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Zwei Betten, eine Wiege, ein Sarg
Zwei Architekturausstellungen, zwei Welten. Das Museum für angewandte Kunst zeigt verschlungene Wege zur Moderne, das Architekturzentrum Wien wirbt für Isay Weinfeld und seinen Hochhausentwurf am Wiener Eislaufverein.
20. Dezember 2014 - Christian Kühn
Auch ich bin schöpferisch, ich schöpfe Verdacht. So lautet einer der bekannten Aphorismen aus Oswald Wieners Roman „Die Verbesserung von Mitteleuropa“. Er findet sich als Zitat im Katalog zur aktuellen Ausstellung „Wege der Moderne – Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen“ im Wiener Museum für angewandte Kunst.
Dass diesen beiden Antipoden der österreichischen Kulturgeschichte erst jetzt zum ersten Mal eine große gemeinsame Ausstellung gewidmet wird, ist bemerkenswert. Überall Verdacht geschöpft, also radikaleKulturkritik betrieben, hat nur einer von beiden, Adolf Loos. Zur Verbesserung Mitteleuropas, das damals noch schlicht Österreich hieß, brachte er 1903 eine eigene Zeitschrift heraus: „Das Andere. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“.
Darin findet sich die berühmte Geschichte vom Sattlermeister, dem eingeredet wird, seine Sättel seien nicht mehr modern, weil „ohne Phantasie“ gestaltet. Er wendet sich an die Kunstgewerbeschule, wo sich eine Meisterklasse sofort an den Entwurf zeitgemäßer Sättel im Secessionsstil macht. Als dem Sattlermeister die Resultate präsentiert werden, hellt sich seine Miene auf. „Herr Professor! Wenn ich so wenig vom Reiten, vom Pferde, vom Leder und von der Arbeit verstehen würde wie Sie, dann hätte ich auch Ihre Phantasie!“ Und Loos gibt der Geschichte ein glückliches Ende, in dem sein eigenes Ideal guten Designs aufleuchtet: „Er lebt nun glücklich und zufrieden. Und macht Sättel. Moderne? Er weiß es nicht. Sättel.“
Für Loos war eine neue Ästhetik „von oben“, wie sie die von Josef Hoffmann gegründeten Wiener Werkstätten propagierten, unvorstellbar. Das Neue könne man nicht erzwingen, es entstehe von selbst, bedingt durch neue Technologien und neue Bedürfnisse der Benutzer. Loos lehnte – wie Otto Wagner – jeden Stil ab, auch jeden „modernen“. Das hinderte ihn nicht, „Stilmöbel“ in seinen Interieurs zu verwenden, etwa Kopien von Chippendale-Sesseln in den Speisezimmern. Das Sitzen „bei Tisch“ hätte sich seit 300 Jahren nicht verändert. Für das Sitzen im Kaffeehaus entwarf Loos dagegen eigene Sesseltypen aus Bugholz, oder genauer: Er kombinierte die Elemente mehrerer vorhandener zu einem neuen Typ.
Hoffmann verstand sich dagegen als schöpferischer Künstler im klassischen Sinn. Seine Produktivität war enorm, sowohl als Designer als auch als Architekt. Allein für das Palais Stoclet in Brüssel, ein Hauptwerk der frühen Moderne, existieren tausende Zeichnungen. Die Anzahl seiner Entwürfe für Stoffe, Geschirr und Möbel geht in die Hunderte. Er war nach Otto Wagner bis in die 1920er-Jahre mit Abstand der renommierteste österreichische Architekt, nicht zuletzt durch prestigeträchtige Projekte im Ausland, etwa dem Pavillon für die Kunstgewerbeausstellung in Paris 1925.
Die Ausstellung im MAK stellt die Auseinandersetzung zwischen Loos und Hoffmann in einen breiteren historischen Kontext, der vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Es ist ihr Verdienst, das 19. Jahrhundert nicht als Zeitalter des schlechten Massengeschmacks zu denunzieren, sondern als ersten Versuch einer Kultur der Massengesellschaft darzustellen. Das MAK kann diese Darstellung zum größten Teil aus eigenen Beständen bespielen, bis hin zu Goldrahmen aus Papiermaché und Perserteppichen in Prägetechnik. Die enormeAnzahl an Exponaten ist in diesem Fall berechtigt, weil sie vermittelt, dass diese Massenkultur in die Krise kommen musste.
Auch den Reaktionen darauf wird breiter Raum gegeben. Otto Wagner als erste zentrale Figur ist mit Großstadtentwürfen und Möbeln vertreten, in denen die „Phantasie“ durch ein Verständnis für Material und Herstellung auf der Höhe des industriellen Zeitalters kultiviert ist. Vorbei an der 1:1-Rekonstruktion einer Geschäftsfassade Wagners, des Depeschenbüros „Die Zeit“ aus blitzendem Aluminium, geht es weiter in den zentralen Raum, in dem die ästhetischen Welten von Loos und Hoffmann gegeneinander in Stellung gebracht werden. Als Referenzobjekte dienen hier zwei Schlafzimmer: die Rekonstruktion des mit weißen Angorafellen und blauem Spannteppich ausgelegten, das Loos 1903 in seiner eigenen Wohnung einrichtete und unter dem Titel „Das Schlafzimmer meiner Frau“ publizierte, und ein im Quadratraster diszipliniertes aus dunklem Holz von Josef Hoffmann. Um diese zentrale Szene herum platziert finden sich Modelle und Pläne der Hauptwerke von Loos und Hoffmann sowie Werke befreundeter Künstler, wie etwa Kokoschka auf der einen und Klimt auf der anderen Seite.
Damit hat der Besucher erst zwei Drittel der Ausstellung abgeschritten, die danach noch Werke aus dem Umfeld der beiden Hauptfiguren zeigt, etwa von Josef Frank und Grete Schütte-Lihotzky, und dann in die Gegenwart überleitet. Michael Embachers Ausstellungsgestaltung lässt den Objekten trotz der Fülle des Materials viel Raum, man fühlt sich nirgendwo bedrängt, sondern zum Entdecken angeregt. Ähnliches gilt für den hervorragenden Katalog, den die Kuratoren Christian Witt-Döring und Matthias Boeckl mit zahlreichen Autoren – unter anderem Otto Kapfinger, Ernst Strouhal und Andreas Vass – herausgegeben haben.
Im Sinne einer radikalen Kulturkritik muss man freilich auch bei dieser Ausstellung Verdacht schöpfen. Wird hier nicht mit viel Liebe zum Detail eine österreichische oder besser Wiener Leitkultur weiterkonstruiert, die de facto Vergangenheit ist, so sehr man sich auch bemüht, sie in die Gegenwart scheinen zu lassen? In unsicheren Zeiten könnte das legitim sein, nicht als Nostalgie, sondern als Aufruf, das Reflexionsniveau dem Neuen gegenüber wieder auf eine Höhe zu bringen, wie sie im Konflikt zwischen Loos und Hoffmann erreicht war.
Anlass dafür bietet die zweite diese Woche eröffnete Architekturausstellung, die über den Architekten Isay Weinfeld im Architekturzentrum Wien zu sehen ist. Verdacht zu schöpfen, lohnt sich hier besonders. Weinfeld ist der Architekt des geplanten Hochhauses am Wiener Eislaufverein, dessen Developer die Ausstellung, die zuvor in São Paulo und in New York zu sehen war, nach Wien geholt hat und nun gegen eine großzügige Spende im AzW zeigen darf. Dass diese Ausstellung nicht kritisch sein kann, ist klar. Zumindest müsste sie aber die Voraussetzung für Kritik schaffen, indem sie Weinfelds Projekt umfassend zeigt, inklusive Blick vom Belvedere und Heumarkt, Details der Fassade und einer Renditeberechnung dieses spekulativen Unternehmens, das den Stadtkörper Wiens beschädigen wird wie kaum eines davor.
Stattdessen wird man mit einem Modell des Projekts im Maßstab 1:1000 abgespeist. Der Rest der Ausstellung zeigt einen Architekten, der – in den Begriffen der Loos-Hoffmann-Debatte – Kunstgewerbe für die brasilianische Millionärs-Oberschicht produziert. Auch im Zentrum dieser Ausstellung stehen zwei 1:1 installierte Schlafräume, jeweils mit einer Designer-Wiege und einem Designer-Sarg nach Entwurf von Isay Weinfeld möbliert. Der Architekt als Weltdekorateur, der seine Kunden von der Geburt bis in den Tod begleitet: Das war der Albtraum, gegen den Loos Zeit seines Lebens gekämpft hat. Das poetische Geschwurbel, mit dem Weinfeld seine Projekte begleitet, ist das rhetorische Äquivalent dazu. Hinter diesem Vorhang wächst der Profit.
Dass diesen beiden Antipoden der österreichischen Kulturgeschichte erst jetzt zum ersten Mal eine große gemeinsame Ausstellung gewidmet wird, ist bemerkenswert. Überall Verdacht geschöpft, also radikaleKulturkritik betrieben, hat nur einer von beiden, Adolf Loos. Zur Verbesserung Mitteleuropas, das damals noch schlicht Österreich hieß, brachte er 1903 eine eigene Zeitschrift heraus: „Das Andere. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“.
Darin findet sich die berühmte Geschichte vom Sattlermeister, dem eingeredet wird, seine Sättel seien nicht mehr modern, weil „ohne Phantasie“ gestaltet. Er wendet sich an die Kunstgewerbeschule, wo sich eine Meisterklasse sofort an den Entwurf zeitgemäßer Sättel im Secessionsstil macht. Als dem Sattlermeister die Resultate präsentiert werden, hellt sich seine Miene auf. „Herr Professor! Wenn ich so wenig vom Reiten, vom Pferde, vom Leder und von der Arbeit verstehen würde wie Sie, dann hätte ich auch Ihre Phantasie!“ Und Loos gibt der Geschichte ein glückliches Ende, in dem sein eigenes Ideal guten Designs aufleuchtet: „Er lebt nun glücklich und zufrieden. Und macht Sättel. Moderne? Er weiß es nicht. Sättel.“
Für Loos war eine neue Ästhetik „von oben“, wie sie die von Josef Hoffmann gegründeten Wiener Werkstätten propagierten, unvorstellbar. Das Neue könne man nicht erzwingen, es entstehe von selbst, bedingt durch neue Technologien und neue Bedürfnisse der Benutzer. Loos lehnte – wie Otto Wagner – jeden Stil ab, auch jeden „modernen“. Das hinderte ihn nicht, „Stilmöbel“ in seinen Interieurs zu verwenden, etwa Kopien von Chippendale-Sesseln in den Speisezimmern. Das Sitzen „bei Tisch“ hätte sich seit 300 Jahren nicht verändert. Für das Sitzen im Kaffeehaus entwarf Loos dagegen eigene Sesseltypen aus Bugholz, oder genauer: Er kombinierte die Elemente mehrerer vorhandener zu einem neuen Typ.
Hoffmann verstand sich dagegen als schöpferischer Künstler im klassischen Sinn. Seine Produktivität war enorm, sowohl als Designer als auch als Architekt. Allein für das Palais Stoclet in Brüssel, ein Hauptwerk der frühen Moderne, existieren tausende Zeichnungen. Die Anzahl seiner Entwürfe für Stoffe, Geschirr und Möbel geht in die Hunderte. Er war nach Otto Wagner bis in die 1920er-Jahre mit Abstand der renommierteste österreichische Architekt, nicht zuletzt durch prestigeträchtige Projekte im Ausland, etwa dem Pavillon für die Kunstgewerbeausstellung in Paris 1925.
Die Ausstellung im MAK stellt die Auseinandersetzung zwischen Loos und Hoffmann in einen breiteren historischen Kontext, der vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Es ist ihr Verdienst, das 19. Jahrhundert nicht als Zeitalter des schlechten Massengeschmacks zu denunzieren, sondern als ersten Versuch einer Kultur der Massengesellschaft darzustellen. Das MAK kann diese Darstellung zum größten Teil aus eigenen Beständen bespielen, bis hin zu Goldrahmen aus Papiermaché und Perserteppichen in Prägetechnik. Die enormeAnzahl an Exponaten ist in diesem Fall berechtigt, weil sie vermittelt, dass diese Massenkultur in die Krise kommen musste.
Auch den Reaktionen darauf wird breiter Raum gegeben. Otto Wagner als erste zentrale Figur ist mit Großstadtentwürfen und Möbeln vertreten, in denen die „Phantasie“ durch ein Verständnis für Material und Herstellung auf der Höhe des industriellen Zeitalters kultiviert ist. Vorbei an der 1:1-Rekonstruktion einer Geschäftsfassade Wagners, des Depeschenbüros „Die Zeit“ aus blitzendem Aluminium, geht es weiter in den zentralen Raum, in dem die ästhetischen Welten von Loos und Hoffmann gegeneinander in Stellung gebracht werden. Als Referenzobjekte dienen hier zwei Schlafzimmer: die Rekonstruktion des mit weißen Angorafellen und blauem Spannteppich ausgelegten, das Loos 1903 in seiner eigenen Wohnung einrichtete und unter dem Titel „Das Schlafzimmer meiner Frau“ publizierte, und ein im Quadratraster diszipliniertes aus dunklem Holz von Josef Hoffmann. Um diese zentrale Szene herum platziert finden sich Modelle und Pläne der Hauptwerke von Loos und Hoffmann sowie Werke befreundeter Künstler, wie etwa Kokoschka auf der einen und Klimt auf der anderen Seite.
Damit hat der Besucher erst zwei Drittel der Ausstellung abgeschritten, die danach noch Werke aus dem Umfeld der beiden Hauptfiguren zeigt, etwa von Josef Frank und Grete Schütte-Lihotzky, und dann in die Gegenwart überleitet. Michael Embachers Ausstellungsgestaltung lässt den Objekten trotz der Fülle des Materials viel Raum, man fühlt sich nirgendwo bedrängt, sondern zum Entdecken angeregt. Ähnliches gilt für den hervorragenden Katalog, den die Kuratoren Christian Witt-Döring und Matthias Boeckl mit zahlreichen Autoren – unter anderem Otto Kapfinger, Ernst Strouhal und Andreas Vass – herausgegeben haben.
Im Sinne einer radikalen Kulturkritik muss man freilich auch bei dieser Ausstellung Verdacht schöpfen. Wird hier nicht mit viel Liebe zum Detail eine österreichische oder besser Wiener Leitkultur weiterkonstruiert, die de facto Vergangenheit ist, so sehr man sich auch bemüht, sie in die Gegenwart scheinen zu lassen? In unsicheren Zeiten könnte das legitim sein, nicht als Nostalgie, sondern als Aufruf, das Reflexionsniveau dem Neuen gegenüber wieder auf eine Höhe zu bringen, wie sie im Konflikt zwischen Loos und Hoffmann erreicht war.
Anlass dafür bietet die zweite diese Woche eröffnete Architekturausstellung, die über den Architekten Isay Weinfeld im Architekturzentrum Wien zu sehen ist. Verdacht zu schöpfen, lohnt sich hier besonders. Weinfeld ist der Architekt des geplanten Hochhauses am Wiener Eislaufverein, dessen Developer die Ausstellung, die zuvor in São Paulo und in New York zu sehen war, nach Wien geholt hat und nun gegen eine großzügige Spende im AzW zeigen darf. Dass diese Ausstellung nicht kritisch sein kann, ist klar. Zumindest müsste sie aber die Voraussetzung für Kritik schaffen, indem sie Weinfelds Projekt umfassend zeigt, inklusive Blick vom Belvedere und Heumarkt, Details der Fassade und einer Renditeberechnung dieses spekulativen Unternehmens, das den Stadtkörper Wiens beschädigen wird wie kaum eines davor.
Stattdessen wird man mit einem Modell des Projekts im Maßstab 1:1000 abgespeist. Der Rest der Ausstellung zeigt einen Architekten, der – in den Begriffen der Loos-Hoffmann-Debatte – Kunstgewerbe für die brasilianische Millionärs-Oberschicht produziert. Auch im Zentrum dieser Ausstellung stehen zwei 1:1 installierte Schlafräume, jeweils mit einer Designer-Wiege und einem Designer-Sarg nach Entwurf von Isay Weinfeld möbliert. Der Architekt als Weltdekorateur, der seine Kunden von der Geburt bis in den Tod begleitet: Das war der Albtraum, gegen den Loos Zeit seines Lebens gekämpft hat. Das poetische Geschwurbel, mit dem Weinfeld seine Projekte begleitet, ist das rhetorische Äquivalent dazu. Hinter diesem Vorhang wächst der Profit.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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