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Von der Kohlenwäsche zum Design der Zukunft
Die Ausstellung «Entry 2006» in der Zeche Zollverein in Essen
Mit der neuen Designschule von Sanaa und der umgebauten Kohlenwäsche von Rem Koolhaas versucht Essen in der Kulturszene zu punkten. Als Blickfang dient die Designausstellung «Entry 2006».
31. August 2006 - Klaus Englert
Noch 1989 stand die Essener Zeche Zollverein kurz vor dem Abriss. Die Zeugen von mehr als hundert Jahren Industriegeschichte sollten neuen Arbeitsplätzen weichen. Doch es kam anders: Im selben Jahr setzte die IBA Emscher Park die Erhaltung der Zeche Zollverein durch. Es brauchte zwar einige Zeit, bis die Bevölkerung den Wert der Anlage erkannte, doch heute, zwanzig Jahre nach Stilllegung von Zollverein, sind die Essener stolz auf ihr neues Weltkulturerbe. Die Weichen für eine neue Zukunft der Zeche Zollverein wurden 2001 gestellt, als die Kommune für einen Designstandort optierte, eine Entwicklungsgesellschaft für die architektonische und wirtschaftliche Transformation des Areals gegründet wurde und Rem Koolhaas' Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) einen Masterplan erarbeitete. Dieser sah im Wesentlichen drei «Attraktoren» vor: eine Designschule, den Umbau der Kohlenwäsche zum Ruhrmuseum und ein (später aufgegebenes) Kongresszentrum. Den internationalen Wettbewerb für die Designschule gewann das japanische Büro Sanaa von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa mit dem verblüffend einfachen Entwurf eines monumentalen Betonkubus.
Der durchlöcherte Kubus
Die Essener Designschule (offiziell «Zollverein School of Management and Design») ist das erste europäische Gebäude von Sanaa. Sie ragt - laut Sejima - wie eine «Landmarke» aus den alten Bergarbeiterhäusern an der Gelsenkirchener Strasse heraus. Nähert man sich dem Neubau jedoch von der Zeche Zollverein her, wird zudem deutlich, dass der Betonwürfel mit einer Grundfläche von 35 mal 35 und einer Höhe von 34 Metern bestens auf die massive Kubatur der nahe gelegenen Kohlenwäsche reagiert. Dabei wollten Sejima und Nishizawa, die in Japan durch leichte und filigrane Architekturen bekannt wurden, die monumentale Industriearchitektur auf Zollverein nicht einfach kopieren. Sie entschieden sich für eine Zwischenlösung: keine vollends transparente Glasfassade, keine massive, undurchdringliche Betonwand. Sejima spricht von einer «abstrakten Mauer»: Sie wird von insgesamt 136 unregelmässig angeordneten Öffnungen durchstossen, ohne dass dem Aussenstehenden sofort die Geschosseinteilung einleuchtet.
Aus Beton eine leichte Hülle zu konstruieren, verstanden die beiden japanischen Architekten als eigentliche Herausforderung. Sie schufen eine minimalistische Architektur mit reduzierter Materialpalette, einheitlich grauer Farbgestaltung, klarer Raumordnung und freien Grundrissen. Überraschend in dem faszinierenden Betonkubus ist der durch doppelte Glaswände abgetrennte Vortragssaal im Erdgeschoss. Die Produktionsebene im ersten Stock bietet einen überwältigenden Raum mit zahlreichen mehrreihig angeordneten Fenstern und setzt auf grösstmögliche Gestaltungsfreiheit der Benutzer. Seminarräume, locker um eine Bibliothek gruppiert, strukturieren die zweite Etage, während im obersten Stockwerk gläserne Bürokuben neben Patios angeordnet sind, die den Blick hinauf zum schön gestalteten Dachgarten lenken.
Maschinenästhetik und Glamour
Fast gleichzeitig mit der jüngst erfolgten Einweihung der Designschule war auch die Umbauphase der benachbarten Kohlenwäsche beendet - eines beeindruckenden industriellen Fossils aus Stahlfachwerk mit Ziegel- und Glasausfachung von 45 Metern Höhe und einer Nutzfläche von 12 000 Quadratmetern. Die Transformation wurde vom Gezänk mit der Denkmalschutzbehörde begleitet. Zunächst lehnte sie den Vorschlag von Diener & Diener aus Basel ab, das Industriedenkmal durch einen gläsernen Kopfbau aufzustocken. Dann scheiterte Rem Koolhaas' Entwurf eines Annexes am Veto der Denkmalschützer. Dabei wollten beide Entwürfe das Weltkulturerbe unversehrt lassen.
Umso unverständlicher mutete die vom Denkmalschutz akzeptierte Entscheidung an, neue Geschosse einzuziehen sowie Arbeitsbühnen und Maschinen teilweise wegzuräumen, um Platz für Ruhrmuseum und Besucherzentrum zu schaffen. Koolhaas, der mit dem Essener Architekturbüro Heinrich Böll den späteren Entwurf ausarbeitete, sagte damals: «Wir wollen eine Konfrontation, eine kreative Spannung zwischen der Maschinenwelt und den Ausstellungsflächen herstellen.»
Seit der Eröffnung der mit allerlei Vorschusslorbeeren zur «Weltmesse» erkorenen Designschau «Entry 2006» vor wenigen Tagen in den Räumen des in der Kohlenwäsche untergebrachten Ruhrmuseums kann man prüfen, ob Koolhaas' Konzept tatsächlich aufgeht. Es war vorhersehbar, dass seine Formel eines «pushing the building and pushing the program» kaum mit den strengen Kriterien des Welterbebüros harmonieren würde. Tatsächlich kollidiert das museale Grundkonzept, dem Besucher den Weg der Kohle nachvollziehbar zu machen, mit den architektonischen Eingriffen ins Gebäude. Beispielsweise wurden die zur Kohlesortierung hergerichteten Betonbunker aufgeschnitten, um sie in Ausstellungskabinette zu verwandeln.
Doch bei aller funktionalen Überfrachtung des Industriemonuments: Die schräge Stahl-Glas- Gangway, welche die Besucher zum 24 Meter hoch gelegenen Besucherzentrum befördert, ist eine Augenweide. Die leuchtend orange angestrichene Rolltreppe nimmt das Kantenprofil der zahlreichen Bandbrücken auf, die das Zechenareal dominieren. Die Popfarbe erleuchtet auch den grandiosen, im nördlichen Kohlesilo eingebauten Treppenschacht. Koolhaas und Böll gelang es, das ehemals dunkel und abweisend wirkende Gebäude durch diese Lichtregie völlig umzudeuten. Auch der gläserne Aussichtspavillon auf dem Dach der Kohlenwäsche gehört zur «kreativen Spannung», von der Koolhaas sprach.
Leichtgewichtiges Design
Für die Ausstellungsmacher der «Entry 2006» stellte sich zwangsläufig die Frage: Wie lässt sich in der Kohlenwäsche, deren Erscheinung so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, eine «Ausstellung zur Zukunft des Designs» realisieren? Ergebnis der über fünf Jahre dauernden Vorarbeit, die 8,3 Millionen Euro verschlang, ist eine etwas konfus konzipierte Megaveranstaltung, die sich in vier Einzelausstellungen gliedert: «Second Skin» präsentiert Innovationen aus der Design-Branche, «Open House» zeigt neue Tendenzen computergesteuerter Architektur, «Groundswell» widmet sich Problemen der Landschaftsgestaltung, und «Talking Cities» beschäftigt sich mit den urbanen Rändern, den Industriebrachen und den vergessenen Stadtlandschaften. Francesca Ferguson, Kuratorin von «Talking Cities» und demnächst Direktorin des Architekturmuseums Basel, beleuchtet dabei auch das Entwicklungspotenzial ehemals unzugänglicher Industrieareale. Die Zeche Zollverein im armen Essener Norden ist einer dieser Orte.
Mag sein, dass es für die Ausstellungsmacher ein nahezu auswegloses Unterfangen war, gegen den stählernen Riesen Kohlenwäsche anzukommen. Gleichwohl erwiesen sich die «Entry»-Kuratoren als zu leichtgewichtig: Ihnen fehlt das klare, einprägsame Konzept, um gegenüber diesen Industriegiganten bestehen zu können.
[ «Entry 2006» in der Kohlenwäsche Essen dauert bis 3. Dezember. Die im stadt.bau.raum Gelsenkirchen untergebrachte Begleitveranstaltung «Designcity» dauert vom 2. bis 22. September. Die Kataloge «Entry Paradise. Neue Welten des Designs» (Euro 29.90) und «Talking Cities. Die Mikropolitik des urbanen Raums» (Euro 14.90) sind im Birkhäuser-Verlag, Basel, erschienen. ]
Der durchlöcherte Kubus
Die Essener Designschule (offiziell «Zollverein School of Management and Design») ist das erste europäische Gebäude von Sanaa. Sie ragt - laut Sejima - wie eine «Landmarke» aus den alten Bergarbeiterhäusern an der Gelsenkirchener Strasse heraus. Nähert man sich dem Neubau jedoch von der Zeche Zollverein her, wird zudem deutlich, dass der Betonwürfel mit einer Grundfläche von 35 mal 35 und einer Höhe von 34 Metern bestens auf die massive Kubatur der nahe gelegenen Kohlenwäsche reagiert. Dabei wollten Sejima und Nishizawa, die in Japan durch leichte und filigrane Architekturen bekannt wurden, die monumentale Industriearchitektur auf Zollverein nicht einfach kopieren. Sie entschieden sich für eine Zwischenlösung: keine vollends transparente Glasfassade, keine massive, undurchdringliche Betonwand. Sejima spricht von einer «abstrakten Mauer»: Sie wird von insgesamt 136 unregelmässig angeordneten Öffnungen durchstossen, ohne dass dem Aussenstehenden sofort die Geschosseinteilung einleuchtet.
Aus Beton eine leichte Hülle zu konstruieren, verstanden die beiden japanischen Architekten als eigentliche Herausforderung. Sie schufen eine minimalistische Architektur mit reduzierter Materialpalette, einheitlich grauer Farbgestaltung, klarer Raumordnung und freien Grundrissen. Überraschend in dem faszinierenden Betonkubus ist der durch doppelte Glaswände abgetrennte Vortragssaal im Erdgeschoss. Die Produktionsebene im ersten Stock bietet einen überwältigenden Raum mit zahlreichen mehrreihig angeordneten Fenstern und setzt auf grösstmögliche Gestaltungsfreiheit der Benutzer. Seminarräume, locker um eine Bibliothek gruppiert, strukturieren die zweite Etage, während im obersten Stockwerk gläserne Bürokuben neben Patios angeordnet sind, die den Blick hinauf zum schön gestalteten Dachgarten lenken.
Maschinenästhetik und Glamour
Fast gleichzeitig mit der jüngst erfolgten Einweihung der Designschule war auch die Umbauphase der benachbarten Kohlenwäsche beendet - eines beeindruckenden industriellen Fossils aus Stahlfachwerk mit Ziegel- und Glasausfachung von 45 Metern Höhe und einer Nutzfläche von 12 000 Quadratmetern. Die Transformation wurde vom Gezänk mit der Denkmalschutzbehörde begleitet. Zunächst lehnte sie den Vorschlag von Diener & Diener aus Basel ab, das Industriedenkmal durch einen gläsernen Kopfbau aufzustocken. Dann scheiterte Rem Koolhaas' Entwurf eines Annexes am Veto der Denkmalschützer. Dabei wollten beide Entwürfe das Weltkulturerbe unversehrt lassen.
Umso unverständlicher mutete die vom Denkmalschutz akzeptierte Entscheidung an, neue Geschosse einzuziehen sowie Arbeitsbühnen und Maschinen teilweise wegzuräumen, um Platz für Ruhrmuseum und Besucherzentrum zu schaffen. Koolhaas, der mit dem Essener Architekturbüro Heinrich Böll den späteren Entwurf ausarbeitete, sagte damals: «Wir wollen eine Konfrontation, eine kreative Spannung zwischen der Maschinenwelt und den Ausstellungsflächen herstellen.»
Seit der Eröffnung der mit allerlei Vorschusslorbeeren zur «Weltmesse» erkorenen Designschau «Entry 2006» vor wenigen Tagen in den Räumen des in der Kohlenwäsche untergebrachten Ruhrmuseums kann man prüfen, ob Koolhaas' Konzept tatsächlich aufgeht. Es war vorhersehbar, dass seine Formel eines «pushing the building and pushing the program» kaum mit den strengen Kriterien des Welterbebüros harmonieren würde. Tatsächlich kollidiert das museale Grundkonzept, dem Besucher den Weg der Kohle nachvollziehbar zu machen, mit den architektonischen Eingriffen ins Gebäude. Beispielsweise wurden die zur Kohlesortierung hergerichteten Betonbunker aufgeschnitten, um sie in Ausstellungskabinette zu verwandeln.
Doch bei aller funktionalen Überfrachtung des Industriemonuments: Die schräge Stahl-Glas- Gangway, welche die Besucher zum 24 Meter hoch gelegenen Besucherzentrum befördert, ist eine Augenweide. Die leuchtend orange angestrichene Rolltreppe nimmt das Kantenprofil der zahlreichen Bandbrücken auf, die das Zechenareal dominieren. Die Popfarbe erleuchtet auch den grandiosen, im nördlichen Kohlesilo eingebauten Treppenschacht. Koolhaas und Böll gelang es, das ehemals dunkel und abweisend wirkende Gebäude durch diese Lichtregie völlig umzudeuten. Auch der gläserne Aussichtspavillon auf dem Dach der Kohlenwäsche gehört zur «kreativen Spannung», von der Koolhaas sprach.
Leichtgewichtiges Design
Für die Ausstellungsmacher der «Entry 2006» stellte sich zwangsläufig die Frage: Wie lässt sich in der Kohlenwäsche, deren Erscheinung so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, eine «Ausstellung zur Zukunft des Designs» realisieren? Ergebnis der über fünf Jahre dauernden Vorarbeit, die 8,3 Millionen Euro verschlang, ist eine etwas konfus konzipierte Megaveranstaltung, die sich in vier Einzelausstellungen gliedert: «Second Skin» präsentiert Innovationen aus der Design-Branche, «Open House» zeigt neue Tendenzen computergesteuerter Architektur, «Groundswell» widmet sich Problemen der Landschaftsgestaltung, und «Talking Cities» beschäftigt sich mit den urbanen Rändern, den Industriebrachen und den vergessenen Stadtlandschaften. Francesca Ferguson, Kuratorin von «Talking Cities» und demnächst Direktorin des Architekturmuseums Basel, beleuchtet dabei auch das Entwicklungspotenzial ehemals unzugänglicher Industrieareale. Die Zeche Zollverein im armen Essener Norden ist einer dieser Orte.
Mag sein, dass es für die Ausstellungsmacher ein nahezu auswegloses Unterfangen war, gegen den stählernen Riesen Kohlenwäsche anzukommen. Gleichwohl erwiesen sich die «Entry»-Kuratoren als zu leichtgewichtig: Ihnen fehlt das klare, einprägsame Konzept, um gegenüber diesen Industriegiganten bestehen zu können.
[ «Entry 2006» in der Kohlenwäsche Essen dauert bis 3. Dezember. Die im stadt.bau.raum Gelsenkirchen untergebrachte Begleitveranstaltung «Designcity» dauert vom 2. bis 22. September. Die Kataloge «Entry Paradise. Neue Welten des Designs» (Euro 29.90) und «Talking Cities. Die Mikropolitik des urbanen Raums» (Euro 14.90) sind im Birkhäuser-Verlag, Basel, erschienen. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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