Artikel
Adieu, Hanni! Tschüss, Tlapa!
Mit den um sich wütenden Investoren und Immobilienentwicklern wird die Stadt sukzessive ihrer Identität beraubt. Der Wiener Künstler Andreas Fogarasi dokumentiert das Verschwinden auf so sinnliche wie nüchterne Weise. Zu sehen im Kunsthaus Muerz.
8. Juli 2023 - Wojciech Czaja
Unterstreicht Ihren Typ! Zeitlos elegant und dennoch sportiv! Und die Problemstellen um die Taille herum, die werden wunderbar kaschiert! Der Tlapa in der Favoritenstraße, das Modehaus mit dem mexikanischen Sprachfehler in der Phonetik, war das Klamotteneldorado unserer Kindheit. Egal, ob Erstkommunion, Konfirmation oder die dritte Hochzeit von Oma Klara, hier durften wir Arbeiterbezirkskinder mitsamt Mischpoche einmal im Jahr einen auf Kärntner Straße machen und wurden mit Sonntagspanier für die kommenden Anlässe eingedeckt.
Im Jänner 2016 musste das Modehaus Tlapa nach hohen Schulden und Verlusten seine Pforten schließen. Drei Jahre lang stand das Haus mit seiner eigenwilligen, aber aus kindlicher Perspektive stets interessanten Leichtmetallfassade und seiner orange folierten, rauchglasverspiegelten Glaspyramide am Eck leer. 2019 rollten die Abbruchbagger heran und machten den 1873 errichteten und sukzessive erweiterten Gebäudekomplex, der in den späten 1960er-Jahren vom Wiener Architekten Kurt Stiel seine eierschalenfarbene Elementfassade verpasst bekommen hatte, dem Erdboden gleich.
„Diese Art von vorgehängter Fassade, mit der man Bauten aus unterschiedlichen Epochen effizient kaschieren und zu einer gestalterischen Einheit zusammenfassen kann“, sagt Andreas Fogarasi, „hat man in der BRD und DDR damals in fast jeder Großstadt gesehen“, ob das nun Horten, Merkur, Schocken, Konsument oder die Centrum-Warenhäuser waren. Die sogenannte Horten-Kachel von Egon Eiermann hat Geschichte geschrieben. „Doch hier in Wien ist diese Architekturtypologie ein absolutes Unikum.“
3,1 Quadratmeter Tlapa-Fassade hängen nun im Kunsthaus Muerz an der Wand, ein Tableau aus zwölf Elementen, die Halbkreise mit 39 Zentimetern Durchmesser leicht aufgerollt, neun Zentimeter ragt das Blech vor und offenbart auf diese Weise einen klaffenden Sichelmond, der dem Gebäude in der Favoritenstraße einst sein charakteristisches Relief verlieh. Gemeinsam mit einem Fassadenmuster des Nachfolgebaus, ein gelochtes Wellblech, 112 mal 137 Zentimeter groß, bildet das Tlapa-Paneel nun eine Art Bündel, zusammengeschnürt mit einem Umreifungsband aus Stahl, strammgezogen mit einer Zange, festgeklammert, fertig.
Zeiten zusammenschnüren
Schon seit 2019 widmet sich Fogarasi, seines Zeichens ausgebildeter Architekt, heute bildender Künstler an der Schnittstelle zwischen Bild, Skulptur und Raum, den allmählich aus dem Stadtbild verschwindenden Architekturen, ob das nun vermeintlich schöne Gründerzeithäuser oder vermeintlich weniger schöne Bauten der Nachkriegsmoderne sind, die abgerissen, zu Tode saniert oder bis zur Unkenntlichkeit verändert werden. In seinen Paketen , wie er die zusammengeschnürten, verräumlichten Baustoffcollagen nennt, vereint er die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft.
