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Fahrradgarage Stationsplein in Amsterdam

Rund um den Amsterdamer Hauptbahnhof sind Fahrradparkplätze ewige Mangelware. Früher wurde in jede Nische ein Abstellraum für »fietsen« gequetscht. Nun gibt es mehrere neue Garagen, von denen die größte unter einem Hafenbecken liegt, Raum für 7 000 Drahtesel bietet und sich als wahrhaftige Fahrradkathedrale präsentiert.

1. Oktober 2024 - Anneke Bokern
Als treinfietser, also »Zugradler« bezeichnet man auf Niederländisch Pendler, die täglich per Fahrrad zum Bahnhof fahren, um dort ihre Reise mit dem Zug fortzusetzen. Sie machen insgesamt etwa die Hälfte aller Bahnreisenden in den Niederlanden aus – und dementsprechend groß ist der Bedarf an Parkmöglichkeiten für Fahrräder rund um niederländische Bahnhöfe.

Am Amsterdamer Hauptbahnhof Centraal herrschte deshalb lange ein nur mühsam kontrolliertes Fahrrad-Parkchaos. In jede verfügbare Nische und in jeden Restraum wurde ein Abstellplatz gequetscht. Das reichte aber hinten und vorne nicht, weshalb auch im öffentlichen Raum immer viele geparkte Räder zu finden waren. Seit einigen Jahren gilt jedoch rund um den Bahnhof ein striktes Abstellverbot für Drahtesel und werden falsch geparkte Exemplare gnadenlos abgeräumt.

22 000 Plätze bis 2030

Die größten Chancen auf einen offiziellen Platz hatte man lange im »Fietsflat«, einem von VMX Architects entworfenen Parkhaus für 2 500 Räder, das seit 2001 an der Westseite des Bahnhofs über einem Hafenbecken stand und eigentlich nur als Provisorium für drei Jahre gedacht war. Es steht noch immer dort, ist aber seit Anfang 2023 geschlossen und wartet auf eine Umnutzung. Denn als Teil einer ganzen Reihe von Baumaßnahmen rund um Amsterdam Centraal – 2013 wurde eine neue Bahnhofshalle am Ufer des IJ eröffnet, 2018 eine neue U-Bahnlinie eingeweiht und 2023 der Bahnhofsvorplatz zur Fußgängerzone umgestaltet – sind auch mehrere permanente Fahrradgaragen gebaut worden. So soll die Kapazität rund um den Bahnhof bis 2030 von ursprünglich 10 000 auf insgesamt 22 000 geparkte Räder wachsen und gleichzeitig der öffentliche Raum aufgeräumt werden.

Zwei Garagen sind auf der West- und Ostseite in den Bahnhofsbau integriert und bieten zusammen 2 500 Plätze. Daneben gibt es seit 2023 auch ein 230 m langes, von VenhoevenCS entworfenes Parkhaus für 4 000 Räder, das sich auf der Nordseite des Bahnhofs unter einem Boulevard am Wasser versteckt. Die größte neue »fietsenstalling« befindet sich jedoch unter einem Hafenbecken auf der Zentrumsseite des Bahnhofs. Sie wurde vom Büro wUrck aus Rotterdam entworfen und ebenfalls letztes Jahr eröffnet. Oben fahren die Rundfahrtboote, unten parken bis zu 7 000 Drahtesel – in einer wahrhaftigen Fahrradkathedrale

Transportbänder führen in die Tiefe

Vier Jahre dauerte der Bau der Unterwassergarage. Zunächst wurde die Baugrube ausgehoben, eine Pfahlgründung angelegt und darauf ein Boden aus Unterwasserbeton gegossen. Danach pumpte man das Wasser ab und baute die Garage in der trockenen Grube fertig, bevor man das Becken wieder flutete. Über dem Parkhaus beträgt die Wassertiefe 2,40 m – genug für die Grachtenrundfahrtboote, deren Anlegestellen das Becken säumen.

Der Eingang zur 9 m unter Straßenniveau gelegenen Garage befindet sich am Südufer des Hafenbeckens. Eine grundlegende Frage beim Entwurf war, wie man die Radler ohne steile Rampen oder umständliche Aufzüge in die Tiefe transportiert. Letztlich entschied man sich für Transportbänder, die Rad und Radelnde innerhalb von zwei Minuten in die Tiefe befördern, ohne die denkmalgeschützte Ansicht des 1889 errichteten Bahnhofsgebäudes vom Architekten Pierre Cuypers zu beeinträchtigen. Wände aus rauem grauem Basaltstein flankieren den Zugang, über den auch eine Treppe für Fußgänger hinab zu den Parkflächen führt. Auf halbem Weg gibt es noch ein Zwischengeschoss mit einem Büroraum, der von den Rundfahrt-Reedereien genutzt wird.

Kein Gewinnmodell

Spektakulär ist der Moment, in dem man das Podest am Ende des ersten Transportbands erreicht und sich genau auf Augenhöhe mit dem Wasserspiegel und den Booten befindet. Unten angekommen, liegt neben dem Eingang zunächst eine verglaste Servicestation, in der man Ersatzteile kaufen und kleine Reparaturen ausführen lassen kann. Daneben stehen die elektronischen Schleusen, an denen man sein Fahrrad mit der Chipkarte für den öffentlichen Nahverkehr ein- und auschecken kann. Wie in allen von der Stadt Amsterdam betriebenen Fahrradparkhäusern sind die ersten 24 Stunden gratis. Danach zahlt man 1,35 Euro pro Tag. Das ist aber kein Gewinnmodell, sondern eher als Maßnahme gegen unerwünschtes Langzeitparken gedacht.

Hat man die Schleusen passiert, findet man sich in einem großen, hellen, übersichtlichen Raum wieder, der mit nahtlosem Fließestrich-Boden und hinterleuchteten Wänden ausgestattet ist. Die visuelle Ruhe, die die Architektur ausstrahlt, bildet einen effektvollen Kontrast zu den bunten Drahteseln. Erstaunlich ist die Beleuchtung, die beinahe Tageslichtqualität hat und völlig vergessen lässt, dass man sich eigentlich tief unter dem Wasser befindet.

Komfort und gute Gestaltung

Als größte Herausforderung bei der Gestaltung solcher Garagen gilt es, die Radler dazu zu verführen, den Weg in die Unterwelt in Kauf zu nehmen. Stadt und Bahn setzen dabei nicht nur auf Komfort, sondern auch auf gute Gestaltung. »Wir haben sehr auf die Gebrauchsfreundlichkeit geachtet und darauf, dass die Garage wie geschmiert funktioniert«, sagt Oriol Casas Cancer, Partner bei wUrck. Die Architekten haben das Parkhaus als Ode an das Wasser gestaltet und auch verschiedene Kunstwerke zu diesem Thema integriert. Collagen aus Karten und Fotos, die die Entwicklung Amsterdams im Laufe der Jahrhunderte zeigen und in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum entworfen wurden, zieren die 50 m lange, gebogene Ostwand. An der Decke der Garage findet sich eine Reihe runder, ebenfalls hinterleuchteter Oculi mit historischen Stadtansichten.

Sie sind Teil einer leicht gebogenen Kolonnade aus tropfenförmigen Stützen, die den Raum von Süd nach Nord durchquert und als Hauptlaufroute dient. Zu ihrer Rechten und Linken liegen die Fahrradparkplätze. Rote und grüne LED-Lämpchen in den Stützen zeigen den Besetzungsgrad der Fahrradständer an. Das doppelstöckige Fahrradparksystem bietet neben Raum für normale Fahrräder auch breitere Plätze für Räder mit Korb oder Kindersitz; nur Lastenräder müssen draußen bleiben und in markierten Zonen im öffentlichen Raum parken.

Raue Schale, glänzender Kern

Hat man sein fiets abgestellt, braucht man die Garage nicht auf demselben Weg zu verlassen, sondern gelangt am anderen Ende der Halle trockenen Fußes zum Ausgang, der zunächst in die U-Bahnstation und von dort aus direkt in die Bahnhofshalle mündet. Auch er wird flankiert von zwei Kunstwerken: große, schwarzweiße Sgraffitos von Lex Hoorn aus den 1960er Jahren, die aus einem abgerissenen Bürobau stammen und zuvor im Gemeindedepot eingelagert waren. Nun haben sie ein neues Heim als Torwächter in der Fahrradgarage gefunden.

Die Architekten vergleichen die Garage wegen der rauen Basaltschale und des glänzend weißen, rundlichen Innenlebens gerne mit einer Auster. Viel bemerkenswerter sind jedoch die Qualität der Beleuchtung und die Raumwirkung des Baus. 2019 wurde am Bahnhof Utrecht eine noch größere Garage eröffnet, die Platz für 12 500 Räder bietet und damit den Weltrekord hält. Sie ist mit ihren drei Geschossen und einem Wald aus Stützen jedoch vergleichsweise labyrinthisch. In Amsterdam hat man schon beim Betreten der Garage alles im Blick und weiß sofort, wie man auf dem schnellsten Weg zum Zug gelangt. Und das ist es letztlich, was für den treinfietser zählt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Emre Onuremre.onur@konradin.de

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