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Des Mammuts neue Kleider
Heute, Samstag, wird in Lyon das Musée des Confluences eröffnet. Coop Himmelb(l)au verpasste der Naturhistorie am Zusammenfluss zwischen Rhône und Saône eine durchaus zukunftsfähige Montur.
20. Dezember 2014 - Wojciech Czaja
Und plötzlich steht man vor einem Mammut. Das fast vier Meter hohe Tier wurde 1859 bei Bauarbeiten in der Innenstadt gefunden und ist seitdem der größte Stolz Lyons. Das 600 Kilogramm schwere Skelett in der Exposition „Origines, les récits du monde“ ist imposant, keine Frage. Aber noch viel beeindruckender ist das Gebäude, in dem Mammuthus intermedius de Choulans sein neues Zuhause hat: Heute, Samstag, wird das Musée des Confluences nach fast vierjähriger Bauzeit offiziell eröffnet.
Dass es sich bei diesem futuristischen Gebilde in der Form einer auffrisierten, aufgeblasenen Hightech-Amöbe um ein naturhistorisches Museum handelt, sieht man ihm beim besten Willen nicht an. Die Klischeebilder solcher Räumlichkeiten, die einem in den Sinn kommen, schauen anders aus: Holzvertäfelung, knarrender Parkettboden, Vitrinen mit aufgespießten Schmetterlingen.
„Das ist kein unübersichtliches Lager ausgestopfter Tiere, kein reines Storage-Museum, wie das so oft der Fall ist, sondern ein Haus, in dem Wissen und Wissenszusammenhänge vermittelt werden“, sagt Wolf Prix vom Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au. „Und nachdem es etwas Vergleichbares unserer Recherche nach nicht gab, nachdem wir auf keine typologischen Erfahrungswerte zurückgreifen konnten, mussten wir für diese Art Museum eine vollkommen neue Form finden.“
180 Meter ist es lang, 90 Meter breit und fast 40 Meter hoch. An der Fassade dominieren 14.000 Quadratmeter glasperlengestrahlter Edelstahl, nackter Beton und Glas. Es ist, als würde sich der Bau gegen die A7 stemmen und die stets zu schnell fahrenden Autofahrer mit seiner auffällig rhythmisierten Form, mit seinen wild hinausragenden Trichtern an die Möglichkeit der Geschwindigkeitsreduktion gemahnen. „Der Reiz des Gegenteils“, so Prix.
Unter dem Gebäude, das an einigen Stellen 20, 30 Meter ins himmelblaue Nichts hinauszischt, tun sich aufregende öffentliche Räume auf. An schönen Tagen, wenn nicht gerade der eisige Winterwind unterm Haus durchpfeift, kann man sich bereits die Zukunft imaginieren. Das Wasser, das hier als Reflexionsbecken und indirekte Beleuchtung dient, wird dann wohl als Planschbecken und Abenteuerspielplatz herhalten müssen.
Und rein ins Haus. Den Auftakt macht ein rundum gläsernes Foyer, der sogenannte Kristall. Nicht die Leere wird hier zum Inhalt stilisiert, sondern die Bewegung der Besucherinnen und Besucher. „Anders als meine Freunde Rem und Frank und Zaha“, so Prix in nicht wenig ausschweifenden Gesten, „halte ich nichts vom Void Space. Ich will, dass die Menschen den Raum über Brücken, Rampen und Spiralen ergehen und erfahren können.“
Als wäre der Kristall an seinem höchsten Punkt geschmolzen, fällt ein gläserner Tropfen zu Boden. Die Stahlkonstruktion, die diese räumliche Geste ermöglicht, ist nichts anderes als eine dreidimensionale, mehrachsige Lastabtragung des Daches. Auf diese Weise konnte ein Drittel des Stahls eingespart werden. Rundherum verläuft eine scheinbar schwebende, von oben herabgehängte Spirale, auf der man - Höhenangst ausgeschlossen - den Weg vom ersten in den zweiten Stock beschreiten kann. „Das ist das intensivste und komplexeste Gebäude, das wir je gebaut haben“, wird Prix später sagen. 37 unterschiedliche Geometrien knallen hier aufeinander.
Bei den Ausstellungsräumen selbst handelt es sich um schlichte Black Boxes, die wie in einer gründerzeitlichen Wohnung links und rechts entlang eines breiten Ganges aufgefädelt sind. Große Zahlen deuten einem den Weg ins Innerste, zum Mammut und all seinen ausgestorbenen Zeitgenossen. Die meisten Tiere werden in einer Art und Weise inszeniert (Corian, Stahl, Gitterkäfige, Rampen, Glaskästen und dramatische LED-Beleuchtung), als handle es sich dabei um teure Konsumobjekte, um Schmuck und Ferraris.
„Wir haben die Räume so gestaltet und so organisiert, dass sie laufend temporär bespielt werden können“, erklärt Projektleiter Markus Prossnigg. „Sobald eine Ausstellung ab- und wieder neu aufgebaut wird, schließt man einfach den Zugang, und der Rest des Museums bleibt intakt.“ Mehrere Lastenlifte, die vom Keller hochfahren, ermöglichen einen getrennten Zugang.
„Das ist mehr als nur ein klassisches Museum“, sagt Direktorin Hélène Lafont-Couturier. „Üblicherweise wird Geschichte entsprechend rückwärtsgewandt erzählt. Hier nicht. Hier verschmelzen Natur und Architektur zu einer neuen Geschichte, die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft erzählt.“ Nur den Fingerprint als Eintrittskarte in die einzelnen Ausstellungssäle, den sich Prix gewünscht hatte, musste man vorerst noch ad acta legen. „Wer weiß, vielleicht beim ersten Relaunch?“
Vom Stiegenhaus im zweiten Stock, nicht weit von Mammuts neuer Heimstätte entfernt, blickt man direkt auf jenen Punkt, an dem sich die beiden Flüsse Rhône und Saône am Ende der Lyoner Halbinsel vereinen. Damit ist auch das Rätsel um den geheimnisvollen Namen Musée des Confluences, Museum der Zusammenflüsse, gelüftet. Von der Dachterrasse, auf der die darunterliegenden Räume wie stählerne Schuppen und Warzen nach oben ragen, sieht man sogar auf die Lyoner Innenstadt und die schneeweiße Basilika Nôtre Dame de Fourvière.
Das 170 Millionen Euro teure Projekt ist damit Auftakt eines Stadtentwicklungsgebiets, in dem in den kommenden Jahren noch viele Wohn- und Bürobauten folgen sollen. Bis vor kurzem war Perrache trotz seiner spektakulären Lage und Nähe zur historischen Innenstadt eine Industriebrache mit Fabriken, Lagerhallen und Gleisanlagen. Heute erwacht es mit neuen, teils sehr bunten Einsprengseln von Odile Decq, Christian de Portzamparc und Jakob+MacFarlane Architectes zu neuem Leben. Damit ebnet die Naturhistorie der urbanen Zukunft den Weg.
Die Reise erfolgte auf Einladung von Coop Himmelb(l)au.
Dass es sich bei diesem futuristischen Gebilde in der Form einer auffrisierten, aufgeblasenen Hightech-Amöbe um ein naturhistorisches Museum handelt, sieht man ihm beim besten Willen nicht an. Die Klischeebilder solcher Räumlichkeiten, die einem in den Sinn kommen, schauen anders aus: Holzvertäfelung, knarrender Parkettboden, Vitrinen mit aufgespießten Schmetterlingen.
„Das ist kein unübersichtliches Lager ausgestopfter Tiere, kein reines Storage-Museum, wie das so oft der Fall ist, sondern ein Haus, in dem Wissen und Wissenszusammenhänge vermittelt werden“, sagt Wolf Prix vom Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au. „Und nachdem es etwas Vergleichbares unserer Recherche nach nicht gab, nachdem wir auf keine typologischen Erfahrungswerte zurückgreifen konnten, mussten wir für diese Art Museum eine vollkommen neue Form finden.“
180 Meter ist es lang, 90 Meter breit und fast 40 Meter hoch. An der Fassade dominieren 14.000 Quadratmeter glasperlengestrahlter Edelstahl, nackter Beton und Glas. Es ist, als würde sich der Bau gegen die A7 stemmen und die stets zu schnell fahrenden Autofahrer mit seiner auffällig rhythmisierten Form, mit seinen wild hinausragenden Trichtern an die Möglichkeit der Geschwindigkeitsreduktion gemahnen. „Der Reiz des Gegenteils“, so Prix.
Unter dem Gebäude, das an einigen Stellen 20, 30 Meter ins himmelblaue Nichts hinauszischt, tun sich aufregende öffentliche Räume auf. An schönen Tagen, wenn nicht gerade der eisige Winterwind unterm Haus durchpfeift, kann man sich bereits die Zukunft imaginieren. Das Wasser, das hier als Reflexionsbecken und indirekte Beleuchtung dient, wird dann wohl als Planschbecken und Abenteuerspielplatz herhalten müssen.
Und rein ins Haus. Den Auftakt macht ein rundum gläsernes Foyer, der sogenannte Kristall. Nicht die Leere wird hier zum Inhalt stilisiert, sondern die Bewegung der Besucherinnen und Besucher. „Anders als meine Freunde Rem und Frank und Zaha“, so Prix in nicht wenig ausschweifenden Gesten, „halte ich nichts vom Void Space. Ich will, dass die Menschen den Raum über Brücken, Rampen und Spiralen ergehen und erfahren können.“
Als wäre der Kristall an seinem höchsten Punkt geschmolzen, fällt ein gläserner Tropfen zu Boden. Die Stahlkonstruktion, die diese räumliche Geste ermöglicht, ist nichts anderes als eine dreidimensionale, mehrachsige Lastabtragung des Daches. Auf diese Weise konnte ein Drittel des Stahls eingespart werden. Rundherum verläuft eine scheinbar schwebende, von oben herabgehängte Spirale, auf der man - Höhenangst ausgeschlossen - den Weg vom ersten in den zweiten Stock beschreiten kann. „Das ist das intensivste und komplexeste Gebäude, das wir je gebaut haben“, wird Prix später sagen. 37 unterschiedliche Geometrien knallen hier aufeinander.
Bei den Ausstellungsräumen selbst handelt es sich um schlichte Black Boxes, die wie in einer gründerzeitlichen Wohnung links und rechts entlang eines breiten Ganges aufgefädelt sind. Große Zahlen deuten einem den Weg ins Innerste, zum Mammut und all seinen ausgestorbenen Zeitgenossen. Die meisten Tiere werden in einer Art und Weise inszeniert (Corian, Stahl, Gitterkäfige, Rampen, Glaskästen und dramatische LED-Beleuchtung), als handle es sich dabei um teure Konsumobjekte, um Schmuck und Ferraris.
„Wir haben die Räume so gestaltet und so organisiert, dass sie laufend temporär bespielt werden können“, erklärt Projektleiter Markus Prossnigg. „Sobald eine Ausstellung ab- und wieder neu aufgebaut wird, schließt man einfach den Zugang, und der Rest des Museums bleibt intakt.“ Mehrere Lastenlifte, die vom Keller hochfahren, ermöglichen einen getrennten Zugang.
„Das ist mehr als nur ein klassisches Museum“, sagt Direktorin Hélène Lafont-Couturier. „Üblicherweise wird Geschichte entsprechend rückwärtsgewandt erzählt. Hier nicht. Hier verschmelzen Natur und Architektur zu einer neuen Geschichte, die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft erzählt.“ Nur den Fingerprint als Eintrittskarte in die einzelnen Ausstellungssäle, den sich Prix gewünscht hatte, musste man vorerst noch ad acta legen. „Wer weiß, vielleicht beim ersten Relaunch?“
Vom Stiegenhaus im zweiten Stock, nicht weit von Mammuts neuer Heimstätte entfernt, blickt man direkt auf jenen Punkt, an dem sich die beiden Flüsse Rhône und Saône am Ende der Lyoner Halbinsel vereinen. Damit ist auch das Rätsel um den geheimnisvollen Namen Musée des Confluences, Museum der Zusammenflüsse, gelüftet. Von der Dachterrasse, auf der die darunterliegenden Räume wie stählerne Schuppen und Warzen nach oben ragen, sieht man sogar auf die Lyoner Innenstadt und die schneeweiße Basilika Nôtre Dame de Fourvière.
Das 170 Millionen Euro teure Projekt ist damit Auftakt eines Stadtentwicklungsgebiets, in dem in den kommenden Jahren noch viele Wohn- und Bürobauten folgen sollen. Bis vor kurzem war Perrache trotz seiner spektakulären Lage und Nähe zur historischen Innenstadt eine Industriebrache mit Fabriken, Lagerhallen und Gleisanlagen. Heute erwacht es mit neuen, teils sehr bunten Einsprengseln von Odile Decq, Christian de Portzamparc und Jakob+MacFarlane Architectes zu neuem Leben. Damit ebnet die Naturhistorie der urbanen Zukunft den Weg.
Die Reise erfolgte auf Einladung von Coop Himmelb(l)au.
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