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Wehrhaft und durchlässig
Büro- und Wohnturm in Wil (CH
Richtig idyllisch ist die Schweiz in den Landstrichen am Bodensee nicht. Viele Gewerbebetriebe zeugen vom industriellen Fleiß der Bewohner. Der Ort Wil-Rickenbach im Kanton St. Gallen macht hier keine Ausnahme, doch die Nachbarschaft und die Lage des Büro- und Wohnturms sind selbst in dieser Gegend sehr speziell.
30. November 2014 - Dagmar Ruhnau
Der Neubau steht an einer von Gewerbebauten gesäumten Straße, die aus Wil herausführt: Autohäuser, Einrichtungsmärkte und Bürobauten in unregelmäßiger Größe und Anordnung prägen die Umgebung. Hinter einer Mauer aus betongefüllten Stahlkassetten erstrecken sich Wiesen, auf denen Pflöcke künftige Einfamilienhausgrundstücke markieren. Diese Flächen gehörten zum Besitz von Eberle Mühlen, dem Bauherrn unseres Neubaus. Die Ausfallstraße führt recht schnell in die Landschaft, rechts und links öffnen sich plötzlich Blicke auf Berge und weite hügelige Wiesen. Den größten Kontrast bietet allerdings die unmittelbare vertikale Umgebung des Gebäudes: Während sich an seinem Fuß mit dem Mühleweiher eine kleine Idylle eröffnet – wenn auch v. a. optisch –, brettern sechs Geschosse weiter oben Lkw und Autos über den Viadukt einer überregionalen Hauptstraße.
»Dieser Ort hat uns natürlich sehr gereizt«, sagt Patric Furrer, einer der beiden Inhaber des 2008 gegründeten Zürcher Architekturbüros Furrer Jud. Der Auftrag war erst der dritte für die jungen Architekten und kam durch Vermittlung der Tochter des Bauherrn zustande, nachdem drei andere Büros unbefriedigende Entwürfe geliefert hatten. Die Planung erstreckte sich über ca. drei Jahre; dabei entstanden rund 50 Volumenmodelle des Baus – und ein intensives und vertrauensvolles Verhältnis mit dem Bauherrn, der zunächst lieber einen »normalen«, d. h. rechtwinkligen Grundriss zwecks Flächenmaximierung gehabt hätte statt des minutiös ans Gelände und an den Bestand angepassten Gebäudes.
Gedreht und gewendet
Ursprünglich stand an dieser Stelle ein 25 m hoher Betonturm als Getreidesilo, fast zeitgleich mit der Hochstraße in den 60er Jahren für die Mühlengesellschaft errichtet. Dessen Grundmauern im Hang erhielten die Architekten und erweiterten sie in zwei Richtungen, die Eckpunkte nahmen sie auf und führten sie als wahrnehmbare Knicke in der Fassade und im Grundriss nach oben. Im Gegensatz zu dem vormals fast fensterlosen, sich rigide nach oben streckenden Turm wollten sie jedoch in intensiven Dialog mit der Umgebung treten. Das ist ihnen gelungen – jedes Geschoss reagiert auf eigene Weise auf die Einflüsse sowohl aus der horizontalen Richtung als auch aus der Vertikalen, woraus sich ein differenzierter Baukörper entwickelt hat. Umhüllt sind die Volumina mit einer Fassade aus Titanzinkblechen auf einer Unterkonstruktion aus Trapezblech. Die beabsichtigte (und erreichte) Wirkung war die eines Panzers gegenüber der unwirtlichen Umgebung. Doch es ist viel mehr: Landmarke, abwechslungsreiche Architektur, vielleicht Initialzündung. Immerhin gab es eine rege Nachfrage von Mietinteressenten sowohl für die Wohnung als auch für die Büros. Die ca. 2,5 x 0,36 m großen Bleche glänzen zwar nicht mehr wie zu Anfang, doch bilden sie bei Sonnenschein immer noch eine edel wirkende, leicht bewegte Hülle. Sie passen sich in ihrer Farbigkeit exzellent ihrer Umgebung an – sei es an die horizontal gegliederten Bleche des Autohauses, sei es an die hellgraue Faserzementverkleidung des Nachbargebäudes oder sogar an das ruppig-schmutzige Wellblech der Postumschlagbasis noch ein Grundstück weiter. »Unser Ziel war ein industrielles Gebäude in einer industriellen Umgebung«, erläutert Patric Furrer. Und mit der Umsetzung sind die Architekten auch nach einem Dreivierteljahr noch »sehr zufrieden«. Ein Aspekt allerdings könnte durchaus weniger »umfeldorientiert« sein: Die großflächige, geschlossene Seitenwand des Turms Richtung Hochstraße hätte gern leer bleiben können und würde damit mehr Zeichenwirkung entfalten als jetzt, da sie ihrer Bestimmung gemäß mit großen Werbebannern verhängt ist.
Zwischen industriell und gediegen
Die Staffelung des Baukörpers ergab sich auch aus den vorgeschriebenen Höhenbegrenzungen, die sich in den unterschiedlichen Raumhöhen widerspiegelt: Die oberirdischen Büros sind 2,35 m hoch, die UGs und die Wohnung 2,6 m. Die beiden UGs, genutzt als kleinere Büroeinheiten, orientieren sich zum Weiher; ganz unten kann man sogar heraustreten und hat einen kleinen Sitzplatz direkt am Wasser – den Verkehr auf der Brücke weit oben über einem nimmt man tatsächlich kaum wahr. Über diesen beiden Geschossen folgen, erschlossen von der Straßenebene, drei Bürogeschosse, die die gesamte Fläche des Grundstücks einnehmen und (mit wenigen Ausnahmen) durch Knicke auch dessen Grenzen nachzeichnen. Das Treppenhaus ist in einer Ecke des ehemaligen Umrisses angeordnet und trägt dazu bei, die Büros jeweils in eine vordere, zur Straße orientierte, und eine hintere, zum Weiher gerichtete Fläche zu gliedern. Hier bewirkt die Aussicht ins Grün eine ruhige Atmosphäre, bei Sonnenlicht zeigen sich sogar Reflexe vom Wasser an der Decke.
Die Ausstattung ist nüchtern und robust, mit einem Hartbetonboden, weiß gestrichenen Wänden und einfachen weißen Schränken im Eingangsbereich, die als Garderobe, Teeküche und Serverplatz dienen.
Das EG-Büro ist direkt von der Straße zugänglich, alle anderen sind vom Treppenhaus aus zu erreichen, das noch einen separaten, seitlichen Eingang im 1. UG besitzt. Das Treppenhaus führt bis ins 4. OG und bietet hier eine Art Hintereingang für das Highlight des Baus: Die Wohnung sitzt als schlanker, viergeschossiger Turm auf der breiten Basis und ruft den Vorgängerbau in Erinnerung. Mehr als eine Wohnung war im Gewerbegebiet übrigens nicht erlaubt. Der eigentliche Zugang befindet sich im 6. OG, direkt erreichbar mit dem Aufzug. So gelangt man mitten in die Wohnung, ins oberste Wohngeschoss – von hier aus geht es in die eine Richtung nach unten in die privateren Räume, in die andere nach oben auf die Dachterrasse. Interne Verbindung ist eine schöne geschlossene und parkettbelegte Treppe entlang einer Außenwand. Wie es in einem Turm eben so ist, nimmt die Erschließung viel Platz ein, doch andererseits bilden Treppe und Flur einen selbstbewusst großzügigen Bereich. Ein Kern, der Aufzug, Bad und WCs aufnimmt – Letztere mal von der einen, mal von der anderen oder auch von beiden Seiten zugänglich – trennt den Flur vom Wohnbereich und ermöglicht »Rundum-Wohnen«, was der durchgängig verlegte dunkle Parkettboden unterstreicht. Insgesamt ist die Ausstattung der Wohnung minimalistisch, aber gediegen und mit Blick auf heimische Materialien gewählt – die Fensterlaibungen etwa wurden mit Schweizer Lärche ausgekleidet. Im 5. OG, quasi das 1. OG des Wohnturms, dann ein gezielt gesetzter Kontrast: Durch das große Fenster im Flur geht der Blick direkt auf die Brücke, auf der die Lkw vorbeirauschen – die Brüstungshöhe so, dass man sich auf einem Sessel davor setzen und geradezu kontemplativ dem Verkehr zusehen könnte, zu hören ist er nämlich kaum. Die Bewohner fühlen sich durch die Nähe des Verkehrs nicht gestört, im Gegenteil: »Wir haben schon gern, dass etwas los ist, wo wir wohnen«, kommentieren sie die Frage. Das ist insbesondere im Geschoss darüber der Fall: Zwei gegenüberliegende Fenster holen auf der einen Seite die Hochstraße und auf der anderen die riesigen Leuchtbuchstaben des Autohändlers ins Wohnzimmer – und dahinter gleich die weite Landschaft. Die eine weitere Etage höher tatsächlich die Atmosphäre bestimmt: Denn die Dachterrasse haben die Architekten weg von der lauten Straße und hin zur Aussicht gedreht. Ein Übriges tun die hohen Gräser, mit denen die Bewohner, selbst Landschaftsgärtner, die Terrasse bepflanzt haben. Die Vertikalen der Dachterrasse sollten ursprünglich wie die restliche Fassade mit Titanzinkblech gestaltet werden, doch entschieden sich die Architekten dann doch lieber für grau gestrichenes Holz – einerseits ist es wärmer und einladender, insbesondere auf der Überfahrt des Aufzugs, die hier als Sonnenbank ausgebildet ist, andererseits bietet es in diesem Bereich noch einmal eine neue, andere Materialqualität.
»Dieser Ort hat uns natürlich sehr gereizt«, sagt Patric Furrer, einer der beiden Inhaber des 2008 gegründeten Zürcher Architekturbüros Furrer Jud. Der Auftrag war erst der dritte für die jungen Architekten und kam durch Vermittlung der Tochter des Bauherrn zustande, nachdem drei andere Büros unbefriedigende Entwürfe geliefert hatten. Die Planung erstreckte sich über ca. drei Jahre; dabei entstanden rund 50 Volumenmodelle des Baus – und ein intensives und vertrauensvolles Verhältnis mit dem Bauherrn, der zunächst lieber einen »normalen«, d. h. rechtwinkligen Grundriss zwecks Flächenmaximierung gehabt hätte statt des minutiös ans Gelände und an den Bestand angepassten Gebäudes.
Gedreht und gewendet
Ursprünglich stand an dieser Stelle ein 25 m hoher Betonturm als Getreidesilo, fast zeitgleich mit der Hochstraße in den 60er Jahren für die Mühlengesellschaft errichtet. Dessen Grundmauern im Hang erhielten die Architekten und erweiterten sie in zwei Richtungen, die Eckpunkte nahmen sie auf und führten sie als wahrnehmbare Knicke in der Fassade und im Grundriss nach oben. Im Gegensatz zu dem vormals fast fensterlosen, sich rigide nach oben streckenden Turm wollten sie jedoch in intensiven Dialog mit der Umgebung treten. Das ist ihnen gelungen – jedes Geschoss reagiert auf eigene Weise auf die Einflüsse sowohl aus der horizontalen Richtung als auch aus der Vertikalen, woraus sich ein differenzierter Baukörper entwickelt hat. Umhüllt sind die Volumina mit einer Fassade aus Titanzinkblechen auf einer Unterkonstruktion aus Trapezblech. Die beabsichtigte (und erreichte) Wirkung war die eines Panzers gegenüber der unwirtlichen Umgebung. Doch es ist viel mehr: Landmarke, abwechslungsreiche Architektur, vielleicht Initialzündung. Immerhin gab es eine rege Nachfrage von Mietinteressenten sowohl für die Wohnung als auch für die Büros. Die ca. 2,5 x 0,36 m großen Bleche glänzen zwar nicht mehr wie zu Anfang, doch bilden sie bei Sonnenschein immer noch eine edel wirkende, leicht bewegte Hülle. Sie passen sich in ihrer Farbigkeit exzellent ihrer Umgebung an – sei es an die horizontal gegliederten Bleche des Autohauses, sei es an die hellgraue Faserzementverkleidung des Nachbargebäudes oder sogar an das ruppig-schmutzige Wellblech der Postumschlagbasis noch ein Grundstück weiter. »Unser Ziel war ein industrielles Gebäude in einer industriellen Umgebung«, erläutert Patric Furrer. Und mit der Umsetzung sind die Architekten auch nach einem Dreivierteljahr noch »sehr zufrieden«. Ein Aspekt allerdings könnte durchaus weniger »umfeldorientiert« sein: Die großflächige, geschlossene Seitenwand des Turms Richtung Hochstraße hätte gern leer bleiben können und würde damit mehr Zeichenwirkung entfalten als jetzt, da sie ihrer Bestimmung gemäß mit großen Werbebannern verhängt ist.
