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Raffiniert verschachtelt
Wohnhäuser von MVRDV auf Borneo in Amsterdam
7. September 2001 - Robert Uhde
Im Hafengebiet von Amsterdam, ganz im Osten der Halbinsel Borneo, erlaubte die Stadt privaten Bauherrschaften, Häuser mit selbst gewählten Architekten zu realisieren. Das spektakulärste Ergebnis sind wohl die beiden Bauten von MVRDV.
Haus an Haus, so weit das Auge reicht. Das östliche Hafengebiet von Amsterdam gilt als das derzeit kompakteste Neubaugebiet der Niederlande. Nachdem das Gelände gegen Ende der siebziger Jahre durch die Verlegung von Hafenaktivitäten zum Brachland geworden war, sollten die Hafenbecken eigentlich zugeschüttet und das Gebiet mit einer homogenen Blockbebauung aufgefüllt werden. Gut nur, dass sich der Planungsprozess hinzog, denn es brauchte noch rund zehn Jahre, bis die Stadt das atmosphärische Potenzial des Areals erkannte. Nun sollten die ehemaligen Molen KNSM-Eiland, Java-Eiland, Borneo und Sporenburg erhalten bleiben und dem neuen Stadtteil gemeinsam mit Überresten der Hafenanlagen als identitätsstiftendes Element dienen.
Individuelle Auftraggeberschaft
Bei der Ausschreibung für die Entwicklung eines städtebaulichen Konzepts für Borneo und Sporenburg setzte sich das bekannte Planungsbüro West 8 unter Leitung von Adriaan Geuze gegen Vorschläge von Wytze Patijn und Quadrat (alle aus Rotterdam) durch. Um die geforderte Dichte von 100 Häusern je Hektare Bauland einhalten zu können, sah der Plan von West 8 vor, den überwiegenden Teil der insgesamt 2200 Wohneinheiten auf Borneo und Sporenburg als dreigeschossige, radikal in die Tiefe organisierte Reihenhausbebauung mit Flachdach und individuellem Zugang auszuführen. Die minimalen Freibereiche sollten durch die vorhandenen Hafenbecken kompensiert, die privaten Aussenflächen der Wohnungen als Patios und Dachterrassen in die zwischen 4,20 Meter und 6 Meter schmalen und bis zu 40 Meter tiefen Parzellen integriert werden. Um trotz der unterschiedlichen Planung einen Bezug zur grossflächigen Bebauung der benachbarten Hafenmolen KNSM und Java zu schaffen und dem Meer an Häusern eine Struktur zu geben, wurden dem dicht gewebten Reihenhausteppich zwei Monolithen von Frits van Dongen (De Architecten Cie, Amsterdam) und Kees Christiaanse (Rotterdam) - beide auf Sporenburg - zur Seite gestellt. Die Halbinsel Borneo wird dagegen durch einen elfgeschossigen Wohnbau von Koen van Velsen bestimmt, der wie ein Fels aus den flachen Häuserzeilen hervorragt. Noch hinter dem Superblock, am östlichen Ende der rund 700 Meter langen und 200 Meter breiten Halbinsel, liegt die Scheepstimmermanstraat - trotz den langgestreckten Häuserreihen, die die Strasse zu beiden Seiten hin umsäumen, ein relativ intimer und in sich gekehrter Ort.
Die Bebauung der Scheepstimmermanstraat folgt im Wesentlichen dem Konzept von West 8. Im Unterschied zu den übrigen auf Borneo und Sporenburg realisierten Wohnhäusern, die durchgehend von Generalunternehmen errichtet wurden, hat die Stadt hier jedoch sechzig privaten Auftraggebern die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Wohnungen entwerfen und bauen zu können - ein ziemlich einzigartiges Unternehmen, denn erstmals seit dem 17. Jahrhundert verkaufte die Stadt Amsterdam hier Baugrundstücke an Privatpersonen zum Bau von Eigentumswohnungen. Das aufsehenerregende Projekt steht damit in engem Zusammenhang mit der seit einigen Jahren in den Niederlanden geführten Diskussion über individuelle Auftraggeberschaft in den staatlich festgesetzten Neubaugebieten («Vinex-Gebieten»). Massgeblich an der Debatte beteiligt ist der Rotterdamer Architekt Carel Weeber: Noch 1980 sagte er das «Ende der Behaglichkeit» des Bauens der siebziger Jahre voraus und plädierte für grossflächige, durch öffentliche Auftraggeber finanzierte Wohnbauten, für Lösungen also, wie sie auf Java und der KNSM-Insel realisiert wurden. Jetzt vertritt Weeber das genaue Gegenteil und setzt sich für das in der Scheepstimmermanstraat praktizierte «wilde wonen» ein.
Traditionell oder radikal utopisch
Trotz aller Experimentierfreude zeigt die Scheepstimmermanstraat ein einheitliches Strassenbild: Verbindlich festgeschrieben war neben der durchgehenden Tiefe von 16 Metern vor allem die maximale Höhe der Bebauung (9,5 Meter). Sonst aber lässt das Konzept von West 8 den Bauherren und Architekten sämtliche Freiheiten: Bewegt sich schon die Breite der in der Scheepstimmermanstraat bebauten Parzellen willkürlich zwischen 4,20 und 6 Metern - zum Teil wurden auch zwei Baugrundstücke zusammengezogen, um mehr Freiheiten bei der Gestaltung des Grundrisses zu haben -, so zeigen die Fassaden der Häuser jede denkbare Möglichkeit der Gestaltung: Eher schlichte Entwürfe wechseln dabei übergangslos mit radikal-utopischen oder traditionellen Auffassungen - Backstein trifft hier unvermittelt auf Beton oder Aluminium, auf skulpturartig verzinkten Stahl oder Stuck, auf Glasbausteine oder Corten-Stahl. Gleich daneben wechseln Lochfassaden mit Holzlamellen und treffen typische Amsterdamer Grachtenhausfassaden auf italienische Formen. Zeigt sich die eine Front verschlossen, so ist die nächste offen und transparent oder bietet, wie der Entwurf von Herman Hertzberger, einen schmalen Gang zum Wasser. Die gleiche Vielfalt ist auch bei der Raumaufteilung zu beobachten: Verschachtelten Lösungen stehen offene Varianten mit flexiblen Grundrissen entgegen, die Raum bieten zur Einrichtung von Büros, hellen Künstlerateliers oder Restaurants und die über Dachterrassen, Erker, Balkone oder Patios, Galerien, Wintergärten oder tiefe Gärten verfügen.
Zwei besonders spektakuläre Entwürfe stammen aus der Feder von MVRDV aus Rotterdam. Auf der vier Meter breiten und 16 Meter tiefen Parzelle Nr. 18 haben Winy Maas, Jakob van Rijs und Nathalie de Vries den vorhandenen Raum optimal genutzt. Obwohl die baurechtlich festgelegte Höhe von 9,5 Metern eigentlich nur die Ausbildung von drei Geschossen erlaubt hätte, haben MVRDV durch eine überaus intelligente räumliche Organisation vier Etagen mit einem zusätzlichen Zwischengeschoss realisieren können. Zwei kastenförmig ins Wohnungsinnere integrierte Volumen sowie die Absenkung des zum Wasser hin vorgeschriebenen Gartens, den die drei Architekten als vollständig verglaste, patioartige Veranda ausgebildet haben, sorgen für zusätzlichen Raum und vermeiden eine langweilige Stapelung identischer Etagen. Den Architekten ist es trotz der erhöhten Geschosszahl gelungen, die raffiniert miteinander verschachtelten Räume teilweise höher als in üblichen Wohnungen auszuformen: Das der grosszügigen Veranda gegenüber im ersten Stock liegende Wohnzimmer strebt fast schachtartig nach oben und erreicht dabei die Höhe von rund sechs Metern! Das spannend inszenierte Raumerlebnis bildet einen interessanten Kontrast zur fast schon beklemmenden Enge der schmalen Treppen.
Gestapelte Blöcke
Direkt unter dem Wohnzimmer bietet der erste der beiden Blöcke zur Strasse hin Platz für Garage, Eingangsbereich, Abstellraum und Küche. Der zweite Block ragt als wuchtiges, scheinbar frei schwebendes Betonvolumen über der zweigeschossigen Veranda hervor - gerade so, als sei er von den Architekten aus dem Baukörper herausgeschoben worden. Von aussen ist der mit einem Fenstervorsprung ausgebildete Block mit rötlich-braunem Holz verkleidet, in seinem Inneren befinden sich ein Schlaf- und ein Badezimmer. Ein Stockwerk höher, wo das Dach des Hauses zum Wasser hin leicht ansteigt und wo der Blick über eine zweite Galerie ins untenliegende Wohnzimmer hinabstürzt, befindet sich ein lichtdurchflutetes Studio mit Zugang zu einer grosszügigen Dachterrasse. Von hier aus bietet sich den künftigen Bewohnern des Hauses ein prächtiger Ausblick auf das Hafenbecken und die Häuserfront am gegenüberliegenden Ufer.
Ein ähnlich verschachteltes Wohngebäude findet sich auf Parzelle Nr. 12. Auf dem fünf Meter breiten und 16 Meter tiefen Grundstück errichteten die Architekten ein experimentelles Patiohaus, das sich aus zwei schmalen Raumzonen zusammensetzt, von denen nur die rechte Hälfte vollständig bebaut ist. Auf diese Weise ist die Breite des Hauses auf nunmehr 2,5 Meter minimiert worden - die extremste Form des ursprünglichen Plans von West 8! Um die schmale Wohnung ausreichend mit Tageslicht versorgen zu können und den Einsatz von Kunstlicht zu vermeiden, wurde die zum «Innenhof» der Parzelle liegende Fassade des Gebäudes über die gesamte Länge und Höhe vollständig verglast. Innen- und Aussenraum gehen so ineinander über. Geschlossen zeigt sich dagegen die zum Wasser hin orientierte Stirnseite des Hauses.
Über dem unbebauten Teil der Parzelle haben die Architekten zwei geschlossene, nach oben hin verglaste Blöcke an die gläserne Fassade gehängt, die den als Garten vorgesehenen «Innenhof» des Grundstücks überkleiden. Das zur Strasse hin gelegene Volumen beherbergt ein Gästezimmer mit darüber liegendem Bad. In entgegengesetzter Richtung vergrössert ein zweiter Block das zweigeschossige Studio und schafft ausserdem die Plattform für eine Dachterrasse. Ein zusätzlich eingefügter dritter Block neben dem Eingangsbereich verbindet die Wohnung mit der Strasse. Unter seinem ansteigenden, als Garagenrampe fungierenden Dach haben die Architekten einen Lagerraum integriert.
Gebaute Manifeste
Schon in «Farmax», einem 753 Seiten dicken Buch von MVRDV, werden utopische Szenarien für extrem gestapeltes Wohnen und Arbeiten beschrieben. Seine Fortsetzung fand das horizontale und vertikale Zusammenballen mit der Anfang letzten Jahres unter anderem in der Galerie Aedes East in Berlin vorgestellten Videoanimation «Metacity/Datatown». MVRDV fragten: «Wie können wir die Stadt in Zeiten der Globalisierung und Bevölkerungsexplosion verstehen?», und entwickelten einen auf verschiedenen vertikalen Ebenen organisierten Stadtstaat für rund 250 Millionen Einwohner. Ein geschickt inszeniertes Gedankenspiel, das auf manchen Betrachter sicher etwas befremdlich wirken mag - in der gebauten Realität überzeugen die Strategien von MVRDV jedoch immer: Die Alterswohnungen in Amsterdam, das Sendegebäude VPRO in Hilversum oder das Doppelwohnhaus in Utrecht bilden ebenso überzeugende Manifeste urbaner Verdichtung wie der niederländische Pavillon auf der Expo 2000 oder eben die beiden Wohnhäuser auf Borneo.
Haus an Haus, so weit das Auge reicht. Das östliche Hafengebiet von Amsterdam gilt als das derzeit kompakteste Neubaugebiet der Niederlande. Nachdem das Gelände gegen Ende der siebziger Jahre durch die Verlegung von Hafenaktivitäten zum Brachland geworden war, sollten die Hafenbecken eigentlich zugeschüttet und das Gebiet mit einer homogenen Blockbebauung aufgefüllt werden. Gut nur, dass sich der Planungsprozess hinzog, denn es brauchte noch rund zehn Jahre, bis die Stadt das atmosphärische Potenzial des Areals erkannte. Nun sollten die ehemaligen Molen KNSM-Eiland, Java-Eiland, Borneo und Sporenburg erhalten bleiben und dem neuen Stadtteil gemeinsam mit Überresten der Hafenanlagen als identitätsstiftendes Element dienen.
Individuelle Auftraggeberschaft
Bei der Ausschreibung für die Entwicklung eines städtebaulichen Konzepts für Borneo und Sporenburg setzte sich das bekannte Planungsbüro West 8 unter Leitung von Adriaan Geuze gegen Vorschläge von Wytze Patijn und Quadrat (alle aus Rotterdam) durch. Um die geforderte Dichte von 100 Häusern je Hektare Bauland einhalten zu können, sah der Plan von West 8 vor, den überwiegenden Teil der insgesamt 2200 Wohneinheiten auf Borneo und Sporenburg als dreigeschossige, radikal in die Tiefe organisierte Reihenhausbebauung mit Flachdach und individuellem Zugang auszuführen. Die minimalen Freibereiche sollten durch die vorhandenen Hafenbecken kompensiert, die privaten Aussenflächen der Wohnungen als Patios und Dachterrassen in die zwischen 4,20 Meter und 6 Meter schmalen und bis zu 40 Meter tiefen Parzellen integriert werden. Um trotz der unterschiedlichen Planung einen Bezug zur grossflächigen Bebauung der benachbarten Hafenmolen KNSM und Java zu schaffen und dem Meer an Häusern eine Struktur zu geben, wurden dem dicht gewebten Reihenhausteppich zwei Monolithen von Frits van Dongen (De Architecten Cie, Amsterdam) und Kees Christiaanse (Rotterdam) - beide auf Sporenburg - zur Seite gestellt. Die Halbinsel Borneo wird dagegen durch einen elfgeschossigen Wohnbau von Koen van Velsen bestimmt, der wie ein Fels aus den flachen Häuserzeilen hervorragt. Noch hinter dem Superblock, am östlichen Ende der rund 700 Meter langen und 200 Meter breiten Halbinsel, liegt die Scheepstimmermanstraat - trotz den langgestreckten Häuserreihen, die die Strasse zu beiden Seiten hin umsäumen, ein relativ intimer und in sich gekehrter Ort.
Die Bebauung der Scheepstimmermanstraat folgt im Wesentlichen dem Konzept von West 8. Im Unterschied zu den übrigen auf Borneo und Sporenburg realisierten Wohnhäusern, die durchgehend von Generalunternehmen errichtet wurden, hat die Stadt hier jedoch sechzig privaten Auftraggebern die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Wohnungen entwerfen und bauen zu können - ein ziemlich einzigartiges Unternehmen, denn erstmals seit dem 17. Jahrhundert verkaufte die Stadt Amsterdam hier Baugrundstücke an Privatpersonen zum Bau von Eigentumswohnungen. Das aufsehenerregende Projekt steht damit in engem Zusammenhang mit der seit einigen Jahren in den Niederlanden geführten Diskussion über individuelle Auftraggeberschaft in den staatlich festgesetzten Neubaugebieten («Vinex-Gebieten»). Massgeblich an der Debatte beteiligt ist der Rotterdamer Architekt Carel Weeber: Noch 1980 sagte er das «Ende der Behaglichkeit» des Bauens der siebziger Jahre voraus und plädierte für grossflächige, durch öffentliche Auftraggeber finanzierte Wohnbauten, für Lösungen also, wie sie auf Java und der KNSM-Insel realisiert wurden. Jetzt vertritt Weeber das genaue Gegenteil und setzt sich für das in der Scheepstimmermanstraat praktizierte «wilde wonen» ein.
Traditionell oder radikal utopisch
Trotz aller Experimentierfreude zeigt die Scheepstimmermanstraat ein einheitliches Strassenbild: Verbindlich festgeschrieben war neben der durchgehenden Tiefe von 16 Metern vor allem die maximale Höhe der Bebauung (9,5 Meter). Sonst aber lässt das Konzept von West 8 den Bauherren und Architekten sämtliche Freiheiten: Bewegt sich schon die Breite der in der Scheepstimmermanstraat bebauten Parzellen willkürlich zwischen 4,20 und 6 Metern - zum Teil wurden auch zwei Baugrundstücke zusammengezogen, um mehr Freiheiten bei der Gestaltung des Grundrisses zu haben -, so zeigen die Fassaden der Häuser jede denkbare Möglichkeit der Gestaltung: Eher schlichte Entwürfe wechseln dabei übergangslos mit radikal-utopischen oder traditionellen Auffassungen - Backstein trifft hier unvermittelt auf Beton oder Aluminium, auf skulpturartig verzinkten Stahl oder Stuck, auf Glasbausteine oder Corten-Stahl. Gleich daneben wechseln Lochfassaden mit Holzlamellen und treffen typische Amsterdamer Grachtenhausfassaden auf italienische Formen. Zeigt sich die eine Front verschlossen, so ist die nächste offen und transparent oder bietet, wie der Entwurf von Herman Hertzberger, einen schmalen Gang zum Wasser. Die gleiche Vielfalt ist auch bei der Raumaufteilung zu beobachten: Verschachtelten Lösungen stehen offene Varianten mit flexiblen Grundrissen entgegen, die Raum bieten zur Einrichtung von Büros, hellen Künstlerateliers oder Restaurants und die über Dachterrassen, Erker, Balkone oder Patios, Galerien, Wintergärten oder tiefe Gärten verfügen.
Zwei besonders spektakuläre Entwürfe stammen aus der Feder von MVRDV aus Rotterdam. Auf der vier Meter breiten und 16 Meter tiefen Parzelle Nr. 18 haben Winy Maas, Jakob van Rijs und Nathalie de Vries den vorhandenen Raum optimal genutzt. Obwohl die baurechtlich festgelegte Höhe von 9,5 Metern eigentlich nur die Ausbildung von drei Geschossen erlaubt hätte, haben MVRDV durch eine überaus intelligente räumliche Organisation vier Etagen mit einem zusätzlichen Zwischengeschoss realisieren können. Zwei kastenförmig ins Wohnungsinnere integrierte Volumen sowie die Absenkung des zum Wasser hin vorgeschriebenen Gartens, den die drei Architekten als vollständig verglaste, patioartige Veranda ausgebildet haben, sorgen für zusätzlichen Raum und vermeiden eine langweilige Stapelung identischer Etagen. Den Architekten ist es trotz der erhöhten Geschosszahl gelungen, die raffiniert miteinander verschachtelten Räume teilweise höher als in üblichen Wohnungen auszuformen: Das der grosszügigen Veranda gegenüber im ersten Stock liegende Wohnzimmer strebt fast schachtartig nach oben und erreicht dabei die Höhe von rund sechs Metern! Das spannend inszenierte Raumerlebnis bildet einen interessanten Kontrast zur fast schon beklemmenden Enge der schmalen Treppen.
Gestapelte Blöcke
Direkt unter dem Wohnzimmer bietet der erste der beiden Blöcke zur Strasse hin Platz für Garage, Eingangsbereich, Abstellraum und Küche. Der zweite Block ragt als wuchtiges, scheinbar frei schwebendes Betonvolumen über der zweigeschossigen Veranda hervor - gerade so, als sei er von den Architekten aus dem Baukörper herausgeschoben worden. Von aussen ist der mit einem Fenstervorsprung ausgebildete Block mit rötlich-braunem Holz verkleidet, in seinem Inneren befinden sich ein Schlaf- und ein Badezimmer. Ein Stockwerk höher, wo das Dach des Hauses zum Wasser hin leicht ansteigt und wo der Blick über eine zweite Galerie ins untenliegende Wohnzimmer hinabstürzt, befindet sich ein lichtdurchflutetes Studio mit Zugang zu einer grosszügigen Dachterrasse. Von hier aus bietet sich den künftigen Bewohnern des Hauses ein prächtiger Ausblick auf das Hafenbecken und die Häuserfront am gegenüberliegenden Ufer.
Ein ähnlich verschachteltes Wohngebäude findet sich auf Parzelle Nr. 12. Auf dem fünf Meter breiten und 16 Meter tiefen Grundstück errichteten die Architekten ein experimentelles Patiohaus, das sich aus zwei schmalen Raumzonen zusammensetzt, von denen nur die rechte Hälfte vollständig bebaut ist. Auf diese Weise ist die Breite des Hauses auf nunmehr 2,5 Meter minimiert worden - die extremste Form des ursprünglichen Plans von West 8! Um die schmale Wohnung ausreichend mit Tageslicht versorgen zu können und den Einsatz von Kunstlicht zu vermeiden, wurde die zum «Innenhof» der Parzelle liegende Fassade des Gebäudes über die gesamte Länge und Höhe vollständig verglast. Innen- und Aussenraum gehen so ineinander über. Geschlossen zeigt sich dagegen die zum Wasser hin orientierte Stirnseite des Hauses.
Über dem unbebauten Teil der Parzelle haben die Architekten zwei geschlossene, nach oben hin verglaste Blöcke an die gläserne Fassade gehängt, die den als Garten vorgesehenen «Innenhof» des Grundstücks überkleiden. Das zur Strasse hin gelegene Volumen beherbergt ein Gästezimmer mit darüber liegendem Bad. In entgegengesetzter Richtung vergrössert ein zweiter Block das zweigeschossige Studio und schafft ausserdem die Plattform für eine Dachterrasse. Ein zusätzlich eingefügter dritter Block neben dem Eingangsbereich verbindet die Wohnung mit der Strasse. Unter seinem ansteigenden, als Garagenrampe fungierenden Dach haben die Architekten einen Lagerraum integriert.
Gebaute Manifeste
Schon in «Farmax», einem 753 Seiten dicken Buch von MVRDV, werden utopische Szenarien für extrem gestapeltes Wohnen und Arbeiten beschrieben. Seine Fortsetzung fand das horizontale und vertikale Zusammenballen mit der Anfang letzten Jahres unter anderem in der Galerie Aedes East in Berlin vorgestellten Videoanimation «Metacity/Datatown». MVRDV fragten: «Wie können wir die Stadt in Zeiten der Globalisierung und Bevölkerungsexplosion verstehen?», und entwickelten einen auf verschiedenen vertikalen Ebenen organisierten Stadtstaat für rund 250 Millionen Einwohner. Ein geschickt inszeniertes Gedankenspiel, das auf manchen Betrachter sicher etwas befremdlich wirken mag - in der gebauten Realität überzeugen die Strategien von MVRDV jedoch immer: Die Alterswohnungen in Amsterdam, das Sendegebäude VPRO in Hilversum oder das Doppelwohnhaus in Utrecht bilden ebenso überzeugende Manifeste urbaner Verdichtung wie der niederländische Pavillon auf der Expo 2000 oder eben die beiden Wohnhäuser auf Borneo.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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