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Artikel

8. Januar 2004 Neue Zürcher Zeitung

Ein Messer in Wiens Himmel

Hans Holleins Albertina-Flugdach

Bedroht scheint der vergangenheitsselige Friede zwischen Hofburg, Oper und Hotel Sacher. Wie die Schneide eines Messers ragt das neue Wahrzeichen der Wiener Albertina in den Platz. Weil die prunkvoll renovierte und vor einem Dreivierteljahr wiedereröffnete Graphische Sammlung Albertina aussen ein markantes Signal bekommen sollte, wurde 2001 ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der Wiener Architekt Hans Hollein gewann. Sein Entwurf eines Flugdachs, das zum Eingang der Albertina weist und über die alte Rampe des Museums ragt, versprach edles Titan und schwebende Leichtigkeit. Was jetzt nach langer Bauverzögerung vor dem Museum steht, ist aus eloxiertem Aluminium gefertigt und einigermassen plump. Wenn die neue Architektur unverwechselbare Wahrzeichen ins dicht bebaute Stadtgebiet stellt, dann hat Hans Hollein seine eigene Signatur gefunden. Das Flugdach, vom Wiener Haas-Haus der achtziger Jahre bis zu neuesten Bürohausprojekten immer wieder als krönender Abschluss auf Holleins Bauten placiert, ist zum Markenzeichen sich selbst beglaubigender Modernität geworden. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder rühmt den bleiern wirkenden Flügel vor seinem Haus jetzt als «Symbol der Geschwindigkeit und der Zukunft».

Das historische und in seiner heutigen Form aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammende Palais der Albertina sieht hinter dieser grob gebauten Zukunftsbeschwörung ziemlich verloren aus. Und auch im Symbolischen ist die Wirkung des 53 Meter langen und bis zu 12 Meter breiten Flugdachs fatal. Wohl wahr, dass Holleins Metallkörper, wie Schröder anerkennend sagt, «ein messerscharfer Schnitt» im Himmel ist. Doch diese martialische Geste steht in schwerem Konflikt mit dem darunter liegenden Mahnmal Alfred Hrdlickas gegen Faschismus und Krieg. Holleins Flugdach, das die bauliche Ergänzung einer auf die Rampe führenden Rolltreppe ist, hat im Wettbewerb über Entwürfe von Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au und Wilhelm Holzbauer gesiegt. Jetzt scheitert der massive Metallflügel an der Situation eines architektonisch heiklen Ortes. In seiner aggressiven Präsenz ist Holleins Dach auch verräterisch. Das neue Museumsmanagement der Albertina ist jeweils nicht leise, wenn es darum geht, für das eigene Angebot zu werben. Und auch die edlen Spender des Albertina-Flugdaches sind es nicht. «Soravia-Wing» steht deutlich lesbar und etwas vulgär an der Kante des Daches. Die Brüder Hanno und Erwin Soravia, Bau- und Immobilienunternehmer in Wien, haben wohl Millionen von Euro gegeben (ein genauer Betrag wird nicht genannt), um den 300 Quadratmeter grossen Metallflügel zu finanzieren. Es ist ein Mäzenatentum neuer Form. Denn das Dach repräsentiert nichts anderes als sich selbst.

29. Dezember 2004 Neue Zürcher Zeitung

Luxus und Moderne

Wien feiert hundert Jahre Wiener Werkstätte

Die Wiener Werkstätte von Josef Hoffmann und Koloman Moser war in ihrem radikalen Gestaltungswillen ein Vorbote moderner Designkultur. Von Bauten über Möbel bis zur Mode reichte ein Programm, das nun zum 100-Jahr-Jubiläum in Wien gewürdigt wird. Höhepunkt ist eine grosse Ausstellung im Museum für angewandte Kunst.

Der Preis der Schönheit war hoch für das vermögende Wiener Grossbürgertum, das Anfang des 20. Jahrhunderts einen ganzen «Lebensstil» bei der Wiener Werkstätte (WW) kaufte. Zu hoch aber war der Preis der Schönheit am Ende für die Kunstfirma selbst. Nach drei Jahrzehnten wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde die von dem Architekten Josef Hoffmann, dem Maler Koloman Moser und dem Mäzen Fritz Waerndorfer gegründete Wiener Werkstätte 1932 liquidiert. Mit ihren Kollegen aus vielen Sparten künstlerischen Handwerks schufen die Stil-Fabrikanten Hoffmann und Moser Architektur, Möbel, Keramik, Stoffe, Glas, Grafik, Mode oder Buchkunst zur höheren Ehre der Schönheit. Dank den Mäzenen, die immer wieder im richtigen Augenblick auftauchten, musste man es mit dem Geld nicht so genau nehmen. Und auch betuchte Kundschaft gab es schnell. Frühe Grossaufträge trugen zum Renommee der Wiener Werkstätte bei. Das Sanatorium Purkersdorf des Wiener Arztes Victor Zuckerkandl wurde 1904 nach Hoffmanns Plänen gebaut und von diesem bis in alle Details ausgestaltet. Im Jahr darauf machte sich Hoffmann an die Pläne für das prunkvolle Brüsseler Palais des Industriellen Adolphe Stoclet. Daraus entstand ein Gesamtkunstwerk ganz nach dem Geschmack der Wiener Werkstätte: ein Ort des Luxus und der Moderne.


Triumph und Tragik

Aus Anlass des 100. Geburtstags der Wiener Werkstätte feiert nun eine grosse Ausstellung des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK) dieses Aushängeschild von Wiens ästhetischer Identität mit angemessener Opulenz. Die Schau «Der Preis der Schönheit» würdigt Grösse und Grössenwahn eines frühen Aufbruchs ins Design. Das Museum hat es sich nicht nehmen lassen, das WW-Gesamtkunstwerk als solches zu inszenieren. Aus dem allumfassenden Design der Wiener Werkstätte wird kein Heiligtum gemacht. Vielmehr denkt die Ausstellung ein ehrgeiziges Anliegen ironisch zu Ende. Heimo Zobernig, der schon bei der Zuger WW-Schau (NZZ 20. 6. 03) mitwirkte, hat aus Gerüststangen, Glas und transparenten Stoffbahnen das WW-Signum nachgebaut. Zwei ineinander verschränkte riesenhafte W bilden Vitrinen, in denen sich alles findet, was die Edelschmiede des künstlerischen Handwerks in drei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Triumph und Tragik der Wiener Werkstätte liegen in den Glaskästen eng beieinander.

Am Anfang stand die puristische Phase, in der die ästhetische Produktion so rigide war wie Josef Hoffmanns geometrische Grundformen, die überall Anwendung fanden. «Quadratl-Hoffmann» wurde der Wiener Architekt ob seiner Vorliebe genannt. Nach und nach und vor allem seit dem Ausscheiden Koloman Mosers aus der Wiener Werkstätte 1907, wandelte sich das Unternehmen in einen Produktionsort luxuriösen Überschwangs. Keramische Fragwürdigkeiten eines Zwanziger-Jahre-Rokokos wurden massenhaft produziert, und noch die kleinsten Schatullen wurden aus edelsten Hölzern und drei Sorten Leder gefertigt. Sie stehen im MAK neben zeitlos schönen frühen Arbeiten wie Koloman Mosers Teeservices oder Hoffmanns formal strengem Schreibschrank für Berta Waerndorfer.


Durchgestyltes Leben

Das Brüsseler Palais Stoclet ist in der Wiener Ausstellung im Modell zu sehen. Für dessen opulentes Interieur entwarf Gustav Klimt ein Mosaikfries aus buntem Glas, Email, Perlmutt und Gold. Klimts Zeichnungen in Originalgrösse gehören zu den beeindruckendsten Exponaten. Und Exponate gibt es viele: von den Dokumenten zu architektonischen Grossaufträgen (das Archiv der Wiener Werkstätte befindet sich im MAK) über Möbel und Reformkleider bis hin zu Utensilien stilbewusster Haushaltsführung. Noch die kleinste Pfeffer-Paprika-Büchse hat Josef Hoffmann mit einigem Schwung gestaltet.

Modern ist die Wiener Werkstätte, weil sie forderte, was die designte Welt der Gegenwart dann fast bis zum Überdruss einlöste. Modern ist sie auch, weil sich in ihrer Idee des durchgestylten Lebens selbst dieser Überdruss bereits ankündigt. Das Wiener MAK zieht daraus seinen Schluss und hat zur Ausstellung einen Katalog herausgebracht, der ebenso luxuriös wie schreiend grell ist. In schöner Eleganz zeigt der mit orangefarbenem Plastic umhüllte Bildband die Geschichte des Stil-Unternehmens.

Die hervorragende Ausstellung im MAK spannt einen chronologischen Bogen, der auch die Vorläufer der Wiener Werkstätte nicht vergisst. Die «Arts & Crafts»-Bewegung, Charles Robert Ashbee, Charles Rennie Mackintosh und Henry van de Velde stehen ebenso an der Wiege dieser Idee wie die grafische Kunst der Wiener Sezession. Entscheidend waren die ersten Jahre. Die frühen Grossaufträge haben wesentlich zum noch heute bestehenden Mythos der Werkstätte- Künstler beigetragen, zu denen neben Moser und Hoffmann noch Carl Otto Czeschka, Bertold Löffler oder Michael Powolny gehörten.


Wunschmaschine der Utopie

Während es um die Bauten der Wiener Werkstätte nicht zum Besten steht - das Sanatorium Purkersdorf wurde gerade zu Tode revitalisiert, und das Brüsseler Palais Stoclet soll für 100 Millionen Dollar zum Verkauf stehen -, feiert Wien, was zu feiern ist. Die Wiener Werkstätte war nicht zuletzt auch ein soziales Experiment zwischen Kunst und Alltag. Die smarten Sezessionisten Moser und Hoffmann haben die moderne Corporate Identity mit erfunden, gescheitert sind sie wie moderne Unternehmer. Als auratisches Monument einer Idee steht ein grosser hölzerner Kasten in der Ausstellung des MAK. In seinen engen Fächern liegen die metallenen Prägestempel aller Logos, Künstlermonogramme und Meisterpunzen der Wiener Werkstätte. Dicht an dicht reihen sich die Symbole künstlerischer Individualität, die schnell greifbar sein sollten für die Massenproduktion eines Kunstunternehmens. Der mannshohe Holzkasten wirkt wie die Maschine eines utopischen Wunsches.


[Bis 7. März. Katalog: Der Preis der Schönheit. 100 Jahre Wiener Werkstätte. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2003. 448 S., Fr. 83.-. Ausserdem präsentieren zurzeit private Aussteller wie «Bel Etage» oder die Galerie bei der Albertina Möbel, Kunst und Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte.]

29. November 2003 Neue Zürcher Zeitung

Fortschritt und Folklore

Eine Ausstellung über slowakische Architektur in Wien

Die Moderne der zwanziger und dreissiger Jahre hat in der slowakischen Architektur bedeutende Spuren hinterlassen. Fridrich Weinwurm und Alois Balán bauen puristische weisse Villen, Vladimir Karfiks Kaufhaus Bat'a setzt in Bratislava neue Massstäbe der Urbanität, und Emil Belluš' Kolonnadenbrücke über die Waag wird zum strengen Meisterwerk des Funktionalismus. Selten hat die Architektur des Landes so radikal Stellung bezogen wie in der Epoche der Zwischenkriegszeit. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm zeigt die Höhepunkte der slowakischen Architektur, ohne deshalb auf den Kontrast vielfältiger Mittelmässigkeit zu verzichten. «Architektur Slowakei» ist ein umfassendes und gelungenes Porträt einer wohl immer noch kaum bekannten Landschaft des Bauens.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bricht der Sezessionismus in die slowakische Architektur ein. Daneben gedeiht ein standhafter Historismus, der sich mit einer archaischen und ins Ornament verliebten Folklore verbindet. Die Wiener Ausstellung zeigt die Entwicklung der slowakischen Architektur chronologisch. Dadurch fällt der Blick auf die vielen Ungleichzeitigkeiten, die das Bauen in der Slowakei prägen. Am Jahrhundertanfang steht Dušan Jurkovis unübersehbarer Beitrag zur neuen Architektur. Die Ausstellung dokumentiert die exzessive Volkstümlichkeit von Jurkovis Villen, die in ihrer rustikalen Moderne den auch später noch anhaltenden Konflikt von Peripherie und Zentrum deutlich machen. In der kurzen Zwischenkriegszeit entsteht eine Fülle von Bauten, in deren sachlicher Ästhetik sich ein selbstbewusstes Bürgertum ebenso ausdrückt wie der Modernisierungswille der Verwaltung. Grosse Siedlungen im Bauhausstil, etwa Fridrich Weinwurms Laubenganghäuser «Unitas», verbessern die Wohnqualität.

Eines der radikalsten Beispiele für eine neue Architektur, die auch das Stadtbild Bratislavas prägt, ist hingegen Baláns Villa Jaro in ihrer streng geometrischen und minimalistischen Ästhetik. Tomáš Tvaroeks Stadtsparkasse ist von einem ebenso bahnbrechend nüchternen Funktionalismus wie das Verwaltungsgebäude der Sozialversicherung von Balán und Jii Grossmann. Weit weniger entschieden war naturgemäss die kollektiv betriebene Architektur der kommunistischen Jahre, die die Ausstellung ebenfalls in allen Aspekten zeigt - von den Repräsentationsgebäuden bis zum Plattenbau. Herausragend ist die Landwirtschaftshochschule in Nitra, 1961 entworfen von Rudolf Miovsk und Vladimir Dedeek, umstritten bis heute die das Stadtbild prägende monumentale Neue Brücke in Bratislava, die Anfang der siebziger Jahre von Josef Lacko, Ladislav Kušnir und Ivan Slame gebaut wurde. Die architektonische Gegenwart der Slowakei wirkt in der Ausstellung eher schwach beleuchtet. Achtbar ist die ästhetische Dynamisierung der Einfamilienhausarchitektur, zahlreich sind die Aufträge für Kirchenbauten. Und auch die ökonomischen Hoffnungsgebiete der EU-beitrittswilligen Slowakei werfen ihre Schatten voraus. In der boomenden Petralka in Bratislava steht die neue gläserne Kaufhausmoderne des «Auparks».


[ Bis 29. Februar. Katalog: Architektur Slowakei. Impulse und Reflexion. Architektur im Ringturm XI. Hrsg. Adolph Stiller und Štefan Šlachta. Verlag Anton Pustet, Salzburg und München 2003. 200 S., Euro 39.-. ]

17. Mai 2003 Neue Zürcher Zeitung

Arme Architektur

Das «Rural Studio» in einer Wiener Ausstellung

Tief in Alabama sind Gesinnung und Ästhetik noch kein Gegensatz. Seit Anfang der neunziger Jahre baut das Rural Studio in den ärmsten Regionen des Bundesstaates Häuser für Bedürftige. Aus Recyclingmaterial entsteht die Architektur einer ökologischen Avantgarde, die jetzt in einer Ausstellung des Wiener Architekturzentrums zu sehen ist. Hale County in Alabama gehört zu den amerikanischen Landstrichen fortschreitender Verarmung. Geistersiedlungen aus Wellblech und Wohnwagen sind vom einstigen Wohlstand der Baumwollplantagen geblieben, die Arbeitslosenrate ist hoch, und das Durchschnittseinkommen liegt bei 13 000 Dollar im Jahr. Der vor zwei Jahren verstorbene Architekt Samuel Mockbee hat hier vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit einer lokalen Wohlfahrtsbehörde ein Modell entwickelt, das die Studenten der Auburn University in die architektonische Praxis einführt und einen explizit sozialen Auftrag erfüllt. Ausgewählten Familien oder Gemeinden kommt die Arbeit von Rural Studio zugute. Die Kosten werden niedrig gehalten, Sponsoren stellen Material zur Verfügung, zur Planung gehören auch intensive Befragungen der künftigen Nutzer. Über zwei Dutzend Projekte hat Rural Studio in den letzten Jahren in Hale County verwirklicht.

Das erste Projekt von Rural Studio war das 1993 gebaute Bryant House. Schwere Heuballen wurden in Plasticplanen gewickelt, übereinander gestapelt und mit Drähten gesichert. Bei den Bauten von Rural Studio bleibt die Improvisation stets sichtbar. Und so fügen sich die Häuser, die meist mit kühnen Dachkonstruktionen in der Landschaft stehen, wieder in ihr Umfeld aus Agrikultur und Abgeschiedenheit. Breite Veranden und einfache Grundstrukturen, die den siloartigen Gebäuden der Gegend nachempfunden sind, prägen eine Architektur aus Low Tech und hoch entwickeltem sozialem Gewissen. Das 2001 entstandene Shiles House verdankt seine innere Form ausgegossenen Autoreifen. Als Stelzen verwendete ausrangierte Telefonmasten und die mit Schindeln verkleideten Wände bilden das äussere Erscheinungsbild des Shiles House. Die Bauten von Rural Studio kommen nicht aus einem computerisierten Büro, sondern entstehen vor Ort und nach Massgabe der Möglichkeiten des Materials. Und so mutet die Arbeit auf anspruchsvolle Art eigenwillig und autark an.

Am avanciertesten in dieser Hinsicht ist Lucy's House (2002), bei dem die Wände aus gestapelten Teppichfliesen bestehen. Das flache, bungalowartige Gebäude wird durch einen vielfach gedrehten Turm gekrönt. Die Low-Tech-Forschung von Rural Studio, in der Recyclingmaterial auf seine Tauglichkeit als Baustoff geprüft wird, geht weiter. In der Wiener Ausstellung, welche die Arbeit der amerikanischen Architekten erstmals in grösserem Rahmen in Europa präsentiert, ist auch sie zu sehen. Das Architekturzentrum Wien dokumentiert die Projekte von Rural Studio in einer schmucklosen Ausstellung, die das Handwerkliche dieser Arbeit deutlich macht. Wo sich Architektur sonst im Hochglanz ästhetischer Überzeugungen präsentiert, ist die Ethik des Rural Studio noch in ihrem unprätentiös-skizzenhaften Auftritt spürbar. «Just build it!» lautete Mockbees Wahlspruch.


[ Bis 2. Juni. Zur Ausstellung ist eine Nummer der Zeitschrift «Hintergrund» erschienen (Euro 4.40). ]

28. März 2003 Neue Zürcher Zeitung

Geflügelte Ideen

Gerald Zugmann und Coop Himmelb(l)au in Wien

Aggressiv und dekonstruktivistisch sind die Bauten von Coop Himmelb(l)au. Dennoch mutet die Arbeitsweise des Wiener Architektenbüros vergleichsweise bedächtig an. In mehreren filigranen Modellen erfährt der Entwurf seine ersten Visualisierungen, aus Papier und Kunststoff montierte Formstudien stehen am Anfang eines Prozesses, an dessen Ende so deutliche Signale stehen wie das spektakuläre Musée des Confluences in Lyon.

Seit Jahrzehnten lässt Coop Himmelb(l)au auch Fotos der Modelle anfertigen. Sie sind die Basis für weitere Eingriffe, für Veränderungen an Experimenten des architektonisch gebrochenen Blicks. Seit 25 Jahren begleitet der Photograph Gerald Zugmann dabei die Arbeit von Coop Himmelb(l)au. Es ist eine eigenwillige Kooperation, die jetzt in der Ausstellung «Blue Universe. Modelle zu Bildern machen» im Wiener Museum für angewandte Kunst dokumentiert wird. Von frühen Arbeiten wie dem Szenelokal «Roter Engel» reicht die photographische Auseinandersetzung herauf bis zur Erweiterung des Wiener Gasometers, zu dem städtischen Unterhaltungszentrum JVC in Guadalajara oder dem Science Center in Wolfsburg. Gerald Zugmanns Photographien dienen der Arbeit von Coop Himmelb(l)au und sind dennoch höchst eigenständige Kunst. Sie nehmen die Architektur des Wiener Büros auf, um sich schnell wieder davon zu emanzipieren. Gerald Zugmann beleuchtet die Modelle von innen oder setzt sie in scharfes Licht. Die daraus entstehende plastische Kontur zeigt die markanten architektonischen Eigenschaften der Projekte, ohne das Moment der Abstraktion, das bei dieser Arbeit entsteht, zu verleugnen. Ganz nah und im Detail photographiert, gewinnen die vielfach geflügelten Ideen von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky erstmals dort ihren Raum, wo Gerald Zugmann sie festhält.


[Bis 21. April. Katalog: Gerald Zugmann: Blue Universe. Modelle zu Bildern machen. Architectural Projects by Coop Himmelb(l)au. Hrsg. Peter Noever. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2002. 160 S., Euro 39.80.]

8. März 2003 Neue Zürcher Zeitung

Gegen die Kälte der Moderne

Jože Plecniks Baukunst in einer Grazer Ausstellung

Der Architekt Jože Plecnik war ein strenger Ideologe. Als Schüler Otto Wagners zählte der Slowene zur Avantgarde - dennoch wehrte er sich gegen die «eisige Kälte» der Moderne. «Es ist auch eine Idee, aber keine von Gott kommende», sagte Jože Plecnik über die Arbeit des Zeitgenossen Le Corbusier. Plenik war ein Priester des Bauens, der das Ethos des Architekten weit über den Rahmen seiner Aufgaben ausdehnte. Dem eigenen (slowenischen) Volk zu dienen, hielt er für wesentlich. Und so entwarf und baute er in seiner Heimat Ljubljana säkulare Monumente, die die Nation verherrlichen sollten, und er gestaltete mehrere sakrale Bauten. Als eine Art früher Vertreter der Postmoderne berief sich Plenik auf traditionelle Formen, deren Sprache er neu ordnete, ohne ganz von ihr lassen zu wollen. Er war, wie zurzeit eine Ausstellung im Grazer Stadtmuseum nicht ohne Grund verkündet, ein «moderner Klassizist».

Ljubljana als Gesamtkunstwerk

In Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum Ljubljana hat Boris Podrecca die Ausstellung «Jože Plecnik und Ljubljana» mit einigem Eigenwillen gestaltet. Eine Luftaufnahme Ljubljanas bedeckt den Boden der sieben Räume, Monitore ragen aus dieser objektivierenden Perspektive und zeigen kurze Filme zu 25 Stationen im Werk des Architekten. Die slowenische Hauptstadt ist ein Musterbuch von Pleniks stadtplanerischen Ideen und architektonischen Formen. Der Weg der Ausstellung führt vom nachgestellten Arbeitszimmer Pleniks bis zum Familiengrab. Dem Eingeweihten werden auf diesem virtuellen Stadtrundgang die urbanen Visionen und das philosophische Fundament des wichtigsten slowenischen Architekten deutlicher. Wer sich allerdings erst über Plenik informieren möchte, der ist in diesem Ausstellungskonzept verloren. Ausser den in pädagogischem Pathos gehaltenen Zitaten des Architekten gibt es zu den gezeigten Objekten keinen Text. Informationen müssen erst über PC abgerufen werden. Zu wissen ist in der Ausstellung nur, was zu sehen ist: die Wandlungsfähigkeit eines experimentierenden Eklektikers, der Stilmerkmale in seine Architektur übernahm, die weit an die Wurzeln seiner Heimat zurückreichen. Dem Humanismus, den er in der Tradition der Säulen verkörpert sah, hat Plenik in seinem Werk ebenso gerne gehuldigt wie den südlichen Ursprüngen der Kunst. Venedig war seine Sehnsucht und sein Ziel.

In Wien und in Prag hatte Pleniks Arbeit an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert begonnen. Ab Mitte der zwanziger Jahre und bis in die vierziger Jahre erhielt er in Ljubljana fast uneingeschränkte Möglichkeiten, seine stadtplanerischen Visionen zu verwirklichen. Er hat viele seiner monumentalen Ideen umgesetzt, die Plätze der Stadt neu gestaltet und die Ufer des Flusses Ljubljanica nach seinen Vorstellungen verändert. Die unmittelbar nebeneinander liegenden drei Brücken zählen zu den bekanntesten Werken des Architekten, der sich mit Grossbauten wie der slowenischen National- und Universitätsbibliothek oder dem backsteinroten Verwaltungsgebäude der Versicherungsgesellschaft Vzajemna ebenso unverkennbar ins Stadtbild eingeschrieben hat wie mit zahllosen kleinen Retuschen im urbanen Raum. Ungebaut blieben Pleniks Ideen zu einem masslos-triumphalen Parlamentskomplex, dessen Skizzen in der Ausstellung zu sehen sind, und seine visionäre Umgestaltung der Burg von Ljubljana, aus der eine slowenische Akropolis werden sollte. Verwirklicht wurde hingegen sein Monument für die Toten.

Ideal mit Widersprüchen

Ende der dreissiger Jahre machte Plenik beim Friedhof ale die skulpturale Sprache seiner Architektur in all ihrer kleinteiligen Grammatik deutlich. Das Tor ist ein historisierender Portikus, der die Toten und die Trauernden durch einen ebenso schmalen Eingang in Empfang nimmt wie die ungleich wuchtigere und modernere National- und Universitätsbibliothek die Studenten. Zwischen beiden Entwürfen liegt Pleniks idealisierende Welt mit allen ihren Widersprüchen und Spannungen. Säulchen zieren Ljubljanas Altstadt seit Pleniks Wirken beinahe im Übermass. Sein mit der Strenge eines Palladio gebautes «Bügeleisenhaus» zählt ebenso zum Vermächtnis des Architekten wie die aus archaischem Naturstein gebauten volkstümlichen Kirchen an der Peripherie Ljubljanas.

In einer grossen Ausstellung im Centre Pompidou war Plenik in den achtziger Jahren wieder entdeckt worden. Seither wird dem einst beinahe vergessenen Manieristen der Moderne mehr und mehr Beachtung zuteil. Die europäische Kulturhauptstadt Graz zeigt den Architekten jedenfalls in adäquater, weil unpathetischer Form: Pleniks Visionen auf Monitoren.

[ Bis 30. März. Katalog: Jože Plecnik und Ljubljana. Der Architekt und seine Stadt. Hrsg. Architekturmuseum Ljubljana, Ljubljana 2003. 148 S., Euro 16.- (ISBN 961-90417-5-5). ]

18. Februar 2003 Neue Zürcher Zeitung

Zwischen Kunst und Künstlichkeit

Schauplatz Sankt Pölten

Niederösterreich baut sich eine Landeshauptstadt

Jahrzehntelang hat das grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt gehabt. Seit 1986 ist Sankt Pölten die neue Metropole Niederösterreichs und baut mit grossem architektonischem Engagement an einem Regierungsviertel und einem Kulturbezirk. Vor kurzem wurde ein neues Landesmuseum eröffnet, das der vorerst letzte Schritt der 50 000-Einwohner-Stadt auf dem Weg aus der Provinz ist.

In Niederösterreich herrscht noch Eintracht zwischen Kunst und Natur. Teichmolch und Huchen vertragen sich mit Hermann Nitschs Schüttbild, lebensgrosse kämpfende Hirsche teilen sich das Reservat ihrer endgültigen Bestimmung mit Egon Schiele. Niederösterreichs neues Landesmuseum ist eröffnet, und man zeigt, was man hat: neue Kunst, einen Abriss vom Barock bis zur Moderne und die zoologischen Besonderheiten des Landes. Innen hat jede Sparte ihren vielfach gebrochenen Raum, aussen ragen die wuchtigen Kuben von Hans Holleins Museum in die architektonische Landschaft des Regierungsviertels in Sankt Pölten.

Die Fertigstellung des neuen Landesmuseums ist der vorerst letzte Teil in einem der ehrgeizigsten österreichischen Projekte der letzten Jahre. Weil das flächenmässig grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt hatte, sondern im zentral gelegenen Wien nur ein paar Verwaltungsgebäude, begann man in den siebziger Jahren mit der Planung eines selbstbewussten Signals. Schon 1984 hat man geahnt, wie man beim Volk am besten für das Grossprojekt wirbt. Wie «ein Gulasch ohne Saft» sei ein Land ohne Landeshauptstadt. Das zwingende Argument hat dem Bundesland heftige Debatten über den Standort der künftigen Metropole beschert. Mit 44,63 Prozent der Stimmen konnte sich die 50 000-Einwohner-Stadt Sankt Pölten gegen andere niederösterreichische Herausforderer wie Krems, Baden, Tulln oder Wiener Neustadt durchsetzen. 1992 erfolgte der Spatenstich zum Bau des neuen Regierungsviertels. Man versprach «Mut zum Grossen» und setzte auf einer Gesamtgrundrissfläche von 220 000 Quadratmetern eine zweite Stadt ans Ufer der Traisen. An 17 Objekten wurden in dieser ersten Phase insgesamt 570 Millionen Franken verbaut. Grösser, so hiess es damals in Sankt Pölten, seien in Europa nur die Hauptstadtprojekte Berlins.


Geplante Leblosigkeit

Gut zehn Jahre nach dem Beginn der Verwandlung der Provinzstadt Sankt Pölten in eine Landesmetropole steht der langgestreckte Riegel neuer Architektur am Ufer der Traisen. Hans Hollein, Klaus Kada, Boris Podrecca und Gustav Peichl waren mit eigenen Bauten an der Realisierung des neuen Regierungs- und Kulturviertels beteiligt. Überragt wird das Ensemble unterschiedlicher Bestimmungen durch den Klangturm von Ernst Hoffmann, der federführend das niederösterreichische Verwaltungszentrum mitentworfen hat. Gebaut zwischen Kunst und Künstlichkeit, zwischen Notwendigkeit und Anmassung, ist das Regierungsviertel heute ein Ort beherzt geplanter Leblosigkeit. Über 3000 Beamte bevölkern tagsüber die Gebäude. Für Bewegung auf den weiten Plätzen sorgen nur die Autobusse, die beinahe leer zu ihren niederösterreichischen Zielen aufbrechen: nach Zwettl, Amstetten oder in die Städte, die im Kampf um den Titel der Landeshauptstadt unterlegen waren.

In noblen Katarakten kräuselt sich das Wasser der Traisen, doch am anderen Ufer stehen die baufälligen Relikte aus etwas weniger modernen Zeiten. So ist Sankt Pölten: ein potemkinsches Dorf des Neuen, in dem auch abseits des Regierungsviertels höchst beachtliche Architektur entstanden ist - von den Wohnhaussiedlungen Helmut Christens bis zum Traisenpavillon von Adolf Krischanitz. Doch neben dem Ehrgeiz einer Sankt Pöltner Moderne steht die Tristesse der jüngeren Vergangenheit. Gesichtslose Sechziger-Jahre- Wohntürme ragen über das flache Terrain der Stadt, deren kleiner Kern umlagert ist von Ausfallstrassen und hart bedrängt von den trostlosen Zeichen der Peripherie.

Sankt Pölten hat das älteste Stadtrecht Österreichs. Gegründet als Römersiedlung, erlebt die katholische Metropole ihre Blüte im Barock. Aus dieser Zeit stammt das Zentrum mit dem Rathausplatz und einigen wenigen Gassen. Auf dem Bischofssitz residiert ein ultrakonservativer Geist, der so wenig Weltoffenheit signalisiert wie alle Klischees, die es über Niederösterreichs Metropole gibt. Zahllos sind die literarischen Bonmots, die die Stadt zum Inbegriff der Provinz erklären. Und während man sich rühmt, wenigstens Rainer Maria Rilke zu Gast gehabt zu haben, gibt es auch hier nur Undank. In Sankt Pölten hat der junge Rekrut Rilke eine «Fibel des Entsetzens» durchlebt - eine Ausbildung in der kaiserlich-königlichen Militär-Unterrealschule. Der Jugendstil- Architekt Joseph Maria Olbrich hat mit dem Bau eines Hauses in Sankt Pölten seine Spuren hinterlassen. Die ehemals grosse und lebendige jüdische Gemeinde Sankt Pöltens gibt es seit den Zeiten nicht mehr, als der Ort «Gauwirtschaftsstadt» war. Heute ist die vorbildlich restaurierte ehemalige Synagoge ein Kultur- und Veranstaltungszentrum.


Ambitionen und Stagnation

Nur wenige hundert Meter vom neuen Regierungsviertel entfernt dämmert das alte Zentrum Sankt Pöltens im süsslichen Nebel des nahen Glanzstoffwerks dahin. Vor einigen Jahren hat Boris Podrecca den Rathausplatz neu gestaltet, rundherum bröckelt jetzt der Putz der alten Substanz. Geschäfte stehen leer, während am Stadtrand Einkaufszentren die ehemals landwirtschaftlichen Flächen zersiedeln. Nur sechzig Kilometer westlich von Wien gelegen, erfährt Sankt Pölten Fluch und Segen seiner verkehrsgünstigen Lage. Man ist schnell dort, ebenso schnell aber auch wieder weg. Und so haben sich alle Prognosen, die mit einem raschen Wachstum der Stadt gerechnet haben, nicht erfüllt.

Zwischen 1870 und 1970 war Sankt Pölten die mit Abstand am schnellsten wachsende Stadt in Niederösterreich. Die Mischung aus Industrie- und Handelszentrum hat ihre Wirkung ausgerechnet bis zu jenem Zeitpunkt getan, als Sankt Pölten zum Zentrum Niederösterreichs erhoben wurde. In den letzten Jahren stagniert die Zahl der Bewohner. Eher geht sie zurück, als sich an jene Vorhersagen zu halten, die für die Gründung einer eigenen Landeshauptstadt Bedingung waren. Dass Sankt Pölten sich wenigstens allmählich in Richtung jener Grösse auswachsen würde, die andere Bundesland-Metropolen wie Graz, Linz oder Salzburg haben, wollte man hoffen. An deren Status anzuschliessen, wird Sankt Pölten kaum jemals gelingen.

Vom sanften Leben der Provinz ist die neue Landeshauptstadt auch durch die Eingriffe der Politik und den Bau des Regierungsviertels nicht abzubringen. Das Land ringsum lebt von Industrie, Landwirtschaft und da und dort von sanftem Tourismus. Sankt Pölten ist die Kulmination dieser unspektakulären Mischung und ebenso solide rechtschaffen wie sie. Als letztes Projekt schliesst das neue Landesmuseum die Einrichtung eines Sankt Pöltner «Kulturbezirks» ab. Gleich daneben arbeitet nicht ohne Erfolg das Festspielhaus, das in erster Linie modernen Tanz zeigt.

Das Land Niederösterreich ist die Summe seiner kulturellen Eigenschaften. Nicht mehr und nicht weniger will das neue Museum seinen Besuchern zeigen. Der Landeshauptmann Erwin Pröll grüsst bedeutsam aus dem 3-D-Video zur Landesgeschichte. Einige wunderbare Stücke aus der Gemäldesammlung des Museums sind zu sehen - von Ferdinand Georg Waldmüllers Landschaftsbildern bis zu Herbert Boeckls «Selbstporträt mit grossem Akt». In der gezeigten Kunst nach 1945 brilliert die Sammlung mit einem Schwerpunkt «Lust und Leiden am Selbst», in dem sich auch einige Exponate des Wiener Aktionismus finden. Der unaufgeregte Aktionismus, der aus Sankt Pölten kommt, sieht anders aus. Die Hirsche stehen stumm.

22. Januar 2003 Neue Zürcher Zeitung

Österreichische Dezenz

Junge Baukünstler - eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum

Wenn anderswo das «Architainment» die Baukunst in die lichten Höhen des Spekulativen und Spektakulären führt, dann hat das junge Bauen in Österreich noch soliden Boden unter den Füssen. Neue Architektur zeigt das Architekturzentrum Wien in einer «Emerging Architecture 3» betitelten Ausstellung, die dem plakativ Neuen dezidiert nicht gewidmet ist. Keine Visionen aus den Datenräumen demonstrieren hier mit grosser Geste eine gebaute Zukunft. Vielmehr erproben sich die Ideen einer neuen Generation an der angestrebten Funktionalität. Das Spektrum der in Wien gezeigten Projekte reicht von Einfamilienhäusern über Supermärkte bis zu einem allerdings in mancherlei Hinsicht aus dem Rahmen fallenden Entwurf für die Überbauung des Bahnhofes Wien Nord durch die Gruppe «pool».

Insgesamt 180 Beispiele hat das Architekturzentrum Wien für seine «österreichische Trilogie» ausgewählt. Den nun im dritten Teil gezeigten Projekten ist gemein, dass sich ihr durchaus vorhandener Witz stets in einem erfrischenden Gleichgewicht mit den architektonischen Aufgaben befindet. Zu sehen ist eine durchgehend hoch funktionale Dezenz, wie etwa in den Gebäuden von Feyferlik/Fritzer, deren Hüllen aus Holz, Glas, Stein oder Metall sich nahtlos in die Umgebung einfügen. Illustriert wird das an Einfamilienhäusern oder an einer containerartigen Veterinärstation an Österreichs Grenze. Das Bauen in den Alpen spielt auch bei dieser Folge von «Emerging Architecture» eine bedeutende Rolle. «Holz Box Tirol» hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Formen traditioneller alpiner Bauweisen nicht durch überbordende Modernität zu denunzieren. Aus den hölzernen Modulen lassen sich Hotelanbauten oder Supermärkte formen, die sich fast bis zur Selbstverleugnung den Gesetzen der Ökologie unterwerfen.

Der sparsameren Ökonomie der Landschaft im weniger schroffen Terrain dagegen folgen die Entwürfe von Georg Huber und Karl Meinhart («one room»). Die sanfte Welle dominiert das Projekt eines Kindergartens oder eines Sportzentrums in Salzburg. Bei «pool» wird die Welle zur schrägen Ebene verstärkt, die als Rampe nicht nur kleinere Bauten ziert, sondern auch zum wichtigsten Merkmal im wenig innovativ wirkenden Entwurf für den Bahnhof Wien Nord wird. Dokumentiert ist auch eine Arbeit von Anna Popelka und Georg Poduschka (PPAG), die auf dem Papier verspricht, was sie in der Wirklichkeit des Wiener Museumsquartiers immer noch nicht halten kann. In das von PPAG verwirklichte Projekt einer vielseitig bespielbaren Büro- und Kommunikationslandschaft ist auch Monate nach der Eröffnung noch kein Leben eingekehrt.


[Bis 10. März. Katalog: Emerging Architecture 3. Springer- Verlag, Wien 2002. 256 S., Euro 39.-.]

21. Januar 2003 Neue Zürcher Zeitung

Der Himmel über Wien

Sechs monumentale Flaktürme trotzen den Zeiten

Eine «monumentale Bindung» an das städtische Panorama hatte der Hitler-Architekt Albert Speer den Riesenbunkern zugedacht. Sechzig Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs stehen die Wiener Flaktürme unverändert da. Vom kaiserlichen Lustschloss Augarten und der darin befindlichen Porzellanmanufaktur führt eine nach barocker Gartengeometrie angelegte Allee auf einen Gefechtsturm zu. Im Wiener Arenbergpark teilen sich grossbürgerliche Häuser des Fin de Siècle das knappe Grünareal mit nationalsozialistischen Grosskubaturen.

Ab 1940 hat der Schweriner Architekt Friedrich Tamms in Hitlers Auftrag seine «in konstruktiver Hinsicht einwandfreien» Zweckbauten verwirklicht. Aus stereometrischen Grundformen entstanden die Flaktürme in den Grossstädten des Dritten Reichs. In Berlin und Hamburg wurden ebenfalls weit aufstrebende Plattformen für die Geschütze der Fliegerabwehr gebaut, doch nirgends ragen sie so unerbittlich aus historischem städtischem Boden wie in Wien. Bis zu 50 Meter erheben sich die sechs Flaktürme über das Strassenniveau. Das gedachte Dreieck, in dem die aus Leit- und Gefechtsturm bestehenden Paare in Beziehung zueinander stehen, prägt das Panorama der Stadt, das die Betonklötze in die denkmalhafte Stadtlandschaft längst integriert hat.

Ein gläserner Leseturm des Wiener Museumsquartiers durfte nicht gebaut werden, weil er die Barockfassade der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen überragt hätte. Gleich hinter dem Museumsquartier, in schöner imperialer Linie mit der Hofburg, dem Burgtor und den Hofmuseen, trotzt in der Stiftskaserne ein gemauertes Monument von Verteidigung und Herrschaft jedem Einwand. Rund 45 000 Kubikmeter Beton hat man zu Kriegszeiten für jeden der über vierzig Meter breiten Gefechtstürme verbaut, bis zu sieben Meter dicke Wände haben die Bunker unverwundbar gemacht. Die Geschütze der Fliegerabwehr, die auf den Türmen postiert waren, haben ihren Zweck dennoch nicht lange erfüllt. Geänderte Strategien des Luftkriegs haben den Versuch, ganz Wien über den Radius der Flaktürme zu verteidigen, schnell obsolet gemacht. Die bis zu zwölf Geschosse hohen Bauten waren aber auch autarke Systeme, in denen bis zu 20 000 Menschen Schutz fanden.

Seit knapp sechzig Jahren müht sich Wien an einer betonierten Geschichte, die nur mit dem Aufwand von Hunderten Millionen Euro aus dem Stadtbild zu entfernen wäre. Das allerdings hat man auch längst nicht mehr vor. Die Wiener Flaktürme sind unter der Bevölkerung gelitten und stehen heute unter Denkmalschutz. Sofort nach Kriegsende hat man begonnen, sich über die Verwendung der historischen Relikte Gedanken zu machen. Ein Pantheon Österreichs sollte schon 1946 aus dem Gefechtsturm in der Stiftskaserne werden, ein Monument des gewendeten Patriotismus, das die Verherrlichungsästhetik der vorangegangenen Jahre noch nicht ganz überwunden hatte.

Seit Jahrzehnten müht sich die Wiener Phantasie an einer Form, die als Signal der Geschichte immer noch mitten in der Gegenwart steht. Die Ideen eines ethischen Kontrasts zum ursprünglich martialischen Zweck sind zahlreich. Ein Holocaust-Museum, ein «Haus der Geschichte» oder ein «Haus der Toleranz» standen schon auf der Wunschliste, grössere Chancen auf Verwirklichung hat indes ein Grossarchiv als «Daten-Bunker» im Wiener Augarten. Christo, der Folienkünstler historischer Grossbauten, wollte die Flaktürme schon verpacken, während Hoteliers aus der einst militärischen Aussicht ziviles Kapital zu schlagen gedachten. Gläserne, mehrere Stockwerke hohe Aufbauten waren für den Leitturm im Wiener Esterhazypark geplant. Ein «Foltermuseum» gibt es dort schon, und das «Haus des Meeres» ist mit seinen Grossaquarien ein beständiger Mieter. Im Sommer letzten Jahres hat die Wiener Stadtplanung eine Studie erstellen lassen, mit der man neue Möglichkeiten der Nutzung ausloten wollte. Jetzt sind die Ergebnisse der höchst detailreichen Untersuchung des Architektenbüros Bernstein und Pieler da, doch Wien wird der Unverwüstlichkeit der Zweckbauten weiterhin mit synchroner Haltung begegnen: Man wartet ab.

Zur geschichtlichen Bedeutung der Türme kommt das ästhetische Phänomen ihrer puristischen Architektur. Der Konzeptkünstler Lawrence Weiner hat den Flakturm im Esterhazypark in einer Festwochen-Aktion des Jahres 1991 mit dem Schriftzug versehen: «Zertrümmert in Stücke / In der Stille der Nacht.» Abseits ihrer militärischen Zwecke symbolisieren die Flaktürme eine der Kunst wohl verwandte rohe Kraft, die Peter Noever, den Direktor des Museums für angewandte Kunst, auf die Idee gebracht hat, den Gefechtsturm im Arenbergpark einschlägig zu nützen. Seit 1995 führt das MAK hier ein Depot, und irgendwann und unter dem Aufwand von rund 22 Millionen Euro könnte hier der Contemporary Art Tower entstehen, ein Projekt, das den Gefechtsturm zum Ausstellungsort von Kunst macht und ihn gleichzeitig selbst zu Kunst nobilitiert. Man hat sich Paul Virilio geholt, um den einstmals kriegerischen Aspekt des Ortes mit einer Ästhetik dessen zu beschwören, «was vom Himmel kommt». «Heaven's Gift» nannte das MAK die Ausstellung zu seinem Projekt des Flakturm-Umbaus, bei dem ebenfalls abgewartet wird. Unterdessen kommt noch anderes von oben: Vor einer Nutzung wären 22,5 Tonnen Taubenmist allein vom 8. Obergeschoss des Gefechtsturmes im Arenbergpark zu entfernen.

4. Januar 2003 Neue Zürcher Zeitung

«Tunable spaces»

Junge japanische Architektur in Wien

Es ist das Ende der Hierarchie. Im «Superflat» der neuen japanischen Architektur lösen sich feste Rangordnungen auf, eine Gleichwertigkeit der Räume bestimmt das Bauen. Leicht und variabel ist diese Architektur, traditionell und modern zugleich, wie jetzt eine gelungene Ausstellung im Wiener Ringturm zeigt. «45 unter 45 - Junge Architektur aus Japan» dokumentiert die Arbeit einer Generation, die vor allem für die komplexer gewordenen Anforderungen des urbanen Lebens eigenständige Antworten liefert.

Immer schon war das verdichtete Bauen in den japanischen Städten eine Herausforderung. In der Wiener Ausstellung und dem sehr gut gemachten Katalog finden sich utopische Stadtprojekte wie Nobuo Horichis «Polyphonic City», ein Komplex miteinander verbundener Hochhäuser, und zahlreiche Versuche, platzsparende Individualität in den urbanen Wüsten des Anonymen zu verwirklichen. Manabu Chiba baut ein abweisendes «Haus in Schwarz» als strengen Kubus, in den Terrasse und Autoabstellplatz ihre Breschen schlagen, Kazuyo Sejima dagegen ironisiert mit ihrem transparenten «Kleinen Haus» die baulichen Anforderungen der Städte. Jedes Stockwerk wird von einem einzigen Zimmer gebildet, dessen Grösse je nach Nutzung auch den Grundriss bestimmt. So wechseln die Aussenmasse des glasumhüllten Hauses von Stockwerk zu Stockwerk.

In der Enge der japanischen Städte gedeiht eine Architektur, die mit erfindungsreicher Ökonomie den knappen Raum nützt. Ausserhalb der Metropolen ist eine Ökologie am Werk, die Natur und Landschaft in den architektonischen Entwurf einbezieht. Das von Hiroyuki Sekino in China am Fluss Zhujiang gebaute Internationale Konferenz- und Ausstellungszentrum von Guangzhou nimmt die Figur von Wind und Wellen in den stromlinienförmigen Körper auf, Jun Shinozaki baut ein «Aquamarine Fukushima» als gläserne Blase über die staunenswerte Meereslandschaft des Pazifiks. Die Lebenswelt des Menschen interpretiert Sosuke Fujimoto mit dem «Haus N» neu, einem in Schichten aufgebauten Gebäude, in dem sich das Wohnen an die dominierenden Niveauunterschiede anzupassen hat. Von Utopien wie dem Entwurf der zukünftigen Büros als «tunable spaces» (Kenichi Inamura) führt der Weg immer wieder zurück zur japanischen Tradition. Bekanntestes Beispiel, das auch in Wien dokumentiert wird, ist Shigeru Bans Japanischer Pavillon zur Expo 2000 in Hannover. Zu dessen aus Papierrollen konstruiertem Dom der Ökologie liefert Shuhei Endo das gewissermassen politisch unkorrekte Komplementärmodell. In den Loopings seiner gerollten Wellblechbahnen schafft er den Raum für das Wohnen und Arbeiten am Anfang des 21. Jahrhunderts.


[ Bis 31. Januar. Als Katalog: 45 unter 45. Junge Architektur aus Japan. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2002. 156 S., Euro 36.-. ]

13. November 2002 Neue Zürcher Zeitung

Wiener Villenkolonie

Ein Wohnbauprojekt am Stadtrand

Die Peripherie ist der Ort eines Übergangs. Wer hier baut, kann die architektonischen Gesten der Stadt noch einmal verdichten oder die Distanzierung vom Urbanen in den Sehnsüchten der Individuation verwirklichen. Neun Architekten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben jetzt angewandte Architekturforschung betrieben, in der das Bauen am Stadtrand ebenso theoretisch erörtert wie auch praktisch umgesetzt wird. Zwölf Mehrfamilienhäuser werden auf einem Hang am Rande Wiens bei Mauerbach gebaut. Die Architekten Adolf Krischanitz, Roger Diener, Max Dudler, Peter Märkli, Hans Kollhoff, Marcel Meili und Markus Peter, Hermann Czech und Heinz Tesar unternehmen dabei den Versuch, das standesgemässe Selbstbewusstsein des Einzelhauses mit einem streng homogenen Gesamtkonzept zu vereinen. Der Baubeginn der «Villenkolonie» steht kurz bevor, eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum präsentiert jetzt mit Modellen und Entwurfszeichnungen das Projekt.

Der komplexe Versuch, Einzelhäuser in verdichteter Form zu kombinieren, gehört zu den Ideen der Moderne - von Adolf Loos' Entwurf einer «Gruppe von 20 Villen» (1923) bis zu den Werkbundsiedlungen. Die architektonische Herausforderung hat ihren Reiz so wenig verloren, dass jetzt neun Architekten in einem Wettstreit nach Lösungen suchen, die ein anderes mustergültiges Wiener Projekt schon gefunden hat. Herzog & de Meuron, Otto Steidle und Adolf Krischanitz haben 1989 die minimalistische Reihenhaussiedlung der Pilotengasse gebaut. Krischanitz war schon damals der Mentor des Projekts, und er ist es auch heute. Ein «playing captain», der selbst zwei Entwürfe beisteuert: ein Haus von turmartigem Charakter mit abgeschrägter Front und drei kleinere Häuser, die gegeneinander versetzt sind und an der Aussenwand ein «dreisortiges Pflanzenkleid» erhalten sollen. «Unmissverständlich städtisch» will das Architekturbüro Kollhoff und Timmermann bauen. So entsteht ein dreigeschossiges Haus, das Zitate der klassizistischen Wiener Fassaden aufnimmt, während sich bei anderen die Aspekte der Stadt in strengerem Formalismus üben.

Bei Otto Steidle etwa wird die Vertikale, die die städtische Architektur in schmale Sektoren teilt, zum leitenden Element. Die Idee der flächigen Fassade teilt sein Entwurf mit jenem Dieners, der einen strengen Kubus präsentiert, dessen Fassade durch versetzte Fenster aufgelockert ist, und mit jenem von Meili Peter. Die Fensterbänder sind hier über Eck angeordnet und strukturieren so das Erscheinungsbild des Hauses der Schweizer Sichtbetonspezialisten. Überhaupt Beton: Weil die Betonindustrie das Projekt kräftig unterstützt, wird den Ausdrucksmöglichkeiten des Materials kräftig nachgegangen. Meili Peter färben es ein, bei Tesars elegantem Haus wird die betonierte Aussenhaut mit mathematischer Genauigkeit eingedellt, und Dudler setzt seinen Entwurf aus anthrazitfarbenen Betonblöcken zusammen, die diesem Bau gemeinsam mit hohen Glasscheiben strengen Ernst verleihen. Für Auflockerung des Projekts sorgt dann die Gartenarchitektin Anna Detzelhofer. Die «Villenkolonie» am Westrand Wiens gönnt sich neben dem urban-strengen Bebauungskonzept auch den Luxus der Peripherie: einen parkähnlichen Garten.


[Bis 27. Januar. Zur Ausstellung erscheint eine Sondernummer der Zeitschrift «hintergrund» zum Preis von Euro 4.40.]

30. Oktober 2002 Neue Zürcher Zeitung

Alles fliesst im Woom

Die Grazer Architektur-Ausstellung „Latente Utopien“

Die Utopie ist ins Gerede gekommen, wenn nicht überhaupt, wie die Architektin Zaha Hadid sagt, in den «Ruf der Monstrosität». Wer würde dieser Tage noch ethische Verbindlichkeiten propagieren, den Wunsch nach gesellschaftsübergreifender Installation eines besseren Lebens? Zaha Hadid und Patrik Schumacher heben beim «steirischen herbst» die neue Architektur für ihre Ausstellung «Latente Utopien» auf das hohe Niveau der Zukunftsentwürfe, um sich dann doch (im Katalog) mit Niklas Luhmanns Systemtheorie wieder von den Utopien zu verabschieden. Zu komplex sind die sozialen Systeme, als dass sich noch Visionen für alle entwerfen liessen. In der Selbstreferentialität bleibt alles für sich - auch die Architektur.

Überhaupt ist die Architektur sich selbst die beste Gesellschaft. Und aus diesem Umstand wächst ein Leben, das auch mit viel Aufwand der Theorie nicht besser zu beschreiben ist, als es die Ausstellung selbst tut. Zaha Hadid und Patrik Schumacher haben in den Räumen des Grazer Joanneums einen abgedunkelten Organismus angelegt, in dem es gluckst und summt und in dem das anthropomorphe Potenzial der ausgestellten Architekturentwürfe schon fast einen ganzen Körper ergibt - von der schnaufenden pneumatischen Installation von Veech Media Architecture bis zum synaptischen Modell von Servo, einem «interaktiven, sensorischen Reprivationssystem, das auf eine breite Palette von Stimmungen des Nutzers reagiert und diese auch generiert». Die Ausstellung «Latente Utopien» zeigt softwaregesteuerte Simulationen, deren Bildschirme sich durch nahezu alle Räume ziehen, Designentwürfe, bildwirksame Installationen und mit den zu sehenden Modellen auch das klassische Medium architektonischer Präsentation.

Mit dem Paradox des «nichtorganischen Lebens» versucht das britische AA Design Research Lab die Funktionsweise der Architektur neu zu definieren und steht damit im diskursiven Zentrum einer Ausstellung, die so sehr in einer physiologischen Terminologie aufgeht, dass man sich fragt, ob es nicht auch andere Ansätze gegeben hätte. Nur Coop Himmelb(l)aus Modell des Musée des Confluences in Lyon steht als dekonstruktivistischer Beitrag in der Ausstellung. Sonst fügt sich in der von Zaha Hadid und Patrik Schumacher kuratierten Schau eins nahezu nahtlos ans andere. «Soft» oder «Woom» beschreiben eine in Form gegossene Flüssigkeit, in der die beweglichen quasibiologischen Formen über die starren Elemente der traditionellen Architektur triumphieren. Die blaue Blase von Colin Fourniers und Peter Cooks Kunsthaus entsteht gerade an der Grazer Mur (vgl. NZZ vom 30. 8. 02). Ihre Membran, die einen gläsernen Kubus umwölbt, ist in ihrer Erscheinung durch Licht veränderbar und damit ein anderer, in der Ausstellung allerdings nicht vertretener Beitrag zum Generaltopos, den etwa Ross Lovegrove «gefrorene Elastizität» nennt. Die Transparenz seiner Designformen und -flächen folgt einer konstruktiven Logik, in der die Aussenhaut keine Grenze ergibt.

Mit Licht und weichen Linien unternimmt Lovegrove den Versuch, die Schönheit fliessender Computerbilder in den dreidimensionalen Raum zu übertragen. In grösserem Massstab machen das auch die amerikanischen Architekten von Asymptote mit ihrem Entwurf für das Event- und Lieferzentrum von BMW in München, die damit die Mobilität auch im Sinne des Auftraggebers simulieren. Angelil/Graham/Pfenninger/Scholl aus der Schweiz verbinden ihre aus transparenten Folien bestehenden Hohlkörper zu einem Bild unablässiger Bewegung. Die Stabilität architektonischer Form wird durch die im Licht schwebenden Röhren untergraben und ironisiert so das klassische Raummodell nicht weniger als «Malina 3» von Pichler & Traupmann. Ein Dreieck aus stählernen Wänden dreht sich sanft zwischen vier Türen, lässt Ein- und Ausgänge offen und schliesst sie wieder.

Die Rückzugsorte des menschlichen Lebens werden auch in Graz thematisiert. Karim Rashid entwirft «WOOM», den «world room», ein kugelrundes Häuschen weich gepolsterten Wohlbefindens, das sich mit Andreas Thalers «Liquid Lounge» immerhin den geistigen Vater teilt. Am Massstab von Verner Pantons bunten Entwürfen der siebziger Jahre kommt das Soft-Design auch heute noch nicht herum. Zaha Hadid dagegen liefert ihre eigene Sicht des Wohnens: eine «Domestic Wave», die die Funktionen des Lebens in einer Welle aneinander reiht, vom Schreibtisch bis zum Bett.

Von Staatsutopien und idealen Landschaften war in Thomas Morus' «Utopia» von 1516 die Rede. Grossflächige Entwürfe zum urbanen Design der Zukunft liefern die holländischen MVRDV, deren Housing Silo von Amsterdam ebenfalls zu sehen ist, Zaha Hadid und Branson coates architects aus England mit ihren Visionen einer «Ecstacity». Vom grossen Ganzen, dessen Herausforderungen noch mit den höchst ähnlichen World-Trade-Center-Entwürfen von NOX und Foreign Office vertreten sind, kehrt die Theorie der Ausstellung auch wieder zum Ursprung der architektonischen Arbeit zurück. Liegt die Utopie nicht überhaupt in den Möglichkeiten der neuen elektronischen Entwurfsmedien, der «Nicht-Ort» billigerweise in der Virtualität?

In dieser «Science-Fiction» jenseits aller Materialgebundenheit lassen sich jene Utopien durchspielen, über die der Grossteil der in der Ausstellung vertretenen Architekten auch noch bei einem Symposium debattierte, ohne dabei über das Thema recht froh zu werden. Welche Rolle die Architektur in den heutigen gesellschaftlichen Prozessen spielt, wusste niemand so recht zu sagen, ausser dass es wohl doch eine langfristige gegenseitige Befruchtung gäbe. Mit der Luhmann'schen Systemtheorie liessen sich dann die wesentlichsten Widersprüche ausbügeln, und die Wirklichkeit ist ohnehin konkreter: Hollywoods Produzenten würden bei ihm anrufen, weil sie ein Set-Design für einen Film brauchen, der im Jahr 2096 spielt, erzählt Ross Lovegrove. Karim Rashid fordert, Pragmatismus vor neue Dogmen zu setzen, Greg Lynn ist die streng rationale Erkundung der Möglichkeiten der Architektur lieber als Experimente. Vielleicht war das Wort von der «Utopie», wie auch Zaha Hadid beim Symposium andeutet, doch zu hoch gegriffen. Und die Utopie tritt nicht als Proklamation eines Besseren auf, sondern als schlichte Konzentration kritischer architektonischer Einbildungskraft. Auch in Graz alles also beim Alten.


[Bis 2. März 2003. Katalog: Latent Utopias. Experiments within Contemporary Architecture. Herausgegeben von Zaha Hadid und Patrik Schumacher. Springer-Verlag, Wien/New York 2002. 304 S., Euro 35.-.]

16. August 2002 Neue Zürcher Zeitung

Überprüfungszone

Die Stadt Wien führt eine Hochhaus-Debatte

Dass Wien «zur Grossstadt demoliert» werden könnte, hat die kulturpessimistische Art von Karl Kraus in selbst erlebten Zeiten des Niedergangs befürchtet. Seinen Niedergang hat der Bahnhof Wien Mitte jetzt beinahe hinter sich. Noch dämmern seine Fassadenfronten in rostigem Blaugrün durch ein gründerzeitliches Viertel ganz nahe an der Wiener Innenstadt, doch bald wird er einem Bürokomplex weichen, der Wien eine zentrumsnahe Modernisierung bescheren soll. Mit einer Bauhöhe von 97 Metern steht der grösste Turm des Projekts Wien Mitte in profaner Konkurrenz zum sakralen Wahrzeichen des Stephansdoms und in provokantem Widerspruch zur historischen Bausubstanz. Das Konzept einer Architektengruppe soll jetzt zügig verwirklicht werden. Die Debatten in einer europäischen Metropole, die jahrzehntelang eine Stadtbilderhaltung propagiert hat, in der sich jede neue Architektur an die Stilvorgaben musealisierter Zonen zu halten hatte, gehen unterdessen weiter.


Urbanes Signal

Im Jahr 2001 wurde die Wiener Innenstadt von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Seither gilt dieses Prädikat unter den Gegnern forcierter Bauhöhen als Messlatte für architektonischen Anstand. Die lautstarke Debatte um das Projekt Wien Mitte wurde bisher auch durch Einwürfe aus den Unesco-Kommissionen belebt, die das Projekt immer wieder einmal für «bedenklich» halten. Doch während die Proponenten ästhetischen Einspruchs in jeder Kommissionsäusserung schon Signale einer drohenden Aberkennung des Gütesiegels «Weltkulturerbe» sehen, sind die zuständigen Wiener Behörden standhaft geblieben. Noch heuer wird mit dem Abriss des ehemaligen Bahnhofs Wien Mitte begonnen. Dem «Sauhaufen» (so der volksnahe Wiener Bürgermeister) des ehemaligen Zweckbaus soll ein urbanes Signal folgen, das sich diesmal und anders als noch beim gescheiterten Wiener Museumsquartier in grosser politischer Einmütigkeit durchgesetzt hat.

Beteiligt am Projekt ist das Architekturbüro Ortner & Ortner, das einst im Museumsquartier den ursprünglichen Entwurf nach grossen Protesten beinahe bis zur Unkenntlichkeit verändern musste. Der «Leseturm», dessen signalhafte Höhe die dortigen Barockbauten Fischer von Erlachs um etliches überragt hätte, fiel den von der Boulevardpresse unterstützten Verteidigern historischer Dachkanten zum Opfer. Das Projekt in Wien Mitte wird jetzt unter weit geringeren Einbussen entstehen. Statt der sechs ursprünglich geplanten Türme werden zwar nur drei gebaut, aber die Höhe bleibt so wie vorgesehen. Mit seinen 97 Metern wird der höchste Turm in den benachbarten ersten Wiener Bezirk ausstrahlen, zwei weitere Türme sind 87 Meter hoch. Verdrehte Kuben bilden die Spitze einer Konstruktion, die mit der Höhe auch an Transparenz gewinnen soll. Gläserne Flächen an den oberen Modulen sollen eine Leichtigkeit erzeugen, die die optische Schwere das darunter liegenden flachen Teils neutralisieren und den Bruch mit der nahen Altstadt mildern soll. Dennoch kommen Proteste gegen den Entwurf auch von prominenten Architekten. Gustav Peichl, der gemeinsam mit Boris Podrecca in Wien den 171 Meter hohen «Millennium Tower» gebaut hat, deponiert seine Einwände gegen das Projekt ebenso wie Roland Rainer, der Doyen der österreichischen Architektur, der gegen die «Eitelkeit» des neuen Wiener Hochhausbooms wettert und gegen das «Verbrechen» des Wien-Mitte-Projektes im Speziellen.


«Donau-City»

Bis Ende der achtziger Jahre blieb Wiens Silhouette ein weitgehend ungestörtes Idyll. Stephansdom und Riesenrad markierten die Fixpunkte einer historisch festgelegten Architektur, aus der gerade noch der aus dem Jahr 1955 stammende Wiener Ringturm ragt. Und der ist gerade einmal 71 Meter hoch. Mit dem fortschreitenden Bau der «Donau-City», eines Zentrums ausgelagerter Urbanität jenseits der Donau und in weiter Ferne der Wiener Innenstadt, ist in den letzten zehn Jahren ein Boom entstanden, dem Wien verdankt, dass die Hochhausbauten immer weiter in die Stadt vorrücken. Über zwanzig Hochhäuser sind so innerhalb kurzer Zeit in Wien errichtet worden, über dreissig Hochhausprojekte sollen in den nächsten Jahren noch verwirklicht werden. Längst sind sie nicht mehr auf die Peripherie konzentriert, sondern so über die Stadt verstreut, dass jetzt auch die Stadtverantwortlichen zur Sammlung riefen. Ein neues «Hochhauskonzept» regelt die infrastrukturellen Grundbedingungen, um dann allerdings in ästhetischen, stadtkonzeptionellen Fragen eher vage zu bleiben. Die gebotene Rücksicht auf das historische Ambiente ist im neuen Konzept dennoch deutlich festgeschrieben. «Wesentliche Sichtachsen und Blickbeziehungen» werden weiterhin «Überprüfungszonen» sein.

Mit einem Bild des Malers Canaletto, der 1760 vom oberen Belvedere ein Panorama der Stadt gemalt hat, machen indes die Gegner der modernen Hochhausarchitektur mobil. Damals, im 18. Jahrhundert und in den Ockertönen des alten Meisters, sei die Stadt noch so richtig schön gewesen. «Wien entwickelt sich derzeit offensichtlich sehr dynamisch», heisst es dagegen im neuen Wiener Hochhauskonzept.


[ Das Wiener Architekturzentrum stellt das Projekt Wien Mitte noch bis zum 19. August vor. Kein Katalog. ]

16. April 2002 Neue Zürcher Zeitung

In Space und Gegend

Krischanitz' Wiener Pavillon

Kein Platz, «sondern eine Gegend» war für den Jugendstil-Architekten Otto Wagner das Areal zwischen Secession, Künstlerhaus und Musikverein. Der totgesagte Taubenpark, der sich Karlsplatz nennt, stirbt am innerstädtischen Verkehr und feiert dennoch alle paar Jahre eine Art Auferstehung. Im Vorjahr hat man die Ikea-gelbe provisorische «Kunsthalle» des Architekten Adolf Krischanitz abgebaut, jetzt steht dort ein neuer Pavillon, ebenfalls ein Provisorium und ganz in der Art des Erfinders, der wieder Krischanitz heisst. Pavillon komme von Papillon, sagt der Architekt gerne, und diese Flüchtigkeit des Bauwerks trifft sich mit seinem Ablaufdatum. Zehn Jahre soll der Glaskubus zwischen den Büschen und den dreispurigen Strassen stehen, er ist ein Signal unterkühlter Urbanität, die sich eine Dépendance der Kunsthalle im Museumsquartier, einen «project space», gönnt. Gläsern und mit klaren Flächen leuchtet Krischanitz' Pavillon durch die Nacht, um am Tag in der Tristesse des Ortes nahezu zu verschwinden, 250 Quadratmeter Ausstellungsfläche beherbergt diese Kunst-Vitrine, einen Veranstaltungsraum und ein Café. Pavillons baut der Österreicher Adolf Krischanitz immer wieder. Mit ihnen wird preiswerte Architektur in den landesüblichen Kontext des Unverbindlichen eingebunden. Ein Provisorium ist der Wiener Karlsplatz seit den Zeiten Otto Wagners, hier hat die vormalige Kunsthalle ihr geplantes Abrissdatum um Jahre überlebt, Krischanitz' «project space» könnte seine vorgesehene Zeit jedenfalls auch spielend überdauern. Vielleicht ist der Name «project space» ja nur ein Anglizismus für das wienerische «schaun wir mal».

9. April 2002 Neue Zürcher Zeitung

Die Sprache des Holzes

Alvar Aaltos Möbel in Wien

Das Design war die Folge seiner Architektur, und die Architektur eine Fortsetzung des Designs. 1928 plante Alvar Aalto für das finnische Paimio ein Sanatorium, in dem die Architektur nicht beim gebauten Raum enden sollte. Das gesamte Mobiliar entwarf Aalto selbst, seine Experimente mit gebogenem Holz führten zu einer radikalen Modernität, die den eigentlichen Zweck des Auftrags vom Funktionellen ins Humane lenkte. Aus freundlichem, hellem Birkenholz liess Aalto die Stühle und Tische des Sanatoriums fertigen, sie sind der Anfang einer designerischen Laufbahn, die schon 1938 mit einer grossen Ausstellung von Aaltos Möbelentwürfen im New Yorker Museum of Modern Art gewürdigt wird. Die weitere Entwicklung von Aaltos Ideen ist jetzt im ehemaligen Kaiserlichen Hofmobiliendepot in Wien zu sehen.

Aalto hat seit 1929 mit den Möglichkeiten des gebogenen Holzes experimentiert. Seine Vorläufer waren die Gebrüder Thonet, zu seinen Zeitgenossen zählten Marcel Breuer, Gerald Summers und Charles Eames. Die Wiener Ausstellung zeigt Aaltos Möbel und ihre Geistesverwandtschaften in unprätentiösem Rahmen, führt doch die private Sammlung von Heinz Kossdorff von frühen Thonetstühlen über Charles Eames' berühmten «Lounge Chair» bis hin zu Frank O. Gehrys «Power Play Chair» von 1990 und dokumentiert so die vielfältigen Beziehungen eines undogmatischen und doch puristischen Stils.

Das gebogene Holz ist über Jahrzehnte das wichtigste Designelement Alvar Aaltos geblieben. Selten in Kombination mit Metall, meist als schlichtes Experiment zum Verhältnis zwischen vertikalen und horizontalen Linien entwickelt Aalto seine frei schwingenden Stühle - wie den berühmten «Hybrid Chair» aus dem Jahr 1929. Später verfeinert Aalto das Holzbiegeverfahren, gründet 1935 die auch kommerziell erfolgreiche Firma Artek. Die zeitlose Maxime seiner Kunst, den Menschen und die Natur in den Mittelpunkt architektonischen Designs zu stellen, hat Aalto immer wieder radikal aktualisiert. Die vielfältigen Möglichkeiten eines neuen Materials, mit dem anderswo längst seine eigene Formensprache variiert wurde, wollte er definitiv nicht nützen: «Plastic spricht nicht die Sprache des Holzes.»


[Bis 21. April. Katalog Euro 22.-.]