Bauwerk

Dorfkernerneuerung Fließ
Rainer Köberl, Daniela Kröss - Fließ (A) - 2015
Dorfkernerneuerung Fließ, Foto: Lukas Schaller
Dorfkernerneuerung Fließ, Foto: Lukas Schaller
24. September 2015 - aut. architektur und tirol
Angeregt durch Architekt Johannes Wiesflecker initiierte der damalige LHStv und Wohnbaureferent Hannes Gschwentner (SPÖ) 2009 erstmalig das Tiroler Wohnbausymposium als Impulsgeber für den geförderten Wohnbau und dessen Rahmengeber. Nach zwei, in Kooperation mit dem aut und der Architektenkammer veranstalteten Symposien entstand die Idee, ein beispielhaftes Projekt für das „Wohnen im dörflichen Kontext“ in die Wege zu leiten. Zwei mögliche Gemeinden wurden von Hannes Gschwentner vorgeschlagen – in Fließ schienen alle Voraussetzungen ideal. Die Gemeinde hatte unter Bürgermeister Hans-Peter Bock bereits Vorstellungen für eine Dorfkernerneuerung entwickelt und die dazu nötigen Liegenschaftskäufe nach jahrelangen Verhandlungen getätigt. Direkt an der Dorfstraße sollte Raum für so verschiedene Funktionen wie Lebensmittelmarkt, Gemeindearzt, Gemeindeamt, Postpartner, Fremdenverkehrsverband und Friseur, eine Tiefgarage und Wohnraum sowohl für junge als auch für betagte Gemeindebürger:innen entstehen und das Dorf beleben.

Das Verfahren
Auch was den Prozess der Ideenfindung betrifft, wollte man bei diesem Pilotprojekt einen neuen Weg gehen und insbesondere die Bevölkerung intensiv einbinden, birgt doch ein derart großes Projekt mitten im Dorf beträchtliches Konfliktpotential. In einem ersten Schritt konnten sich österreichweit Architekten für das Wettbewerbsverfahren bewerben, indem sie ihre Haltung zum Bauen in ländlichem Kontext und zu einem partizipativen Prozess darlegten. Aus den 30 Bewerbungen wurden von Vertretern der Dorferneuerung Tirol, der Gemeinde und den Organisatoren des Wohnbausymposiums fünf Teams ausgewählt.

Der eigentliche partizipative Prozess wurde vom Büro „non conform“ konzipiert und abgewickelt. Alle fünf ArchitektInnenteams wurden zu einer zweitägigen „vor ort ideenwerkstatt“ nach Fließ eingeladen, wo sie nicht nur den Ort kennen lernen, sondern v. a. auch die Wünsche und Vorstellungen zahlreicher Bürger:innen jedes Alters erfahren konnten. Ein unmittelbares und äußerst wichtiges Ergebnis dieser zwei Tage war, dass quantitative Anforderungen der Ausschreibung wie Stellplatz- und Wohnungsanzahl relativiert wurden und die Wünsche der jungen Gemeindebürger:innen in Form eines „Jugendraums“ vom Gemeinderat als neuer Bestandteil des Projekts aufgenommen wurden.

Nur fünf Tage später fand die Entscheidung über die eingereichten Entwürfe im Rahmen einer eineinhalb Tage dauernden Jurysitzung statt. Auf einen ersten – anonymen – Jurydurchgang folgte am Abend die öffentliche Präsentation der Projekte durch die jeweiligen Teams und am folgenden Tage die gemeinsame Diskussion der Projekte durch Jury und Bevölkerung, die schlussendlich in die endgültige Entscheidung der Jury mündete.

Das Projekt
Die Sinnhaftigkeit des partizipativen Prozesses wird am Siegerprojekt von Rainer Köberl und Daniela Kröss offensichtlich. Zwei Tage vor Ort zu sein und dabei gut zuzuhören führte dazu, dass sich ihr bis dahin erarbeitetes Konzept in den bis zur Abgabe verbliebenen 5 Tagen völlig veränderte. Die wichtigste Entscheidung war das Auflösen des komplexen, fast städtischen Raumprogramms in drei unterschiedliche Baukörper. Die im Bezug zur kleinteiligen Dorfstruktur entwickelten Gebäude sind so am Bauplatz angeordnet, dass sich aus den dadurch erzeugten Freiräumen im Dialog stehende Platzfolgen und Durchblicke entwickeln. Alle öffentlichen und halböffentlichen Zonen der Bauteile wie der Rathaussaal, das Jugendzentrum, Geschäfte oder der Gemeinschaftsraum des betreuten Wohnens sind zum „Marktplatz“ orientiert und ohne zusätzliche innere Stiegenhäuser direkt von den Plätzen erschlossen.

Die Überreste eines auf dem Bauplatz gefundenen rätischen Hauses, deren Erhalt von der Gemeinde zwar nicht gefordert, vom Museumsverein jedoch deutlich gewünscht wurde, wurden in die Tiefgarage integriert. Als für dieses Dorf an der Römerstraße charakteristisches historisches Dokument dient der Fund zugleich auch als Verknüpfungselement zwischen einer ansonsten anonymen Tiefgarage und dem öffentlichen Raum.

„Die Eröffnung des Dorzentrums im April 2015 hat unsere Ansätze bestätigt. Die Dorfstraße bleibt das Zentrum des Dorfes – sie erweitert sich um den „Brunnenplatz“, dessen Dach ihre räumliche „Kontur“ erhält. Hier stand der Altar und positionierte sich die Musikkapelle, die ehemalige „Via Claudia“ war voll mit Bänken und Tischen. Unten am „Marktplatz“ war der Lebensmittelmarkt geöffnet – ein großer LKW lieferte noch Ware an. Jugendraum und Friseur waren erstmals geöffnet; der Zahnarzt kommt noch. Drüben im Gemeinschaftsraum des Wohnhauses („das Schlössl“ heisst’s) fanden sich die Weintrinker und im ebenerdigen Gemeinderatssaal gab’s Kaffee und guten Kuchen. Beim Arzt, in seiner hellen zum Garten und Platz orientierten Ordination, gab’s diesmal Schnaps. Gute architektonische Strukturen dienen auch dem Feiern!“ (Rainer Köberl, Daniela Kröss) (Text: Claudia Wedekind nach einem Text der Architekten)

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Für den Beitrag verantwortlich: aut. architektur und tirol

Ansprechpartner:in für diese Seite: Claudia Wedekindclaudia.wedekind[at]aut.cc

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