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domus Deutsche Ausgabe 14-009
domus Deutsche Ausgabe 14-009
zur Zeitschrift: domus
Wie umgehen mit dem kulturellen Erbe?

Manche Generationen fassen die Architektur ihrer Vorfahren als lästigen Ballast auf und bemühen sich, ihn ohne Umschweife loszuwerden. So beschloss die Hamburger Bürgerschaft 1804, den großen gotischen Dom der Hansestadt abzureißen. Heute erinnert nur noch der Rummel - die Hamburger nennen ihn `Dom´- an die alte Marienkirche. Braunschweig wiederum entledigte sich 1961 seines Welfenschlosses. Einige Jahrzehnte später jedoch wollten die Braunschweiger ihr Schloss wieder haben und ließen den spätklassizistischen Bau als Shopping Mall wiederauferstehen. In Berlin vollzieht sich diese Abriss- und Wiederaufbauwut nach bekanntem Schema: Weil es den DDR-Funktionären ein Dorn im Auge war, wurde das Stadtschloss gesprengt und stattdessen der Palast der Republik gebaut. Nach dessen Abriss wird nun das historische Stadtschloss rekonstruiert. Wie rücksichtslos oft mit dem kulturellen Erbe umgegangen wird, zeigt auch die Dresdner Waldschlösschenbrücke. Ein Bür­gerentscheid beschloss den Bau der vier­­spu­rigen Auto­brücke, mit der die Kulturland­schaft des Dresdner Elbtals ihren Welterbe­titel der UNESCO verlor.

Das Bauhaus Dessau steht seit 1996 auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO, besondere Vorsicht im Umgang mit dem Gropius-Vermächtnis ist nicht nur deshalb geboten. Trotzdem entschied man sich im Fall der beiden neu errichteten Meisterhäuser - seit dem 2. Weltkrieg war von ihnen gar nichts mehr übrig oder nur noch die Fundamente - gegen eine historische Rekonstruktion.

Stattdessen sind die neuen Häuser Gropius und Moholy-Nagy eine Interpretation der historischen Architektur von Walter Gropius.

Bruno Fioretti Marquez Architekten gaben dem heutigen Mythos Bauhaus mit ihrem Entwurf ein Gesicht, das zugleich Nähe zu den ursprünglichen Planungen vermittelt und Unterschiede nicht verheimlicht, sondern deutlich zu erkennen gibt. Abstrahierte Flächen und reduzierte Volumen, deren Kubatur sich an die Entwürfe von Gropius hält, lassen die Gebäude wie Modelle erscheinen. In ihrer `präzisen Unschärfe´, wie die Architekten ihr Konzept nennen, offenbaren die Häuser einerseits ihren historischen Abstand und beziehen sich andererseits dennoch auf die architektonischen Grundprinzipien des Bauhauses. Insgesamt zeigen die beiden Neubauten einen alternativen Weg auf im Umgang mit dem historischen Kulturerbe und der Erinnerung daran. Statt der Rekonstruktion einer Kopie übertragen sie den Gehalt dieses Erbes auf die Gegen­wart und machen das Bauhaus im Hier und Jetzt lebendig. Wir zeigen Ihnen die neuen Meisterhäuser in den exklusiven und beeindruckenden Aufnah­men von Armin Linke, die Ihnen einen Vor­geschmack auf seinen Fotoessay zum Thema geben, der bei Spector Books erscheinen wird. Außerdem finden Sie in dieser Ausgabe noch verschiedene weitere Projekte, die sich ähnlich wie die neuen Meisterhäuser auf einen bedachten Umgang mit dem kulturellen Erbe einlassen - sei es in den Bergen Graubündens, in Santiago de Chile, wo Smiljan Radic das Chilenische Museum für präkolumbische Kunst erweitert hat, oder in Castelo Branco in Portugal. Dort gelang es dem spanischen Architekten Josep Lluís Mateo, die Ortsmitte durch einen neuen Kulturbau wiederzubeleben.

Im Design-Teil dieser Ausgabe stellen wir aktuelle Entwürfe der Stuttgarter Designer Jehs Laub samt ihrer Expertise für Möbel im Bürobereich vor. Wir halten außerdem die Arbeitsweise von Alan Kitching fest. Der britische Typograf arbeitet in seinem Londoner Atelier mit alten Bleisätzen. Schließlich blicken wir zurück auf das Neue Deutsche Design der 1980er-Jahre: Es ist längst an der Zeit, auch dieses kulturelle Erbe neu zu entdecken.

Bevor Sie mit der Lektüre beginnen, noch eine Notiz in eigener Sache: Einige unserer Beiträge sind von den entsprechenden Architekten, Designern oder Künstlern selbst verfasst. Wir übernehmen hier die Linie, die Nicola Di Battista, Chefredakteur der italienischen Domus, seit September letzten Jahres für die Zeitschrift vorgegeben hat. Über Architektur und Design wird viel - manchmal vielleicht zu viel - gesprochen. Jeder fühlt sich heute zum Kritiker berufen, so die Grundüberlegung dieses redaktionellen Konzepts. Nicola Di Battista hat sich daher auf ein früheres Markenzeichen der Domus besonnen. Schon seinerzeit hatten namhafte Protagonisten wie Gio Ponti, Le Corbusier oder Achille Castiglioni ihre Projekte selbst vorgestellt. Wir ergänzen diese Ausrichtung in der deutschen Ausgabe durch eigene lokale Schwerpunkte und eine journalistische Note, mit der unsere Autoren ihre Beobach­tungen festhalten, kommentieren und kritisieren.

Die Redaktion

01 Editorial
12 Meldungen

Ansichten
44 Mit Architektur leben, Architekturbiennale Venedig: Belgischer Pavillon; von Aaron Betsky
46 Nachhaltigkeit braucht mehr Ästhetik, Architekturbiennale Venedig: Dänischer Pavillon; von Amandus Sattler
48 Schweizer Diskurspalast, Architekturbiennale Venedig: Schweizer Pavillon; von Florian Heilmeyer
50 Orte der Erinnerung, Architekturbiennale Venedig: Türkischer Pavillon; von Eva Steidl
52 Im Körper der Stadt, Architekturbiennale Venedig: Italienischer Pavillon; von Cino Zucchi
56 Nichts als Raum; von John Pawson
60 Wachsende Begeisterung; von Gerrit Terstiege
62 Holleins Raummodelle; von Wilfried Kuehn und Marlies Wirth
64 Ultratextilien; von Marco Ferreri
66 Bezalel Academy of Arts and Design; von Haim Parnas

Projekte
71 Die neuen Meisterhäuser in Dessau; von Florian Heilmeyer
82 Zentraler Platz und Kulturzentrum in Castelo Branco; von Josep Lluís Mateo
90 Diskurs: Das Museum als Rahmen; von Aaron Betsky
92 Chilenisches Museum für präkolumbische Kunst; von Smiljan Radix
104 Diskurs: Die Verachtung der Geduld; von Werner Oechslin
106 Kukje Galerie in Seoul; vonSam Jacob
116 Sieben Brücken, Conzett Bronzini Gartmann
126 Meine Freunde / Meine Feinde, Sandra Bartoli, Silvan Linden
128 Gebaute Manifeste; von Massimo Curzi
138 Pragmatismus und Alltag, Entwürfe für den Büro- und Objektbereich; von Gerrit Testiere
146 Neues Deutsches Design; von Markus Zehentbauer
152 Typografische Experimente; von Alan Kitching
158 Evolution und Gestaltung; von Ross Lovegrove
166 Meine Freunde / Meine Feinde, Christoph March, Marek Gut
168 Zeit der Vielfalt; von Gaetano Pesce

Produktkultur
176 Essay: Zu Hause am Wasser; von Alexander Hoch
180 Wasserwelten: Neuheiten für das Badezimmer; von Robert Haidinger

Feedback
189 Toronto; von George Baird

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