Bauwerk

Hausadaptierung Heubergsiedlung
studio urbanek - Wien (A) - 2021
Hausadaptierung Heubergsiedlung, Foto: David Schreyer
Hausadaptierung Heubergsiedlung, Foto: David Schreyer
24. März 2023 - Az W
Die Wiener Siedlerbewegung zählt zu den fortschrittlichsten Episoden des mitteleuropäischen Wohnungsbaus. Gleichwohl hatte sie im Wesentlichen nur vier Jahre, von 1920 bis 1923, zur Entwicklung. Organisiert im österreichischen Verband für Siedlungs- und Kleingartenwesen, bildete die Siedlerbewegung ein basisdemokratisches, außerhalb der Wiener Magistratsstruktur agierendes Netzwerk. Zu ihren Protagonist:innen zählten Otto Neurath, Max Ermers, Josef Frank, Margarethe Lihotzky, Adolf Loos und andere.
Wohnen wurde nicht als Unterbringung verstanden, sondern als Voraussetzung für ein gelingendes und selbstbestimmtes Leben. In einem umfassenden Bildungsangebot, in Schulungen und Vorträgen lernten die Siedler:innen über Ernährung, Gesundheit, Gärtnern und Selbstversorgung. Das Baubüro des Verbandes vermittelte eine vom Ballast befreite Form des Wohnens. Zahlreiche inhaltliche und räumliche Angebote sorgten für reges Gemeinschaftsleben.
Die Grundstücke für die Siedlungen wurden von der Gemeinde Wien im Baurecht zur Verfügung gestellt, die Häuser sind – bis heute – im Eigentum der Genossenschaften. Die Siedler:innen waren zu einer beträchtlichen Eigenleistung von 2000 bis 3000 Arbeitsstunden beim Bau verpflichtet, nach Fertigstellung erhielten sie eines der Häuser per Los.

Zu den Pioniersiedlungen zählte jene am Heuberg (1921-1924) unter der Planungsleitung der Architekten Hugo Mayer und Adolf Loos. Hugo Mayer war bereits 1912 im Auftrag der Gemeinde Wien in England gewesen, um dort Gartenstädte zu studieren; er war einer der profiliertesten Siedlungs-Architekten in Wien. Ihm oblag die Gesamtplanung der Heubergsiedlung mit 169 Reihenhäuser und zahlreichen Gemeinschaftseinrichtungen.
Loos war von 1920 bis 1924 Chefarchitekt im neugegründeten Siedlungsamt der Stadt Wien.
Die Heubergsiedlung war als Lehrsiedlung angelegt, in der mit unterschiedlichen, kostengünstigen Bauweisen experimentiert werden konnte. Zum baulichen Experiment zählen auch die Flachdächer (Presskiesdächer), die hier erstmals im Rahmen des Wiener Siedlungsbaus realisiert wurden.
Die zweigeschossigen Reihenhäuser haben eine Wohnfläche von ca. 70 m² und einen Garten von ca. 300 m², der auch zur Selbstversorgung diente. Für die Hausentwürfe waren 15 Planer:innen zuständig. Von Adolf Loos stammt eine Gruppe von acht Reihenhäusern (Röntgengasse 138 / Plachygasse) nach dem „System Loos“, dem sogenannten Haus mit einer Mauer, bei der jeweils zwei Siedlungshäuser eine tragende Mauer teilen, um Baukosten zu sparen. Diese acht Häuser stehen unter Denkmalschutz.
Die gesamte Siedlung ist von der Stadt Wien als Schutzzone ausgewiesen. Jedoch wurden die meisten Häuser bereits seit den 1960er Jahren stark verändert.

Wie man mit den Siedlungen und ihren Häusern als Zeugnisse einer Wohnbau-Epoche, von der man heute noch lernen kann, umgeht, ist nachhaltig wichtig. Als Katharina Urbanek / studio urbanek mit der Erweiterung und Adaptierung eines Hauses in der Heubergsiedlung beauftragt wurde, war es für sie selbstverständlich, sich als Voraussetzung für die Planung intensiv mit der Siedlerbewegung zu beschäftigen; die historische Bedeutung des Hauses vermittelte sie auch den Auftraggebern.
Die Siedlungshäuser haben bescheidene Substanz und ihre Größe genügt heutigen Ansprüchen nicht mehr. Die Lage am Heuberg mit Blick über Wien und in unmittelbarer Nähe zum Wiener Wald ist jedoch hervorragend. Diese bevorzugte Lage kam vor 100 Jahren den untersten sozialen Schichten zugute. Neben der Lage und der günstigen Miete sind die Gärten das große Plus der Häuser. Der Garten gab auch den Ausschlag, dass die Auftraggeber – eine junge Familie mit zwei Kindern, die Vorfahren der Mutter waren Siedler –, sich entschieden, hier zu bleiben und das Haus zu erweitern.

Das Haus liegt inmitten einer Reihe von neun Wohnhäusern, entworfen vom Ingenieur und Stadtplaner Hans Uvodich in Hohlmauerwerk-Bauweise. Deren Straßenseiten wurden kürzlich von der Genossenschaft thermisch saniert und Zäune, Brüstungen, Hauszugänge einheitlich, aber mit wenig Gespür für die historische Substanz erneuert.
Die Planung der Architektin bezog sich auf die innere Umgestaltung und den Zubau an der Gartenseite. Der zweigeschossige Anbau erweitert die Wohnfläche von 70 m² auf die maximal zulässigen 100 m². Anstelle der bisherigen verschachtelten kleinräumigen Unterteilungen generierte Urbanek in beiden Geschossen einen offenen Raumfluss von der Straßen- bis zur Gartenseite und eine Sichtverbindung von der Eingangstüre zum Garten.
Die ursprüngliche Anlage der steilen und schmalen Stiege wurde beibehalten, über einen Luftraum und eine Galerie öffnen sich nun aber auch Erd- und Obergeschoss zueinander.
Teile der originalen Bausubstanz hat die Architektin freigelegt: Die tragende Ziegelaußenwand zum Garten, die durch den Anbau zur Innenwand wird, einen Betonträger und die Holztramdecke. Dadurch entsteht viel greifbare Atmosphäre, die Eigenarbeit der Siedler:innen beim Bau ist sichtbar. Für den Zubau bezieht sich Urbanek auf die einfache Materialität des Siedlungshauses: Holzrahmenwände im Obergeschoss, Sichtbausteine aus Kalksandstein im Erdgeschoss und Holzbalkendecken. Gleichzeitig ist es Urbanek gelungen, mit dem Wohngeschoss einen auch atmosphärisch neuen Raum zu schaffen.

Eine grundlegende Entscheidung war, Wohn- und Schlafzone umzudrehen: Die Schlafzimmer wurden ins Erdgeschoss, der offene Wohn-, Küchen- und Essbereich ins Obergeschoss verlegt. Der Anbau weitet sich im Obergeschoss zu größerer Raumhöhe und eröffnet sich hier über die gesamte Höhe und Breite nach Norden zum Garten. Damit entsteht gegenüber den niedrigen Räumen des Siedlungshauses eine neue großzügige Architektur und Raumstimmung. Oberlichten nach Süden sorgen in der Essküche für Querlüftung, für zweiseitige Belichtung und für Sonnenlicht. Mit dem Garten, in dem noch Obstbäume aus der Erbauungszeit stehen, ist der Wohn-/Essbereich über eine Metall-Außenstiege verbunden.
Im Erdgeschoss beschränkt sich die Öffnung zum Garten auf zwei schmale Glastüren. Ein Kiesstreifen schafft ebenfalls eine gewisse Distanz zum Grün. Eine ähnliche Distanz zwischen den Innenräumen und dem Garten findet sich in Loos’ Einfamilienhäusern. Loos’isch ist auch die kleine Galerie mit Arbeitsplatz als Bereicherung des Raumangebots.

Nur wenige Elemente sind fix eingebaut, sodass beide Geschosse jeweils in einem Rundlauf zu erleben sind. Urbanek verwendet Einbaumöbel, wie sie in der Zeit der Siedlerbewegung neu in die Wiener Wohnkultur eingebracht wurden. Sie setzt verschiebbare Trennwände und Vorhänge als Raumteiler ein, um je nach Bedarf Veränderungen zu ermöglichen.
In Abstimmung mit den Bewohner:innen erfolgte die Farbgebung in pastelligen Gelb- und Grüntönen als Ergänzung zu den Eigenfarben der historischen und neuen Materialien. (Text: Maria Welzig)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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