Bauwerk
Kabelwerk Wien
M&S Architekten, Schwalm-Theiss & Gressenbauer, Hermann & Valentiny, pool Architektur, Martin Wurnig, Branimir Kljajic, Werkstatt Wien, Rainer Pirker, the POOR BOYs ENTERPRISE - Wien (A) - 2006
Prinzipien diskutieren, Prozesse herausfordern
Der Siegerentwurf im städtebaulichen Wettbewerb für das Kabelwerkareal im Südwesten Wiens liess nicht erkennen, wie das bebaute Gebiet aussehen würde. Strukturgebend war die Planung der Freiräume, die gewisse formale Freiheiten bei der Bebauung ermöglichte. Der Plan war eine Herausforderung, sich einem Prozess mit nicht vorhersehbarem Ergebnis und der Auseinandersetzung zu stellen. Die Verantwortlichen sind das Risiko eingegangen, aus dem Chaos der Unübersichtlichkeit Strukturen entstehen zu lassen.
14. August 2009 - Christian Holl
Im Dezember 1997 wurde die Produktion in der Kabel- und Drahtwerke AG in Meidling, dem 12. Wiener Gemeindebezirk, eingestellt. Kurz danach erwarb eine Eigentümergemeinschaft aus acht Bauträgern das Areal, und Ende November 1998 war bereits der städtebauliche Ideenwettbewerb für ein gemischt genutztes Quartier entschieden. Gewonnen hatte ihn die Arbeitsgemeinschaft dyn@mosphäre (Rainer Pirker Architexture Team und The Poor Boys Enterprise). Aus Bebauungsregeln, Haustypen, Wegeverbindungen und kontextuellen Bezügen hatten sie in einem strategischen Konzept eine Ordnungsstruktur entwickelt, ohne vorzuschlagen, wie die Bebauung tatsächlich auszusehen habe. Diese sollte sich in einem Prozess entwickeln dürfen, in dem durch Bürgerbeteiligung, Aushandlungen über Form und Nutzung erst das ganze Potenzial des Gebiets auf sozialer, räumlicher und kultureller Ebene entdeckt würde. Die Ausschreibung hatte dafür bereits den Weg gewiesen, hatte sie doch explizit den konzeptionellen Ansatz, instrumentelle Vorschläge und Prozesshaftigkeit gefordert.
Chaos als Strategie
Das Siegerprojekt entsprach den Hoffnungen, die man in diese Ausschreibung gesetzt hatte. Chaos wird zum einen im Bild und in der Darstellung erzeugt, um die Offenheit, deren es für einen echten Beteiligungs- und Verhandlungsprozess bedarf, herauszufordern: Keine Vorstellung davon, wie das Gebiet aussehen wird, sollte der Entwicklung der künftigen Form im Wege stehen und Diskussionen determinieren oder dominieren. Festgelegt wurden Freiräume, Attraktivitätszentren, Blickrichtungen, Ordnungslinien – die bebaubare Fläche bleibt dabei grösser als die, die insgesamt bebaut werden darf. Chaos ist aber auch als Konzept angelegt; denn nicht nur das Planbild weigert sich, eine Form preiszugeben, die erst gefunden werden muss. Auch übliche Planungsfestlegungen wurden infrage gestellt. Konkrete, flächendeckende Nutzungsfestlegungen fehlen, statt dessen wird über vier Stufen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auf spezifische Bedürfnisse der Bevölkerung nach Gemeinschaftsräumen, erweitertem Wohnraum, flexibler Nutzung des Raums reagiert. Die Entwurfsverfasser führen die Variabilität im Umgang mit den damit verbundenen Festlegungen als neues Element planerischer Strategie ein. Flexibilität, Förderung und Ermutigung zu Aktivitäten, Aktivierung der Bevölkerung und kleinteilige Planungsfelder sollten helfen, ein Stück Stadt entstehen zu lassen, damit es nicht erst Jahre braucht, um nicht mehr als Fremdkörper in der Umgebung wahrgenommen zu werden.
Elf Jahre später ist das mehr als acht Hektar grosse Gelände fast vollständig neu bebaut. Mehr als 950 Wohnungen wurden hier seit 2004 errichtet, dazu sind etwa 30 % der Fläche gewerblich und kulturell genutzt. Breit variiert das Angebot an Wohnungsgrössen und -typen sowie an Rechtsformen, es reicht von Eigentumswohnungen bis zu studentischem Wohnen und temporär vermietbaren Appartements. Hinzu kommen Arztpraxen, Büros und Geschäfte sowie ein Kulturzentrum und ein Kindergarten in erhaltenen und umgebauten Fabrikbauten. Auf dem nach Süden hin abfallenden Gelände wurden Dichte und Gebäudehöhen gestaffelt, um jede Wohnung gut belichten zu können. Auf dem Dach eines Gebäudes im dichteren Norden steht den Kabelwerk-Bewohnern ein Schwimmbad zur Verfügung. Von hier aus hat man einen grandiosen Ausblick, unter anderem auf Alt-Erlaa, wo ebenfalls ein Schwimmbad auf dem Dach zum Erfolg der Anlage beiträgt. Die Ausnutzungsziffern steigen von 1.2 im Süden auf 3.9 im Norden des Areals an. Schade, dass von den alten Fabrikanlagen bis auf einen Rest am Westrand nur wenig erhalten blieb.
Arbeitsgruppen, Begleitung, Beteiligung
Mit dem Otto-Wagner-Städtebaupreis wurde das Kabelwerk-Projekt allerdings schon 2004 ausgezeichnet, als vom neuen Stadtteil vor Ort noch so gut wie nichts zu sehen war. Gewürdigt wurde ein aussergewöhnlicher, intensiver Planungsprozess, eingeleitet von einem bereits 1996 abgehaltenen Workshop und begleitet von einer regelmässigen Bevölkerungsbeteiligung. Für ein kooperatives Planungsverfahren hatte man eine Arbeitsgruppe aus Siegern des städtebaulichen Wettbewerbs, Vertretern des Magistrats und der Bauträger, Freiraumplanern sowie dem von den Bauträgern bestimmten Architekten gebildet, die in über zwanzig Sitzungen das Projekt konkretisierten und die einzelnen Bausteine aufeinander abstimmten. Unter anderem erarbeitete diese Gruppe Testentwürfe, um zu überprüfen, wie sich das Konzept des Wettbewerbssiegers umsetzen lässt. Eine städtebauliche Begleitgruppe diskutierte und korrigierte die von der Arbeitsgruppe erstellten Ergebnisse und gab Impulse für deren weitere Arbeit. Von Anfang an hatten Anwohner die Gelegenheit, den Planungsprozess zu verfolgen und zu beeinflussen.
Ein weiteres strategisches Instrument half, dem Kabelwerk schon während der Planungsphase ein positives Image in der Nachbarschaft, aber auch in der Stadt Wien zu verschaffen. Seit 1999 bis zum Baubeginn 2004 wurde das Areal sozial und kulturell zwischengenutzt. Die Kulturarbeit, in die insbesondere Kinder und Jugendliche einbezogen wurden, erleichterte der Bevölkerung den Zugang zum Areal, die nach und nach selbst Initiativen im Rahmen der Zwischennutzung entwickelte.
Freiräume statt architektonische Vorgaben
Dennoch würde man dem Kabelwerk-Modell nicht gerecht, wenn für die Bewertung nur der intensive und erfolgreiche kooperative Planungsprozess in den Mittelpunkt gestellt würde. Denn ein genauso wichtiger Beitrag ist der kreative Umgang mit dem planungsrechtlichen Instrumentarium und der städtebaulichen Konfiguration. Letztere wirkt auf dem Plan zunächst unübersichtlich, stellt sich vor Ort aber als selbstverständlich und angenehm in den Verhältnissen von Freiraum und Bebauung dar.
Der Planung liegt das Prinzip zugrunde, nicht das architektonische Objekt oder eine Bebauungsfigur, sondern den Freiraum zum strukturellen Gerüst der Siedlung zu machen und die Bebauung sich um diesen herum erst entwickeln zu lassen. Entsprechend waren die den Freiraum strukturierenden Sockelgeschosse festgelegt, die das formale wie das funktionale Grundgerüst bilden. In ihnen sind Wohnungen ausgeschlossen, dafür können Gewerbe-, Gemeinschaftsräume und Werkstätten errichtet werden.
Im Bebauungsplan wurden ausserdem Raumkanten definiert, um sicherzustellen, dass Platzräume wie gewünscht entstehen. Auch Bebauungshöhen und die maximale Kubatur wurden festgelegt; wie das Volumen aber auf dem Baufeld unterzubringen ist, war planungsrechtlich nicht ausgewiesen worden.
Ein «Schüttmodell» half im diskursiven Planungsprozess, die Bebauungsform zu finden. Die prinzipiell bebaubaren Flächen waren dabei mit offenen Plexiglaswaben in den jeweils zulässigen Höhen belegt. Entsprechend dem zulässigen Volumen für dieses Grundstück stand eine grünes Granulat zur Verfügung, mit dem man die Waben befüllen und unterschiedliche Verteilungen innerhalb des möglichen Volumens gegeneinander abwägen konnte. Auf diese Weise entstand eine Mischung aus öffentlichen, halböffentlichen und privaten Freiräumen, aus autofreien und geschützten Plätzen, aus übersichtlichen Verbindungen und intimen Gassen mit differenzierten Räumen und Stimmungen. Im Norden ist die Bebauung allerdings zu dicht geraten, private Freiräume sind hier unzureichend vor Einblicken geschützt. Der offene Prozess, die Bewältigung von anfänglicher Unübersichtlichkeit in intensiven Verfahren hat sich gelohnt. Zwar liess sich einiges, was die Wettbewerbssieger vorgeschlagen hatten, etwa die radikale Flexibilität der Nutzungsbausteine, nicht umsetzen. Doch vieles hat sich bemerkenswert gut bewährt, etwa die Regelung der Bonuskubatur: Etwa 20 % des Volumens durfte zusätzlich errichtet werden, wenn in ihm eine grössere Raumhöhe realisiert wurde und dadurch die Gemeinschaftsanlagen erweitert und die Erschliessungsflächen vergrössert wurden. Dadurch entstanden Räume mit einer Grosszügigkeit, die einem Quartier gut tun. Im Ganzen ist die Aneignung eines neuen Quartiers durch die Bewohnerinnen und Bewohner in einem verblüffenden Masse gelungen.
Chaos als Strategie
Das Siegerprojekt entsprach den Hoffnungen, die man in diese Ausschreibung gesetzt hatte. Chaos wird zum einen im Bild und in der Darstellung erzeugt, um die Offenheit, deren es für einen echten Beteiligungs- und Verhandlungsprozess bedarf, herauszufordern: Keine Vorstellung davon, wie das Gebiet aussehen wird, sollte der Entwicklung der künftigen Form im Wege stehen und Diskussionen determinieren oder dominieren. Festgelegt wurden Freiräume, Attraktivitätszentren, Blickrichtungen, Ordnungslinien – die bebaubare Fläche bleibt dabei grösser als die, die insgesamt bebaut werden darf. Chaos ist aber auch als Konzept angelegt; denn nicht nur das Planbild weigert sich, eine Form preiszugeben, die erst gefunden werden muss. Auch übliche Planungsfestlegungen wurden infrage gestellt. Konkrete, flächendeckende Nutzungsfestlegungen fehlen, statt dessen wird über vier Stufen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auf spezifische Bedürfnisse der Bevölkerung nach Gemeinschaftsräumen, erweitertem Wohnraum, flexibler Nutzung des Raums reagiert. Die Entwurfsverfasser führen die Variabilität im Umgang mit den damit verbundenen Festlegungen als neues Element planerischer Strategie ein. Flexibilität, Förderung und Ermutigung zu Aktivitäten, Aktivierung der Bevölkerung und kleinteilige Planungsfelder sollten helfen, ein Stück Stadt entstehen zu lassen, damit es nicht erst Jahre braucht, um nicht mehr als Fremdkörper in der Umgebung wahrgenommen zu werden.
Elf Jahre später ist das mehr als acht Hektar grosse Gelände fast vollständig neu bebaut. Mehr als 950 Wohnungen wurden hier seit 2004 errichtet, dazu sind etwa 30 % der Fläche gewerblich und kulturell genutzt. Breit variiert das Angebot an Wohnungsgrössen und -typen sowie an Rechtsformen, es reicht von Eigentumswohnungen bis zu studentischem Wohnen und temporär vermietbaren Appartements. Hinzu kommen Arztpraxen, Büros und Geschäfte sowie ein Kulturzentrum und ein Kindergarten in erhaltenen und umgebauten Fabrikbauten. Auf dem nach Süden hin abfallenden Gelände wurden Dichte und Gebäudehöhen gestaffelt, um jede Wohnung gut belichten zu können. Auf dem Dach eines Gebäudes im dichteren Norden steht den Kabelwerk-Bewohnern ein Schwimmbad zur Verfügung. Von hier aus hat man einen grandiosen Ausblick, unter anderem auf Alt-Erlaa, wo ebenfalls ein Schwimmbad auf dem Dach zum Erfolg der Anlage beiträgt. Die Ausnutzungsziffern steigen von 1.2 im Süden auf 3.9 im Norden des Areals an. Schade, dass von den alten Fabrikanlagen bis auf einen Rest am Westrand nur wenig erhalten blieb.
Arbeitsgruppen, Begleitung, Beteiligung
Mit dem Otto-Wagner-Städtebaupreis wurde das Kabelwerk-Projekt allerdings schon 2004 ausgezeichnet, als vom neuen Stadtteil vor Ort noch so gut wie nichts zu sehen war. Gewürdigt wurde ein aussergewöhnlicher, intensiver Planungsprozess, eingeleitet von einem bereits 1996 abgehaltenen Workshop und begleitet von einer regelmässigen Bevölkerungsbeteiligung. Für ein kooperatives Planungsverfahren hatte man eine Arbeitsgruppe aus Siegern des städtebaulichen Wettbewerbs, Vertretern des Magistrats und der Bauträger, Freiraumplanern sowie dem von den Bauträgern bestimmten Architekten gebildet, die in über zwanzig Sitzungen das Projekt konkretisierten und die einzelnen Bausteine aufeinander abstimmten. Unter anderem erarbeitete diese Gruppe Testentwürfe, um zu überprüfen, wie sich das Konzept des Wettbewerbssiegers umsetzen lässt. Eine städtebauliche Begleitgruppe diskutierte und korrigierte die von der Arbeitsgruppe erstellten Ergebnisse und gab Impulse für deren weitere Arbeit. Von Anfang an hatten Anwohner die Gelegenheit, den Planungsprozess zu verfolgen und zu beeinflussen.
Ein weiteres strategisches Instrument half, dem Kabelwerk schon während der Planungsphase ein positives Image in der Nachbarschaft, aber auch in der Stadt Wien zu verschaffen. Seit 1999 bis zum Baubeginn 2004 wurde das Areal sozial und kulturell zwischengenutzt. Die Kulturarbeit, in die insbesondere Kinder und Jugendliche einbezogen wurden, erleichterte der Bevölkerung den Zugang zum Areal, die nach und nach selbst Initiativen im Rahmen der Zwischennutzung entwickelte.
Freiräume statt architektonische Vorgaben
Dennoch würde man dem Kabelwerk-Modell nicht gerecht, wenn für die Bewertung nur der intensive und erfolgreiche kooperative Planungsprozess in den Mittelpunkt gestellt würde. Denn ein genauso wichtiger Beitrag ist der kreative Umgang mit dem planungsrechtlichen Instrumentarium und der städtebaulichen Konfiguration. Letztere wirkt auf dem Plan zunächst unübersichtlich, stellt sich vor Ort aber als selbstverständlich und angenehm in den Verhältnissen von Freiraum und Bebauung dar.
Der Planung liegt das Prinzip zugrunde, nicht das architektonische Objekt oder eine Bebauungsfigur, sondern den Freiraum zum strukturellen Gerüst der Siedlung zu machen und die Bebauung sich um diesen herum erst entwickeln zu lassen. Entsprechend waren die den Freiraum strukturierenden Sockelgeschosse festgelegt, die das formale wie das funktionale Grundgerüst bilden. In ihnen sind Wohnungen ausgeschlossen, dafür können Gewerbe-, Gemeinschaftsräume und Werkstätten errichtet werden.
Im Bebauungsplan wurden ausserdem Raumkanten definiert, um sicherzustellen, dass Platzräume wie gewünscht entstehen. Auch Bebauungshöhen und die maximale Kubatur wurden festgelegt; wie das Volumen aber auf dem Baufeld unterzubringen ist, war planungsrechtlich nicht ausgewiesen worden.
Ein «Schüttmodell» half im diskursiven Planungsprozess, die Bebauungsform zu finden. Die prinzipiell bebaubaren Flächen waren dabei mit offenen Plexiglaswaben in den jeweils zulässigen Höhen belegt. Entsprechend dem zulässigen Volumen für dieses Grundstück stand eine grünes Granulat zur Verfügung, mit dem man die Waben befüllen und unterschiedliche Verteilungen innerhalb des möglichen Volumens gegeneinander abwägen konnte. Auf diese Weise entstand eine Mischung aus öffentlichen, halböffentlichen und privaten Freiräumen, aus autofreien und geschützten Plätzen, aus übersichtlichen Verbindungen und intimen Gassen mit differenzierten Räumen und Stimmungen. Im Norden ist die Bebauung allerdings zu dicht geraten, private Freiräume sind hier unzureichend vor Einblicken geschützt. Der offene Prozess, die Bewältigung von anfänglicher Unübersichtlichkeit in intensiven Verfahren hat sich gelohnt. Zwar liess sich einiges, was die Wettbewerbssieger vorgeschlagen hatten, etwa die radikale Flexibilität der Nutzungsbausteine, nicht umsetzen. Doch vieles hat sich bemerkenswert gut bewährt, etwa die Regelung der Bonuskubatur: Etwa 20 % des Volumens durfte zusätzlich errichtet werden, wenn in ihm eine grössere Raumhöhe realisiert wurde und dadurch die Gemeinschaftsanlagen erweitert und die Erschliessungsflächen vergrössert wurden. Dadurch entstanden Räume mit einer Grosszügigkeit, die einem Quartier gut tun. Im Ganzen ist die Aneignung eines neuen Quartiers durch die Bewohnerinnen und Bewohner in einem verblüffenden Masse gelungen.
Für den Beitrag verantwortlich: TEC21
Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Solt
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