Zwischen industriell und gediegen
Die Staffelung des Baukörpers ergab sich auch aus den vorgeschriebenen Höhenbegrenzungen, die sich in den unterschiedlichen Raumhöhen widerspiegelt: Die oberirdischen Büros sind 2,35 m hoch, die UGs und die Wohnung 2,6 m. Die beiden UGs, genutzt als kleinere Büroeinheiten, orientieren sich zum Weiher; ganz unten kann man sogar heraustreten und hat einen kleinen Sitzplatz direkt am Wasser – den Verkehr auf der Brücke weit oben über einem nimmt man tatsächlich kaum wahr. Über diesen beiden Geschossen folgen, erschlossen von der Straßenebene, drei Bürogeschosse, die die gesamte Fläche des Grundstücks einnehmen und (mit wenigen Ausnahmen) durch Knicke auch dessen Grenzen nachzeichnen. Das Treppenhaus ist in einer Ecke des ehemaligen Umrisses angeordnet und trägt dazu bei, die Büros jeweils in eine vordere, zur Straße orientierte, und eine hintere, zum Weiher gerichtete Fläche zu gliedern. Hier bewirkt die Aussicht ins Grün eine ruhige Atmosphäre, bei Sonnenlicht zeigen sich sogar Reflexe vom Wasser an der Decke.
Die Ausstattung ist nüchtern und robust, mit einem Hartbetonboden, weiß gestrichenen Wänden und einfachen weißen Schränken im Eingangsbereich, die als Garderobe, Teeküche und Serverplatz dienen.
Das EG-Büro ist direkt von der Straße zugänglich, alle anderen sind vom Treppenhaus aus zu erreichen, das noch einen separaten, seitlichen Eingang im 1. UG besitzt. Das Treppenhaus führt bis ins 4. OG und bietet hier eine Art Hintereingang für das Highlight des Baus: Die Wohnung sitzt als schlanker, viergeschossiger Turm auf der breiten Basis und ruft den Vorgängerbau in Erinnerung. Mehr als eine Wohnung war im Gewerbegebiet übrigens nicht erlaubt. Der eigentliche Zugang befindet sich im 6. OG, direkt erreichbar mit dem Aufzug. So gelangt man mitten in die Wohnung, ins oberste Wohngeschoss – von hier aus geht es in die eine Richtung nach unten in die privateren Räume, in die andere nach oben auf die Dachterrasse. Interne Verbindung ist eine schöne geschlossene und parkettbelegte Treppe entlang einer Außenwand. Wie es in einem Turm eben so ist, nimmt die Erschließung viel Platz ein, doch andererseits bilden Treppe und Flur einen selbstbewusst großzügigen Bereich. Ein Kern, der Aufzug, Bad und WCs aufnimmt – Letztere mal von der einen, mal von der anderen oder auch von beiden Seiten zugänglich – trennt den Flur vom Wohnbereich und ermöglicht »Rundum-Wohnen«, was der durchgängig verlegte dunkle Parkettboden unterstreicht. Insgesamt ist die Ausstattung der Wohnung minimalistisch, aber gediegen und mit Blick auf heimische Materialien gewählt – die Fensterlaibungen etwa wurden mit Schweizer Lärche ausgekleidet. Im 5. OG, quasi das 1. OG des Wohnturms, dann ein gezielt gesetzter Kontrast: Durch das große Fenster im Flur geht der Blick direkt auf die Brücke, auf der die Lkw vorbeirauschen – die Brüstungshöhe so, dass man sich auf einem Sessel davor setzen und geradezu kontemplativ dem Verkehr zusehen könnte, zu hören ist er nämlich kaum. Die Bewohner fühlen sich durch die Nähe des Verkehrs nicht gestört, im Gegenteil: »Wir haben schon gern, dass etwas los ist, wo wir wohnen«, kommentieren sie die Frage. Das ist insbesondere im Geschoss darüber der Fall: Zwei gegenüberliegende Fenster holen auf der einen Seite die Hochstraße und auf der anderen die riesigen Leuchtbuchstaben des Autohändlers ins Wohnzimmer – und dahinter gleich die weite Landschaft. Die eine weitere Etage höher tatsächlich die Atmosphäre bestimmt: Denn die Dachterrasse haben die Architekten weg von der lauten Straße und hin zur Aussicht gedreht. Ein Übriges tun die hohen Gräser, mit denen die Bewohner, selbst Landschaftsgärtner, die Terrasse bepflanzt haben. Die Vertikalen der Dachterrasse sollten ursprünglich wie die restliche Fassade mit Titanzinkblech gestaltet werden, doch entschieden sich die Architekten dann doch lieber für grau gestrichenes Holz – einerseits ist es wärmer und einladender, insbesondere auf der Überfahrt des Aufzugs, die hier als Sonnenbank ausgebildet ist, andererseits bietet es in diesem Bereich noch einmal eine neue, andere Materialqualität.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel