Bauwerk

Ausstellungsarchitektur Dokumenta X
Jabornegg & Pálffy - Kassel (D) - 1997
Ausstellungsarchitektur Dokumenta X, Foto: Monika Nikolic
Ausstellungsarchitektur Dokumenta X, Foto: Monika Nikolic

Architektur, die man nicht sieht

Großzügig, weitläufig, übersichtlich: Das österreichische Team Jabornegg/Palffy hat die Räume der diesjährigen Documenta gestaltet. Vom Nutzen einer Ausstellungsarchitektur, die sich in den Dienst der Kunst und der Besucher stellt.

28. Juni 1997 - Liesbeth Waechter-Böhm
Architektur ist unsichtbar: Wer sich in diesen Tagen auf den Weg nach Kassel macht, um die zehnte Documenta in Augenschein zu nehmen, kommt um diese Erkenntnis nicht herum. Das österreichische Architektenteam Jabornegg/Palffy, das von Catherine David ausgewählt wurde, das Museum der 100 Tage samt seinen 100 Gästen gestalterisch zu versorgen, bringt die Frage nach der Angemessenheit architektonischer Inszenierungen von Kunstpräsentationen auf einen Punkt: Ausstellungsarchitektur ist überflüssig.

Das kann man so natürlich nicht unkommentiert stehen lassen. In Wahrheit haben Jabornegg/Palffy nicht nur aus einem Jahrhundertwendebau am Kasseler Hauptbahnhof den „Kulturbahnhof“ gemacht, sondern auch im Fridericianum, dem traditionellen Hauptschauplatz der Documenta, durch intelligente Maßnahmen für ein neues Raumklima gesorgt. Letzteres wird allerdings nur jemandem auffallen, der schon früher einmal bei der Documenta war. Da gab es Kojen und Boxen, zugestellte Fenster, Einbauten aller Art, Unübersichtlichkeit, Orientierungslosigkeit und speziell an den Preview-Tagen, an denen sich die internationale Kunstszene in Kassel trifft, eine fürchterlich aufgeheizte Atmosphäre in bedrückend engen Räumen.

Damit haben Jabornegg/Palffy aufgeräumt. Genauer gesagt: Sie haben ausgeräumt. Denn ihre erste und wichtigste Maßnahme bestand darin, die Einbauten der Vorgänger-Documenten restlos zu entfernen. Jetzt sieht man sie wieder, die glasgedeckte Rotunde aus den siebziger Jahren, die zuvor immer mit Gipskarton zugenagelt war. Und jetzt sind sie wieder groß, großzügig und weitläufig, die Ausstellungsräume des Fridericianums. Die Architekten haben sich damit begnügt, eine weiße Schale vor Wand und Fenster zu stellen, um so für ausreichende Hängeflächen zu sorgen. Sie waren sich aber auch bewußt, daß das Resultat dieser einfachen Maßnahme zwangsläufig der berühmt-berüchtigte „white cube“ sein würde.

Eine weiße Schachtel ist aber in Wahrheit kein angenehmer, eher ein diffuser Raum. Um diesen Effekt zu relativieren, hat man die neue Schale an den Schmalseiten jeweils aufgeschnitten und verglast. Durch diese opaken Glasflächen fällt nun etwas Tageslicht ein, und vor allem erlauben sie dem Besucher eine Minimalorientierung: Er weiß zumindest, daß er ist nicht im Keller ist.

Die wichtigste Maßnahme von Jabornegg/Palffy zielte aber auf eine Verbesserung des Raumklimas ab. Es handelt sich um ein ganzes Maßnahmenpaket: Die Fenster haben einen reflektierenden Anstrich, so daß ein gut Teil der Hitzelast abgewendet wird; dann sorgen Luftschlitze dafür, daß die Luft im Raum nicht „steht“; und über die geöffneten Brandschutzklappen in den Fluchttreppenhäusern kommt sogar eine Art Luftaustausch zustande. Schließlich ist die Fußbodenheizung mit Kaltwasser gefüllt. Sie ist mit einem Wärmetauscher an das Brauchwasser angeschlossen, dessen Kälte in die Fußbodenheizung umgeleitet wird. Das heißt: Je mehr Leute drinnen sind, desto stärker muß man zwar kühlen, es fällt aber auch mehr Brauchwasser an, so daß der Kreislauf aufrecht bleibt.

Wie gesagt, Jabornegg/Palffy haben keine Hasenställchen gebaut, wie man sie von den früheren Documenten kennt, sie haben vielmehr den Räumen ihren ursprünglichen Zuschnitt zurückgegeben. Kleine Kabinette, die vorhanden waren, wurden als Projektionsräume für „moving images“ genutzt.

Stellwände, mit einer Fuge vom Boden abgesetzt und so als temporäre Einbauten kenntlich gemacht, haben grundsätzlich eine relativ großzügige Dimension und sind eher in der Mitte der Räume plaziert, aber so, daß zumindest diagonale Durchblicke nicht verstellt sind. Die temporären Einbauten in den meist sehr großen Ausstellungsräumen des Fridericianums erzeugen eine Art Wechsel zwischen kleinerer und größerer Sequenz, was dem Gang durch die Ausstellung atmosphärisch sicher guttut.

Aber auf das Erzeugen von Atmosphäre verstehen sich Jabornegg/Palffy auch sonst. Das kann man im „Kulturbahnhof“, dem neuen, zusätzlichen Schauplatz der zehnten Documenta, vielleicht noch anschaulicher erleben. Der Sichtziegelbau flankiert den Regionalbahnhof Kassels: Unmittelbar vor dem Haus verläuft ein stillgelegtes Gleis, das übrigens Gegenstand einer künstlerischen Intervention von Lois Weinberger ist; auf den anderen Gleisanlagen ist der Betrieb aufrecht.

Dieser Sichtziegelbau steht in einer recht „peripheren“ Gegend Kassels, ein Umstand, der auch drinnen, in der Ausstellung selbst, aufgenommen wird. In der Lesart von Catherine David findet jedenfalls hier, am ausgefransten Rand der Stadt, im Kulturbahnhof, der Auftakt zur Documenta statt. Ihr Konzept sieht ja einen „Parcours“ vor, der quer durch Kassel führt und den Besucher wie nebenbei nicht nur mit den hermetischen Documenta-Schauplätzen, sondern auch mit der Stadt selbst konfrontiert.

Das Gebäude beherbergte jedenfalls zuletzt eine Postpaketierungsanlage und war vollkommen devastiert. Die Architekten entfernten zuallererst die bestehenden Einbauten, also alles, was nicht zur Substanz des Hauses gehört; nur kleine Hinweise auf die Reparaturen nach dem Zweiten Weltkrieg blieben erhalten, weil auch diese zur Geschichte des Hauses gehören. Die denkmalgeschützte Außenfassade wurde zwar gereinigt, darüber hinaus blieb sie unberührt. Hingegen verlangte der Eigentümer, die Deutsche Bahn, einer der Hauptsponsoren der diesjährigen Documenta, im Inneren einen maßgeblichen Eingriff: Es sollten drei Stiegenhäuser eingebaut werden.

Die liegen jetzt mittig und an den Seiten und sind so ausgeführt, daß es zu einem reizvollen Materialspiel zwischen den betonierten Untersichten der Treppe und dem schimmernden Stahlblech des Geländers kommt. Wobei die dritte Treppe hinter einer signifikanten Sichtbetonscheibe versteckt liegt, unmittelbar bei den Fluchttüren auf den Bahnsteig, und als einzige einläufig geführt ist. Hier, an der Schmalseite des Hauses, findet sich auch die einzige Stelle, an der sich die Eingriffe von Jabornegg/Palffy nach außen sichtbar ausdrücken: Die beiden Fluchttüren aus Stahl und ein bündig in der Fassade sitzendes, fix verglastes Fenster vom Treppenpodest fügen sich hier zu einer strengen, aber unaufdringlichen Geometrie.

Jabornegg/Palffy haben ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Verkehrsstrom der Besucher und die Blickrichtung konzentriert. Man betritt den Raum und kann sich sofort orientieren, weil man das Haus praktisch in seiner vollen Länge - immerhin 80 Meter - überblickt. Die Architekten waren dabei nicht zimperlich: Sie haben sich nicht daran gestoßen, wenn ein Künstler sein Kunstwerk in der Sichtachse plazierte, sie haben sich auch nicht gegen temporäre Einbauten verwahrt. Unterschwelliges Motto: Zur Documenta fährt man wegen der Kunst, die Architektur hat in den Hintergrund zu treten.

Und da bleibt sie auch, im Hintergrund. Nur atmosphärisch macht sie sich angenehm bemerkbar, wenn man sich auf den drei Ebenen des Hauses bewegt und wenn man zum Beispiel hinausschaut und das, was man draußen sieht, mit dem, was man drinnen gerade gesehen hat, in Verbindung bringt.

Auch funktionell geht die Rechnung der Architekten auf: Der Verkehrsfluß funktioniert reibungslos, und offenbar stimmt auch die Orientierung, denn selbst wenn man die Treppen nicht sieht, findet man sie mühelos. Nein, es ist keine Übertreibung, Jabornegg/Palffy machen unsichtbare Ausstellungsarchitektur. Die Beleuchtung bei den Treppen etwa ist hinter Gläsern versteckt - auf diese Weise sind selbst kleine Konfliktpunkte vermieden, wie sie aus der Entscheidung für ein bestimmtes Lampendesign leicht resultieren. Die Räume sind weiß, die spärlichen Einbauten sind es auch, nur die Sichtbetonscheibe an der Schmalseite hat einen warmen Ton. Denn auch hier, im Kulturbahnhof, haben die Architekten darauf geachtet, den White-cube-Effekt zu brechen.

Als sehr reizvoll erweist sich auf der obersten Ebene die Entscheidung, den Ausblick in einen Teil des alten Dachgeschoßes zuzulassen. Nur eine minimale Barriere grenzt den neu ausgebauten Teil von der „Substanz“ ab, eine kleine Irritation, ein Kippen von Neu zu Alt. Hier genießt man auch das Eigentümliche dieser Situation eines Ausstellungsortes, der mitten in einem intakten Bahnhofsgelände liegt. Es funktioniert nicht immer, wenn alte Häuser „umgenutzt“, speziell wenn sie für Kunst genutzt werden; gerade bei Industriebauten wird die Metamorphose zum Ausstellungsort oft von einem Zu-Tode-Restaurieren begleitet. Jabornegg/Palffy jedoch haben intelligente Ausstellungsarchitektur gemacht, die auf die Glätte geschönter Räume nicht angewiesen ist. Und wenn man hinausschaut, sind ja die Züge da, und die fahren weiter.

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