Artikel
Vienna Design Week: Mit dieser Maschine wird keine Wäsche gewaschen
Funktionalismus, neu definiert: eine Waschmaschine, die nur so aussieht, aber nicht so arbeitet. Dieses Designobjekt könnte die mentale Gesundheit fördern, indem es den Blick auf die beruhigende Glastrommel lenkt – wie einst die Lavalampe.
27. September 2024 - Harald Gründl
Die diesjährige Vienna Design Week empfängt ihre Gäste in dem von Artec Architekten (Bettina Götz und Richard Manahl) geplanten Gürtelbogen. Der 320 Meter lange, dem Landstraßer Gürtel entlanglaufende Bau wurde als Pioniergebäude des „Village im Dritten“ im Edelrohbau für das Designfestival temporär vor dem Erstbezug zur Verfügung gestellt. Damit wird dem Verwertungstypus Zwischennutzung eine neue Facette hinzugefügt, die es ermöglicht, das Gebäude in seiner konstruktiven Klarheit aus Fertigteilen zu erleben.
Das Gebäude wird nach Übergabe Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe und Büros aufnehmen. Vom Dach aus kann der Baufortschritt des neuen Quartiers verfolgt werden, während im Inneren ein Blick auf die Designszene, Designfirmen und kuratierte Ausstellungsformate geworfen werden kann.
Designfestivals wie dieses bieten die Möglichkeit und regen gleichzeitig dazu an, auch abseits der Verwertungslogik entstandene Designprojekte zu präsentieren. Als prominentestes Beispiel zeigt Ikea die drei Schlafzimmerkonzepte „Dare to Dream“, die aus einem Open Call ausgewählt wurden.
Anfangs irritiert das Objekt
Gleich neben Ikea präsentiert sich das Projekt „Is Ok It?“, das von Lena Beigel, Georg Sampl und Tobias Lugmeier konzipiert wurde. Die drei Designschaffenden haben in internationalen Designstudios gearbeitet und kennen den Designzirkus und seine Logiken. Dass dieser Erfahrungshintergrund nicht ganz in ihre zukünftige Vision von Designschaffen passt, macht das von Tobias Lugmeier gestaltete Designobjekt „Spa Machina 1“ (2024) klar. Das Objekt, das wie das Innere einer Waschmaschine ohne weißes Blechkleid dasteht, irritiert zuallererst.
Da sind konstruktive Elemente, welche aus dem Referenzobjekt kommen, wie ein Rahmen, eine gefederte Aufhängung und ein Riemen, der zu einem Antrieb führt. Der Rahmen ist aus gebogenem Rohr und erinnert an Stahlrohrgestelle der Moderne, eine Zeit, in der industrielle Fertigungstechniken aus dem Flugzeugbau am Bauhaus in Dessau von Mart Stam zu disruptiven Freischwingern und anderen Möbeln uminterpretiert wurden. Kontrastiert wird das durch die handwerkliche Ausführung der Trommel, welche von Glasbläsern in Tschechien in rosa Glas ausgeführt wurde. Die Bewegung der Trommel erinnert unweigerlich an den Betriebszustand von Waschmaschinen, nachdem sie das Ende des Waschvorgangs mit einem Piepton signalisiert haben. Sie steht still, dann bewegt sie sich ein wenig, dann wieder Pause.
Die banale Weißware hat Potenzial
In der Trommel der „Spa Machina 1“ liegt jedoch keine Wäsche, es gibt auch keine Tür, um welche hineinzulegen, und auch keinen Griff. Drinnen ist ein wenig Wasser, das mit den Umdrehungen der Trommel die Lichtreflexe verstärkt, die von einem Leuchtring an der Hinterseite des Glaszylinders kommen. Der Antrieb des kinetischen Objektes ist ein abstrakter Zylinder, der keinerlei Bedienelemente aufweist. Der gestalterische Aufwand in der Abstraktion der Waschmaschine ist offenkundig und zeigt, dass die banale Weißware jenseits der Internetanbindung noch erheblichen Innovations- und Gestaltungsspielraum besitzen würde.
Es geht aber nicht nur um die Banalität der Massenwaren unserer Konsumkultur, sondern auch um den Designprozess. Die Digitalisierung hat den Designprozess entfremdet. Deshalb plädiert dieses Designprojekt für eine „ideale Profession“, in der Handwerklichkeit, ein anderes Narrativ, Sorgfalt in der Detaillierung und die Eigenproduktion des Prototyps die Hauptrollen spielen. In industriellen Entwicklungsprozessen werden allzu schnell ambitionierte und unangepasste Ideen beiseitegeschoben. Prototypen wie diese könnten zu disruptiven neuen Lösungen führen – ästhetisch wie funktional. Das Funktionale wird in diesem Fall vom Wäschewaschen weg hin zu einer anderen Funktion geführt: mentale Gesundheit zu fördern. Man stelle sich das Objekt im Wohnzimmer vor, das die Blicke magisch vom Social-Media-Konsum am Mobiltelefon weg auf die beruhigende, fast ein Eigenleben führende Glastrommel lenkt, als wäre es die Lavalampe für das 21. Jahrhundert.
Zieht man jedoch den Aufwand in Betracht, der hinter dem Projekt steht, handelt es sich hier eher um einen Hilfeschrei des Designs nach einer Neudefinition des Funktionalismus als um eine therapeutische Lösung. Und doch könnte es neue Alltagsrituale geben, die das Wäschewaschen und mentales Wohlbefinden als gleichwertige menschliche Bedürfnisse und Routinen integrieren. Vielleicht löst die Designkategorie Waschmaschine in Zukunft die Stühle ab, die in jedem Designmuseum alle anderen Alltagsgegenstände überstrahlen. Die Sesselregale müssten vielleicht nicht einmal umgebaut werden, um dem zukünftigen Waschmaschinenklassikern Platz zu machen. Es zeigt sich, dass es in dieser Arbeit auch um neue, unterrepräsentierte Themen und deren Verhandlung gehen soll.
Welche Werkzeuge haben ausgedient?
Diskursiv passt dazu die Arbeit einer noch jüngeren Generation von Gestalterinnen und Gestaltern, die unter dem Kollektivnamen Design Revolution Now! das gängige und angepasste Denken der Disziplin herausfordert. Die Gruppe formierte sich auf der Universität für angewandte Kunst und besteht aus Mitgliedern unterschiedlicher Studienrichtungen.
Die Vienna Design Week gab der Gruppe unter dem Format „Debüt“ eine Carte blanche. „A Designer’s Toolbox for Revolution“ stellt herkömmliche Praktiken des Designs infrage und präsentiert neues „Werkzeug“. Als ausgedientes Werkzeug führt das Kollektiv die ignorante Ressourcennutzung, grüngewaschene Konventionen, Problemverschiebung durch Externalisierung von Arbeit, Produktion und Umweltschäden und die Selbstüberschätzung der Designschaffenden an. Vor allem letztere Erkenntnis ist wertvoll, denn noch immer glauben Designschaffende, die Lösung zu haben und anderen vorschreiben zu können, wie Verbesserung geht. Dieses Fortschrittsnarrativ wird als zerstörerischer, kapitalistischer Rückschritt enttarnt, der die Realität der Menschen von oben herab formen will.
Als zukunftsfähig werden ehrliches und empathisches Geschichtenerzählen, der Einsatz von handwerklichem Können und das Entwerfen in größeren Systemen, die Menschen, Objekte, Pflanzen und Tiere einschließen, aufgeführt. Während die Revolution als Überschrift Gewalt und Anführer assoziiert, wählen die Studierenden eine fragile und verletzliche Revolution. Diese junge Generation von Designschaffenden ist in eine Welt geworfen, in der sie der eigenen Fehlbarkeit gewahr wird und nicht mehr an die heroische Rolle von Design glaubt, das die Welt verändert.
Noch Generationen vor ihnen war der Glaube an Autorschaft, Glamour und Designzirkus so stark, dass der Blick auf die wirklich wichtigen Aufgaben des Designs vernebelt war. Diese Erkenntnis müsste allerdings auch in die Ausbildungsstätten zurückwirken. Theorie und Praxis müssen stärker verwoben und neue Orte des Experiments geschaffen werden. Das Unbehagen im Design braucht eine breite Öffentlichkeit und mutige Akteure, die von den gewohnten Wegen abweichen, neue Koalitionen bilden und zukunftsweisende Wege aufzeigen. Die Designgeschichte wird nicht linear weitererzählt werden. Das Bild, die Rolle und der Wirkungsbereich von Designschaffenden werden gerade generationenübergreifend hinterfragt und neu definiert.
Das Gebäude wird nach Übergabe Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe und Büros aufnehmen. Vom Dach aus kann der Baufortschritt des neuen Quartiers verfolgt werden, während im Inneren ein Blick auf die Designszene, Designfirmen und kuratierte Ausstellungsformate geworfen werden kann.
Designfestivals wie dieses bieten die Möglichkeit und regen gleichzeitig dazu an, auch abseits der Verwertungslogik entstandene Designprojekte zu präsentieren. Als prominentestes Beispiel zeigt Ikea die drei Schlafzimmerkonzepte „Dare to Dream“, die aus einem Open Call ausgewählt wurden.
Anfangs irritiert das Objekt
Gleich neben Ikea präsentiert sich das Projekt „Is Ok It?“, das von Lena Beigel, Georg Sampl und Tobias Lugmeier konzipiert wurde. Die drei Designschaffenden haben in internationalen Designstudios gearbeitet und kennen den Designzirkus und seine Logiken. Dass dieser Erfahrungshintergrund nicht ganz in ihre zukünftige Vision von Designschaffen passt, macht das von Tobias Lugmeier gestaltete Designobjekt „Spa Machina 1“ (2024) klar. Das Objekt, das wie das Innere einer Waschmaschine ohne weißes Blechkleid dasteht, irritiert zuallererst.
Da sind konstruktive Elemente, welche aus dem Referenzobjekt kommen, wie ein Rahmen, eine gefederte Aufhängung und ein Riemen, der zu einem Antrieb führt. Der Rahmen ist aus gebogenem Rohr und erinnert an Stahlrohrgestelle der Moderne, eine Zeit, in der industrielle Fertigungstechniken aus dem Flugzeugbau am Bauhaus in Dessau von Mart Stam zu disruptiven Freischwingern und anderen Möbeln uminterpretiert wurden. Kontrastiert wird das durch die handwerkliche Ausführung der Trommel, welche von Glasbläsern in Tschechien in rosa Glas ausgeführt wurde. Die Bewegung der Trommel erinnert unweigerlich an den Betriebszustand von Waschmaschinen, nachdem sie das Ende des Waschvorgangs mit einem Piepton signalisiert haben. Sie steht still, dann bewegt sie sich ein wenig, dann wieder Pause.
Die banale Weißware hat Potenzial
In der Trommel der „Spa Machina 1“ liegt jedoch keine Wäsche, es gibt auch keine Tür, um welche hineinzulegen, und auch keinen Griff. Drinnen ist ein wenig Wasser, das mit den Umdrehungen der Trommel die Lichtreflexe verstärkt, die von einem Leuchtring an der Hinterseite des Glaszylinders kommen. Der Antrieb des kinetischen Objektes ist ein abstrakter Zylinder, der keinerlei Bedienelemente aufweist. Der gestalterische Aufwand in der Abstraktion der Waschmaschine ist offenkundig und zeigt, dass die banale Weißware jenseits der Internetanbindung noch erheblichen Innovations- und Gestaltungsspielraum besitzen würde.
Es geht aber nicht nur um die Banalität der Massenwaren unserer Konsumkultur, sondern auch um den Designprozess. Die Digitalisierung hat den Designprozess entfremdet. Deshalb plädiert dieses Designprojekt für eine „ideale Profession“, in der Handwerklichkeit, ein anderes Narrativ, Sorgfalt in der Detaillierung und die Eigenproduktion des Prototyps die Hauptrollen spielen. In industriellen Entwicklungsprozessen werden allzu schnell ambitionierte und unangepasste Ideen beiseitegeschoben. Prototypen wie diese könnten zu disruptiven neuen Lösungen führen – ästhetisch wie funktional. Das Funktionale wird in diesem Fall vom Wäschewaschen weg hin zu einer anderen Funktion geführt: mentale Gesundheit zu fördern. Man stelle sich das Objekt im Wohnzimmer vor, das die Blicke magisch vom Social-Media-Konsum am Mobiltelefon weg auf die beruhigende, fast ein Eigenleben führende Glastrommel lenkt, als wäre es die Lavalampe für das 21. Jahrhundert.
Zieht man jedoch den Aufwand in Betracht, der hinter dem Projekt steht, handelt es sich hier eher um einen Hilfeschrei des Designs nach einer Neudefinition des Funktionalismus als um eine therapeutische Lösung. Und doch könnte es neue Alltagsrituale geben, die das Wäschewaschen und mentales Wohlbefinden als gleichwertige menschliche Bedürfnisse und Routinen integrieren. Vielleicht löst die Designkategorie Waschmaschine in Zukunft die Stühle ab, die in jedem Designmuseum alle anderen Alltagsgegenstände überstrahlen. Die Sesselregale müssten vielleicht nicht einmal umgebaut werden, um dem zukünftigen Waschmaschinenklassikern Platz zu machen. Es zeigt sich, dass es in dieser Arbeit auch um neue, unterrepräsentierte Themen und deren Verhandlung gehen soll.
Welche Werkzeuge haben ausgedient?
Diskursiv passt dazu die Arbeit einer noch jüngeren Generation von Gestalterinnen und Gestaltern, die unter dem Kollektivnamen Design Revolution Now! das gängige und angepasste Denken der Disziplin herausfordert. Die Gruppe formierte sich auf der Universität für angewandte Kunst und besteht aus Mitgliedern unterschiedlicher Studienrichtungen.
Die Vienna Design Week gab der Gruppe unter dem Format „Debüt“ eine Carte blanche. „A Designer’s Toolbox for Revolution“ stellt herkömmliche Praktiken des Designs infrage und präsentiert neues „Werkzeug“. Als ausgedientes Werkzeug führt das Kollektiv die ignorante Ressourcennutzung, grüngewaschene Konventionen, Problemverschiebung durch Externalisierung von Arbeit, Produktion und Umweltschäden und die Selbstüberschätzung der Designschaffenden an. Vor allem letztere Erkenntnis ist wertvoll, denn noch immer glauben Designschaffende, die Lösung zu haben und anderen vorschreiben zu können, wie Verbesserung geht. Dieses Fortschrittsnarrativ wird als zerstörerischer, kapitalistischer Rückschritt enttarnt, der die Realität der Menschen von oben herab formen will.
Als zukunftsfähig werden ehrliches und empathisches Geschichtenerzählen, der Einsatz von handwerklichem Können und das Entwerfen in größeren Systemen, die Menschen, Objekte, Pflanzen und Tiere einschließen, aufgeführt. Während die Revolution als Überschrift Gewalt und Anführer assoziiert, wählen die Studierenden eine fragile und verletzliche Revolution. Diese junge Generation von Designschaffenden ist in eine Welt geworfen, in der sie der eigenen Fehlbarkeit gewahr wird und nicht mehr an die heroische Rolle von Design glaubt, das die Welt verändert.
Noch Generationen vor ihnen war der Glaube an Autorschaft, Glamour und Designzirkus so stark, dass der Blick auf die wirklich wichtigen Aufgaben des Designs vernebelt war. Diese Erkenntnis müsste allerdings auch in die Ausbildungsstätten zurückwirken. Theorie und Praxis müssen stärker verwoben und neue Orte des Experiments geschaffen werden. Das Unbehagen im Design braucht eine breite Öffentlichkeit und mutige Akteure, die von den gewohnten Wegen abweichen, neue Koalitionen bilden und zukunftsweisende Wege aufzeigen. Die Designgeschichte wird nicht linear weitererzählt werden. Das Bild, die Rolle und der Wirkungsbereich von Designschaffenden werden gerade generationenübergreifend hinterfragt und neu definiert.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom