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Alles Gute von der MA 2412!
Alle Jahre wieder behängt sich die Stadt mit Tannenreisig. Diese vorweihnachtliche Marketingmaßnahme – Motto: Die wahre Frohbotschaft ist jene über gestiegene Umsätze – beschehrt Wien heuer ein Stadtmöbel der besonderen Art: einen riesigen Adventkranz.
27. November 1999 - Judith Eiblmayr
Noch vier Wochen bis Weihnachten. Wir besinnen uns ob des Advents und beginnen uns auf die entbehrungsreichen Wochen der Fastenzeit einzustellen. Für die Kraftanstrengung zur inneren Einkehr werden wir allerdings im Außenraum visuell belohnt. Die Üppigkeit der Stadt-Bilder, die zum Beispiel in Wien jeden Dezember geboten werden, lassen uns die Strenge des spirituellen Rückzugs ein wenig leichter ertragen. Die Stadt behängt sich – sprich ihre Bauten – mit einem grünen Umhang aus Tannenreisig, stellt dezent rustikale Blockhütten auf und läßt die kahlen Bäume mit Hilfe bunter Herzerl und anderer Attribute der Herzigkeit in buntem Glanz erstrahlen.
Dies wäre eine durchaus nette Geste, stünde sie nicht unter der Schirmherrschaft des Handels, der naheliegenderweise einzig und allein einem Leitspruch folgt, der da heißt: „Leute, kauft! Wir schmücken euch die Stadt, wie ihr wollt, wir bescheren eurem Auge in jedem kleinsten Straßenzug eine kleine Freude, wenn ihr uns nur nicht bei der Bescherung vergeßt.“ Ohne hier moralisieren zu wollen: Die Alterierung über das Weihnachtsgeschäft wäre naiv und realitätsfern, wir wissen alle, daß die wahre Frohbotschaft jene über gestiegene Umsatzprozente ist.
Um im Verkauf froh zu sein, bedarf es allerdings ein wenig mehr, als seine Waren im Schaufenster feilzubieten. Gerade die Wiener City steht in der Adventzeit in einem ausgesprochenen Konkurrenzverhältnis zu wetterunabhängigen Einkaufszentren und versucht verständlicherweise sich durch attraktive Stadteinbauten als Ort des „Event-Shopping“ zu präsentieren. Wer keine geheizten Malls bieten kann, der trumpft dafür mit Superlativen vorweihnachtlicher Volkskulturattribute auf: Sentimentalität hin, Umwegrentabilität her – ein Bild des „größten Adventkranzes der Welt “genügt wahrscheinlich, um via Medien die potentielle Käuferschaft auf den Graben zu locken.
Ein grandioser Werbegag: Endlich kann ein Brunnen sein winterbedingtes zweckloses Herumstehen verleugnen und darf als Sockelbauwerk für ein schleifenbehangenes Adventgebinde Dienst tun! Die Brunnenskulptur ist schnell verschalt und mit Grünzeug beklebt, und oben drauf sitzt turbangleich der krönende Kranz.
Bei genauer Betrachtung des Gebildes zeigt sich jedoch, daß im Zuge der Umsetzung dieses Geistesblitzes der Wiener Kaufmannschaft kleinere statische Probleme aufgetreten sind: Der Brunnen konnte die ihm aufgebürdete Last offensichtlich nicht tragen, und so wurde das Gebinde einfach auf vier pölzende Beine gestellt. Ein wahrer Kunstgriff, der bewirkt, daß der Kranz als solcher nicht mehr wahrnehmbar ist und man eher meint, den weltweit größten (grünen!) Tisch mit der plumpesten Tischplatte vor sich beziehungsweise über sich zu haben. Es ist natürlich nicht fair, bei solch origineller Stadtmöblage die strengen Richtlinien architektonischer Gesetzmäßigkeiten anzulegen, andrerseits sollte – auch im Interesse der Erbauer – ein Mindestmaß an Sensibilität für den umgebenden Stadtraum im Sinne Camillo Sittes sehr wohl gefordert werden. Gerade ein Stück temporäre Architektur muß sich, um akkurat wahrnehmbar zu sein, um eine situationsbezogene Dimensionierung bemühen. Ein zu großes Objekt in einem zu kleinen Umfeld wie dem Wiener Graben kann nur schwer eine attraktivierende Frohbotschaft erzielen.
Um sich den Zwängen einer städtebaulichen Analyse zu entziehen, könnte das Werk auch als eines der Kunst im öffentlichen Raum auslegt werden. Aber selbst in der Sparte der freien Kunst gelten Gesetze bezüglich ihres Wirkungsgrades, die der Kunst- und Kulturphilosoph Boris Groys folgendermaßen definiert: „Kunst im Außenraum steht im urbanen Umfeld und konkurriert mit diesem; sie bildet einen politisch-sozialen, gesellschaftlichen Kommentar, visualisiert und kommentiert den Kontext; sie sensibilisiert den Blick des Betrachters für die Umgebung.“
Der größte Adventkranz der Welt tritt leider etwas zu stark in Konkurrenz mit dem urbanen Umfeld, sodaß er primär eine Sichtbarriere im gewohnten Graben-Blickfeld darstellt. Ob er die ergreifende Visualisierung von „Es weihnachtet sehr!“ zuwege bringt, kann erst nach Entzünden der vier Kerzen beurteilt werden.
Natürlich sollen gestalterische Eingriffe wie dieser nicht mit puristischer Strenge abqualifiziert werden, sie gehören zum (Weihnachts-)Geschäft und tun niemandem wirklich weh. Verwundert ist man nur, wenn man aus Erfahrung weiß, welch wachsames Auge die MA 19 – Stadtgestaltung – auf das Schaffen von Architekten und Architektinnen wirft, um die Stadtbildverträglichkeit eingereichter Planungen zu prüfen, und es drängt sich schon die Frage auf, warum man der „MA 2412 “ (eine schrille ORF-Sitcom über ein fiktives Amt für Weihnachtsdekorationen) ung’schaut alles durchgehen läßt.
Aber – wie wir wissen – Wien ist anders, wie uns der Architekt Günther Feuerstein in seinem Buch „Visionäre Architektur, Wien 1958/1988 “anschaulich darlegt:
Wien ist gleichzeitig eine Stadt der Heiterkeit und der Lebensfreude, und es ist eine Stadt der Zeremonien und der Rituale: Wien ist eine ,katholische‘ Stadt, nicht von einer tief spirituellen Gläubigkeit erfüllt, sondern vor allem von jener Religiosität spanisch-barocker und gegenreformatorischer Prägung, die nur über die Sinnenfreude, auch über den Kitsch, Aberglauben und Paganismus hindurch zur Gläubigkeit findet. Liturgie und Zelebration, Festlichkeit und Gepränge, Augenlust und Pomp haben in Wien Tradition ...“
Und weiter: „Es ist überraschend, wie gerade in dieser Stadt die Gegensätze aufeinanderprallen, Konflikte hervorrufen, oft Ausgleiche bewirken – aber auch ungelöst stehen bleiben oder verdrängt werden: nirgends so virtuos wie Wien.“
Apropos Kitsch und „MA 2412 “:Hier einige Tips aus dem Fachbereich Architektur zum Thema Weihnachtsdekoration: Abgesehen davon, daß durch den Kunst-Adventkalender am Rathaus endlich Licht ins Dunkel der Wiener Ringstraßenarchitektur gebracht wird, könnte so manches Wiener Gebäude ansehnlicher Aufputzträger dienen: der Donauturm als leuchtender Christbaum – welch Erleuchtung; das AKH als aufgemascherltes Geschenkpackerl welch gelungene Masche, um die Weihnachtsbotschaft zu allegorisieren. Ob der rustikalen Gemütlichkeit, die sie den umgebenden nüchternen Stadträumen entgegenhauchen, wäre weiters der flächendeckende Punschhütten-Dorfcharakter anzustreben. Ein Szenario, das uns jetzt schon in ritualistischer Erwartung das Herz erwärmt.
Dies wäre eine durchaus nette Geste, stünde sie nicht unter der Schirmherrschaft des Handels, der naheliegenderweise einzig und allein einem Leitspruch folgt, der da heißt: „Leute, kauft! Wir schmücken euch die Stadt, wie ihr wollt, wir bescheren eurem Auge in jedem kleinsten Straßenzug eine kleine Freude, wenn ihr uns nur nicht bei der Bescherung vergeßt.“ Ohne hier moralisieren zu wollen: Die Alterierung über das Weihnachtsgeschäft wäre naiv und realitätsfern, wir wissen alle, daß die wahre Frohbotschaft jene über gestiegene Umsatzprozente ist.
Um im Verkauf froh zu sein, bedarf es allerdings ein wenig mehr, als seine Waren im Schaufenster feilzubieten. Gerade die Wiener City steht in der Adventzeit in einem ausgesprochenen Konkurrenzverhältnis zu wetterunabhängigen Einkaufszentren und versucht verständlicherweise sich durch attraktive Stadteinbauten als Ort des „Event-Shopping“ zu präsentieren. Wer keine geheizten Malls bieten kann, der trumpft dafür mit Superlativen vorweihnachtlicher Volkskulturattribute auf: Sentimentalität hin, Umwegrentabilität her – ein Bild des „größten Adventkranzes der Welt “genügt wahrscheinlich, um via Medien die potentielle Käuferschaft auf den Graben zu locken.
Ein grandioser Werbegag: Endlich kann ein Brunnen sein winterbedingtes zweckloses Herumstehen verleugnen und darf als Sockelbauwerk für ein schleifenbehangenes Adventgebinde Dienst tun! Die Brunnenskulptur ist schnell verschalt und mit Grünzeug beklebt, und oben drauf sitzt turbangleich der krönende Kranz.
Bei genauer Betrachtung des Gebildes zeigt sich jedoch, daß im Zuge der Umsetzung dieses Geistesblitzes der Wiener Kaufmannschaft kleinere statische Probleme aufgetreten sind: Der Brunnen konnte die ihm aufgebürdete Last offensichtlich nicht tragen, und so wurde das Gebinde einfach auf vier pölzende Beine gestellt. Ein wahrer Kunstgriff, der bewirkt, daß der Kranz als solcher nicht mehr wahrnehmbar ist und man eher meint, den weltweit größten (grünen!) Tisch mit der plumpesten Tischplatte vor sich beziehungsweise über sich zu haben. Es ist natürlich nicht fair, bei solch origineller Stadtmöblage die strengen Richtlinien architektonischer Gesetzmäßigkeiten anzulegen, andrerseits sollte – auch im Interesse der Erbauer – ein Mindestmaß an Sensibilität für den umgebenden Stadtraum im Sinne Camillo Sittes sehr wohl gefordert werden. Gerade ein Stück temporäre Architektur muß sich, um akkurat wahrnehmbar zu sein, um eine situationsbezogene Dimensionierung bemühen. Ein zu großes Objekt in einem zu kleinen Umfeld wie dem Wiener Graben kann nur schwer eine attraktivierende Frohbotschaft erzielen.
Um sich den Zwängen einer städtebaulichen Analyse zu entziehen, könnte das Werk auch als eines der Kunst im öffentlichen Raum auslegt werden. Aber selbst in der Sparte der freien Kunst gelten Gesetze bezüglich ihres Wirkungsgrades, die der Kunst- und Kulturphilosoph Boris Groys folgendermaßen definiert: „Kunst im Außenraum steht im urbanen Umfeld und konkurriert mit diesem; sie bildet einen politisch-sozialen, gesellschaftlichen Kommentar, visualisiert und kommentiert den Kontext; sie sensibilisiert den Blick des Betrachters für die Umgebung.“
Der größte Adventkranz der Welt tritt leider etwas zu stark in Konkurrenz mit dem urbanen Umfeld, sodaß er primär eine Sichtbarriere im gewohnten Graben-Blickfeld darstellt. Ob er die ergreifende Visualisierung von „Es weihnachtet sehr!“ zuwege bringt, kann erst nach Entzünden der vier Kerzen beurteilt werden.
Natürlich sollen gestalterische Eingriffe wie dieser nicht mit puristischer Strenge abqualifiziert werden, sie gehören zum (Weihnachts-)Geschäft und tun niemandem wirklich weh. Verwundert ist man nur, wenn man aus Erfahrung weiß, welch wachsames Auge die MA 19 – Stadtgestaltung – auf das Schaffen von Architekten und Architektinnen wirft, um die Stadtbildverträglichkeit eingereichter Planungen zu prüfen, und es drängt sich schon die Frage auf, warum man der „MA 2412 “ (eine schrille ORF-Sitcom über ein fiktives Amt für Weihnachtsdekorationen) ung’schaut alles durchgehen läßt.
Aber – wie wir wissen – Wien ist anders, wie uns der Architekt Günther Feuerstein in seinem Buch „Visionäre Architektur, Wien 1958/1988 “anschaulich darlegt:
Wien ist gleichzeitig eine Stadt der Heiterkeit und der Lebensfreude, und es ist eine Stadt der Zeremonien und der Rituale: Wien ist eine ,katholische‘ Stadt, nicht von einer tief spirituellen Gläubigkeit erfüllt, sondern vor allem von jener Religiosität spanisch-barocker und gegenreformatorischer Prägung, die nur über die Sinnenfreude, auch über den Kitsch, Aberglauben und Paganismus hindurch zur Gläubigkeit findet. Liturgie und Zelebration, Festlichkeit und Gepränge, Augenlust und Pomp haben in Wien Tradition ...“
Und weiter: „Es ist überraschend, wie gerade in dieser Stadt die Gegensätze aufeinanderprallen, Konflikte hervorrufen, oft Ausgleiche bewirken – aber auch ungelöst stehen bleiben oder verdrängt werden: nirgends so virtuos wie Wien.“
Apropos Kitsch und „MA 2412 “:Hier einige Tips aus dem Fachbereich Architektur zum Thema Weihnachtsdekoration: Abgesehen davon, daß durch den Kunst-Adventkalender am Rathaus endlich Licht ins Dunkel der Wiener Ringstraßenarchitektur gebracht wird, könnte so manches Wiener Gebäude ansehnlicher Aufputzträger dienen: der Donauturm als leuchtender Christbaum – welch Erleuchtung; das AKH als aufgemascherltes Geschenkpackerl welch gelungene Masche, um die Weihnachtsbotschaft zu allegorisieren. Ob der rustikalen Gemütlichkeit, die sie den umgebenden nüchternen Stadträumen entgegenhauchen, wäre weiters der flächendeckende Punschhütten-Dorfcharakter anzustreben. Ein Szenario, das uns jetzt schon in ritualistischer Erwartung das Herz erwärmt.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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