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Mit Bauwut gegen Kaczyński
Am Donnerstag wurde im Architekturzentrum Wien die Ausstellung „Europas beste Bauten“ eröffnet. Am polnischen Siegerprojekt in Stettin manifestiert sich die Energie eines ganzen Landes. Ob das so bleibt?
11. Juni 2016 - Wojciech Czaja
Rundherum Plattenbauten, mehrspurige Straßen und riesige unbebaute Parkflächen. Vom einstigen Charme dieser dispersen, vom kommunistischen Wiederaufbau gezeichneten Stadt ist hier im Osten, nur wenige Schritte von der Oder entfernt, nicht mehr viel zu spüren. Doch dann taucht, wie aus dem Nichts, ein weißes, gleißendes, leuchtendes Etwas auf. Hinter der abstrakten Glashülle, die direkt neben der Landespolizeizentrale Nacht für Nacht zur mehrgeschoßigen Straßenlaterne mutiert, verbirgt sich die 2014 eröffnete Mieczysław-Karłowicz-Philharmonie.
„Stettin war früher von einer Vielzahl gotischer Bauten geprägt“, sagt Marta Grządziel, Architektin und Projektleiterin im spanischen Architekturbüro Barozzi/Veiga. „Nachdem der Großteil der Altstadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, wollten wir die Pracht von damals auf neu interpretierte Weise nachstellen – aber natürlich nicht mit einer Kopie, sondern mit einer modernen, zeitgenössischen Sprache.“ Die spitzen Fassadegiebel, so Grządziel, könnten alles Mögliche sein. Vielleicht auch der leise, verblichene Schatten eines alten, gotischen Kaufmannshauses.
Letztes Jahr wurde der ungewöhnliche Bau, der weltweit für Furore sorgte und den das niederländische Architekturmagazin Mark einmal als „städtischen Eisberg“ bezeichnete, mit dem biennal ausgelobten Mies van der Rohe Award 2015 ausgezeichnet. Seit Donnerstag ist der Hauptpreisträger, einer von insgesamt 420 eingereichten Projekten aus ganz Europa, in der Wanderausstellung Europas Beste Bauten. Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen.
Leuchtendes Chamäleon
„Egal, welchen Kulturbau wir errichtet hätten, er wäre in jedem Fall in einem visuellen und kulturellen Gegensatz zur heutigen Plattenbau-Umgebung gestanden“, sagt Grządziel. „Also haben wir beschlossen, den Kontrast bewusst zu verstärken.“ 25.000 LED-Leuchten befinden sich hinter der bis zu 15 Meter hohen Milchglasfassade. Je nach Tageslicht und musikalischem Programm kann das Haus in mal weißes, mal grellbuntes Licht gehüllt werden. Allein schon die Handyfotos, die im Internet kursieren, gewähren Einblick in die Beliebtheit des leuchtenden Chamäleons.
Im Inneren der schweigsamen Hülle lauert ein weißes Foyer mit anschließenden Ausstellungs- und Pausenflächen sowie einer riesigen Wendeltreppe, die sich wie ein Korkenzieher nach oben schraubt. Von dort gelangt man in die beiden Konzertsäle. Die kantige Wand- und Deckengestaltung in Schwarz und Messing, eine akustische Maßnahme, folgt dem geometrischen Prinzip der Fibonacci-Zahlenreihe.
Die Philharmonie in Stettin ist ein schöner Bau, der in der Ausstellung im AzW deutlich auffällt. Aber er ist bei weitem kein Einzelfall. In den letzten Jahren ist in Polen eine Vielzahl außergewöhnlicher Bauten entstanden, die sich hinter den Architektur-Rangoberen wie etwa Spanien, Portugal, Dänemark und Niederlande längst nicht mehr zu verstecken braucht. Woran das liegt?
„Ich beobachte, dass die letzten zwölf Jahre seit dem EU-Beitritt Polens einen dramatischen Anstieg der Architekturqualität mit sich gebracht haben“, sagt AzW-Direktor Dietmar Steiner. „Ob das nun Einfamilienhäuser, Wohnbauten, Kulturbauten, Interventionen im öffentlichen Raum oder Umnutzungen von alten Industrie-Arealen sind – unter den neuen EU-Ländern in Ost- und Südosteuropa hat Polen wahrscheinlich die größte baukulturelle Entwicklung durchgemacht und eine völlig neue Generation von Architekten mit sich gebracht.“ Die hohe Qualität, so Steiner, zeige sich nicht zuletzt in Jurien, Gremien sowie in der Durchführung internationaler Wettbewerbe.
Rege Bautätigkeit
Das Grazer Büro Riegler Riewe stellte 2014 das Schlesische Museum in Katowice fertig. Die Revitalisierung der alten Kohlegrube dient nun als großteils unterirdischer Hort moderner Kunst. Das Miteinander aus geätztem Glas und original belassenen Schachttürmen wirkt fast surreal. Im gleichen Jahr wurde das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau eröffnet. Das Projekt des finnischen Büros Lahledma & Mahlamäki bildet im Inneren amorphe Gesteinsformationen nach, die an Moses’ Teilung des Schilfmeers erinnern sollen.
2015 wurde das Shakespeare-Theater in Danzig eröffnet. Architekt Renato Rizzi setzte ein mächtiges Schiff aus fast schwarzem Klinkerziegel in die Innenstadt. Das Dach des Theatersaals, dem Londoner Globe nachempfunden, lässt sich bei Schönwetter öffnen. Und erst kürzlich feierte man Premiere im Jordanki-Auditorium in Toruń. Der kanarische Architekt Fernando Menis metzte mitten in die Unesco-geschützte Innenstadt einen riesigen Felsen samt feurig-steinernem Innenleben.
„Die Baukultur in Polen spiegelt die Aufbruchstimmung der letzten 26 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wider“, sagt der polnische Designer und Kulturtheoretiker Jakub Szczęsny. „So gesehen ist die rege und hochwertige Bautätigkeit nicht nur reine Bedarfsdeckung, sondern auch eine gewisse Kompensation der Zeit des kommunistischen Regimes. Die Dynamik der NGOs, der Kreativen und der Zivilgesellschaft ist einfach großartig.“
Doch die Euphorie hat ein Ablaufdatum. Was man heute sehe, sei das Echo einer prosperierenden Zeit. „Der nationalkonservative Rechtsruck wird sämtlichen Formen zeitgenössischen Kulturschaffens früher oder später einen Riegel vorschieben“, ist Szczęsny überzeugt. „Und auch die EU-Fördergelder für Mittelosteuropa werden 2020 auslaufen. Spätestens dann, fürchte ich, werden Jarosław Kaczyński und Konsorten eine Ära der griechischen Tempel und sozialistischen Protzpaläste einläuten.“
Polen ist der Beweis dafür, dass Architektur auch Ausdruck politischen Denkens ist. Je offener die Politik, desto freier der kreative Geist. So gesehen steht die gesamteuropäische Baukultur vor einer großen Prüfung.
„Stettin war früher von einer Vielzahl gotischer Bauten geprägt“, sagt Marta Grządziel, Architektin und Projektleiterin im spanischen Architekturbüro Barozzi/Veiga. „Nachdem der Großteil der Altstadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, wollten wir die Pracht von damals auf neu interpretierte Weise nachstellen – aber natürlich nicht mit einer Kopie, sondern mit einer modernen, zeitgenössischen Sprache.“ Die spitzen Fassadegiebel, so Grządziel, könnten alles Mögliche sein. Vielleicht auch der leise, verblichene Schatten eines alten, gotischen Kaufmannshauses.
Letztes Jahr wurde der ungewöhnliche Bau, der weltweit für Furore sorgte und den das niederländische Architekturmagazin Mark einmal als „städtischen Eisberg“ bezeichnete, mit dem biennal ausgelobten Mies van der Rohe Award 2015 ausgezeichnet. Seit Donnerstag ist der Hauptpreisträger, einer von insgesamt 420 eingereichten Projekten aus ganz Europa, in der Wanderausstellung Europas Beste Bauten. Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen.
Leuchtendes Chamäleon
„Egal, welchen Kulturbau wir errichtet hätten, er wäre in jedem Fall in einem visuellen und kulturellen Gegensatz zur heutigen Plattenbau-Umgebung gestanden“, sagt Grządziel. „Also haben wir beschlossen, den Kontrast bewusst zu verstärken.“ 25.000 LED-Leuchten befinden sich hinter der bis zu 15 Meter hohen Milchglasfassade. Je nach Tageslicht und musikalischem Programm kann das Haus in mal weißes, mal grellbuntes Licht gehüllt werden. Allein schon die Handyfotos, die im Internet kursieren, gewähren Einblick in die Beliebtheit des leuchtenden Chamäleons.
Im Inneren der schweigsamen Hülle lauert ein weißes Foyer mit anschließenden Ausstellungs- und Pausenflächen sowie einer riesigen Wendeltreppe, die sich wie ein Korkenzieher nach oben schraubt. Von dort gelangt man in die beiden Konzertsäle. Die kantige Wand- und Deckengestaltung in Schwarz und Messing, eine akustische Maßnahme, folgt dem geometrischen Prinzip der Fibonacci-Zahlenreihe.
Die Philharmonie in Stettin ist ein schöner Bau, der in der Ausstellung im AzW deutlich auffällt. Aber er ist bei weitem kein Einzelfall. In den letzten Jahren ist in Polen eine Vielzahl außergewöhnlicher Bauten entstanden, die sich hinter den Architektur-Rangoberen wie etwa Spanien, Portugal, Dänemark und Niederlande längst nicht mehr zu verstecken braucht. Woran das liegt?
„Ich beobachte, dass die letzten zwölf Jahre seit dem EU-Beitritt Polens einen dramatischen Anstieg der Architekturqualität mit sich gebracht haben“, sagt AzW-Direktor Dietmar Steiner. „Ob das nun Einfamilienhäuser, Wohnbauten, Kulturbauten, Interventionen im öffentlichen Raum oder Umnutzungen von alten Industrie-Arealen sind – unter den neuen EU-Ländern in Ost- und Südosteuropa hat Polen wahrscheinlich die größte baukulturelle Entwicklung durchgemacht und eine völlig neue Generation von Architekten mit sich gebracht.“ Die hohe Qualität, so Steiner, zeige sich nicht zuletzt in Jurien, Gremien sowie in der Durchführung internationaler Wettbewerbe.
Rege Bautätigkeit
Das Grazer Büro Riegler Riewe stellte 2014 das Schlesische Museum in Katowice fertig. Die Revitalisierung der alten Kohlegrube dient nun als großteils unterirdischer Hort moderner Kunst. Das Miteinander aus geätztem Glas und original belassenen Schachttürmen wirkt fast surreal. Im gleichen Jahr wurde das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau eröffnet. Das Projekt des finnischen Büros Lahledma & Mahlamäki bildet im Inneren amorphe Gesteinsformationen nach, die an Moses’ Teilung des Schilfmeers erinnern sollen.
2015 wurde das Shakespeare-Theater in Danzig eröffnet. Architekt Renato Rizzi setzte ein mächtiges Schiff aus fast schwarzem Klinkerziegel in die Innenstadt. Das Dach des Theatersaals, dem Londoner Globe nachempfunden, lässt sich bei Schönwetter öffnen. Und erst kürzlich feierte man Premiere im Jordanki-Auditorium in Toruń. Der kanarische Architekt Fernando Menis metzte mitten in die Unesco-geschützte Innenstadt einen riesigen Felsen samt feurig-steinernem Innenleben.
„Die Baukultur in Polen spiegelt die Aufbruchstimmung der letzten 26 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wider“, sagt der polnische Designer und Kulturtheoretiker Jakub Szczęsny. „So gesehen ist die rege und hochwertige Bautätigkeit nicht nur reine Bedarfsdeckung, sondern auch eine gewisse Kompensation der Zeit des kommunistischen Regimes. Die Dynamik der NGOs, der Kreativen und der Zivilgesellschaft ist einfach großartig.“
Doch die Euphorie hat ein Ablaufdatum. Was man heute sehe, sei das Echo einer prosperierenden Zeit. „Der nationalkonservative Rechtsruck wird sämtlichen Formen zeitgenössischen Kulturschaffens früher oder später einen Riegel vorschieben“, ist Szczęsny überzeugt. „Und auch die EU-Fördergelder für Mittelosteuropa werden 2020 auslaufen. Spätestens dann, fürchte ich, werden Jarosław Kaczyński und Konsorten eine Ära der griechischen Tempel und sozialistischen Protzpaläste einläuten.“
Polen ist der Beweis dafür, dass Architektur auch Ausdruck politischen Denkens ist. Je offener die Politik, desto freier der kreative Geist. So gesehen steht die gesamteuropäische Baukultur vor einer großen Prüfung.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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