Artikel

Highway für Räder
Spectrum

Wie es ums Klima bestellt ist, wissen wir. Sollen wir jetzt wirklich unsere mehrspurigen Schnellstraßen und Stadtautobahnen in Fahrradwege umgestalten? Die logische Antwort: Ja! Kärnten zeigt vor, wie es geht, und auch in Niederösterreich gibt es Gestaltungspläne.

13. Juli 2021 - Harald Gründl
Geplante Infrastrukturprojekte der Asfinag in Stadt und Land sorgen gerade für Aufregung. Die Klimaministerin lässt prüfen, ob die Umsetzung der hochrangigen Infrastruktur mit den Klimazielen vereinbar ist. Reflexartig reagieren die Mobilitätsbeauftragten der entsprechenden Länder mit Protestnoten. Noch immer gilt der Glaubensgrundsatz, dass die mehrere Meter breiten Asphaltbänder für Autos und Lastwagen den Wohlstand sichern und so als Fortschrittssymbol für komfortablen Mobilitätsbedarf in Natur oder Stadtlandschaft eingeschrieben werden müssen.

Jetzt kommt die verordnete Nachdenkphase zu einer Zeit, da es sich abzeichnet, dass Verbrennungsmotoren nicht in ein postfossiles Zeitalter passen und die Flächenversiegelung in Österreich noch immer in einem Tempo voranschreitet, dass Fußballfelder und kleine Landeshauptstädte als Maßeinheiten herhalten müssen, denn unter dem im landwirtschaftlichen Kontext gebräuchlichen „Hektar“ können wir uns mehrheitlich nichts vorstellen. In Österreich haben Baumaterialien den allergrößten Anteil an den Materialströmen. Die Masse an Baumaterialien, die in Häusern für Wohnen und Arbeiten eingesetzt wird und wurde, ist gleich (!) groß wie die Masse an Baumaterialien für unsere Infrastruktur, wie im Rahmen eines Forschungsprojekts der Boku Wien unter Professor Helmut Haberl aus Satellitendaten herausgefunden wurde. Für jeden Lastwagen, der Material für ein Gebäude liefert, fährt ein Lastwagen zu einer Baustelle, die eine Straßeninfrastruktur errichtet. Diese Materialanhäufung findet in einer rasanten Geschwindigkeit ungebremst statt und konterkariert alle Beteuerungen der Europäischen Union, eine Vorzeigeregion der Kreislaufwirtschaft unter dem Segel des „Green Deal“ werden zu wollen.

Der notwendige Strategiewechsel hin zur Kreislaufgesellschaft verlangt nicht nur von Architekturschaffenden und Politik mehr Bewusstsein zu den Rebound-Effekten in Form von neuen Straßen für das Bauen auf der „grünen Wiese“. Harald Frey, Verkehrsplaner an der TU Wien: „Zentrale Aufgabe ist die Schonung der Ressource Boden. Dafür gilt es, auch die Flächen der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen effizienter zu nutzen, indem flächensparende Mobilitätsformen wie der Radverkehr attraktiviert werden. In der Praxis sollten dafür Flächen des motorisierten Individualverkehrs reduziert und diese dem Radverkehr zur Verfügung gestellt werden, bevor neuer Boden versiegelt wird. Bestehende Asphalt- und Betonbänder sollten für jene Verkehrsträger genutzt werden, welche die am flächensparendste Mobilität gewährleisten. Das muss als Prinzip zur Reduktion des Bodenverbrauches verankert werden.“

Sollen wir jetzt unsere schönen mehrspurigen Schnellstraßen und Stadtautobahnen in Fahrradwege umgestalten? Ja – und das Land Kärnten liefert ein aktuelles Beispiel dazu: Auf der B70 Packer Straße soll innerhalb der nächsten drei Jahre zwischen den Autobahnanschlussstellen Völkermarkt und Dolina eine Querschnittsanpassung umgesetzt werden. Statt vier Fahrspuren soll es in Zukunft in diesem Bereich zwei Hauptfahrspuren sowie einen Mehrzweckstreifen für Radfahrer und landwirtschaftlichen Verkehr geben. Zwischen Fahrspur und Mehrzweckstreifen wird eine durchgehende Grüninsel errichtet.

Zwar müssen sich hier die Radfahrenden mit dem Landwirtschaftsverkehr die „Langsamspur“ teilen, doch immerhin baulich abgetrennt von den mit 100 Kilometer pro Stunde dahinbrausenden Autos und Lastwagen. Der Rückbau der B70 könnte durchaus mit einer Gedenktafel ausgestattet werden, um kommenden Generationen von Politik und Verkehrsplanung an eine Zeit zu erinnern, da wir unsere Mobilitätskonzepte gründlich hinterfragt und die Dominanz des Autos durch attraktive Infrastruktur für ressourcenschonende Mobilitätsalternativen erweitert haben. Wer sich an der Stelle um das österreichische BIP sorgt, kann beruhigt werden: Auch so ein Umbau kostet richtig Geld, in diesem Fall werden etwa vier Millionen Euro für die neun Kilometer Zukunftsbundesstraße veranschlagt. Die Mobilitätsagentur der Stadt Wien weist auf ein ähnliches Beispiel im urbanen Kontext hin: Die vierspurige Prager Straße wurde ebenfalls neu aufgeteilt, und der Fahrradweg ist nun durch eine großzügige Grüninsel von den zwei Fahrstreifen getrennt. Die Entsiegelung eines Teils der Straße und der Mehrfachnutzen der Neuaufteilung werden hoffentlich bald zahlreich nachgeahmt.

Gut ausgebaute Fahrradwege gehören aber nicht nur innerhalb des dichter verbauten Gebiets zur Werkzeugkiste der vorausschauenden Verkehrspolitik, sondern auch die fehlenden Schnellverbindungen zwischen Ballungsräumen müssten angegangen werden. Mit zeitgemäßen zwei- oder dreispurigen Fahrrädern können komfortabel längere Distanzen bis zu 20 Kilometer zurückgelegt werden, ohne sich nach einem Auto zurückzusehnen. Dafür fehlt aber eine hochrangige Radinfrastruktur, für die es eine entschiedene Politik bracht. Planungen gibt es bereits, etwa wurde für Niederösterreich das Potenzial für 220 Kilometer „Fahrradautobahnen“ ausgewiesen. Sie sollen dazu beitragen, dass in NÖ bis 2030 vierzig Prozent der Wege klimaverträglich zurückgelegt werden. Das wäre eine Verdopplung zum Stand heute. In Zukunft könnte dann eine Fahrradautobahn von Gmünd nach Schrems, von Amstetten nach Waidhofen/Ybbs, von St. Pölten über Traisen nach Lilienfeld oder Hainfeld führen. Ambitioniert ist die „Südstrecke“, die von Wien bis Wr. Neustadt führen könnte.

Verracon ist eines der Planungsbüros, das gemeinsam mit Gemeinden, Ländern und Ministerien Entscheidungsgrundlagen, Strategien und Konzepte für die Förderung des Radfahrens erarbeitet. Ein Planungsgrundsatz ist, direkte und schnelle Verbindungen für Fahrradfahrende zu schaffen. Ein Umweg hin zum kleinen Bächlein ist eher für touristische Fahrradrouten der passende Zugang. Ein Hindernis für den Masterplan sind sicherlich die Zuständigkeiten von Gemeinden, Land und Bund. Noch immer wird hochrangige Infrastruktur so geplant, dass für die neue Mobilität kein Platz geschaffen wird. Das könnten begleitende Fahrstreifen sein oder notwendige Brücken oder Tunnellösungen. Oder es kommt zu Budgetdiskussionen, wenn der Radweg die Ortstafel erreicht.

Ein Vorschlag zur effizienten Umsetzung von österreichweiten Radschnellverbindungen: die politische Entscheidung, deren Bau auf Bundesebene zu organisieren. Meine Anfrage an die Asfinag, ob zukünftig auch Fahrradautobahnen gebaut würden, wurde noch mit Kopfschütteln beantwortet. Seit 2020 gibt es in Deutschland ein Schild für Radschnellwege. Es gleicht dem Autobahnschild, nur wurde die Brücke durch ein Fahrradsymbol ersetzt. Es ist zu hoffen, dass wir es auch in Österreich bald zahlreich sehen werden.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: