Veranstaltung

Architektur wie sie im Buche steht
Ausstellung
Architektur wie sie im Buche steht © Architekturmuseum der TU München
8. Dezember 2006 bis 11. März 2007
Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40
D-80333 München


Mit Worten gebaut

Eine Ausstellung des Architekturmuseums in der Münchner Pinakothek der Moderne

Klassisch und legendär sind die architektonischen Visionen in der Literatur: vom Turmbau zu Babel aus dem Alten Testament bis zu Kafkas «Schloss». Eine Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne erkundet das Wechselspiel zwischen Literatur und Architektur.

12. Januar 2007 - Roman Bucheli
Else Lasker-Schüler hatte sich in ihren literarischen Visionen ein Theben der Sehnsucht erbaut. Bei Jorge Luis Borges verwandelte sich im Schreiben alle Architektur in Labyrinthisches. Und Marcel Proust hatte sich in der «Suche nach der verlorenen Zeit» darauf kapriziert, ein Schriftsteller müsse seinen Roman wie eine Kirche bauen. Freilich bestätigte er damit landläufige Erwartungen unter Lesern, Autoren würden, bevor sie zu schreiben begännen, einen Plan entwerfen oder Vorgänge und Zusammenhänge aufzeichnen. Wir wissen nicht, ob Else Lasker-Schüler ihr Theben malte, ehe sie es dichterisch beschrieb, ob das Bild oder die Worte zuerst waren, und wir können nur vermuten, dass Borges sich in seinen Labyrinthen regelmässig selber verirrte. Freilich wissen wir von vielen Autorinnen und Autoren, dass sie tatsächlich zeichnen, skizzieren, Räume entwerfen und Topographien festlegen, noch bevor ein Wort geschrieben ist.

Entwurfszeichnungen

Dieses Ineinandergreifen des Entwerfens und Schreibens steht gleichsam als Wunderkammer literarischer Vorstellungswelten im Mittelpunkt einer Ausstellung des Architekturmuseums in der Münchner Pinakothek der Moderne. Ebenso materialreich wie weit in die Geschichte ausgreifend erkundet sie das vielfältige Zusammenspiel zwischen Literatur und Architektur. Dabei stellen innerhalb des breit gefassten thematischen Rahmens die Entwurfszeichnungen für literarische Werke bestenfalls eine untergeordnete Rolle dar. So anmutig Gottfried Kellers Zeichnungen auch sind und so hinreissend die Collagen von Sibylle Lewitscharoff, mit denen sie sich den Überblick über die Topographie und das Personal ihres Romans «Montgomery» zu wahren versuchte, mit Architektur hat dies in aller Regel wenig zu tun. Allenfalls findet hier das Publikum eine Bestätigung für die Vermutung, auch Texte seien wie Häuser planmässig gebaut - und wer nur den Bauplan kenne, könne hinter die Fassade schauen und begreife also, was die Oberfläche nicht preisgibt. Wenn denn dieser gewichtigste Teil der Ausstellung aussagekräftig hätte sein sollen, dann wäre eine kritische Überprüfung gerade dieser trivialpoetischen These vonnöten gewesen.

Ergiebiger und nun durchaus faszinierend hingegen ist die Ausstellung, wenn sie sich ganz auf die architektonischen Visionen literarischer Werke konzentriert. Hier kann sie aus einem gewaltigen Fundus schöpfen, der von der Bibel bis zu den Comics unserer Tage reichhaltiges Text- und Bildmaterial bereithält. Ersichtlich wird denn im Rundgang durch die Ausstellung, dass das Zusammenspiel zwischen Text und fiktionalem Bauwerk gerade dort am fruchtbarsten wird, wo sich die mit Worten geschaffene Architektur ihrerseits in die Lesbarkeit des Werkes einfügt. Kafkas Schloss in dem gleichnamigen Romanfragment erfüllt gerade keine lebensweltliche Funktionalität, sondern fügt sich als vollkommen unfassbarer Raum und also als sinnstiftendes Element in die ästhetische Konzeption des Werks ein.

Ähnlich lassen sich weiterhin die einer überbordenden Phantastik entsprungenen Spukschlösser in den gothic novels lesen: Sie spotten jeder bautechnischen und lebenspraktischen Zweckmässigkeit und fügen sich stattdessen in eine narrative Konzeption, deren nun durchaus zeitdiagnostische Bedeutung sich im Horizont der beginnenden Aufklärung erschliesst: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt die Literatur die vom Himmel der Vernunft verbannten Götter als irrlichternde Geister in den undurchschaubaren Gehäusen des Schauerromans ihre Wiederkunft feiern.

Was die Ausstellung indessen auch vor Augen führt: die beklemmende, geradezu deprimierende Einfallslosigkeit der meisten Schriftsteller, sobald sie in ihren Werken utopische Städte oder Lebensgemeinschaften entwerfen. Von Thomas Morus bis Ernst Jünger entstehen dabei proto- oder spätfaschistische Monumentalarchitekturen, die kaum visionär sind, dafür aber umso mehr über die Tyrannis des Ideals und der puristisch- totalitären Symmetrie zu erzählen vermögen. Es handelt sich dabei um eine derart eklatante Stereotypie, dass bereits die frühesten Konkretisierungen zugleich ihre Selbstparodie formulierten: François Rabelais überhöhte in seinem Mitte des 16. Jahrhunderts entstandenen Roman «Gargantua et Pantagruel» das Leben in der prachtvollen Abtei Thélème zu einer Idealgemeinschaft, die nicht allein das damalige Klosterleben konterkarierte, sondern die eigene Vision kritisch zu beleuchten vermochte. Zu Ende gedacht wurde die Lebensfeindlichkeit der vollkommenen Architektur freilich erst bei Thomas Bernhard, der 1975 in dem Roman «Korrektur» einen mathematisch- geometrisch vollkommenen Wohnkegel entwarf. Das ideale Haus sollte seiner Bewohnerin das Glück gleichsam garantieren, diese freilich stirbt im Augenblick, da sie das Haus betritt.

Fehlende Verdichtung

Indessen erstickt die Ausstellung - und mehr noch der ebenso voluminöse wie gewichtige Katalog - an dem disparaten Material, das sie kaum zu ordnen und zu bewältigen weiss. Umso schwerer fallen Lücken ins Gewicht. Bildliche Darstellungen von fiktiven Architekturen würden zum Spiegel der jeweiligen Epoche, heisst es mit Blick etwa auf den Turm zu Babel. Leicht fällt uns hier der Glaube, allein in der Ausstellung fehlt die Anschauung. Eine kleine Bildergalerie hätte hier durch die Jahrhunderte und zu gedanklicher Verdichtung führen können. So greift denn die Ausstellung vieles auf, ohne es zu vertiefen: die Berichte von Plinius d. J. über seine Villen und deren zeichnerische Umsetzung bei Schinkel; der architektonisch-literarische Wettstreit zwischen Letzterem und Brentano; William Beckfords Fonthill Abbey, die in sich zusammenstürzt, ehe sie fertig gebaut ist. Man ist dann am Ende um ein paar Anekdoten melancholischer und erheiternder Art reicher; das Zusammenspiel zwischen Architektur und Literatur aber wird in der Fülle der Phänomene eher vernebelt als erhellt.

[ Architektur wie sie im Buche steht. Fiktive Bauten und Städte in der Literatur. Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne, München. Bis 11. März. Katalog: Euro 39.- (Fr. 89.- im Buchhandel). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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