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Der Chirurg von Paris
Ohne ihn wäre Paris nicht, was es heute ist: Baron Haussmann, dessen Geburtstag sich Ende März zum 200. Mal jährte, revolutionierte mit seinen Boulevards die Seine-Stadt - um Volksaufstände zu verhindern.
16. April 2009 - Stefan Brändle
„Paris kann nicht als Gemeinde betrachtet werden. Paris ist etwas ganz anderes. Es ist eine Hauptstadt. Paris gehört ganz Frankreich.“ Mit diesen Worten schmetterte der Stadtpräfekt 1864 die Forderung der Linksopposition ab, im Pariser Kommunalrat über seine neusten Baupläne abzustimmen. Georges Eugène Haussmann hatte längst entschieden: Niemand veränderte das Bild einer der großen Weltmetropolen als dieser Nachfahre deutscher Einwanderer.
Entgegen einer verbreiteten Meinung war es aber nicht Haussmann, sondern Napoleon III., der den Impuls für den Umbau der Hauptstadt gab. Der Neffe von Napoleon Bonaparte hatte erkannt, dass die Stadt zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung, die Eisenbahn und den Kaufhausboom vor einem gewaltigen Umbruch stand.
Haussmann nahm die Dinge aber bald selbst in die Hand. Der großgewachsene Protestant, mit einem eisernen Willen ausgestattet und nicht frei von Eitelkeit, benahm sich „autoritärer und imperialer als der Kaiser selbst“, wie einer seiner Biografen meinte. Als ihm Napoleon III. das erste Großprojekt, einen Stadtpark im Westen, übertrug, prüfte Haussmann die Lage nach und erklärte dem Kaiser rundheraus, die Pläne seien undurchführbar. Obwohl ein Laie in Sachen Städtebau, behielt er recht und realisierte ein eigenes Projekt - den heutigen Bois de Boulogne.
Seinen zweiten Streich, den Bau der Markthallen (Les Halles), beschloss Haussmann bereits im Alleingang: Er wählte eine weitgehend unbekannte Eisenkonstruktionen aus, die heute berühmten Pavillons von Baltard. Dann machte er sich daran, von Westen her eine Prachtallee ins Stadtzentrum zu legen. Als ihm sein Architekt Jacques Hittorff die Pläne unterbreitete, verwarf sie Haussmann mit einer Handbewegung: „40 Meter? Monsieur, es braucht das Doppelte, das Dreifache!“ Von Hand fügte er auf dem Plan Trottoirs und Rasenstreifen an. Das Resultat ist die Avenue de Foch, die in der Tat 120 Meter breit ist.
Jetzt wagte sich Haussmann ans Eingemachte: Er realisierte das alte, nie vom Fleck gekommene Vorhaben, durch Paris eine Kreuzachse in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung zu legen. Die enteigneten Hausbesitzer schimpften, er vierteile die Stadt; andere verlangten, dass der Stadtkern um Les Halles vom Abriss verschont bleibe. Warum man nicht einfach die bestehende, von Norden her einfallende Rue Saint-Denis verbreitere, wurde er gefragt. „Weil es leichter ist, den Teig innen zu durchstechen als an der Kruste zu kratzen“, erwiderte er.
Dieser chirurgische Schnitt ist der Boulevard Sébastopol. Bei der Einweihung meinte Napoleon III.: „Auf diese Weise werden sich nun jedes Jahr neue Verkehrsachsen eröffnen. Übervölkerte Viertel werden saniert, die Mieten werden dank der Neubauten sinken; die Arbeiterklasse wird sich durch die Arbeit bereichern, das Elend sich wegen der besseren Organisation der Wohltätigkeit lindern.“
„Dumme Arbeitermassen“
Das Hauptziel nannte der Kaiser allerdings nicht. Dafür sprach Haussmann Klartext: „Es wäre der Gipfel der Unvernunft, die rohen und dummen Arbeitermassen in Paris zusammenzupferchen, als wollte man einen Mittelpunkt des Volksaufstandes schaffen.“ In Paris war es in den Jahren zuvor zu sieben Aufständen, darunter die Revolutionen von 1830 und 1848, gekommen. Der Präfekt warnte deshalb vor Proletariern, „die den Regierungen nachhetzen und sie umsäbeln, bevor das überraschte Frankreich auch nur Zeit findet, sich dagegenzustemmen“.
Nach wenigen Jahren hatte ein ganzes Netz von Boulevards, Avenuen und Alleen das mittelalterliche Paris aufgesprengt. „Dem alten Paris wurde der Bauch geleert, indem wir durch diese undurchdringlichen Viertel der Krawalle und der Barrikaden eine gerade Linie zogen“, so Haussmann.
Er richtete seine Achsen meist auf ein großes Monument aus, um die historische Perspektive zu betonen. Die Avenue de l'Opéra läuft wie ein roter Teppich auf die Oper im Palais Garnier zu; eine Meisterleistung war die sternenförmige Straßenanlage um den Arc de Triomphe am Ende der Champs-Elysées: Nicht mehr nur vier, sondern gleich zwölf Avenuen laufen heute auf den Place de l'Etoile zu.
Nach fünfzehn Jahren hektischer Bautätigkeit verlor Haussmann langsam die Unterstützung der Pariser. Sie hatten genug von den Großbaustellen und auch von den Staatsanleihen, mit denen der Präfekt seine Herkulesarbeiten finanzierte. Mit dem Sturz des Kaisers endete auch das unumschränkte Regime seines mächtigen Hauptstadtpräfekten. Haussmann starb zwei Jahrzehnte später, 1891, vergessen und verarmt, seiner beiden Töchter beraubt.
Zu seinem 200. Geburtstag (er war am 27. März) ist der Baron längst wieder rehabilitiert. Wenn Paris heute als eine der schönsten Städte der Welt gelte, so lautet der Grundtenor der Pariser Medien, dann sei das Haussmanns Werk.
Entgegen einer verbreiteten Meinung war es aber nicht Haussmann, sondern Napoleon III., der den Impuls für den Umbau der Hauptstadt gab. Der Neffe von Napoleon Bonaparte hatte erkannt, dass die Stadt zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung, die Eisenbahn und den Kaufhausboom vor einem gewaltigen Umbruch stand.
Haussmann nahm die Dinge aber bald selbst in die Hand. Der großgewachsene Protestant, mit einem eisernen Willen ausgestattet und nicht frei von Eitelkeit, benahm sich „autoritärer und imperialer als der Kaiser selbst“, wie einer seiner Biografen meinte. Als ihm Napoleon III. das erste Großprojekt, einen Stadtpark im Westen, übertrug, prüfte Haussmann die Lage nach und erklärte dem Kaiser rundheraus, die Pläne seien undurchführbar. Obwohl ein Laie in Sachen Städtebau, behielt er recht und realisierte ein eigenes Projekt - den heutigen Bois de Boulogne.
Seinen zweiten Streich, den Bau der Markthallen (Les Halles), beschloss Haussmann bereits im Alleingang: Er wählte eine weitgehend unbekannte Eisenkonstruktionen aus, die heute berühmten Pavillons von Baltard. Dann machte er sich daran, von Westen her eine Prachtallee ins Stadtzentrum zu legen. Als ihm sein Architekt Jacques Hittorff die Pläne unterbreitete, verwarf sie Haussmann mit einer Handbewegung: „40 Meter? Monsieur, es braucht das Doppelte, das Dreifache!“ Von Hand fügte er auf dem Plan Trottoirs und Rasenstreifen an. Das Resultat ist die Avenue de Foch, die in der Tat 120 Meter breit ist.
Jetzt wagte sich Haussmann ans Eingemachte: Er realisierte das alte, nie vom Fleck gekommene Vorhaben, durch Paris eine Kreuzachse in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung zu legen. Die enteigneten Hausbesitzer schimpften, er vierteile die Stadt; andere verlangten, dass der Stadtkern um Les Halles vom Abriss verschont bleibe. Warum man nicht einfach die bestehende, von Norden her einfallende Rue Saint-Denis verbreitere, wurde er gefragt. „Weil es leichter ist, den Teig innen zu durchstechen als an der Kruste zu kratzen“, erwiderte er.
Dieser chirurgische Schnitt ist der Boulevard Sébastopol. Bei der Einweihung meinte Napoleon III.: „Auf diese Weise werden sich nun jedes Jahr neue Verkehrsachsen eröffnen. Übervölkerte Viertel werden saniert, die Mieten werden dank der Neubauten sinken; die Arbeiterklasse wird sich durch die Arbeit bereichern, das Elend sich wegen der besseren Organisation der Wohltätigkeit lindern.“
„Dumme Arbeitermassen“
Das Hauptziel nannte der Kaiser allerdings nicht. Dafür sprach Haussmann Klartext: „Es wäre der Gipfel der Unvernunft, die rohen und dummen Arbeitermassen in Paris zusammenzupferchen, als wollte man einen Mittelpunkt des Volksaufstandes schaffen.“ In Paris war es in den Jahren zuvor zu sieben Aufständen, darunter die Revolutionen von 1830 und 1848, gekommen. Der Präfekt warnte deshalb vor Proletariern, „die den Regierungen nachhetzen und sie umsäbeln, bevor das überraschte Frankreich auch nur Zeit findet, sich dagegenzustemmen“.
Nach wenigen Jahren hatte ein ganzes Netz von Boulevards, Avenuen und Alleen das mittelalterliche Paris aufgesprengt. „Dem alten Paris wurde der Bauch geleert, indem wir durch diese undurchdringlichen Viertel der Krawalle und der Barrikaden eine gerade Linie zogen“, so Haussmann.
Er richtete seine Achsen meist auf ein großes Monument aus, um die historische Perspektive zu betonen. Die Avenue de l'Opéra läuft wie ein roter Teppich auf die Oper im Palais Garnier zu; eine Meisterleistung war die sternenförmige Straßenanlage um den Arc de Triomphe am Ende der Champs-Elysées: Nicht mehr nur vier, sondern gleich zwölf Avenuen laufen heute auf den Place de l'Etoile zu.
Nach fünfzehn Jahren hektischer Bautätigkeit verlor Haussmann langsam die Unterstützung der Pariser. Sie hatten genug von den Großbaustellen und auch von den Staatsanleihen, mit denen der Präfekt seine Herkulesarbeiten finanzierte. Mit dem Sturz des Kaisers endete auch das unumschränkte Regime seines mächtigen Hauptstadtpräfekten. Haussmann starb zwei Jahrzehnte später, 1891, vergessen und verarmt, seiner beiden Töchter beraubt.
Zu seinem 200. Geburtstag (er war am 27. März) ist der Baron längst wieder rehabilitiert. Wenn Paris heute als eine der schönsten Städte der Welt gelte, so lautet der Grundtenor der Pariser Medien, dann sei das Haussmanns Werk.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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