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Umbau des ältesten Waldorfkindergartens Wiens: Hier wird nicht nur mit Lehm gespielt
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Der erste und älteste Waldorfkindergarten Wiens wurde jüngst aus- und umgebaut. Der innovative Ansatz: Reduktion auf natürliche Materialien und großflächiger Einsatz von Lehm aus dem Aushub des Turnsaals.

26. November 2024 - Isabella Marboe
Die Rudolf-Steiner-Schule in der Mau­rer Endresstraße ist die älteste Wiens; seit ihrer Gründung 1964 blieb sie ihrem Standort treu. Die oberen Schulstufen werden im denkmalgeschützten Maurer Schlössl neben der Pfarrkirche unterrichtet. Waldorfkindergarten und Hort waren im kleinen Nebengebäude auf der anderen Straßenseite untergebracht. Ein typisches, eingeschoßiges Vorstadthaus der Gründerzeit mit tragender Mittelmauer, darüber ein Walmdach, straßenseitig drei Gaupen. Der Bestand war stark abgenutzt, die Räume waren beengt, es gab keinen Turnsaal. Die Kinder mussten selbst im Winter im Freien oder woanders turnen. Außerdem brauchte es mehr Platz für Kindergarten, vier Stammklassen sowie Räume für den Hort, Sonderunterricht und das Schulrestaurant.

Der Um- und Ausbau des Waldorfkindergartens von Dietrich/Untertrifaller und Andreas Breuss reagiert nun auf Bestand und Schulgemeinschaft. Dass 2500 m² unbehandelter Lehmputz aus dem Aushub des Turnsaals in dieser Größenordnung verbaut wurden, ist eine Pioniertat.

2014 lud der Rudolf-Steiner-Schulverein sechs Büros zum Wettbewerb, die Vorarlberger Dietrich/Untertrifaller und der im Lehmbau sehr versierte Andreas Breuss gewannen: Ursprünglich war ein Neubau geplant, der Bestand aber war unter Ensembleschutz. Er durfte also maximal zu 50 Prozent abgerissen werden, das alte Haus blieb bis zur Mittelmauer erhalten. Gott sei Dank: Die Zukunft liegt klar in der Bestandsanierung, die jetzige Lösung ist aufgrund der darin gespeicherten grauen Energie wesentlich nachhaltiger und entspricht besser der Schulphilosophie. Sie transformiert deren Geschichte in einer Architektur, die Alt und Neu zusammenführt und so zu einer faszinierenden atmosphärischen und räumlichen Vielfalt führt. „Die Frage war, wie man es schafft, aus dem kleinen Ding ein großes zu machen, ohne dass man es sieht“, erklärt Much Untetrifaller. „Wir extrudierten das Dach so weit wie möglich nach hinten und erzielten damit fast die doppelte Fläche.“

Das gelang innerhalb der bestehenden Traufkante von 7,50 Metern: Die drei breiten, horizontalen Gaupen im weit nach hinten reichenden Dachkörper wirken wesentlich eleganter als vorher, kaum wahrnehmbar steigt dahinter die extrudierte Fläche bis zu ihrem Hochpunkt über dem Stiegenhaus weiter an. Hier bringt es die Schule auf zweieinhalb Geschoße, die zwei oberen Klassen münden in eine riesige, ins Dach eingeschnittene Terrasse, wo man im Freien lernen kann.

„Dieser Baumbestand ist ein Glücksfall“

Im Garten spürt man das Mehrvolumen des Turnsaals mit den aufgesetzten Geschoßen deutlich, nimmt es aber vor allem hofbildend wahr. Die schwarzen Eternitschindeln harmonieren gut mit der Natur, die sich in den Glasscheiben spiegelt. Die Verzahnung von innen und außen ist gelungen. „Dieser Baumbestand ist ein Glücksfall“, sagt Untertrifaller. „Wir wollten, dass der Schulhof mit dem Grundstück verwoben ist.“ Die Architekten stellten den Turnsaal im rechten Winkel zum Bestand an dessen Westflanke, rechts davon mäandert ein kleiner, umzäunter Garten für den Kindergarten an der Grundgrenze entlang, in dem ein kleines Lehmziegelhaus steht, das die Schüler und Schülerinnen gebaut haben. Selbst Säen, Ernten, Weben, Spinnen, Korbflechten und andere Handwerke zählen zu den Fähigkeiten, die man sich hier aneignet.

Der Turnsaal bildet mit der Schule eine Art l-förmige Hoftypologie und fasst so den Freiraum ein. Er ist zwar drei Meter ins Erdreich abgesenkt, darüber aber bringen 2,70 Meter hohe Fensterbänder viel Tageslicht und einen direkten Blick in die Baumkronen herein. Ein Hauptgrund, warum dieses Projekt gewann. Ein externer Zugang garantiert, dass auch Externe von der hellen, 15 mal 27 Meter großen Normturnhalle profitieren. Stützenfrei überspannen Holzleimbinder die gesamte Spannweite. Das funktioniert nur, weil sie mit dem Klassengeschoß im ersten Stock ein statisches Raumtragwerk bilden.

Gekühlt wird mit Nachtluft

Der Bau ist vorbildlich nachhaltig, dezidier­tes Ziel waren chemiefreie Innenräume. „Wir verwendeten vor allem natürliche Materiali­en“, sagt Andreas Breuss. Er hat den Lehmbau bis dato vor allem im Privatbereich angewandt, die Rudolf-Steiner-Schule aber hat Öffentlichkeitsrecht und muss entsprechende Vorschrif­ten erfüllen. Trotzdem ging es ohne Rigips. Alle tragenden Wände sind aus Brettsperrholz, Zwischenwände aus Holzfaserplatten, Böden aus Holz, der Lehmputz ist aus dem eigenen Aushub angerührt, er passt farblich und sorgt für angenehmes Raumklima, weil Lehm Feuchtigkeit aufnimmt und sehr langsam wieder abgibt. Er ist also auch bauphysikalisch wirksam und verbessert die Akustik. Gekühlt wird mit Nachtluft, bis auf erdberührende Bauteile und das Stiegenhaus wurde kein Beton eingesetzt.

Man betritt die Schule seitlich im Foyer, die anschließende Schulkantine hat eine riesige Gartenterrasse und eine professionelle Gastroküche. Sie ließe sich als Lokal betreiben, Mauer könnte das brauchen. An der Schnittstelle von Bestand und neuem Turnsaal liegt eine Scherenstiege. Sie ist von zwei Seiten begehbar und erschließt den Turnsaal sowie die zwei offenen Laubengänge, die im Osten und Westen den ersten Stock flankieren. Sie sind innen bis in Brüstungshöhe mit Holz, außen mit schwarzen Eternitrauten verkleidet und so Teil des Dachkörpers. Den Klassen schaffen sie einen gedeckten Pausenflur im Freien. Er ist so bergend wie offen, zwei Außenstiegen an seinen Enden führen direkt in den Garten.

Auch das Foyer hat eine zweite Tür. „Hier gibt es keine Sackgassen, es gibt zwei Eingänge, zwei Ausgänge, ein Scherentreppenhaus, alle Unterrichtsräume sind miteinander verbunden, man könnte endlos im Kreis gehen“, so der Architekt. In dieser Schule kann man sich verlaufen, aber unmöglich verlieren. Die sechs Räume im ersten Stock des Neubaus sind alle gleichwertig, über Türen verbunden und flexibel nutzbar.

Zwischen den zwei Räumen im Westen liegen Garderoben und Sanitärzellen: Ihre Mitte bildet ein rundes, weißes Corian-Möbel mit vier Waschbecken. Es wirkt wie ein Dorfbrunnen, Händewaschen wird hier zum sozialen Akt. Dafür gibt es keine Spiegel. Wozu auch, wenn man einander ansehen kann? Alt- und Neubau bilden ein Ganzes, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zueinander bezogen bleiben. Vor allem aus den Überschneidungen resultiert eine große räumliche Komplexität.

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