirche tagsüber für Besucher geöffnet, wird das Licht so geschaltet, dass das Netz in beiden Richtungen transparent erscheint und das golden schimmernde Material dem gesamten Innenraum eine unaufdringliche Wertigkeit verleiht.
Klarheit und Mysterium
Im Unterschied zu den meisten historischen Kolumbarien ist die Urnenwandanlage in St. Bartholomäus aus Metall. Kissler + Effgen trafen diese Materialwahl nicht zuletzt deswegen, um die geforderte Zahl von 700 Einzel- und 900 Doppelkammern so realisieren zu können, dass die einzelnen Kammern nicht über Kopfhöhe, aber auch nicht zu nah am Boden liegen. Der Stahlkorpus wurde mit einem Messingblech vollkommen bündig bekleidet, dessen vor Ort von Hand brünierte Oberfläche einen warmen, erdigen Ton erhalten hat, der sie deutlich von der ungeschliffenen Substanz der Kirche unterscheidet.
Jede Urnenkammer ziert ein mit dem Kreuzsignet des Pfarrverbunds versehener, goldglänzender Messingknauf. Nach dem Einstellen der Urne dürfen die Angehörigen den nicht mehr benötigten Knauf zum Andenken mitnehmen. An dem Bohrloch, das er verdeckte, wird nach der Beisetzung die Messingplatte zur Kennzeichnung des Grabs befestigt. Sie kann den Wünschen der Angehörigen entsprechend gestaltet werden und bietet auf einer schmalen Konsole Platz für eine Kerze und eine schmale Vase. Im Laufe der Jahre werden die Messingplatten ein zufälliges, sich ständig verdichtendes Muster auf die dunklen Flächen der Grabwände zeichnen. Den Kontrast von brüniertem und poliertem Messing setzen die Architekten auch bei der Gestaltung von Ambo, Osterkerze und Urnenpodest ein; einzig der neue Altar, ein glatter Sichtbetonkorpus greift auf Schwipperts Materialkanon zurück.
Bleiben die Figuren des von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy geschnitzten Kreuzwegs. Angebracht an den Stirnseiten der Grabwände und an zusätzlich aufgestellten Stelen, bilden die Stationen einen Ring um die Kapelle. Die 15. Station, die Jesu Auferstehung darstellt, liegt dem Kapellenausgang gegenüber – ein wohlplatziertes und bedeutsames Detail, das für die Qualität und die Klarheit des Ganzen steht.
Dass es in dieser Klarheit ein Element wie den zentralen Lichtraum gibt, der nicht eindeutig, nicht immer gleich ist, reflektiert auf wunderbare Weise die Überschreitung der Grenzen von Erfahrung, Bewusstsein und Diesseits.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel