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Was man alles für die Quote tut
Spectrum

Museen setzen auf Konsum- und Unterhaltungsangebote, um die Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen; Einkaufszentren gehen mit pseudomusealen Inszenierungen auf Kundenfang. Über die trendige Annäherung von Konsum und Kultur.

16. Juni 2001 - Judith Eiblmayr
Als im Oktober 1959 Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York eröffnet wurde, schienen sich die Kritiker in der Beurteilung ziemlich einig: Es sei ein großartiges Bauwerk, sensationell in seiner skulpturalen Wirkung im städtebaulichen Kontext und in der Inszenierung des Innenraums - die ausgestellten Kunstwerke jedoch würden dadurch zu stark in den Hintergrund der Besucherwahrnehmung gedrängt. Eine Einschätzung, die in einer Umfrage unter den Museumsbesuchern 1960 eindrucksvoll bestätigt wurde: 38 Prozent waren gekommen, um das Gebäude zu sehen, 53 Prozent, um das Gebäude und die Kunst zu sehen, und nur 5 Prozent allein wegen der Kunst.

Frank Lloyd Wrights Konzept, den Weg für die Kunstbetrachter spiralförmig anzulegen und diese nicht nur dynamisch an den Werken vorbeiziehen, sondern selbst als Bestandteile in der Dynamik des runden Zentralraums wirken zu lassen, verfehlte seine Wirkung nicht, und das Guggenheim Museum zählte bald nach seiner Eröffnung 3000 Besucher am Tag. Wright hatte als einer der ersten erkannt, daß ein Museum auch etwas anderes bieten kann als ein monumentales Äußeres und möglichst neutrale Ausstellungs- räumlichkeiten, und zweifellos prägt er die Linie der Guggenheim Foundation, be i neuen Gebäuden auf eine außergewöhnliche Architektur als wesentlichen Marketingfaktor zu setzen, bis heute - zuletzt bei Frank O. Gehrys Museum in Bilbao.

Auch die österreichischen Museen - mehr oder weniger in die Selbständigkeit entlassen - werden sich in Zukunft anstrengen müssen, die nötige Besucherquote zu erbringen, um angemessen wirtschaftlich reüssieren zu können. Am Beispiel Museumsquartier Wien, das Ende Juni eröffnet wird, ist allerdings zu sehen, daß der Bauherrschaft die Notwendigkeit eines zeitgemäßen architektonischen Zeichens nicht bewußt gewesen sein dürfte. Die neuen Museumsbauten ducken sich brav hinter den barocken Trakten, das sogenannte und so erwünschte historische Stadtbild wird durch keinerlei aufragenden Aufreger gestört. Daß es gerade dieses vertikalen Anregers für das potentielle Publikum bedurft hätte, den die Architekten Laurids und Manfred Ortner in Form des aus dem siegreichen Wettbewerbsentwurf eliminierten Leseturms geplant hatten, wird nun offensichtlich und vom Geschäftsführer des „Muqua“, Wolfgang Waldner, auch thematisiert.

Abgesehen vom „sichtbaren Signal“ (Waldner) wird man auf andere Mechanismen setzen müssen, um das mitunter anstrengende Erlebnis Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen. Die Kunst an sich ist für die notwendige Quote nicht mehr Attraktion genug; um neue Zielgruppen zu erreichen, muß die Institution Museum einen „Auftritt“ disperser Art bieten, der Konsum- und Unterhaltungsangebote einschließt. Im Museumsquartier tut man sich insofern leicht, als dieses bereits als Kulturbezirk mit unterschiedlichen Funktionen angelegt ist und von vornherein die Gastronomie einen Fixpunkt der Marketingkonzeption darstellt: Man rechnet damit, daß ein Drittel der Quartierbesucher aus urbaner Neugierde und wegen des Lokal- und Shopangebots kommen wird.

Ein solitärer Museumsbau jedoch wird in Zukunft nicht mehr die optimale Präsentation der Sammlung in den Mittelpunkt stellen, sondern aus kaufmännischem Interesse die Inszenierung der Nebenschauplätze für die Zusatzfunktionen forcieren. Was Lóránd Hegyi ein „Disneyland-Museum“ befürch- ten und ihn deshalb als Direktor des Museums für Moderne Kunst vorzeitig abtreten ließ, scheint vielleicht übertrieben, die Gefahr der Verkitschung der Museen durch gefällige Ausstellungen und ein Überangebot im begleitenden Merchandising ist aber zweifellos gegeben.

Interessanterweise beschreiten die Einkaufszentren bezüglich Kundenfang denselben Weg mit umgekehrten Vorzeichen; man versucht den Besuchern mittels pseudomusealer Inszenierungen ein spezielles Flair zu vermitteln. In Österreich beispielgebend dafür ist die „Plus-City“, wo an einer Landstraße zwischen Linz und Wels Indoor-Urbanität dadurch erzeugt werden soll, daß „originalgetreue“ Fassadenreproduktionen zum Beispiel venezianischer Palazzi und toskanischer Kirchen appliziert werden. Hier ist das reine Konsumangebot der gängigen Ladenketten nicht genug, auch das Auge will bedient sein, um eine entspannende Atmosphäre und mehr Absatz zu schaffen. Dieser Stilsynkretismus wird unter „Marcusplatz“ subsumiert und der vorwiegend ländlichen Kundschaft als Klein-Venedig verkauft. Die Vorteile gegenüber einem Kurzurlaub in der als Freilichtmuseum rezipierten Lagunenstadt sprechen für sich: Einkaufen am Fuße der Rialtobrücke, ohne sich in Touristenströmen wälzen zu müssen! Pizza essen im Angesicht des Marcuslöwen, ohne durch gurrende Taubenmassen gestört zu sein - und viel billiger obendrein! Wer könnte sich der Faszination dieses Angebots entziehen, die konsumierbare Ware ist da wie dort dieselbe, und ob die Fassaden nun echt sind, oder nicht . . .

Ganz nebenbei: Die Architektur des Einkaufszentrums selbst ist bei einer solchen Konzeption völlig unerheblich. Und: Auch die Kapitalgruppe, die mit dem Vergnügungspark „Venedig in Wien“ - 1895 im ehemaligen Kaisergarten des Praters errichtet - auf „Architektur zur Unterhaltung“ setzte, tat dies, um Geld damit zu verdienen, und nicht, um irgendeinen Bildungsauftrag zu erfüllen.

Die zwei beschriebenen Phänomene zeigen, daß Konsum und Kultur in verstärktem Maße einander ergänzen werden müssen, um sich zu rechnen, und daß die zu diesem Zwecke benutzte Architektur - sei es als kitschige Kulisse oder als expliziter „Event“ - eine offensivere Haltung einnehmen wird müssen. Bleibt abzuwarten, ob das dieserart in die Defensive gedrängte und zu einem rein konsumistischen Verhalten angehaltene Publikum diese Rechnung wird aufgehen lassen.

Am Freitag, 22. Juni, findet um 19 Uhr im Infopool-Besucherzentrum des Museumsquartiers (Wien VII, Museumsplatz 1) eine Podiumsdiskussion zum Thema „Marketingfaktor Museumsarchitektur“ statt. Unter der Moderation von Dieter Bogner diskutieren u. a. Edelbert Köb und Laurids Ortner.

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