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Lichtung im Untergrund
U-Bahn-Zwischengeschoss am Hauptbahnhof in München
Saniert, restrukturiert, optimiert: Mit viel Glas und gutem Licht verwandelten Auer Weber die U-Bahn-Verteilerebene am Münchner Hauptbahnhof vom unterirdischen Schmuddeleck in ein übersichtliches Schmuckstück.
2. November 2014 - Klaus Meyer
Eine Natursteinbekleidung kann schön, aber auch hässlich sein. Auf die in den U-Bahn-Stationen des Münchner Hauptbahnhofs trifft jedoch weder das eine noch das andere zu: Sie ist schlicht und ergreifend das Grauen. In den finstersten Winkeln am Ende der Bahnsteige machen selbst saubere Oberflächen den Eindruck, als seien sie mit einer Tinktur aus altem Frittierfett lackiert worden. Allerdings hat das Grauen, das zur Entstehungszeit der Anlage Anfang der 80er Jahre als Gebot der praktischen Vernunft hoch im Kurs stand (Unempfindlichkeit!), wohl bald ein Ende. Schon jetzt kann man aufatmen, denn seit kurzem präsentiert sich zumindest das weitläufige Entree zur U-Bahn in neuem, gläsernen Design.
Die Sanierungsarbeiten an dem 6 000 m² großen, täglich von rund 200 000 Menschen frequentierten Zwischengeschoss unter dem Bahnhofsplatz dauerten drei Jahre. Da der Raum mit seinen Auf- und Abgängen zur Straßenbahn, zum Bahnhof und zu den U-Bahn-Stationen als zentrale Verteilerebene fungiert, mussten die Arbeiten unter laufendem Betrieb erfolgen. Den Anlass zur Modernisierung gab freilich nicht etwa die Unansehnlichkeit des Ambientes, es waren Schäden an der Bausubstanz, die eine grundlegende Sanierung des 1980 eröffneten Bauwerks erforderten. Da im Laufe der Jahre salzhaltiges Regenwasser zwischen Wand und Decke eingesickert war und an der Stahlbetonhülle des Objekts zu nagen begonnen hatte, mussten v. a. die Gebäudefugen – und zwar auf rund 440 m Länge – instand gesetzt werden. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) als Betreiber und die Münchner Stadtwerke (SWM) als Eigner ergriffen die Gelegenheit beim Schopf und initiierten neben der Renovierung auch die Restrukturierung der Anlage. Innovationsbereitschaft mit Sinn für gute Gestaltung kann man den Unternehmen ohnehin nicht absprechen: Manche Münchner U-Bahnstationen wie »Westfriedhof« oder »Georg-Brauchle-Ring« gelten fast als touristische Sehenswürdigkeit. Die von Allmann Sattler Wappner entworfenen »Stachus Passagen« unter dem Karlsplatz gehören ebenfalls zu den Highlights im Münchner Untergrund.
Von der Budengasse zum Boulevard
Beim Hauptbahnhof-Projekt kam indes ein anderes renommiertes Münchner Architekturbüro zum Zuge: Auer Weber, die 2006 den Wettbewerb zum Neubau des Bahnhofsgebäudes gewonnen hatten und inzwischen mit Vorplanungen zu diesem Mammutvorhaben befasst sind, wurden direkt mit der Neugestaltung des Zwischengeschosses beauftragt. »Der Raum wirkte nicht nur abgenutzt und düster«, erinnert sich Projektleiter Dominik Fahr an seine Eindrücke vor Baubeginn, »durch die konzeptlose Platzierung von Läden im Mittelbereich war er auch verschachtelt und unübersichtlich geworden. Diese mittlere Zone von unnötigen Ein- und Anbauten zu befreien, war unser vordringlichstes Ziel.« Aus diesem naheliegenden Gedanken entwickelte sich schnell die Entwurfsidee der urbanen Straße, eines lebendigen Boulevards mit flankierenden Geschäften und öffentlichen Einrichtungen.
Um den Passanten die Orientierung zu erleichtern, entschieden sich die Planer für eine klare räumliche Trennung von Ladenflächen und sonstigen bahnhofstypischen Angeboten: An der stadtseitigen Ostwand wurden Fahrkartenautomaten, Infovitrinen und Geldautomaten in eine Lichtwand integriert; gegenüber auf der Bahnhofsseite 18 Shops und Gastronomie sowie das neue MVG-Kundencenter platziert. Mit 950 m² wuchs die kommerziell genutzte Fläche im Vergleich zu früher um mehr als das Doppelte. Weil diese Ausweitung mit räumlicher Konzentration, übersichtlicher Gliederung und modernisierter Gestaltung einhergeht, dürften die allermeisten Passanten sie als echten Zugewinn erleben.
Glas in allen Variationen
Gestalterische Qualität ist das Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen, zu deren wichtigsten die Wahl der Werkstoffe zählt. Auer Weber arbeiteten mit verschiedenen: Die Abgänge zur U-Bahn sind mit silberfarbig emaillierten Stahlblechpaneelen bekleidet, den Boden bedecken großformatige, hellgraue Granitplatten, die bestehenden, von ihrer Natursteinummantelung befreiten Stützen werden in Sichtbeton gehüllt; die Fußleisten sind aus eloxiertem Aluminium, die Handläufe aus Stahl, die abgehängte Rasterdecke ebenfalls aus Metall. Der dominierende Werkstoff jedoch, das Material, das wirkt, ist Glas. Es wirkt als Schaufensterfront und Mosaiksteinchen, als transparente Einfassung und transluzente Wand, als glatte Fläche und gefugtes Feld – und darüber hinaus natürlich als robuste, preiswerte, wartungsfreundliche und ästhetisch langlebige, kurz: vernünftige Lösung.
In der Mittelzone, wo die beiden U-Bahn-Abgänge je eine raumhohe gläserne Einfassung erhielten, kann der Werkstoff seine Vorzüge besonders gut ausspielen. »Auf diese Weise entstehen neue Sichtachsen quer durch das Gebäude, was nicht zuletzt die Sicherheit erhöht«, sagt Fahr. Weniger um Sicherheit als um Attraktivität ging es bei dem gläsernen Band, das die Fassade der Ladenzeile bildet. Die geschosshohe, durchgängig transparente Fläche, ermöglicht durch eine pfostenlose Konstruktion, verhilft den Geschäften zu einem edlen Look. Durch die Gestaltungsvorgabe, die Ladenschilder hinter der Glasfassade zu positionieren, wird das einheitliche Erscheinungsbild zusätzlich gestärkt.
Die Ladenfront und die Lichtwand gegenüber stehen in einem spannungsreichen Kontrast zueinander. »Den ursprünglichen Plan, die Ostwand mit Fliesen zu verkleiden, haben wir nach einigen Versuchen aufgegeben«, so Fahr. Die Fläche sei im Vergleich zu der Schaufensterfront zu dunkel und fad gewesen. Man habe nach einer gleichwertigen Lösung gesucht. Und mit der hinterleuchteten Glaswand, in der die Automaten und Vitrinen wie zu schweben scheinen, fand man schließlich einen höchst attraktiven Kontrapunkt. Die Wand verleiht dem Raum auch insofern einen einzigartigen Charakter, als sie im Tagesverlauf ihren Farbton verändert und sogar mit den Passanten interagiert: Bei Aktivität an den Fahrkartenautomaten wechselt der Farbton zur Komplementärfarbe.
Ein Spot auf das exzellente Licht
Überhaupt kommt der von den Lichtplanungsbüros Bartenbach und Vogt & Partner konzipierten Beleuchtung eine besondere Bedeutung zu. Erstmals wurde ein U-Bahn-Zwischengeschoss komplett mit LED-Leuchten ausgestattet: Rund 4 900 in der Rasterdecke integrierte Spots sorgen für eine überaus angenehme, blendfreie Grundbeleuchtung bei deutlich weniger Energiebedarf im Vergleich zu den früher eingesetzten Leuchtstoffröhren. Hinzu kommen Lichtstreifen an den Rolltreppen, LED-Spots an den Handläufen der Treppen sowie aus jeweils 16 LED-Leuchten zusammengesetzte »künstliche Sonnen«, die an den Zugängen zum Zwischengeschoss den Kontrast zwischen dem hellen Tageslicht und dem Kunstlicht im unterirdischen Gebäude mildern sollen. Zusätzlich beleuchtet werden sämtliche Schilder des Leit- und Informationssystems, was eine optimale Lesbarkeit schon von ferne gewährleistet.
Die ingeniöse Beleuchtung und die in weiten Teilen geradezu immateriell wirkende Materialität schaffen einen in Form und Farbe ruhigen Rahmen, in dem sich die Passanten sicher bewegen können, notwendige Informationen schnell erfassen und Service-Angebote problemlos finden. Mehr wäre in dem relativ niedrigen Raum zu viel gewesen. Doch trotz der optimierten Aufenthaltsqualität bleibt der Bereich natürlich ein Durchgangsraum, aus dem es einen nach einer Weile wieder zurück ins Freie zieht. Auf der Rolltreppe gibt es Gelegenheit, die Arbeit der Architekten ein letztes Mal zu würdigen: Die Wände sind mit weißen Glasmosaiksteinchen bekleidet – das Grauen von früher hat sich in ein kleines Alltagsglück verwandelt.
Die Sanierungsarbeiten an dem 6 000 m² großen, täglich von rund 200 000 Menschen frequentierten Zwischengeschoss unter dem Bahnhofsplatz dauerten drei Jahre. Da der Raum mit seinen Auf- und Abgängen zur Straßenbahn, zum Bahnhof und zu den U-Bahn-Stationen als zentrale Verteilerebene fungiert, mussten die Arbeiten unter laufendem Betrieb erfolgen. Den Anlass zur Modernisierung gab freilich nicht etwa die Unansehnlichkeit des Ambientes, es waren Schäden an der Bausubstanz, die eine grundlegende Sanierung des 1980 eröffneten Bauwerks erforderten. Da im Laufe der Jahre salzhaltiges Regenwasser zwischen Wand und Decke eingesickert war und an der Stahlbetonhülle des Objekts zu nagen begonnen hatte, mussten v. a. die Gebäudefugen – und zwar auf rund 440 m Länge – instand gesetzt werden. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) als Betreiber und die Münchner Stadtwerke (SWM) als Eigner ergriffen die Gelegenheit beim Schopf und initiierten neben der Renovierung auch die Restrukturierung der Anlage. Innovationsbereitschaft mit Sinn für gute Gestaltung kann man den Unternehmen ohnehin nicht absprechen: Manche Münchner U-Bahnstationen wie »Westfriedhof« oder »Georg-Brauchle-Ring« gelten fast als touristische Sehenswürdigkeit. Die von Allmann Sattler Wappner entworfenen »Stachus Passagen« unter dem Karlsplatz gehören ebenfalls zu den Highlights im Münchner Untergrund.
Von der Budengasse zum Boulevard
Beim Hauptbahnhof-Projekt kam indes ein anderes renommiertes Münchner Architekturbüro zum Zuge: Auer Weber, die 2006 den Wettbewerb zum Neubau des Bahnhofsgebäudes gewonnen hatten und inzwischen mit Vorplanungen zu diesem Mammutvorhaben befasst sind, wurden direkt mit der Neugestaltung des Zwischengeschosses beauftragt. »Der Raum wirkte nicht nur abgenutzt und düster«, erinnert sich Projektleiter Dominik Fahr an seine Eindrücke vor Baubeginn, »durch die konzeptlose Platzierung von Läden im Mittelbereich war er auch verschachtelt und unübersichtlich geworden. Diese mittlere Zone von unnötigen Ein- und Anbauten zu befreien, war unser vordringlichstes Ziel.« Aus diesem naheliegenden Gedanken entwickelte sich schnell die Entwurfsidee der urbanen Straße, eines lebendigen Boulevards mit flankierenden Geschäften und öffentlichen Einrichtungen.
Um den Passanten die Orientierung zu erleichtern, entschieden sich die Planer für eine klare räumliche Trennung von Ladenflächen und sonstigen bahnhofstypischen Angeboten: An der stadtseitigen Ostwand wurden Fahrkartenautomaten, Infovitrinen und Geldautomaten in eine Lichtwand integriert; gegenüber auf der Bahnhofsseite 18 Shops und Gastronomie sowie das neue MVG-Kundencenter platziert. Mit 950 m² wuchs die kommerziell genutzte Fläche im Vergleich zu früher um mehr als das Doppelte. Weil diese Ausweitung mit räumlicher Konzentration, übersichtlicher Gliederung und modernisierter Gestaltung einhergeht, dürften die allermeisten Passanten sie als echten Zugewinn erleben.
Glas in allen Variationen
Gestalterische Qualität ist das Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen, zu deren wichtigsten die Wahl der Werkstoffe zählt. Auer Weber arbeiteten mit verschiedenen: Die Abgänge zur U-Bahn sind mit silberfarbig emaillierten Stahlblechpaneelen bekleidet, den Boden bedecken großformatige, hellgraue Granitplatten, die bestehenden, von ihrer Natursteinummantelung befreiten Stützen werden in Sichtbeton gehüllt; die Fußleisten sind aus eloxiertem Aluminium, die Handläufe aus Stahl, die abgehängte Rasterdecke ebenfalls aus Metall. Der dominierende Werkstoff jedoch, das Material, das wirkt, ist Glas. Es wirkt als Schaufensterfront und Mosaiksteinchen, als transparente Einfassung und transluzente Wand, als glatte Fläche und gefugtes Feld – und darüber hinaus natürlich als robuste, preiswerte, wartungsfreundliche und ästhetisch langlebige, kurz: vernünftige Lösung.
In der Mittelzone, wo die beiden U-Bahn-Abgänge je eine raumhohe gläserne Einfassung erhielten, kann der Werkstoff seine Vorzüge besonders gut ausspielen. »Auf diese Weise entstehen neue Sichtachsen quer durch das Gebäude, was nicht zuletzt die Sicherheit erhöht«, sagt Fahr. Weniger um Sicherheit als um Attraktivität ging es bei dem gläsernen Band, das die Fassade der Ladenzeile bildet. Die geschosshohe, durchgängig transparente Fläche, ermöglicht durch eine pfostenlose Konstruktion, verhilft den Geschäften zu einem edlen Look. Durch die Gestaltungsvorgabe, die Ladenschilder hinter der Glasfassade zu positionieren, wird das einheitliche Erscheinungsbild zusätzlich gestärkt.
Die Ladenfront und die Lichtwand gegenüber stehen in einem spannungsreichen Kontrast zueinander. »Den ursprünglichen Plan, die Ostwand mit Fliesen zu verkleiden, haben wir nach einigen Versuchen aufgegeben«, so Fahr. Die Fläche sei im Vergleich zu der Schaufensterfront zu dunkel und fad gewesen. Man habe nach einer gleichwertigen Lösung gesucht. Und mit der hinterleuchteten Glaswand, in der die Automaten und Vitrinen wie zu schweben scheinen, fand man schließlich einen höchst attraktiven Kontrapunkt. Die Wand verleiht dem Raum auch insofern einen einzigartigen Charakter, als sie im Tagesverlauf ihren Farbton verändert und sogar mit den Passanten interagiert: Bei Aktivität an den Fahrkartenautomaten wechselt der Farbton zur Komplementärfarbe.
Ein Spot auf das exzellente Licht
Überhaupt kommt der von den Lichtplanungsbüros Bartenbach und Vogt & Partner konzipierten Beleuchtung eine besondere Bedeutung zu. Erstmals wurde ein U-Bahn-Zwischengeschoss komplett mit LED-Leuchten ausgestattet: Rund 4 900 in der Rasterdecke integrierte Spots sorgen für eine überaus angenehme, blendfreie Grundbeleuchtung bei deutlich weniger Energiebedarf im Vergleich zu den früher eingesetzten Leuchtstoffröhren. Hinzu kommen Lichtstreifen an den Rolltreppen, LED-Spots an den Handläufen der Treppen sowie aus jeweils 16 LED-Leuchten zusammengesetzte »künstliche Sonnen«, die an den Zugängen zum Zwischengeschoss den Kontrast zwischen dem hellen Tageslicht und dem Kunstlicht im unterirdischen Gebäude mildern sollen. Zusätzlich beleuchtet werden sämtliche Schilder des Leit- und Informationssystems, was eine optimale Lesbarkeit schon von ferne gewährleistet.
Die ingeniöse Beleuchtung und die in weiten Teilen geradezu immateriell wirkende Materialität schaffen einen in Form und Farbe ruhigen Rahmen, in dem sich die Passanten sicher bewegen können, notwendige Informationen schnell erfassen und Service-Angebote problemlos finden. Mehr wäre in dem relativ niedrigen Raum zu viel gewesen. Doch trotz der optimierten Aufenthaltsqualität bleibt der Bereich natürlich ein Durchgangsraum, aus dem es einen nach einer Weile wieder zurück ins Freie zieht. Auf der Rolltreppe gibt es Gelegenheit, die Arbeit der Architekten ein letztes Mal zu würdigen: Die Wände sind mit weißen Glasmosaiksteinchen bekleidet – das Grauen von früher hat sich in ein kleines Alltagsglück verwandelt.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel