Bauwerk

Wehrturm Leiben
Ernst Pfaffeneder - Leiben (A) - 2023

Leiben nahe Melk: Der bewohnbare Wehrturm erzählt die besseren Geschichten

Ein 600 Jahre alter Wehrturm in Leiben bei Melk: Am Anfang standen eine romantische Idee und die Veräußerung von Staatsbesitz. Erst die nächsten Generationen fanden ein tragfähiges Nutzungskonzept und einen Architekten, der für zwei Ferienwohnungen denkmalgerecht Raum schuf.

13. September 2024 - Franziska Leeb
Am Südrand des Waldviertels, auf einem Felssporn über dem Tal des Weitenbachs, erhebt sich die Festungsanlage von Leiben. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde sie dem Invalidenfonds zugewiesen und gelangte nach 1945 in die Verwaltung der Österreichischen Bundesforste.

Etwas abseits des Renaissanceschlosses liegt ein wuchtiger spätmittelalterlicher Batterieturm. Ihn bewohnbar zu machen war der Traum von Mechtildis „Tilde“ Kleinberger. Am liebsten hätten ihn ihr die Bundesforste nur zusammen mit dem ganzen Schloss verkauft; sie blieb hartnäckig und erwarb 1974 mit ihrem Mann den Wehrturm. Das Schloss wurde erst 1989 von der Marktgemeinde Leiben angekauft und mit EU-Mitteln als „Europaschloss“ zu einem kulturellen Zentrum entwickelt.

Traumprojekt der Mutter

Ambitioniert und mutig, gar naiv, aber voller Tatendrang und Liebe zur alten Substanz machte sich das Ehepaar Kleinberger an das Projekt der Bewohnbarmachung des denkmalgeschützten Objekts. Mit Rat und Tat stand der Bauforscher Gerhard Seebach zur Seite. Dennoch wurde der Umbau in einen Alterssitz zu Lebzeiten von Frau Tilde nicht vollendet. Verkaufen oder behalten und bewohnbar machen? Es war keine leichte Entscheidung für Tochter Susanne Kleemann, die schließlich mit Sohn Sebastian, einem Gastronomieprofi, den Ehrgeiz entwickelte, das Traumprojekt der Mutter zeitgemäß, nachhaltig und denkmalgerecht zu einem glücklichen Ende zu führen.

Im aus der Region stammenden Architekten Ernst Pfaffeneder fand sie einen kongenialen Partner, der es verstand, das Kleinod mit all seinen Facetten zunächst zu analysieren und schließlich neu zu organisieren. Heute enthält der Turm zwei Ferienwohnungen, womit der Traum vom Wohnen im Wehrturm für eine größere Anzahl von Menschen erfüllbar wird. Zu besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel demnächst beim Tag des Denkmals am 29. September, macht die Familie den Turm für die Öffentlichkeit zugänglich.

Wie damit umgehen?

Er ist ein fabelhaftes Anschauungsbeispiel dafür, dass Methoden der Denkmalpflege Kinder ihrer Zeit sind. Denn manche Veränderung wäre aus heutiger Sicht kaum genehmigungsfähig. Im Grundriss hufeisenförmig, hat der Wehrturm Richtung Schloss eine gerade Wand, zur Angriffsseite hin ist er gerundet. Just dort wurde damals ein Anbau mit Treppenrampe und Terrasse ergänzt. Im untersten­ Geschoß war begonnen worden, ein Schwimmbad einzubauen, und im ganzen Gebäude wurden diverse Flohmarktfunde und Bauteile von anderen Gebäuden verbaut.

Nicht immer erschließt sich auf den ersten Blick, was authentisch ist und was eine neue Zutat. Wie damit umgehen? Rückbauen, als hätte es diese Phase nicht gegeben, obwohl sämtliche Veränderungen der 1970er-Jahre mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes erfolgten? Pfaffeneders Lösung lautete, das zeitliche Kontinuum weiterzuschreiben, innen ein räumliches Kontinuum herzustellen und zugleich den Turm und seine Geschichte besser lesbar zu machen. Das bedeutet, dass viele Ingredienzien aus den vergangenen 50 Jahren bleiben durften oder neue Verwendung fanden. Die Zubauten blieben als Funktionsräume für Haustechnik und Ähnliches erhalten. Im Turminneren wurde der desolate Bestand auf die wesentlichen tragenden Elemente zurückgebaut und technisch ertüchtigt.

In die Historie eintauchen

Die massive Außenwand wurde freigespielt, zum Teil das Natursteinmauerwerk sichtbar gelassen, und wo notwendig, wurden Fehlstellen mit Ziegeln ergänzt, wie das auch schon in früheren Jahrhunderten praktiziert worden war. Ergänzt wurden neue Einbauten aus Holzwerkstoffen in Form von Küchen, Sanitärräumen, Trennwänden und einer Zimmerbox, die über der Küche im Erdgeschoß im Raum hängt. Mit einer Beschichtung in einem weichen Goldton werden sie als neue Intervention kenntlich gemacht und bilden einen ruhigen Konterpart zu den eklektischen Einbauten und dem historischen Gemäuer, auf dem alte Rötelzeichnungen und Notizen freigelegt wurden und dazu einladen, in die Historie einzutauchen.

Ob die vom Bauforscher einst selbst aus Beton gegossene Balustrade auf der Terrasse oder das farbige Gussglas, mit dem die Scharten in der Außenwand geschlossen wurde – sie blieben erhalten und erzählen vom ersten erfolglosen Versuch der Zähmung des doch recht martialisch anmutenden Bauwerks. Was nicht unverändert integrierbar war, wurde passend gemacht, so wie die aus der Pfarrkirche im benachbarten Lehen stammende Kommunionbank, die einst als Raumteiler eingesetzt worden war und nun beim freistehenden Küchenblock Verwendung fand. Bestehende Fenster wurden ertüchtigt oder mit Isoliergläsern und zarten Holzprofilen erneuert.

Turm-Feeling wurde bewahrt

Im unteren Geschoß, wo das „Angstloch“ in der gewölbten Decke noch von den grimmigen Zeiten, in denen der Raum als Verlies diente, kündigt, wurde die unfertige Schwimmbadwanne in mühevoller Arbeit weggestemmt und eine Tramdecke eingezogen. Wie in den drei Ebenen darüber sorgt auch hier ein geschoßübergreifender Luftraum dafür, dass das Turm-Feeling nicht abhandenkommt. Über eine bestehende interne Treppe in der Mauer können die beiden Wohnungen zu einer zusammengelegt werden. Eine schon in den 1970er-Jahren geschlagene Öffnung erwies sich als nützlich, um die Erdwärme einzuleiten, die nun die Fußbodenheizung im neuen Estrich speist und die alte Ölheizung ersetzt.

Stünde es der angeblichen Kulturnation Österreich nicht gut an, systematisch Bestehendes für touristische Zwecke zu aktivieren? Der 600-jährige Wehrturm ist schon allein durch sein Alter punkto Nachhaltigkeit den grüngewaschenen Ferienchalets, die wie die Schwammerl aus den Böden der Urlaubsregionen wachsen, um Längen voraus – und die besseren Geschichten erzählt er allemal.

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