Bauwerk
Hörbiger-Areal Bauteil Süd
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2018
Wie „ornamental“ darf eine Fassade sein?
Was eine gute Fassade alles kann: Sie dient dem Ausblick und der Belichtung, sie bereichert den Straßenraum und generiert gut nutzbare Freiräume für die Wohnungen – exemplarisch umgesetzt in einem Wohnbau in Wien Simmering.
11. Mai 2019 - Christian Kühn
Während der Funktionalist das Haus zum Werkzeug machen will, sieht es der Rationalist (was nur zunächst überrascht) mit gleicher Bestimmtheit als Spielzeug“. Dieses Zitat aus Adolf Behnes „Der moderne Zweckbau“ stammt aus dem Jahr 1923. Ausgerechnet den Begriff des Rationalismus mit dem Spiel in Verbindung zu bringen und ihn gegen eine Architektur, die sich auf das rein Nützliche beschränkt, in Stellung zu bringen, war ein raffinierter Schachzug. Spiele sind nicht nützlich im engeren Sinn, aber sie enthalten immer einen „vernünftigen“ Teil, Spielregeln, denen sich die Spieler freiwillig unterwerfen, die sie aber auch ändern und weiterentwickeln können.
Um ein gutes Gebäude zu realisieren, braucht es viele tausend Entscheidungen, von denen nur ein Teil funktionell oder technisch begründbar ist. Die anderen Entscheidungen müssen deshalb aber nicht willkürlich getroffen werden, sondern aufgrund von eigenen Regeln, mit denen sich Architektinnen und Architekten das Haus „zum Spielzeug machen“. Dass in der Anwendung der Regeln wie bei jedem guten Spiel auch Intuition und Zufall Platz haben, zeichnet diesen Rationalismus gegen die reine Zweckdienlichkeit aus.
Die Fassade ist ein wichtiger Austragungsort des Matches zwischen strenger Funktion und freiem Spiel. Funktionell dient sie dem Ausblick und der Belichtung. Strukturell ist sie entweder eine Massivwand mit Fensterlöchern wie in der klassischen Architektur oder eine vom Tragsystem entkoppelte vorgehängte Schicht aus Metall und Glas in der modernen. Die klassische Architektur hat rund um das Prinzip „Wand mit Löchern“ einen Kosmos an Zierelementen und Ornamentik erfunden, die den Straßenraum nach bestimmten Regeln „auskleiden“ und damit bereichern. Die Moderne hat in ihren städtebaulichen Prinzipien die Straße als Raum abgeschafft und durch eine Landschaft mit frei platzierten Baukörpern mit transparenten Fassaden ersetzt. Durchsichtig waren diese Fassaden allerdings nie: Mit „Transparenz“ ist in der Moderne eher eine „Vielschichtigkeit“ gemeint, die der Fassade Tiefe gibt.
Als die Postmoderne den Straßenraum wieder als urbanen Wohnraum entdeckte, der von Fassaden begrenzt wird, warf das neue Fragen auf, die bis heute gültig sind: Wie „ornamental“ darf eine Fassade sein? Wie transparent? Welche Nutzungen kann sie in den Schichten aufnehmen, mit denen sie das Innen vom Außen trennt?
Der neue, für den Bauträger EGW Heimstätte errichtete Wohnbau von Kinayeh und Markus Geiswinkler in der Braunhubergasse in Wien Simmering bietet klare Antworten auf diese Fragen. Seine Fassade bereichert den Straßenraum durch ein geometrisch-ornamentales Spiel im rationalistischen Sinne Adolf Behnes; sie bietet durch unterschiedliche Materialien eine fein abgestufte Transparenz; und sie macht aus der Fassade einen gut nutzbaren Außenraum, der die Wohnungen erweitert.
Dieses Projekt beweist, dass eine gute Fassade im Grundriss beginnt: Die Aufgabe, einen gründerzeitlichen Block mit einem Wohnbau abzuschließen, beantworten die Architekten mit einer U-förmigen Verbauung des Blockrands mit kleineren Wohnungen, die über Laubengänge erschlossen werden. Ein Großteil dieser Gänge liegt nicht im Freien, sondern in einer großzügigen Halle mit einer Kaskadentreppe, die alle Geschoße verbindet. Eine Druckbelüftung, die sich im Brandfall einschaltet und verhindert, dass Rauch aus einer Wohnung in die Halle dringt, macht es möglich, mit dieser einzigen Erschließung für das Haus auszukommen.
In der Halle führen Brücken zu hofseitig liegenden Maisonetten, die wie eine Spange in das große U der Kleinwohnungen eingepasst sind. Für diese zweigeschoßigen Sondertypen gibt es durchaus Nachfrage, sie werden aber immer seltener realisiert. Das Gros der Wohnungen folgt auch in diesem Projekt dem Smart-Wohnen-Prinzip, also knapp bemessenem, aber damit günstigerem Wohnraum. Ein zusätzlicher Faktor für die zunehmende Standardisierung ist der Wunsch nach Barrierefreiheit, nicht zuletzt, um das Wohnen in der eigenen Wohnung bis ins hohe Alter zu erlauben. Ob die generelle Ausrichtung des Wohnungsangebots auf die Bedürfnisse alter Menschen oder von Menschen mit Behinderungen klug ist, sei dahingestellt. Im Wohnbau in der Braunhubergasse findet sich die Alternative dazu, nämlich ein integriertes Heim mit betreutem Wohnen, das neben einer Wohngemeinschaft auch einige kleine, im Haus verteilte Wohneinheiten versorgt.
Ab dem zweiten Obergeschoß verfügt jede Wohnung über einen Balkon und jede Maisonette über eine Loggia oder einen Garten. Der Freiraum zur Straße hin besteht aus zwei Schichten: einer Art umlaufender Laube, aus der als zweite Schicht Balkone hervorragen, die es in mehreren Tiefen und Breiten gibt. Um aus diesen Elementen ein ästhetisch befriedigendes Spiel zu machen, braucht es ein Regelwerk für die Abstimmung zwischen Grundriss und Fassade. Das Thema setzt sich bis ins Detail fort, etwa zum Gerüst aus verzinkten Stahlprofilen, das der Fassade einen Rhythmus gibt, aber auch als Unterkonstruktion für die Geländer und teilweise als Rankgerüst dienen. An manchen Punkten hat es auch gar keinen Zweck, etwa an der Attika, wo es den Übergang von der niedrigeren Bebauung zur höheren spielerisch begleitet.
Womit wir beim Städtebau wären: Die Dichte des Projekts liegt gerade noch an der Grenze des Vertretbaren. Bei den Nachbarbauten, fünf Punkthochhäusern, scheint mir diese Grenze überschritten zu sein. Den Städtebau gab an diesem Ort nicht die Wiener Stadtplanung vor, sondern das Wirtschaftsressort. Es ließ einem Industrieunternehmen, das hier seinen Standort hatte und überlegte, ins Ausland abzuwandern, eine „stille“ Förderung durch Aufzonung zukommen. Das Unternehmen übersiedelte auf einen neuen Standort in Wien und lukrierte die Wertsteigerung beim Verkauf des alten. Im Rahmen eines kooperativen Verfahrens musste dann das Beste aus dieser Dichtevorgabe gemacht werden.
Die elegante Leichtigkeit der Architektur von Geiswinkler & Geiswinkler hebt sich von dieser Nachbarschaft spürbar ab. Sie ist das Ergebnis jahrelanger Übung und äußerster Disziplin. Was das Thema Fassade betrifft, besteht sie die Probe aufs Exempel: Nach ihren Regeln gestaltet kann man sich auch ganze Straßenzüge vorstellen.
Um ein gutes Gebäude zu realisieren, braucht es viele tausend Entscheidungen, von denen nur ein Teil funktionell oder technisch begründbar ist. Die anderen Entscheidungen müssen deshalb aber nicht willkürlich getroffen werden, sondern aufgrund von eigenen Regeln, mit denen sich Architektinnen und Architekten das Haus „zum Spielzeug machen“. Dass in der Anwendung der Regeln wie bei jedem guten Spiel auch Intuition und Zufall Platz haben, zeichnet diesen Rationalismus gegen die reine Zweckdienlichkeit aus.
Die Fassade ist ein wichtiger Austragungsort des Matches zwischen strenger Funktion und freiem Spiel. Funktionell dient sie dem Ausblick und der Belichtung. Strukturell ist sie entweder eine Massivwand mit Fensterlöchern wie in der klassischen Architektur oder eine vom Tragsystem entkoppelte vorgehängte Schicht aus Metall und Glas in der modernen. Die klassische Architektur hat rund um das Prinzip „Wand mit Löchern“ einen Kosmos an Zierelementen und Ornamentik erfunden, die den Straßenraum nach bestimmten Regeln „auskleiden“ und damit bereichern. Die Moderne hat in ihren städtebaulichen Prinzipien die Straße als Raum abgeschafft und durch eine Landschaft mit frei platzierten Baukörpern mit transparenten Fassaden ersetzt. Durchsichtig waren diese Fassaden allerdings nie: Mit „Transparenz“ ist in der Moderne eher eine „Vielschichtigkeit“ gemeint, die der Fassade Tiefe gibt.
Als die Postmoderne den Straßenraum wieder als urbanen Wohnraum entdeckte, der von Fassaden begrenzt wird, warf das neue Fragen auf, die bis heute gültig sind: Wie „ornamental“ darf eine Fassade sein? Wie transparent? Welche Nutzungen kann sie in den Schichten aufnehmen, mit denen sie das Innen vom Außen trennt?
Der neue, für den Bauträger EGW Heimstätte errichtete Wohnbau von Kinayeh und Markus Geiswinkler in der Braunhubergasse in Wien Simmering bietet klare Antworten auf diese Fragen. Seine Fassade bereichert den Straßenraum durch ein geometrisch-ornamentales Spiel im rationalistischen Sinne Adolf Behnes; sie bietet durch unterschiedliche Materialien eine fein abgestufte Transparenz; und sie macht aus der Fassade einen gut nutzbaren Außenraum, der die Wohnungen erweitert.
Dieses Projekt beweist, dass eine gute Fassade im Grundriss beginnt: Die Aufgabe, einen gründerzeitlichen Block mit einem Wohnbau abzuschließen, beantworten die Architekten mit einer U-förmigen Verbauung des Blockrands mit kleineren Wohnungen, die über Laubengänge erschlossen werden. Ein Großteil dieser Gänge liegt nicht im Freien, sondern in einer großzügigen Halle mit einer Kaskadentreppe, die alle Geschoße verbindet. Eine Druckbelüftung, die sich im Brandfall einschaltet und verhindert, dass Rauch aus einer Wohnung in die Halle dringt, macht es möglich, mit dieser einzigen Erschließung für das Haus auszukommen.
In der Halle führen Brücken zu hofseitig liegenden Maisonetten, die wie eine Spange in das große U der Kleinwohnungen eingepasst sind. Für diese zweigeschoßigen Sondertypen gibt es durchaus Nachfrage, sie werden aber immer seltener realisiert. Das Gros der Wohnungen folgt auch in diesem Projekt dem Smart-Wohnen-Prinzip, also knapp bemessenem, aber damit günstigerem Wohnraum. Ein zusätzlicher Faktor für die zunehmende Standardisierung ist der Wunsch nach Barrierefreiheit, nicht zuletzt, um das Wohnen in der eigenen Wohnung bis ins hohe Alter zu erlauben. Ob die generelle Ausrichtung des Wohnungsangebots auf die Bedürfnisse alter Menschen oder von Menschen mit Behinderungen klug ist, sei dahingestellt. Im Wohnbau in der Braunhubergasse findet sich die Alternative dazu, nämlich ein integriertes Heim mit betreutem Wohnen, das neben einer Wohngemeinschaft auch einige kleine, im Haus verteilte Wohneinheiten versorgt.
Ab dem zweiten Obergeschoß verfügt jede Wohnung über einen Balkon und jede Maisonette über eine Loggia oder einen Garten. Der Freiraum zur Straße hin besteht aus zwei Schichten: einer Art umlaufender Laube, aus der als zweite Schicht Balkone hervorragen, die es in mehreren Tiefen und Breiten gibt. Um aus diesen Elementen ein ästhetisch befriedigendes Spiel zu machen, braucht es ein Regelwerk für die Abstimmung zwischen Grundriss und Fassade. Das Thema setzt sich bis ins Detail fort, etwa zum Gerüst aus verzinkten Stahlprofilen, das der Fassade einen Rhythmus gibt, aber auch als Unterkonstruktion für die Geländer und teilweise als Rankgerüst dienen. An manchen Punkten hat es auch gar keinen Zweck, etwa an der Attika, wo es den Übergang von der niedrigeren Bebauung zur höheren spielerisch begleitet.
Womit wir beim Städtebau wären: Die Dichte des Projekts liegt gerade noch an der Grenze des Vertretbaren. Bei den Nachbarbauten, fünf Punkthochhäusern, scheint mir diese Grenze überschritten zu sein. Den Städtebau gab an diesem Ort nicht die Wiener Stadtplanung vor, sondern das Wirtschaftsressort. Es ließ einem Industrieunternehmen, das hier seinen Standort hatte und überlegte, ins Ausland abzuwandern, eine „stille“ Förderung durch Aufzonung zukommen. Das Unternehmen übersiedelte auf einen neuen Standort in Wien und lukrierte die Wertsteigerung beim Verkauf des alten. Im Rahmen eines kooperativen Verfahrens musste dann das Beste aus dieser Dichtevorgabe gemacht werden.
Die elegante Leichtigkeit der Architektur von Geiswinkler & Geiswinkler hebt sich von dieser Nachbarschaft spürbar ab. Sie ist das Ergebnis jahrelanger Übung und äußerster Disziplin. Was das Thema Fassade betrifft, besteht sie die Probe aufs Exempel: Nach ihren Regeln gestaltet kann man sich auch ganze Straßenzüge vorstellen.
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