„Unabhängig davon, ob es sich um historisch wertvolle oder gar denkmalgeschützte Bauten handelt oder nicht“, meint Fogarasi, „verliert die Stadt mit jeder weiteren Zerstörung ein Stück ihrer Identität. Ich möchte diesen Verlust dokumentieren, und ich möchte die alten mit den neuen Baustoffen, die zwar eine örtliche, aber niemals eine zeitliche Übereinstimmung haben, zusammenfügen und für immer aneinanderfesseln.“ Er sieht seine Pakete , die in den meisten Fällen auf einen ganz konkreten Ort referenzieren, nicht nur als Materialrettung, sondern vor allem als Dokument einer sinnlichen, atmosphärischen Stadtchronik.
Anstelle des Modehauses Tlapa entsteht nun ein Neubau mit Retail, Büros und 126 Serviced Apartments, ein Projekt des Immobilienentwicklers Vermehrt AG in Zusammenarbeit mit Pegasus Capital Partners, Sitz in Erlangen, ein Entwurf von Drawcon Architects, Brno, geplante Fertigstellung Anfang 2024, das Objekt schon seit zwei Jahren fast vollständig vermietet. Gestern Familienunternehmen, heute Finanzprodukt in einem internationalen Portfolio, gestern Handarbeit, heute Massenware-Bauprodukte von der Stange. „Die Komplexität eines Ortes, auf das Maximum reduziert“, wie Fogarasi sagt, nüchtern und emotionslos. Von der Wertigkeit der Baustoffe könne sich jeder selbst ein Bild machen.
Einstürzende Altbauen
Die Emotionen kommen erst in der Menge. Begonnen hat seine Serie Nine Buildings, Stripped vor vier Jahren mit in der Tat neun Materialcollagen, die zunächst in der Kunsthalle Wien, später auch in der Galerie Kargl zu sehen waren. In der Zwischenzeit umfasst die Serie bereits an die 40 Pakete , zum überwiegenden Teil aus Wiener Alt- und Neubauten erbettelt, erworben, ergaunert, aber etwa auch aus dem Palast der Republik und dem später nachfolgenden Humboldt-Forum in Berlin, aus dem Hotel Intercontinental Praha, das nach dem Refurbishment nächstes Jahr als Golden Prague Hotel wiederauferstehen wird, sowie von diversen Abbruchhäusern in der nordostrumänischen Stadt Iași.
Gestrippt wurden beispielsweise ein Gründerzeithäuser im 15. Bezirk, das Bürogebäude Schoeller-Bleckmann am Franz-Josefs-Kai, die Sozialversicherungsanstalt auf der Wiedner Hauptstraße, ein Schrebergartenhäuschen in Favoriten sowie die Bildhauerateliers im Wiener Prater. Ganz klein und unscheinbar, Nummer zwei an der Wand im Kunsthaus Muerz, fast wäre man daran vorbeigelaufen, wenn die glasierte Keramikkachel im Scheinwerferlicht nicht so schokoladig geschimmert hätte, ein Paket zur Villa Hanni, abgerissen in der ersten Corona-Lockdown-Woche 2020.
Errichtet wurde das Haus in der Dr.-Heinrich-Maier-Straße 35 in Währing, in direkter Nachbarschaft zum Pötzleinsdorfer Schlosspark, 1910 vom Otto-Wagner-Schüler Karl Adalbert Fischl. Im ersten Stock war die secessionistische, Semmeringpayerbachrax-anmutende Villa mit eisenoxidglasierten Keramikkacheln verkleidet. Das lange Zeit unbewohnte Haus scheint mutwillig den Kräften von Natur, Witterung und Vandalismus überlassen worden zu sein, alles Geschichte. An seiner Stelle steht nun ein vollwärmegeschütztes Haus aus Stahlbeton und Hohlblockziegeln.
In Fogarasis Ausstellung im Kunsthaus Muerz wird eine alte Kachel, nonverbale Liebeserklärung an Handwerk und hochwertige Produktqualität, mit einem neuen Putzmuster zusammengebunden. Das Umreifungsband aus Stahl hat sich schon jetzt in die chemisch verputzte Styroporplatte eingeschnürt. Die Baukunst ist zum Sondermüll geworden.
Ausstellungshinweis: „Last Minutes“ im Kunsthaus Muerz in Mürzzuschlag, mit Werken von Andreas Fogarasi und Markéta Othová. Zu sehen bis 3. September. Weitere „Stripped“-Arbeiten sind in der Ausstellung „1978“ im Quartz Studio in Turin zu sehen, bis 22. Juli.
Im Jänner 2016 musste das Modehaus Tlapa nach hohen Schulden und Verlusten seine Pforten schließen. Drei Jahre lang stand das Haus mit seiner eigenwilligen, aber aus kindlicher Perspektive stets interessanten Leichtmetallfassade und seiner orange folierten, rauchglasverspiegelten Glaspyramide am Eck leer. 2019 rollten die Abbruchbagger heran und machten den 1873 errichteten und sukzessive erweiterten Gebäudekomplex, der in den späten 1960er-Jahren vom Wiener Architekten Kurt Stiel seine eierschalenfarbene Elementfassade verpasst bekommen hatte, dem Erdboden gleich.
„Diese Art von vorgehängter Fassade, mit der man Bauten aus unterschiedlichen Epochen effizient kaschieren und zu einer gestalterischen Einheit zusammenfassen kann“, sagt Andreas Fogarasi, „hat man in der BRD und DDR damals in fast jeder Großstadt gesehen“, ob das nun Horten, Merkur, Schocken, Konsument oder die Centrum-Warenhäuser waren. Die sogenannte Horten-Kachel von Egon Eiermann hat Geschichte geschrieben. „Doch hier in Wien ist diese Architekturtypologie ein absolutes Unikum.“
3,1 Quadratmeter Tlapa-Fassade hängen nun im Kunsthaus Muerz an der Wand, ein Tableau aus zwölf Elementen, die Halbkreise mit 39 Zentimetern Durchmesser leicht aufgerollt, neun Zentimeter ragt das Blech vor und offenbart auf diese Weise einen klaffenden Sichelmond, der dem Gebäude in der Favoritenstraße einst sein charakteristisches Relief verlieh. Gemeinsam mit einem Fassadenmuster des Nachfolgebaus, ein gelochtes Wellblech, 112 mal 137 Zentimeter groß, bildet das Tlapa-Paneel nun eine Art Bündel, zusammengeschnürt mit einem Umreifungsband aus Stahl, strammgezogen mit einer Zange, festgeklammert, fertig.
Zeiten zusammenschnüren
Schon seit 2019 widmet sich Fogarasi, seines Zeichens ausgebildeter Architekt, heute bildender Künstler an der Schnittstelle zwischen Bild, Skulptur und Raum, den allmählich aus dem Stadtbild verschwindenden Architekturen, ob das nun vermeintlich schöne Gründerzeithäuser oder vermeintlich weniger schöne Bauten der Nachkriegsmoderne sind, die abgerissen, zu Tode saniert oder bis zur Unkenntlichkeit verändert werden. In seinen Paketen , wie er die zusammengeschnürten, verräumlichten Baustoffcollagen nennt, vereint er die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft.
„Unabhängig davon, ob es sich um historisch wertvolle oder gar denkmalgeschützte Bauten handelt oder nicht“, meint Fogarasi, „verliert die Stadt mit jeder weiteren Zerstörung ein Stück ihrer Identität. Ich möchte diesen Verlust dokumentieren, und ich möchte die alten mit den neuen Baustoffen, die zwar eine örtliche, aber niemals eine zeitliche Übereinstimmung haben, zusammenfügen und für immer aneinanderfesseln.“ Er sieht seine Pakete , die in den meisten Fällen auf einen ganz konkreten Ort referenzieren, nicht nur als Materialrettung, sondern vor allem als Dokument einer sinnlichen, atmosphärischen Stadtchronik.
Anstelle des Modehauses Tlapa entsteht nun ein Neubau mit Retail, Büros und 126 Serviced Apartments, ein Projekt des Immobilienentwicklers Vermehrt AG in Zusammenarbeit mit Pegasus Capital Partners, Sitz in Erlangen, ein Entwurf von Drawcon Architects, Brno, geplante Fertigstellung Anfang 2024, das Objekt schon seit zwei Jahren fast vollständig vermietet. Gestern Familienunternehmen, heute Finanzprodukt in einem internationalen Portfolio, gestern Handarbeit, heute Massenware-Bauprodukte von der Stange. „Die Komplexität eines Ortes, auf das Maximum reduziert“, wie Fogarasi sagt, nüchtern und emotionslos. Von der Wertigkeit der Baustoffe könne sich jeder selbst ein Bild machen.
Einstürzende Altbauen
Die Emotionen kommen erst in der Menge. Begonnen hat seine Serie Nine Buildings, Stripped vor vier Jahren mit in der Tat neun Materialcollagen, die zunächst in der Kunsthalle Wien, später auch in der Galerie Kargl zu sehen waren. In der Zwischenzeit umfasst die Serie bereits an die 40 Pakete , zum überwiegenden Teil aus Wiener Alt- und Neubauten erbettelt, erworben, ergaunert, aber etwa auch aus dem Palast der Republik und dem später nachfolgenden Humboldt-Forum in Berlin, aus dem Hotel Intercontinental Praha, das nach dem Refurbishment nächstes Jahr als Golden Prague Hotel wiederauferstehen wird, sowie von diversen Abbruchhäusern in der nordostrumänischen Stadt Iași.
Gestrippt wurden beispielsweise ein Gründerzeithäuser im 15. Bezirk, das Bürogebäude Schoeller-Bleckmann am Franz-Josefs-Kai, die Sozialversicherungsanstalt auf der Wiedner Hauptstraße, ein Schrebergartenhäuschen in Favoriten sowie die Bildhauerateliers im Wiener Prater. Ganz klein und unscheinbar, Nummer zwei an der Wand im Kunsthaus Muerz, fast wäre man daran vorbeigelaufen, wenn die glasierte Keramikkachel im Scheinwerferlicht nicht so schokoladig geschimmert hätte, ein Paket zur Villa Hanni, abgerissen in der ersten Corona-Lockdown-Woche 2020.
Errichtet wurde das Haus in der Dr.-Heinrich-Maier-Straße 35 in Währing, in direkter Nachbarschaft zum Pötzleinsdorfer Schlosspark, 1910 vom Otto-Wagner-Schüler Karl Adalbert Fischl. Im ersten Stock war die secessionistische, Semmeringpayerbachrax-anmutende Villa mit eisenoxidglasierten Keramikkacheln verkleidet. Das lange Zeit unbewohnte Haus scheint mutwillig den Kräften von Natur, Witterung und Vandalismus überlassen worden zu sein, alles Geschichte. An seiner Stelle steht nun ein vollwärmegeschütztes Haus aus Stahlbeton und Hohlblockziegeln.
In Fogarasis Ausstellung im Kunsthaus Muerz wird eine alte Kachel, nonverbale Liebeserklärung an Handwerk und hochwertige Produktqualität, mit einem neuen Putzmuster zusammengebunden. Das Umreifungsband aus Stahl hat sich schon jetzt in die chemisch verputzte Styroporplatte eingeschnürt. Die Baukunst ist zum Sondermüll geworden.
Ausstellungshinweis: „Last Minutes“ im Kunsthaus Muerz in Mürzzuschlag, mit Werken von Andreas Fogarasi und Markéta Othová. Zu sehen bis 3. September. Weitere „Stripped“-Arbeiten sind in der Ausstellung „1978“ im Quartz Studio in Turin zu sehen, bis 22. Juli.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom