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Stand der Dinge
Die Ausstellung „zeichenbau“ im Künstlerhaus dokumentiert Status quo und Visionen der Wiener Stadtplanung, bleibt aber entscheidende Antworten schuldig.
25. August 1999 - Patricia Grzonka
Wie hat sich Wien doch in den letzten Jahren verändert! Ein Gebäude umfasst nicht mehr nur fünf offizielle und zwei verkappte Geschosse, sondern wahlweise 25 (wie das 1998 fertig gestellte Wohnhochhaus von Coop-Himmelb(l)au in Kagran), 20 (wie das Wohnhochhaus der Architektengemeinschaft NFOG, ebenfalls im 22. Bezirk) oder gar 50 wie der Millennium Tower von Peichl/Podrecca/Weber. Kein neu eröffnetes Lokal, das nicht auf modern getrimmt worden wäre; ganz zu schweigen von den vielen Schulen, Kindergärten und Wohnanlagen, die erstens neu entstanden sind und zweitens von bemerkenswerten, oft jüngeren Architekten oder Architektinnen entworfen wurden.
Die in Zusammenarbeit mit der Stadtplanung Wien entstandene Ausstellung „zeichenbau“ im Wiener Künstlerhaus widmet sich in ihrem ersten Teil diesem momentanen architektonischen „Stand der Dinge“: Markante Neubauten, neue Tendenzen, Umbauten historischer Gebäude werden auf Fotos dokumentiert und inventarisiert. Im zweiten Teil „real virtualities“ werden künstlerische Projekte präsentiert, die im Grenzgebiet von Architektur und bildender Kunst angesiedelt sind (ein weiterer Bereich, „Traumstadt Wien“, stellt Studenten-Entwürfe vor). Während der erste Teil materialintensiv und informativ - wenngleich auch mit einer großen Ration städtischer Imagepflege aufpoliert - ist, bilden die künstlerischen Projekte, von denen man sich einen kritischen Beitrag erwartet hätte, eine reine Spektakelzone - was auch wieder bezeichnend für die zeitgenössische Wiener Stadtlandschaft ist.
Viele der im ersten Ausstellungssektor in ihrer Baugeschichte dokumentierten Projekte sind bekannt; andere kennt man kaum, weil sie sich dem flüchtigen Passantenblick entziehen. Der 1995 von Peter Lorenz realisierte Dachaufbau des Hotels Triest etwa oder das Penthouse von Rüdiger Lainer in der Seilergasse, das zwar in Fachzeitschriften besprochen wurde, sich für den Fußgänger aber außer Sichtweise befindet. Hier schließt „Der Stand der Dinge“ Lücken der Wahrnehmung.
Wenigstens für Stubenhocker neu ist die Einsicht, dass die Beislszene auch architektonisch boomt. Von den Lokalen unter den Gürtel-Bögen, dem rhiz und dem B 72, über das Dennstedt und das Palmenhaus bis zum Guess Club - alles, was an Lokal-Neugründungen der letzten Jahre Szenecharakter erhalten hat, basiert auf qualitativ hoher Baukultur. Urbane Großprojekte wie die Gasometer in Simmering oder Prestige- und Ideologieträger wie das Museumsquartier - alles wird von den für diesen Teil verantwortlichen Jan Tabor und Leopold Dungl detailreich und präzise aufbereitet.
Eine der größeren Erfolgsstorys der jüngeren Wiener Stadtgeschichte ist die Realisierung der „Donaucity“. Die Expandierung über die jahrhundertealte Begrenzung durch die Donau hinaus hat einen genauso unerwarteten wie chaotischen Verlauf genommen: Nach der Absage an die EXPO 95 hat kaum jemand mehr an die urbane Anziehungskraft der „Platte“ geglaubt. Es hat sich gerade hier überraschenderweise ein Sog entwickelt, der nicht nur architektonische Neuorientierungen gebracht hat, sondern offenbar auch von den neuen Bewohnern als funktionierendes Urban-Geflecht wahrgenommen wird.
Die normative Kraft der latenten Logik der Stadtentwicklung und ihrer faktischen Gegebenheiten sei oft stärker als die stadtplanerischen Moden: So fasst Jan Tabor in seinem erhellenden Katalog-Essay zur Stadtentwicklung den Pragmatismus in Worte, der zu dieser schnellen Entwicklung jenseits der Donau geführt hat. Wenn Stadtplanung, wie man daraus schließen kann, zwar nicht obsolet, aber doch wirkungslos geworden ist, sucht man in der Ausstellung allerdings vergeblich nach Hinweisen für die politischen bzw. ökonomischen Voraussetzungen, die einen solchen Bau- und Investitionsboom erst ermöglichten. Eigentlich hätte man eine Art Analyse des gebauten Zustands von den künstlerischen Projekten erwartet. Die von Manfred Wolff-Plottegg im zweiten Teil von „zeichenbau“ zusammengestellten Installationen und, mehr noch, deren Inszenierung erbringen aber eher den Eindruck eines diffusen, marktorientierten Hightechparks als einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Architektur und Stadt.
Grundthema ist hier die Diskussion um den Allerweltsbegriff „virtueller Raum“, seine „Definition und seine Möglichkeiten als neue Kategorie des Architektonischen“, wie Künstlerhaus-Präsident Manfred Nehrer im Katalogvorwort schreibt. Dieser Auseinandersetzung mit dem virtuellen Raum liegt die von Wolff-Plottegg vertretene Auffassung zugrunde, dass sich Architektur nicht mehr als Objekt verstehe, sondern als Prozess. Architektur und deren Behandlung des Raums sind jedoch nicht erst durch die Einführung des Computers in der Planung, wie es Wolff-Plottegg nahelegt, als fluktuierend begriffen worden. Bereits in Konzepten der Sechzigerjahre wurden wesentlich flexibilisierte Annäherungen an Raumstrukturen erprobt, die oft auch mögliche Veränderungen des gesellschaftlichen Körpers mitreflektierten. Wenn man den rein spekulativen Charakter dieser Werkinszenierung bedenkt, gelangt man zum Schluss, dass sich heutige Architekturauffassungen gänzlich abgelöst haben von jeglicher sozialpolitischen Relevanz. Dass das beliebige Mainstream-Spektakel aber nur eine Seite von zeitgenössischer Baukultur ist, lässt sich unter anderem von den überraschend pragmatischen neuen Wohnanlagen der Stadt Wien ableiten.
Unter diesen Voraussetzungen fallen auch die spannenderen Arbeiten - Hans Kuppelwiesers hintersinnige Rolltreppe oder das „tx-transform“ genannte Verfahren, die Zeit- und Raumachsen im Film miteinander zu vertauschen - wenig auf: Betritt man den großen Hauptraum des Künstlerhauses, wird man eingenebelt vom Klimpern der Kling-Klang-Begleitmusik jeglicher Art von „Medienkunst“. Video-Screens hängen von der Decke, im Halbdunkel taucht hie und da ein Monitor auf, manchmal darf man selber einen Hebel betätigen oder eine Maus anklicken.
Interessanterweise unterscheiden sich die realisierten Projekte im städtischen Wohnbau von dieser flottierenden Architekturvorstellung fast vollständig. Was in den Neunzigerjahren an Wohnanlagen realisiert wurde, lässt sich viel eher mit einem Nachhall der architektonischen Moderne vergleichen als mit prozessualen Strukturen. Warum das so ist und wer dafür verantwortlich ist, das hätte man hier gerne erfahren.
Bis 26. September im Künstlerhaus.
Die in Zusammenarbeit mit der Stadtplanung Wien entstandene Ausstellung „zeichenbau“ im Wiener Künstlerhaus widmet sich in ihrem ersten Teil diesem momentanen architektonischen „Stand der Dinge“: Markante Neubauten, neue Tendenzen, Umbauten historischer Gebäude werden auf Fotos dokumentiert und inventarisiert. Im zweiten Teil „real virtualities“ werden künstlerische Projekte präsentiert, die im Grenzgebiet von Architektur und bildender Kunst angesiedelt sind (ein weiterer Bereich, „Traumstadt Wien“, stellt Studenten-Entwürfe vor). Während der erste Teil materialintensiv und informativ - wenngleich auch mit einer großen Ration städtischer Imagepflege aufpoliert - ist, bilden die künstlerischen Projekte, von denen man sich einen kritischen Beitrag erwartet hätte, eine reine Spektakelzone - was auch wieder bezeichnend für die zeitgenössische Wiener Stadtlandschaft ist.
Viele der im ersten Ausstellungssektor in ihrer Baugeschichte dokumentierten Projekte sind bekannt; andere kennt man kaum, weil sie sich dem flüchtigen Passantenblick entziehen. Der 1995 von Peter Lorenz realisierte Dachaufbau des Hotels Triest etwa oder das Penthouse von Rüdiger Lainer in der Seilergasse, das zwar in Fachzeitschriften besprochen wurde, sich für den Fußgänger aber außer Sichtweise befindet. Hier schließt „Der Stand der Dinge“ Lücken der Wahrnehmung.
Wenigstens für Stubenhocker neu ist die Einsicht, dass die Beislszene auch architektonisch boomt. Von den Lokalen unter den Gürtel-Bögen, dem rhiz und dem B 72, über das Dennstedt und das Palmenhaus bis zum Guess Club - alles, was an Lokal-Neugründungen der letzten Jahre Szenecharakter erhalten hat, basiert auf qualitativ hoher Baukultur. Urbane Großprojekte wie die Gasometer in Simmering oder Prestige- und Ideologieträger wie das Museumsquartier - alles wird von den für diesen Teil verantwortlichen Jan Tabor und Leopold Dungl detailreich und präzise aufbereitet.
Eine der größeren Erfolgsstorys der jüngeren Wiener Stadtgeschichte ist die Realisierung der „Donaucity“. Die Expandierung über die jahrhundertealte Begrenzung durch die Donau hinaus hat einen genauso unerwarteten wie chaotischen Verlauf genommen: Nach der Absage an die EXPO 95 hat kaum jemand mehr an die urbane Anziehungskraft der „Platte“ geglaubt. Es hat sich gerade hier überraschenderweise ein Sog entwickelt, der nicht nur architektonische Neuorientierungen gebracht hat, sondern offenbar auch von den neuen Bewohnern als funktionierendes Urban-Geflecht wahrgenommen wird.
Die normative Kraft der latenten Logik der Stadtentwicklung und ihrer faktischen Gegebenheiten sei oft stärker als die stadtplanerischen Moden: So fasst Jan Tabor in seinem erhellenden Katalog-Essay zur Stadtentwicklung den Pragmatismus in Worte, der zu dieser schnellen Entwicklung jenseits der Donau geführt hat. Wenn Stadtplanung, wie man daraus schließen kann, zwar nicht obsolet, aber doch wirkungslos geworden ist, sucht man in der Ausstellung allerdings vergeblich nach Hinweisen für die politischen bzw. ökonomischen Voraussetzungen, die einen solchen Bau- und Investitionsboom erst ermöglichten. Eigentlich hätte man eine Art Analyse des gebauten Zustands von den künstlerischen Projekten erwartet. Die von Manfred Wolff-Plottegg im zweiten Teil von „zeichenbau“ zusammengestellten Installationen und, mehr noch, deren Inszenierung erbringen aber eher den Eindruck eines diffusen, marktorientierten Hightechparks als einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Architektur und Stadt.
Grundthema ist hier die Diskussion um den Allerweltsbegriff „virtueller Raum“, seine „Definition und seine Möglichkeiten als neue Kategorie des Architektonischen“, wie Künstlerhaus-Präsident Manfred Nehrer im Katalogvorwort schreibt. Dieser Auseinandersetzung mit dem virtuellen Raum liegt die von Wolff-Plottegg vertretene Auffassung zugrunde, dass sich Architektur nicht mehr als Objekt verstehe, sondern als Prozess. Architektur und deren Behandlung des Raums sind jedoch nicht erst durch die Einführung des Computers in der Planung, wie es Wolff-Plottegg nahelegt, als fluktuierend begriffen worden. Bereits in Konzepten der Sechzigerjahre wurden wesentlich flexibilisierte Annäherungen an Raumstrukturen erprobt, die oft auch mögliche Veränderungen des gesellschaftlichen Körpers mitreflektierten. Wenn man den rein spekulativen Charakter dieser Werkinszenierung bedenkt, gelangt man zum Schluss, dass sich heutige Architekturauffassungen gänzlich abgelöst haben von jeglicher sozialpolitischen Relevanz. Dass das beliebige Mainstream-Spektakel aber nur eine Seite von zeitgenössischer Baukultur ist, lässt sich unter anderem von den überraschend pragmatischen neuen Wohnanlagen der Stadt Wien ableiten.
Unter diesen Voraussetzungen fallen auch die spannenderen Arbeiten - Hans Kuppelwiesers hintersinnige Rolltreppe oder das „tx-transform“ genannte Verfahren, die Zeit- und Raumachsen im Film miteinander zu vertauschen - wenig auf: Betritt man den großen Hauptraum des Künstlerhauses, wird man eingenebelt vom Klimpern der Kling-Klang-Begleitmusik jeglicher Art von „Medienkunst“. Video-Screens hängen von der Decke, im Halbdunkel taucht hie und da ein Monitor auf, manchmal darf man selber einen Hebel betätigen oder eine Maus anklicken.
Interessanterweise unterscheiden sich die realisierten Projekte im städtischen Wohnbau von dieser flottierenden Architekturvorstellung fast vollständig. Was in den Neunzigerjahren an Wohnanlagen realisiert wurde, lässt sich viel eher mit einem Nachhall der architektonischen Moderne vergleichen als mit prozessualen Strukturen. Warum das so ist und wer dafür verantwortlich ist, das hätte man hier gerne erfahren.
Bis 26. September im Künstlerhaus.
Für den Beitrag verantwortlich: Falter
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