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Architektur ist eine Sache von Vertrauen und Liebe
Das Gespräch von Matthias Boeckl mit Enrique Norten erschien in der Originalfassung in Architektur aktuell.
3. Oktober 2000 - Matthias Boeckl
Die JVC City in Guadalajara, Mexico, gehört zu den umfassendsten privat initiierten Stadtplanungsprojekten der Gegenwart. Auf ca. 300 Hektar Fläche entsteht ein Quartier mit vielfältigen privaten und öffentlichen Funktionen, darunter ein Kongress- und Ausstellungszentrum
Multi-Unternehmer Jorge Vergara, dessen Omnilife-Konzern Initiator und Bauherr des Großteils des Quartiers ist, zeigt sowohl als Unternehmer wie auch als Bauherr visionäre Qualität: Er beauftragte auf Empfehlung von Enrique Norten eine internationale Architektencrème um Daniel Libeskind, Philip Johnson, Coop Himmelb(l)au und Thom Mayne/Morphosis auf eine unkonventionelle Weise mit der Erarbeitung eines Masterplans für das Quartier und mit der Planung der einzelnen Bauten.
Was waren die Leitlinien Ihres Masterplans für die JVC City in Guadalajara? Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft der Stadt?
Am Beginn des Projekts sprachen die Bauherren mit mehreren anderen Architekten, waren aber von deren Vorschlägen nicht überzeugt. Ich glaube nicht, dass irgendein einzelner Architekt die Kapazität hat, ein solches Projekt alleine zu bearbeiten. Es handelte sich immerhin um sechs sehr große einzelne Bauten. Ich meinte, warum laden wir nicht sechs wichtige Architekten unserer Generation ein, um am Masterplan zusammenzuarbeiten und dann jeweils ein Einzelgebäude zu planen?
Was waren die Absichten der Investoren und wer sind sie?
Guadalajara ist die zweitgrößte Stadt unseres Landes, war aber bis vor kurzem nur der siebtwichtigste Finanzplatz des Landes. Das ist ein ungünstiges Verhältnis. Und dann kam eine Gruppe junger und erfolgreicher Geschäftsleute. Ihre Leitfigur ist jener Mann, der all das zusammengebracht hat, sein Name ist Jorge Vergara. Er hat enorme Gewinne mit dem Verkauf von Vitaminen und anderen Gesundheitsprodukten in einem Pyramidensystem gemacht.
Nach zehn Jahren hatte die Firma eine Million Leute, die diese Produkte verkauften. Die größte Halle, die er in Mexiko finden konnte, fasste zehntausend Menschen. Also begann er, Kongresszentren in den USA zu mieten und stellte fest, dass solche Kongresszentren ein gutes Geschäft sind. In Mexiko gab es keine. Daher verbindet Vergara jetzt die Bedürfnisse seiner eigenen Firma mit einem neuen Geschäftszweig. Als er aber sah, dass ein Kongresszentrum alleine kaum lebensfähig ist, ordnete er ihm weitere Funktionen zu, wie Hotels, ein Entertainment-Center und Messehallen.
Sie sind ja als Architekt bekannt, der gerne im „Kollektiv“ arbeitet. Wie würden Sie diese Entwurfsstrategie beschreiben?
Ich glaube wirklich, dass Architektur sich zunehmend von der alten Idee der individuellen Schöpfung entfernt. In Wahrheit ist es doch eine komplexe Dynamik, die ein gutes Gebäude hervorbringt. So arbeitet auch mein Atelier. Wir stellen schon ganz am Anfang ein vielfältiges Team zusammen, in dem jeder Ideen beisteuert.
Aber bei allen kreativen Prozessen muss am Ende eine Entscheidung getroffen werden...
Am Ende steht ein Diktator, und das bin ich - in meinem Atelier. Um auf das JVC-Projekt zurückzukommen: Hier begannen wir genauso. Nicht alle Mitwirkenden kamen gleichzeitig dazu. Also begannen wir, mit den ersten Teilnehmern einige allgemeine Ideen auszuarbeiten. Am Anfang moderierte ich die Diskussionen. Dann kamen mehr Architekten dazu, sie klinkten sich in diesen Mechanismus ein und brachten zusätzliche Ideen. Das Prinzip war es, dass jede neue Idee die Möglichkeit hatte, alles andere zu verändern. Je nachdem, wo im Masterplan ein Projekt angesiedelt ist, empfängt es mehr oder weniger Energien von den anderen Projekten.
Wie würden Sie solche Kräfte definieren, die einen städtebaulichen Entwurf beeinflussen?
Eine Stadt kann nicht als ein einziges Diagramm gedeutet werden, weil sie eigentlich eine Überlappung verschiedenster Schichten ist. Die verschiedenen Schichten haben keine Ordnung, sie sind alle durcheinander gemischt. Die Stadt ist ein lebendiger Mechanismus. Sie ist vollständig unvorhersehbar. Ich glaube, dass alle Planungsparameter, die sich in den vergangenen 30 oder 40 Jahren eingebürgert haben, sich als völlig obsolet erwiesen haben. Sie können auf die Stadt nicht angewendet werden. Viel davon wurde für europäische Städte entworfen, aber in großem Maßstab in der Dritten Welt ausprobiert.
Was ist ein gutes Beispiel dafür?
Nun, Mexico City. In Mexico City gab es bis vor 20 Jahren noch jede Menge „Masterpläne“. Für jeden Stadtteil. Jetzt wurde all das weggeworfen, weil es nur eine ungeheure Verwirrung gestiftet hat. Die Pläne, die aus der physischen Perspektive erstellt wurden, waren unvereinbar mit jenen für die Finanzentwicklung. Und die Pläne, die sich im Prinzip mit der Bewegung von Autos, Zügen usw. beschäftigten, gerieten in Konflikt mit den anderen Schichten der Stadt. Es war einfach unmöglich.
Wie würden Sie die Rolle der architektonischen Gestaltung in diesem Projekt beschreiben? Wie wichtig ist sie den Investoren und bis zu welchem Grad kann sie von den Architekten bestimmt werden?
Oft werden die architektonischen Entscheidungen von vielen äußeren Faktoren bestimmt. Da wird oft der kreative Wille beiseite gelassen, aber in unserem Fall hat der Bauherr von Anfang an verstanden, dass die Kraft der Architektur ein wichtiger Teil des Projekts ist. Er gab uns Architekten nicht einmal ein Raumprogramm vor und am Anfang hatten wir nicht einmal ein Budget. Das überließ man der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit der Architekten.
Ist das eine Art soziologischer Realismus der Architektur?
Und Verantwortlichkeit. Schließlich hat man hier einen fantastischen Bauherren, der sagt, ich gebe euch kein Budget vor, ich gebe euch auch kein Raumprogramm, aber ihr müsst mir ein Projekt vorlegen, das auch finanziell einen Sinn ergibt.
Glauben Sie, dass zukünftige Investoren davon lernen können?
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Projekt nach seiner Vollendung ein Auslöser neuer Investitionen sein wird. Wenn die Leute Vertrauen haben, dann ist das eine Art religiöser Akt. Architektur ist eine Sache von Vertrauen und Liebe. Und die Leute, die auf dieses Projekt vertrauen, werden einen großen Gewinn erzielen. Die Investoren werden in Zukunft mehr auf die Intuition der Kreativen vertrauen müssen.
Multi-Unternehmer Jorge Vergara, dessen Omnilife-Konzern Initiator und Bauherr des Großteils des Quartiers ist, zeigt sowohl als Unternehmer wie auch als Bauherr visionäre Qualität: Er beauftragte auf Empfehlung von Enrique Norten eine internationale Architektencrème um Daniel Libeskind, Philip Johnson, Coop Himmelb(l)au und Thom Mayne/Morphosis auf eine unkonventionelle Weise mit der Erarbeitung eines Masterplans für das Quartier und mit der Planung der einzelnen Bauten.
Was waren die Leitlinien Ihres Masterplans für die JVC City in Guadalajara? Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft der Stadt?
Am Beginn des Projekts sprachen die Bauherren mit mehreren anderen Architekten, waren aber von deren Vorschlägen nicht überzeugt. Ich glaube nicht, dass irgendein einzelner Architekt die Kapazität hat, ein solches Projekt alleine zu bearbeiten. Es handelte sich immerhin um sechs sehr große einzelne Bauten. Ich meinte, warum laden wir nicht sechs wichtige Architekten unserer Generation ein, um am Masterplan zusammenzuarbeiten und dann jeweils ein Einzelgebäude zu planen?
Was waren die Absichten der Investoren und wer sind sie?
Guadalajara ist die zweitgrößte Stadt unseres Landes, war aber bis vor kurzem nur der siebtwichtigste Finanzplatz des Landes. Das ist ein ungünstiges Verhältnis. Und dann kam eine Gruppe junger und erfolgreicher Geschäftsleute. Ihre Leitfigur ist jener Mann, der all das zusammengebracht hat, sein Name ist Jorge Vergara. Er hat enorme Gewinne mit dem Verkauf von Vitaminen und anderen Gesundheitsprodukten in einem Pyramidensystem gemacht.
Nach zehn Jahren hatte die Firma eine Million Leute, die diese Produkte verkauften. Die größte Halle, die er in Mexiko finden konnte, fasste zehntausend Menschen. Also begann er, Kongresszentren in den USA zu mieten und stellte fest, dass solche Kongresszentren ein gutes Geschäft sind. In Mexiko gab es keine. Daher verbindet Vergara jetzt die Bedürfnisse seiner eigenen Firma mit einem neuen Geschäftszweig. Als er aber sah, dass ein Kongresszentrum alleine kaum lebensfähig ist, ordnete er ihm weitere Funktionen zu, wie Hotels, ein Entertainment-Center und Messehallen.
Sie sind ja als Architekt bekannt, der gerne im „Kollektiv“ arbeitet. Wie würden Sie diese Entwurfsstrategie beschreiben?
Ich glaube wirklich, dass Architektur sich zunehmend von der alten Idee der individuellen Schöpfung entfernt. In Wahrheit ist es doch eine komplexe Dynamik, die ein gutes Gebäude hervorbringt. So arbeitet auch mein Atelier. Wir stellen schon ganz am Anfang ein vielfältiges Team zusammen, in dem jeder Ideen beisteuert.
Aber bei allen kreativen Prozessen muss am Ende eine Entscheidung getroffen werden...
Am Ende steht ein Diktator, und das bin ich - in meinem Atelier. Um auf das JVC-Projekt zurückzukommen: Hier begannen wir genauso. Nicht alle Mitwirkenden kamen gleichzeitig dazu. Also begannen wir, mit den ersten Teilnehmern einige allgemeine Ideen auszuarbeiten. Am Anfang moderierte ich die Diskussionen. Dann kamen mehr Architekten dazu, sie klinkten sich in diesen Mechanismus ein und brachten zusätzliche Ideen. Das Prinzip war es, dass jede neue Idee die Möglichkeit hatte, alles andere zu verändern. Je nachdem, wo im Masterplan ein Projekt angesiedelt ist, empfängt es mehr oder weniger Energien von den anderen Projekten.
Wie würden Sie solche Kräfte definieren, die einen städtebaulichen Entwurf beeinflussen?
Eine Stadt kann nicht als ein einziges Diagramm gedeutet werden, weil sie eigentlich eine Überlappung verschiedenster Schichten ist. Die verschiedenen Schichten haben keine Ordnung, sie sind alle durcheinander gemischt. Die Stadt ist ein lebendiger Mechanismus. Sie ist vollständig unvorhersehbar. Ich glaube, dass alle Planungsparameter, die sich in den vergangenen 30 oder 40 Jahren eingebürgert haben, sich als völlig obsolet erwiesen haben. Sie können auf die Stadt nicht angewendet werden. Viel davon wurde für europäische Städte entworfen, aber in großem Maßstab in der Dritten Welt ausprobiert.
Was ist ein gutes Beispiel dafür?
Nun, Mexico City. In Mexico City gab es bis vor 20 Jahren noch jede Menge „Masterpläne“. Für jeden Stadtteil. Jetzt wurde all das weggeworfen, weil es nur eine ungeheure Verwirrung gestiftet hat. Die Pläne, die aus der physischen Perspektive erstellt wurden, waren unvereinbar mit jenen für die Finanzentwicklung. Und die Pläne, die sich im Prinzip mit der Bewegung von Autos, Zügen usw. beschäftigten, gerieten in Konflikt mit den anderen Schichten der Stadt. Es war einfach unmöglich.
Wie würden Sie die Rolle der architektonischen Gestaltung in diesem Projekt beschreiben? Wie wichtig ist sie den Investoren und bis zu welchem Grad kann sie von den Architekten bestimmt werden?
Oft werden die architektonischen Entscheidungen von vielen äußeren Faktoren bestimmt. Da wird oft der kreative Wille beiseite gelassen, aber in unserem Fall hat der Bauherr von Anfang an verstanden, dass die Kraft der Architektur ein wichtiger Teil des Projekts ist. Er gab uns Architekten nicht einmal ein Raumprogramm vor und am Anfang hatten wir nicht einmal ein Budget. Das überließ man der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit der Architekten.
Ist das eine Art soziologischer Realismus der Architektur?
Und Verantwortlichkeit. Schließlich hat man hier einen fantastischen Bauherren, der sagt, ich gebe euch kein Budget vor, ich gebe euch auch kein Raumprogramm, aber ihr müsst mir ein Projekt vorlegen, das auch finanziell einen Sinn ergibt.
Glauben Sie, dass zukünftige Investoren davon lernen können?
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Projekt nach seiner Vollendung ein Auslöser neuer Investitionen sein wird. Wenn die Leute Vertrauen haben, dann ist das eine Art religiöser Akt. Architektur ist eine Sache von Vertrauen und Liebe. Und die Leute, die auf dieses Projekt vertrauen, werden einen großen Gewinn erzielen. Die Investoren werden in Zukunft mehr auf die Intuition der Kreativen vertrauen müssen.
Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at
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