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Zirkus, Zynismus, Zukunftslabor?
Die 18. Architekturbiennale in Venedig ist eröffnet. „The Laboratory of the Future“ lautet das heurige Gesamtmotto. Eine Handvoll Länderpavillons – allen voran Österreich – reagiert darauf auf subversive, intelligente Weise.
19. Mai 2023 - Wojciech Czaja
Eigentlich war alles anders geplant. Es hätte der Österreich-Pavillon in den Giardini zum Teil an die venezianische Bevölkerung abgegeben werden sollen. 350 Quadratmeter für die Menschen, die hier wohnen und arbeiten, für die alten Leute und Schulkids, als Treffpunkt und Veranstaltungsort, zum Kartenspielen und Fußballschauen. Dies sollte mit einem Durchbruch in der Mauer des österreichischen Pavillons und mit einer Wiederöffnung eines ehemaligen Durchgangs in der Giardini-Mauer ermöglicht werden, damit die Leute ein- und ausgehen können. Als Plan B hätte es eine über die Mauer führende Brückenkonstruktion gegeben.
Doch es kam anders. Aus dem „Eigentlich“ wurde ein theoretisches, offenbar nicht realisierbares Gedankenkonstrukt, das am Starrsinn der Behörden und der Angst und Egomanie der Biennale-Direktion scheiterte. Die Baustelle ist eröffnet, der Brückenpfeiler steht, die Treppe aus normalen Gerüstelementen ist errichtet – doch dann die große Überraschung, die Absperrung, das Ende. Damit mutiert der Titel Partecipazione / Beteiligung zum bürokratischen Zynismus.
Schon an den ersten beiden Preview-Tagen für die Presse sorgte der Pavillon für regen Besuch und noch regeres Kopfschütteln. „Wir haben alles Mögliche unternommen, hatten intensiven Kontakt mit der Baubehörde, mit der Denkmalbehörde und mit den Verantwortlichen der Biennale“, sagt Lena Kohlmayr vom 17-köpfigen Architekturkollektiv AKT, das für den österreichischen Beitrag in Kooperation mit dem Wiener Architekten Hermann Czech verantwortlich zeichnet. „Doch die Gespräche waren mühsam, zum Teil kamen negative Bescheide, und zum Teil lässt man uns seit Monaten zappeln. Wir machen diese Ablehnung sichtbar.“
Kunst- und Kulturminister Werner Kogler (Grüne), der nach Venedig angereist war, bezeichnete das Projekt in seiner Eröffnungsrede als Gegenmodell zum sonst üblichen „Friss-oder-stirb-Missverständnis“, das in der Politik, Stadtplanung und Immobilienwirtschaft oft zu beobachten sei. „Dieses Projekt“, sagte Kogler, „zeigt auf, wie wir zusammenleben und Raum teilen können. Und es beweist, dass es auch auf der anderen Seite der Mauer Menschen, städtisches Leben sowie Potenziale und Herausforderungen gibt.“
Jährliche Heuschrecken
Und Letztere sind in Venedig in der Tat massiv. Sie umfassen Kunst-Gentrification, spekulative Raumpolitik, Airbnb-Aushöhlung und Horden an Galeristen und Kulturbobos (den Autor dieser Zeilen miteingeschlossen), die zur alljährlichen Kunst- oder Architekturbiennale wie Heuschrecken über die Lagunenstadt herfallen und die überaus sensiblen sozialen Rituale und gesellschaftlichen Infrastrukturen zerstören. Und die Raumnahme der Fremden wird immer größer.
Die erste Biennale 1895 umfasste einen einzigen Palazzo dell’Esposizione, zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Giardini und Teile des Stadtviertels Sant’Elena einverleibt, in den 1990ern breitete sich die Biennale auf das Arsenale und auf immer mehr Kirchen und Palazzi in der Stadt aus. Heute infiltriert die Biennale viele Hotels, Wohnbauten, Bibliotheken, Erdgeschoßlokale und leerstehende Gewerbebetriebe.
Jane da Mosto und Carolyn Smith von der Initiative We are here Venice haben sich ausgerechnet, dass neben den 13 Hektar Land der Giardini und des Arsenale auf dem schwarzen Brett der Biennale weitere 49 (!) Hektar Ausstellungsfläche in der Stadt gelistet sind, viele davon am Canal Grande gelegen. Sechs Hektar wurden bei der letztjährigen Kunstbiennale in Besitz genommen.
Treffpunkt verloren
„Das ist eindeutig zu viel“, sagt Remi Wacogne, Sprecher der lokalen Bürgerinitiative OCIO: „Die Biennale ist für Venedig ohne jeden Zweifel ein wichtiger Wirtschafts- und Tourismusfaktor. Aber den Venezianern gehen dadurch wichtige soziale, konsumfreie Treffpunkte verloren. Immer mehr Stadt gehört der Biennale. Und auch die Giardini sind – wenn nicht gerade Biennale ist – zugesperrt und öffentlich nicht zugänglich. Als politisches Zeichen ist das verheerend.“
Ob das wohl das war, was sich Lesley Lokko, Gesamtkommissärin der 18. Architekturbiennale, erhoffte, als sie das diesjährige Motto The Laboratory of the Future ausrief? Österreich ist mit seiner subversiven Kritik übrigens nicht das einzige Land, das die Existenzberechtigung der Biennale in ihrer heutigen Form auf den Prüfstein stellt. Auch die Schweiz und die Niederlande positionieren sich heuer als Stachel im Fleisch. Noch unverfrorener machen das Deutschland und Lettland, indem sie die Biennale und ihre weder sozial noch ökologisch nachhaltigen Machenschaften komplett dekonstruieren und sich hinter all den repräsentativen, medienwirksamen Fassaden die Frage stellen, was nach so vielen Architekturbiennalen mit dem ganzen kollektiven Wissen passiert. Zahlt sich der ganze Zirkus überhaupt noch aus?
Doch es kam anders. Aus dem „Eigentlich“ wurde ein theoretisches, offenbar nicht realisierbares Gedankenkonstrukt, das am Starrsinn der Behörden und der Angst und Egomanie der Biennale-Direktion scheiterte. Die Baustelle ist eröffnet, der Brückenpfeiler steht, die Treppe aus normalen Gerüstelementen ist errichtet – doch dann die große Überraschung, die Absperrung, das Ende. Damit mutiert der Titel Partecipazione / Beteiligung zum bürokratischen Zynismus.
Schon an den ersten beiden Preview-Tagen für die Presse sorgte der Pavillon für regen Besuch und noch regeres Kopfschütteln. „Wir haben alles Mögliche unternommen, hatten intensiven Kontakt mit der Baubehörde, mit der Denkmalbehörde und mit den Verantwortlichen der Biennale“, sagt Lena Kohlmayr vom 17-köpfigen Architekturkollektiv AKT, das für den österreichischen Beitrag in Kooperation mit dem Wiener Architekten Hermann Czech verantwortlich zeichnet. „Doch die Gespräche waren mühsam, zum Teil kamen negative Bescheide, und zum Teil lässt man uns seit Monaten zappeln. Wir machen diese Ablehnung sichtbar.“
Kunst- und Kulturminister Werner Kogler (Grüne), der nach Venedig angereist war, bezeichnete das Projekt in seiner Eröffnungsrede als Gegenmodell zum sonst üblichen „Friss-oder-stirb-Missverständnis“, das in der Politik, Stadtplanung und Immobilienwirtschaft oft zu beobachten sei. „Dieses Projekt“, sagte Kogler, „zeigt auf, wie wir zusammenleben und Raum teilen können. Und es beweist, dass es auch auf der anderen Seite der Mauer Menschen, städtisches Leben sowie Potenziale und Herausforderungen gibt.“
Jährliche Heuschrecken
Und Letztere sind in Venedig in der Tat massiv. Sie umfassen Kunst-Gentrification, spekulative Raumpolitik, Airbnb-Aushöhlung und Horden an Galeristen und Kulturbobos (den Autor dieser Zeilen miteingeschlossen), die zur alljährlichen Kunst- oder Architekturbiennale wie Heuschrecken über die Lagunenstadt herfallen und die überaus sensiblen sozialen Rituale und gesellschaftlichen Infrastrukturen zerstören. Und die Raumnahme der Fremden wird immer größer.
Die erste Biennale 1895 umfasste einen einzigen Palazzo dell’Esposizione, zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Giardini und Teile des Stadtviertels Sant’Elena einverleibt, in den 1990ern breitete sich die Biennale auf das Arsenale und auf immer mehr Kirchen und Palazzi in der Stadt aus. Heute infiltriert die Biennale viele Hotels, Wohnbauten, Bibliotheken, Erdgeschoßlokale und leerstehende Gewerbebetriebe.
Jane da Mosto und Carolyn Smith von der Initiative We are here Venice haben sich ausgerechnet, dass neben den 13 Hektar Land der Giardini und des Arsenale auf dem schwarzen Brett der Biennale weitere 49 (!) Hektar Ausstellungsfläche in der Stadt gelistet sind, viele davon am Canal Grande gelegen. Sechs Hektar wurden bei der letztjährigen Kunstbiennale in Besitz genommen.
Treffpunkt verloren
„Das ist eindeutig zu viel“, sagt Remi Wacogne, Sprecher der lokalen Bürgerinitiative OCIO: „Die Biennale ist für Venedig ohne jeden Zweifel ein wichtiger Wirtschafts- und Tourismusfaktor. Aber den Venezianern gehen dadurch wichtige soziale, konsumfreie Treffpunkte verloren. Immer mehr Stadt gehört der Biennale. Und auch die Giardini sind – wenn nicht gerade Biennale ist – zugesperrt und öffentlich nicht zugänglich. Als politisches Zeichen ist das verheerend.“
Ob das wohl das war, was sich Lesley Lokko, Gesamtkommissärin der 18. Architekturbiennale, erhoffte, als sie das diesjährige Motto The Laboratory of the Future ausrief? Österreich ist mit seiner subversiven Kritik übrigens nicht das einzige Land, das die Existenzberechtigung der Biennale in ihrer heutigen Form auf den Prüfstein stellt. Auch die Schweiz und die Niederlande positionieren sich heuer als Stachel im Fleisch. Noch unverfrorener machen das Deutschland und Lettland, indem sie die Biennale und ihre weder sozial noch ökologisch nachhaltigen Machenschaften komplett dekonstruieren und sich hinter all den repräsentativen, medienwirksamen Fassaden die Frage stellen, was nach so vielen Architekturbiennalen mit dem ganzen kollektiven Wissen passiert. Zahlt sich der ganze Zirkus überhaupt noch aus?
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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