Artikel
Swiss made
Diskussionsmarathon im Schweizerischen Architekturmuseum Basel
Ende letzten Jahres übernahm die Ausstellungsmacherin Francesca Ferguson die Leitung des Schweizerischen Architekturmuseums Basel. Nun versucht das Haus erst einmal mit einem Diskussionsmarathon Besucher anzulocken.
6. Februar 2007 - Lutz Windhöfel
«Free Zone» nennt Francesca Ferguson, die neue Direktorin des Schweizerischen Architekturmuseums (SAM), ihr erstes in Basel realisiertes Projekt. Diese «Freizone», die 25 Veranstaltungen mit über 100 Teilnehmenden umfasst, stellt mit Podiumsdiskussionen und Performances während eines Monats eine Art Open House dar. Architekten, Journalisten, Ausstellungsmacher und Architekturlehrer aus der Schweiz, aus Deutschland, Italien, den Niederlanden, Dänemark und Portugal diskutieren in diesen Wochen vor zahlendem Publikum ein breites Themenspektrum. Ferguson hat dazu im hintersten Saal eine «Reading Zone» mit einer opulenten Auswahl von Architektur- und Designzeitschriften eingerichtet und erstmals den grossen Saal mit den von Peter Märkli beim Umbau neu angebrachten Faltläden ganz geschlossen. Der nun fensterlose Raum hat als Versammlungssaal zum Auftakt des Veranstaltungsreigens überzeugend bestanden.
Globalisierer und Stadtreparierer
Beim Eröffnungsabend «Szene Basel», der zusammen mit «Architektur-Dialoge Basel» bestritten wurde, sprach Carl Fingerhuth über die Situation in Basel zu Beginn seiner Tätigkeit als Stadtbaumeister vor dreissig Jahren. Der heutige Hochschuldozent tat dies mit der Klarheit eines Historikers und skizzierte - wohl unbewusst - gleichsam die gegenwärtigen Zustände. Auf der einen Seite standen damals, laut Fingerhuth, die unbeirrbaren Modernisten, die auf den Trümmern von 1945 das Nachkriegseuropa errichtet hatten. Sie stellten die Zukunft über alles, verachteten die historisch gewachsene Stadt und setzten das Prinzip «Stadt» rücksichtslos gegen das Prinzip «Landschaft». Auf der anderen Seite waren die «Rossianer», die ausgehend von Aldo Rossis Buch «L'architettura della città» (1966) die Geschichte der Stadt ins kollektive Bewusstsein zurückbringen wollten. Zentral sei ihnen der Begriff des Ortes (der Handlung, der Planung, der Konstruktion) gewesen, der eine nahezu magische Aura bekommen habe.
Damit setzte Fingerhut die inhaltlichen Koordinaten, zwischen denen sich «Free Zone» bisher abspielte und weiter abspielen dürfte. Denn im Rausch der Gegenwart haben die Fraktionen nur das verbale Kostüm gewechselt. Aus den Modernisten sind die Globalisierer, aus den Rossianern die Stadtreparierer geworden. Die Internationalität, die vor hundert Jahren mit Begriffen wie Freiheit, Solidarität, Kollektivität und Gesundheit, mit sozialem Wohnungsbau, menschenwürdigem Wohnen, Freizeit und Bildung verbunden war, ersetzt das 21. Jahrhundert durch die Worte Kommunikation, Vernetzung, Lifestyle und Urbanität, durch metropolitanen Drang und das omnipräsente Präfix Mega. Naturgemäss spiegelt der Begriffswandel nur die neue gesellschaftliche Situation der Baukultur. Dabei operieren die Globalisierer wie einst die Modernisierer mit diffusen Zukunfts- und Planbarkeitsbegriffen und streben eine Homogenisierbarkeit menschlicher Gesellschaften an - mit Folgen für das kollektive Gesamtkunstwerk der Stadt.
Dieses Konfliktpotenzial wurde schon am zweiten Abend von «Free Zone» greifbar, der unter dem Titel «08/15 Städtebau - Diskussion zur Stadt der Gegenwart» ein hochkarätiges Podium von Dozenten der ETH-Zürich und der TU-Karlsruhe versammelte. Unter der Leitung des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Angelus Eisinger atmete das Statement des Soziologen Christian Schmid (der für die Städtebaustudie des ETH-Studios Basel von 2005 den Text verfasste) zwischen Uno-Statistik und dem proklamierten «Recht auf Stadt» die Unbekümmertheit einer frühmorgendlichen Radiomoderation. Und Alex Wall, Dozent an der Technischen Universität Karlsruhe, unterstrich seine Political Correctness bei der Betrachtung des Phänomens Auto und gab sich dabei als Spezialist für den Bau von Parkhäusern zu erkennen. Marc Angélil und Kees Christiaanse, Architekten und ETH-Dozenten, versuchten sympathisch - und keinesfalls ungeschickt - beiden Positionen gerecht zu werden. Und Vittorio Magnago Lampugnani, der für die «gewöhnliche Stadt» plädierte und das globalisierte Wortgeklimper mit stoischer Ruhe über sich ergehen liess, scheint die Praxis recht zu geben. Denn als wissenschaftlicher Berater der Internationalen Bauausstellung Berlin (1980-84) hatte er sich einst für die kritische Rekonstruktion der Stadt eingesetzt. Ein Konzept, das Hans Stimmann nach dem Fall der Mauer als Senatsbaudirektor vertieft weiterführte.
Ausgesprochen lustvoll wurde dann der «Heimatabend». Roderick Hönig, Redaktor der Zeitschrift «Hochparterre», präsentierte eine Bilderschau mit 80 Dias, die Schweizer Bauwerke aus den letzten zwei Jahrtausenden (vom Amphitheater in Avenches über die Kathedrale in Lausanne, das Goetheanum in Dornach, das Kirchner- Museum in Davos und die Kapelle Sogn Benedetg bei Disentis bis hin zur Bahnhofspasserelle in Basel) zeigten. Daraus mussten die Podiumsteilnehmer ihr Bild der «Heimat» auswählen. Sandra Giraudi (Lugano) und Andrea Bassi (Genf) begründeten daraufhin ihre Wahl des Gotthard-Südportals von Rino Tami, Patrick Gartmann (Chur) jene des Landwasserviadukts im Albulatal von Müller & Zeerleder und Pius Tschumi (Zürich) jene der Autobahntankstelle bei Burgdorf von Heinz Isler vor dem Publikum sachlich und auch ein wenig sentimental, aber bar jeder Provinzialität. Hier wurde der Architekturdiskurs ethisch und im besten Sinne bodenständig.
Bunte Grellheit
Ein inhaltliches Konzept Francesca Fergusons ist bei der bunten Grellheit von «Free Zone» nicht zu erkennen. Aber in den Bereichen Animation, Integration und diskursive Vielfalt kann die zuvor in Berlin als Initiatorin von «Urban Drift» tätige Engländerin in Basel bereits eine erfreuliche Tatkraft vorweisen. Und ihr Bemühen um internationale Zusammenarbeit soll im Spätherbst mit einer Ausstellung über den portugiesischen Architekten Pancho Guedes greifbar werden, die in Zusammenarbeit mit der Fundaçao Serralves in Porto entsteht und dort anschliessend gezeigt wird. Doch zuvor werden die Ausstellungen «Unaufgeräumt / As Found» (17. März bis 17. Mai) und «Instant Urbanism» (10. Juni bis 16. September) über die Bühne gehen. Fergusons unbeschwerter Aufbruchsgeist dürfte aber spätestens dann auf dem Prüfstand stehen, wenn es um die Finanzen geht. Bleibt zu hoffen, dass das immer noch mit privaten, durch Gönner und Mitglieder aufgebrachten Mitteln finanzierte Haus in Zukunft auch auf die öffentliche Hand zählen kann.
[ «Free Zone / Freizone» dauert noch bis zum 24. Februar. Unter www.sam-basel.org findet man das kommentierte Programm. ]
Globalisierer und Stadtreparierer
Beim Eröffnungsabend «Szene Basel», der zusammen mit «Architektur-Dialoge Basel» bestritten wurde, sprach Carl Fingerhuth über die Situation in Basel zu Beginn seiner Tätigkeit als Stadtbaumeister vor dreissig Jahren. Der heutige Hochschuldozent tat dies mit der Klarheit eines Historikers und skizzierte - wohl unbewusst - gleichsam die gegenwärtigen Zustände. Auf der einen Seite standen damals, laut Fingerhuth, die unbeirrbaren Modernisten, die auf den Trümmern von 1945 das Nachkriegseuropa errichtet hatten. Sie stellten die Zukunft über alles, verachteten die historisch gewachsene Stadt und setzten das Prinzip «Stadt» rücksichtslos gegen das Prinzip «Landschaft». Auf der anderen Seite waren die «Rossianer», die ausgehend von Aldo Rossis Buch «L'architettura della città» (1966) die Geschichte der Stadt ins kollektive Bewusstsein zurückbringen wollten. Zentral sei ihnen der Begriff des Ortes (der Handlung, der Planung, der Konstruktion) gewesen, der eine nahezu magische Aura bekommen habe.
Damit setzte Fingerhut die inhaltlichen Koordinaten, zwischen denen sich «Free Zone» bisher abspielte und weiter abspielen dürfte. Denn im Rausch der Gegenwart haben die Fraktionen nur das verbale Kostüm gewechselt. Aus den Modernisten sind die Globalisierer, aus den Rossianern die Stadtreparierer geworden. Die Internationalität, die vor hundert Jahren mit Begriffen wie Freiheit, Solidarität, Kollektivität und Gesundheit, mit sozialem Wohnungsbau, menschenwürdigem Wohnen, Freizeit und Bildung verbunden war, ersetzt das 21. Jahrhundert durch die Worte Kommunikation, Vernetzung, Lifestyle und Urbanität, durch metropolitanen Drang und das omnipräsente Präfix Mega. Naturgemäss spiegelt der Begriffswandel nur die neue gesellschaftliche Situation der Baukultur. Dabei operieren die Globalisierer wie einst die Modernisierer mit diffusen Zukunfts- und Planbarkeitsbegriffen und streben eine Homogenisierbarkeit menschlicher Gesellschaften an - mit Folgen für das kollektive Gesamtkunstwerk der Stadt.
Dieses Konfliktpotenzial wurde schon am zweiten Abend von «Free Zone» greifbar, der unter dem Titel «08/15 Städtebau - Diskussion zur Stadt der Gegenwart» ein hochkarätiges Podium von Dozenten der ETH-Zürich und der TU-Karlsruhe versammelte. Unter der Leitung des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Angelus Eisinger atmete das Statement des Soziologen Christian Schmid (der für die Städtebaustudie des ETH-Studios Basel von 2005 den Text verfasste) zwischen Uno-Statistik und dem proklamierten «Recht auf Stadt» die Unbekümmertheit einer frühmorgendlichen Radiomoderation. Und Alex Wall, Dozent an der Technischen Universität Karlsruhe, unterstrich seine Political Correctness bei der Betrachtung des Phänomens Auto und gab sich dabei als Spezialist für den Bau von Parkhäusern zu erkennen. Marc Angélil und Kees Christiaanse, Architekten und ETH-Dozenten, versuchten sympathisch - und keinesfalls ungeschickt - beiden Positionen gerecht zu werden. Und Vittorio Magnago Lampugnani, der für die «gewöhnliche Stadt» plädierte und das globalisierte Wortgeklimper mit stoischer Ruhe über sich ergehen liess, scheint die Praxis recht zu geben. Denn als wissenschaftlicher Berater der Internationalen Bauausstellung Berlin (1980-84) hatte er sich einst für die kritische Rekonstruktion der Stadt eingesetzt. Ein Konzept, das Hans Stimmann nach dem Fall der Mauer als Senatsbaudirektor vertieft weiterführte.
Ausgesprochen lustvoll wurde dann der «Heimatabend». Roderick Hönig, Redaktor der Zeitschrift «Hochparterre», präsentierte eine Bilderschau mit 80 Dias, die Schweizer Bauwerke aus den letzten zwei Jahrtausenden (vom Amphitheater in Avenches über die Kathedrale in Lausanne, das Goetheanum in Dornach, das Kirchner- Museum in Davos und die Kapelle Sogn Benedetg bei Disentis bis hin zur Bahnhofspasserelle in Basel) zeigten. Daraus mussten die Podiumsteilnehmer ihr Bild der «Heimat» auswählen. Sandra Giraudi (Lugano) und Andrea Bassi (Genf) begründeten daraufhin ihre Wahl des Gotthard-Südportals von Rino Tami, Patrick Gartmann (Chur) jene des Landwasserviadukts im Albulatal von Müller & Zeerleder und Pius Tschumi (Zürich) jene der Autobahntankstelle bei Burgdorf von Heinz Isler vor dem Publikum sachlich und auch ein wenig sentimental, aber bar jeder Provinzialität. Hier wurde der Architekturdiskurs ethisch und im besten Sinne bodenständig.
Bunte Grellheit
Ein inhaltliches Konzept Francesca Fergusons ist bei der bunten Grellheit von «Free Zone» nicht zu erkennen. Aber in den Bereichen Animation, Integration und diskursive Vielfalt kann die zuvor in Berlin als Initiatorin von «Urban Drift» tätige Engländerin in Basel bereits eine erfreuliche Tatkraft vorweisen. Und ihr Bemühen um internationale Zusammenarbeit soll im Spätherbst mit einer Ausstellung über den portugiesischen Architekten Pancho Guedes greifbar werden, die in Zusammenarbeit mit der Fundaçao Serralves in Porto entsteht und dort anschliessend gezeigt wird. Doch zuvor werden die Ausstellungen «Unaufgeräumt / As Found» (17. März bis 17. Mai) und «Instant Urbanism» (10. Juni bis 16. September) über die Bühne gehen. Fergusons unbeschwerter Aufbruchsgeist dürfte aber spätestens dann auf dem Prüfstand stehen, wenn es um die Finanzen geht. Bleibt zu hoffen, dass das immer noch mit privaten, durch Gönner und Mitglieder aufgebrachten Mitteln finanzierte Haus in Zukunft auch auf die öffentliche Hand zählen kann.
[ «Free Zone / Freizone» dauert noch bis zum 24. Februar. Unter www.sam-basel.org findet man das kommentierte Programm. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom