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26. November 2006 Spectrum

Altern mit Respekt

Keine Aluminiumpaneele, kein Sichtbeton - dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Vertrautheit, ja Gemütlichkeit statt ästhetischer Extravaganz. Peichl & Partner und ihr neues „Haus der Barmherzigkeit“ in Wien-Donaustadt.

flegeeinrichtungen für alte Menschen und dauerhaft mehrfach Behinderte zählen zu den bedeutsamen Prüfsteinen des sozialen Gewissens einer Gesellschaft. Sie kosten viel Geld. Sie sind personalintensiv. Sie verlangen ihren Mitarbeitern hohe Qualifikation und noch höheres Engagement ab. Und dies alles unter dem Vorzeichen, dass jede therapeutische, pflegerische Erfolgskurve absehbar in den Tod mündet. Wir verdrängen das gern.

Das „Haus der Barmherzigkeit“ hat in diesem Aufgabenbereich sehr hohe Verdienste erworben. Und jetzt hat es neu gebaut. Das Architekturbüro Gustav Peichl & Partner hat in der Wiener Donaustadt, in der Tokiostraße, ein geriatrisches Pflegekrankenhaus errichtet, für das Primarius Christoph Gisinger gleich zu Anfang ein eindeutiges Motto verkündete: „Planen Sie es wie ein Wohnhaus.“

Die Tokiostraße: Sie ist ein wohlgeordnetes Neubaugebiet von Wien (Städtebau: Elsa Prochazka), hinter der Eishalle, der Internationalen Schule und einer Schule von Kohlbauer gelegen. Ein reines Wohngebiet, ungewöhnlich gut konzipiert, nicht nur durch die Straße, auch durch einen Grünzug gegliedert. Aber man darf sich die Umgebung nicht vorstädtisch vorstellen: Wir sind in der Großstadt, eigentlich in einer „Zwischenstadt“.

Ich hatte keine genaue Adresse. Also fuhr ich die Tokiostraße ab, ohne auf irgendwelche Beschriftungen zu achten, und überlegte: Welches kann das „Haus der Barmherzigkeit“ sein? Es stand ganz am Anfang, mit einer besonders plastischen Fassade - begründet durch die Vor- und Rücksprünge der Balkone. Balkone an der Straßenseite? Da kann es sich nicht um Wohnungen handeln, es muss absichtsvolle Strategie sein.

So war es denn auch. Man ist nämlich längst davon abgekommen, Einrichtungen wie dieses Pflegekrankenhaus abzuschirmen, unter dem Vorwand der Ruhe eine isolierte Einzelstellung zu präferieren. Die Bewohner wollen wenigstens als Beobachter teilhaben an einer belebten Umgebung, das liefert Erlebnisse, das liefert auch Gesprächsstoff untereinander.

Hier ist das rundum gelungen. Die Bewohner sehen entweder in die Tokiostraße oder - gartenseitig, denn dieses Haus verfügt über einen großen „Therapiegarten“, den Jakob Fina geplant hat.

Peichl & Partner haben das Haus so einfach wie möglich angelegt. Der Straßentrakt erstreckt sich über 80 Meter Länge, dahinter gliedern zwei Höfe die in die Tiefe des Bauplatzes ausgreifenden Bauteile. Der erste Hof ist oval, durch ein sattes Rot (eine Referenz Richtung japanische Flagge) gekennzeichnet. Der zweite Hof ist gelb. Und die Bodenfläche wurde nach therapeutischen Vorgaben gestaltet: Es gibt sehr unterschiedliche Oberflächen, auch eine kleine Treppe, die man hinauf- und hinuntersteigen kann. Dieses Thema wird im Garten an der Rückseite des Hauses noch einmal und in größerem Umfang umgesetzt: Da gibt es dann einen Parcours, dem unterschiedliche Erlebnisbereiche zugeordnet sind - vom duftenden Rosengarten über Wasser und Seerosen bis zu einem Pavillon, einem Grillplatz, im kommenden Frühjahr auch einem Kirschgarten.

Dass das Haus grundrisslich so einfach angelegt ist, erklärt Projektarchitekt Christoph Lechner ziemlich einleuchtend: „Die Bewohner sollen sich selbst zurechtfinden können. Die Orientierungsmöglichkeit ist vorrangig. Sonst werden sie nur abgeschreckt und machen von den Rundgängen, die wir anbieten, keinen Gebrauch.“ Die Übersichtlichkeit des Hauses erscheint tatsächlich beispielhaft. Ebenso die Lösung der Transparenzfrage, die natürliche Belichtung. Die Bewohner haben, selbst wenn sie im Rollstuhl sitzen, reichlich Gelegenheit zu beobachten, was im Haus vor sich geht.

Es gibt nur Ein- und Zweibettzimmer, alle entweder mit Balkon oder einem französischen Fenster. Und alle Gänge und Treppenhäuser sind besonders breit, sodass es auf keinen Fall zu Manövrierschwierigkeiten - weniger für das Personal als für die Bewohner - kommen kann. Außerdem sind die Gänge an den Kreuzungspunkten immer zu „Plätzen“ ausgeweitet, auf denen Begegnung aller Art möglich ist: geselliges Zusammensein, Kaffeetrinken et cetera.

Ich erinnere mich, dass in den Neunzigerjahren Vorarlberg eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime gespielt hat. Damals gab es Wettbewerbe für sehr anspruchsvolle Bauten - die Maßstäbe gesetzt haben. Da fand sich von der mediterranen Patio-Lösung bis zur englischen Klub-Atmosphäre so ziemlich alles. Und es war faszinierend. Man kann es mit der Tokiostraße aber nicht vergleichen. Denn Vorarlberg ist, überspitzt formuliert, eine einzige Streusiedlung, Großstadt gibt es dort nicht. Folglich kann man sich dort in den relativ kleinen Einheiten auch einen architektonisch sicher subjektiven Luxus leisten. In Wien ist hingegen Ökonomie - auch von der Größenordnung her: 270 Zimmer! - ein unbedingtes Muss.

Von der Material- und der Farbenwahl her haben Peichl & Partner alle Interessen hintangestellt, die womöglich mehr der eigenen architektonischen Verwirklichung dienen als den Bewohnern. Es gibt also keine Aluminiumpaneele und keinen Sichtbeton, dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Es ist ein viel geschmähtes Wort, aber Gemütlichkeit war hier ein Kriterium. In den Gängen dominieren warme Orangetöne. Birkensperrholz in Verbindung mit Nuss befriedigt den Anspruch nach Gediegenheit. Eigentlich wurde alles an Details vermieden, was nicht zumindest den Anschein der Vertrautheit hat. Das ist eine ungemein respektvolle Geste gegenüber den Bewohnern.

29. Oktober 2006 Spectrum

Die Crux, der Clou, das Klo

Wien, Meidlinger Markt: Architektur für alles, was an- und abfällt. Eine Abfallsammelstelle mit beweglicher Haut und eine WC-Anlage, die leuchtet. Zwei Beiträge zum Thema Alltagsdesign.

Diesmal geht es um Ausscheidungen, um Ausscheidungsarchitektur im weitesten Sinn. Die eine dient der Abfallwirtschaft auf dem Meidlinger Markt, die andere der Notdurft der Marktbesucher. Anders formuliert: Johann Georg Gsteu hat eine „Hütte“ entwickelt, wo der Abfall gesammelt und dann entsorgt wird; und Gerhard Steixner hat ein kleines Gebäude mit Doppelfunktion gebaut, es ist gleichzeitig überdachte Busstation und Einhausung der öffentlichen Klos.

Der Meidlinger Markt ist keine romantische, auch keine besonders lebendige Einrichtung mehr. In den Pavillons wird über das übliche Maß hinaus - obwohl durchsetzt mit mehr oder weniger „globalen“ Offerten - nichts Spezielles angeboten. Mit dem ungleich größeren Wiener Naschmarkt, wo sich die Gourmets regelrecht drängen, hat dieser Bezirksmarkt nichts zu tun. Kein Wunder: Gleich daneben befindet sich ein großer Interspar (mit eigener Parkgarage). Das ist die Crux: Einerseits wollen alle, dass Einrichtungen wie der Meidlinger Markt am Leben bleiben, andererseits lässt man die Ansiedlung eines großen Supermarktes gleich daneben zu - ein Widerspruch in sich. Letztlich halten die älteren Bewohner der Umgebung den Markt am Leben - und natürlich unsere Mitbürger ausländischer Herkunft, für die ein lebendiger Marktbetrieb Teil der kommunikativen Seite ihres Alltags ist.

Johann Georg Gsteu hat jedenfalls das Thema Marktabfall bearbeitet. Und er hat es gleich auf eine prototypische Lösung angelegt. Seine „Hütte“ hat genau die Dimensionen von zwei Marktpavillons samt Erschließungsweg. Sie liegt logischerweise am Rand - denn sie muss von den Entsorgungsfahrzeugen angefahren werden können. Aber dieser Rand ist eine Einbahnstraße, und genau gegenüber der Müllsammelstelle liegen die Einfahrten in die Parkgaragen von Interspar und einem privaten Anbieter. Diese Platznot war ein Thema, und natürlich die Frage der Hygiene.

Gsteu musste drei Presscontainer und 17 Großraumbehälter in einem Raum unterbringen, in einem zweiten Bereich sind ein kleines Büro samt Nebenräumen für den Angestellten untergebracht, der die Anlage betreut, außerdem eine Problemstoff-Sammelstelle. Die Haustechnik wurde unter die Erde gelegt.

Es ist interessant, was Gsteu aus dieser scheinbar simplen Aufgabe gemacht hat. Den Ansprüchen der Hygiene hat er mit industriellen Oberflächen beziehungsweise einer Lochblechhaut entsprochen, die rund um die Uhr, also auch zu den Schließzeiten, für eine gewisse Durchlüftung sorgt. Die Halle ist stützenfrei. Wenn die ziemlich großen Müllwägen kommen, um die Presscontainer zu holen, dann können sie diese Manöver gefahrlos durchführen - es kann eigentlich nichts beschädigt werden.

Aber der Clou ist etwas anderes: Gsteu hat Dach und Straßenfront als eine Haut interpretiert, und die lässt sich hydraulisch öffnen. Bei normalem Betrieb rastet sie etwa bei drei Meter Höhe ein; wenn die Container geholt werden, dann wird der Deckel dieser Müllschatulle auf beachtliche 5,50 Meter angehoben - das ist genau die Höhe, die man für die Manipulation mit den Containern braucht. Die Idee ist gut, und man kann nachvollziehen, dass Gsteu von einer prototypischen Lösung spricht. Alle anderen vergleichbaren Einrichtungen bei Wiener Märkten sind erstens nicht stützenfrei und zweitens nicht so benutzerfreundlich, denn hier finden tatsächlich alle Manöver - vom Befüllen bis zum Entleeren - im überdachten Bereich statt.

Man kann auch nicht sagen, dass hier vermeidbarer logistischer Aufwand getrieben worden wäre. Es gibt keine Fertigprodukte in dieser Länge, außerdem hätten Falttore sowieso nicht entsprochen, weil sie von der zulässigen Höhe viel zu viel Platz weggenommen hätten. Und man darf eines nicht gering achten: Gsteus Lösung ist ein ernsthafter Beitrag zum Thema Alltagsdesign. Nichts Auffälliges, nichts Protziges, schlicht, sehr schlicht. Trotzdem fängt das Objekt in den Abendstunden fast poetisch zu leuchten an. Ein schöner Nebeneffekt der luftdurchlässigen Lochblechhaut.

Übrigens leuchtet es auch bei Gerhard Steixners öffentlicher WC-Anlage. Da allerdings etwas luxuriöser und in einem völlig anderen Zusammenhang: Im Haltestellenbereich seines kleinen Gebäudes, das ja eine Doppelfunktion erfüllt, konnte er beleuchtete Vitrinen für Werbung realisieren, die ungemein edel ausgeführt sind. Sie sitzen flächengleich in der Haut des elliptischen Baukörpers, haben also gekrümmte Glasoberflächen, und das ist durchaus etwas Besonderes. Es ist sicher kurios - und auch amüsant -, einmal von der Architektur einer öffentlichen Bedürfnisanstalt zu reden. Diese hier ist sehr klein, für den Markt hat sie aber Bedeutung. Sie liegt direkt an der Hauptstraße und begrenzt einen kleinen, freien Platz dahinter - nur bestückt mit zwei Bäumen und einem Brunnen.

Steixner hat die viereckige Pavillonform, die den Markt ausnahmslos beherrscht, durchbrochen. Städtebaulich ist das an dieser besonderen Stelle in Ordnung. Er hatte mit seinen elliptischen Kurven aber noch etwas anderes im Sinn: Ecken, heimliche Pissecken wollte er vermeiden. Bei der Klientel, die sich vor allem abends hier herumtreibt, ist das eine legitime Überlegung. Eine zweite Überlegung: Das Gebäude als Möbel, als Stadtmöbel. Es steht frei im Raum, ohne Vorder-, ohne Rückseite. Gleichwertig in alle Richtungen.

Der Baukörper der öffentlichen Bedürfnisanstalt setzt sich in ein weit auskragendes Dach fort: darunter eine Sitzbank für diejenigen, die auf den Bus warten. Früher war hier eine Luigi-Blau-Haltestelle. Wie die aussehen, weiß man; sie sind - entsprechend den Vorgaben des Bauherrn - ziemlich klein. Jetzt ist viel mehr Platz da - und er ist trotzdem wettergeschützt. Das muss man als Plus verbuchen.

Steixner konnte nur ein Pissoir, eine geschlechtsneutrale - so heißt das jetzt - WC-Kabine und eine behindertengerechte realisieren. Zahlen müssen übrigens wie immer die Damen, die Pissoirbenutzer kommen kostenlos davon.

Was mir gleich aufgefallen ist: Auf dem Ganzen lastet ein dickes Dach. Aber das Rätselraten, was in dieser dicken Dachschicht enthalten sein könnte, hatte bald ein Ende. Steixner hat die „Hutkrempen“ der umliegenden Pavillons in seiner Architektur weitergeführt. Das war ganz bestimmt richtig. Er hat natürlich besonders auf Oberflächen gesetzt, die industriell, hart, glatt sind. Das heißt, seine Mischkonstruktion aus Stahl und Holz und zwei Sichtbetonscheiben ist entsprechend gerüstet. Die Betonscheiben sind mit einer Glasfaserbeschichtung ausgestattet, alles Übrige mit Aluminiumpaneelen verkleidet - innen teilweise farbig pulverbeschichtet.

Steixner ist mit dem Meidlinger Markt schon länger verbunden, er hat auch das Büro des Marktamtes geplant. Seine bisherigen Interventionen sind ein optimistisches, elegantes Statement. Auf dem Meidlinger Markt kann es nur aufwärts gehen.

23. September 2006 Spectrum

Implantat zwischen Platanen

Es sagt schon was, wenn ein Architekt in seine eigene Wohnanlage zieht. In einer Ottakringer Gartensiedlung haben Nehrer + Nedek und Partner eine glückliche Hand bewiesen.

Eine neue Wohnanlage mitten in ein dicht verbautes gründerzeitliches Stadtviertel zu implantieren ist in der Regel problematisch. Solche Implantate integrieren sich nämlich nicht, sie grenzen sich gegenüber dem Umfeld ab - und damit aus. Und wenn es - wie im konkreten Fall der Gartensiedlung Ottakring - noch dazu um eine Größenordnung von immerhin 280 Wohnungen geht, dann fällt eine solche Intervention auch wirklich ins Gewicht.

Im Architekturbüro Nehrer + Medek und Partner geht man zwar jede Bauaufgabe zunächst städtebaulich an, bei der Verbauung dieses ehemaligen Lagerareals der Ottakringer Brauerei haben die Architekten aber eine besonders glückliche Hand bewiesen. Denn was hier vorher war, das hat den historischen Stadtgrundriss immer schon gestört. Es bildete eine Barriere, an der die Gassen der Umgebung abrupt endeten. Einziger Pluspunkt: Zwischen den alten Lagerschuppen (und einer unterirdischen Kelleranlage mit gewaltigen Gewölbekellern der Brauerei) wuchs im Lauf eines Jahrhunderts ein Baumbestand heran, der seinesgleichen sucht.

Die hundertjährigen Platanen gibt es nach wie vor. Und für den fußläufigen Verkehr durchlässig ist das Areal nun auch. Mit ihrem minutiös ausgetüftelten Bebauungskonzept haben die Architekten diese beiden Problempunkte souverän bewältigt: Der Baumbestand rechtfertigt die Namensgebung „Gartensiedlung“ Ottakring - und die umliegenden Gassen werden als Fußwege in der Anlage weitergeführt.

Die Bebauungsstruktur nimmt also das auf, was es in der Umgebung ohnehin schon gibt: eine Blockrandbebauung. Sie definiert an zwei Seiten die neue Wohnanlage, an der dritten musste ein bestehender Betrieb ins Konzept integriert werden (er kehrt der Wohnanlage seine fensterlose Rückseite zu), an der vierten grenzt sie ans Brauereigelände. Diese Bebauung ist mit sechs Obergeschoßen - die beiden obersten zurückgesetzt - relativ hoch.

In diesem Geviert wurden dann niedrigere Wohnzeilen errichtet. Viergeschoßig und so platziert, dass sie einerseits der Logik der Durchwegung entsprechen, andererseits den Baumbestand erhalten. Wichtig auch: An der Baldiagasse wurde mit der Blockrandbebauung zugunsten der alten Platanen so weit von der Grundstücksgrenze abgerückt, dass noch drei kleinere Baukörper vorgeschaltet werden konnten. Sie hängen mit einer seitlich und nach oben verglasten Erschließung am langen Baukörper dran - Licht, natürliche Belichtung sind ein durchgängiges Thema für die Architekten.

Der bemerkenswerte Nebeneffekt dieser Lösung besteht in der zumindest partiellen Verbreiterung des öffentlichen Raums. Die Baldiagasse hat auf einmal ein ganz neues und viel repräsentativeres Gesicht. Ich habe die Anlage von Norden betreten. Dort geben riesige Glasflächen den Blick auf (geschlossene) Laubengänge frei. Und eine Ahorn-Neupflanzung lässt ahnen, dass es den Architekten ernst war mit der Gartensiedlung. Allen Parkplatz-Fürsprechern zum Trotz.

Das differenzierte Wohnungsangebot muss man heute eigentlich nicht mehr abhandeln. Es ist alles da, was der Wohnungsmarkt verlangt - und es ist in bester Qualität da. Manchmal sogar noch ein bisschen mehr. Durchgesteckte, nach Süden orientierte Wohnungen; „Reihenhäuser“ im Geschoßwohnungsbau; nicht zu vergessen: die Studio- beziehungsweise Atelieraufbauten bei den vier Wohnzeilen; und selbstverständlich Gärten, Loggien, Terrassen.

Behindertengerecht sind die Wohnungen zu ebener Erde. Sie haben außerdem alle einen großzügigen Garten. Und zum ersten Mal habe ich gesehen, dass nicht jeder sein Gärtlein zum Nachbarn hin massiv blickdicht macht. Die von den Architekten vorgeschlagenen Spanndrähte wurden mit ganz wenigen Ausnahmen angenommen. Und jetzt grünt es auch dazwischen so grün, dass es eine Freude ist.

Ein Loch fällt auf. Ein großer rechteckiger Einschnitt im Boden, wo es immerhin zwei Stock hinuntergeht. Da ist es auch grün. Und rot. Es ist das Rot der Sportplätze. Ein Teil der zweigeschoßigen Tiefgarage wird hier belichtet - und die Ball spielenden Kids können sich hier auch austoben. Es gibt überhaupt relativ viele und gut nutzbare Gemeinschaftseinrichtungen in der Anlage. Ausnahmsweise witzig ist die Lösung beim Kinderspielplatz im Freien: Da liegen überdimensionierte, in Beton gegossene Bierflaschen halb im Erdreich. Eine Herausforderung für Skateboard-Artisten und solche, die es werden wollen. Es sind auch genügend gedeckte Räume vorhanden. Sogar für die Erwachsenen. Die können an der Seite des Brauereigeländes notfalls auch Grillparties feiern - im Gartenanteil -, die etwas lauter ausfallen. Sie sind dort akustisch so abgekoppelt, dass es niemanden stört.

Angenehm ist mir aufgefallen, dass das Thema der natürlichen Belichtung, der Aussicht, der Transparenz konsequent durchgezogen ist. Sogar die Fahrradabstellräume, Kinderwagenräume, und Waschküchen sind verglast. Das sind reine Nutzbereiche, von denen man normalerweise nichts zu sehen bekommt. Diese Art der Offenlegung empfinde ich als Gewinn. Die Wohnanlage lebt. Aber es stellt sich ein bemerkenswerter Nebeneffekt ein: Alles ist erstaunlich geordnet, es kommen praktisch keine Diebstähle vor. Das ist ein Punkt, dessen Bedeutung die meisten Bauträger unterschätzen. Auch Wohnhäuser, Wohnanlagen wollen gepflegt werden. Manchmal kommt mir vor: Je industrieller der Baustoff, desto notwendiger die Pflege. Dann hält er allerdings lang und sieht schön aus. Aber diese Art der Kosten-Nutzen-Rechnung stellen die Errichter von Wohnanlagen viel zu selten an. Das führt zu Unzufriedenheit, und oft wird in der Folge zu Unrecht den Architekten die Schuld gegeben. In der Ottakringer Gartensiedlung bleiben in dieser Hinsicht keine Wünsche offen. Obwohl es keine Elitesiedlung ist: Mietwohnungen in der Hauptsache, der Anteil an Eigentumswohnungen ist gering.

Es sagt übrigens einiges, wenn ein Architekt in seine eigene Wohnanlage zieht. Herbert Pohl, Partnerarchitekt des Büros, fühlt sich hier wohl. Zwei Terrassen mit einem schier sensationellen Ausblick und eine Wohnung, die nur ein einziges Extra für das nachvollziehbare Outfit der Architektenwohnung gebraucht hat: Schiebetüren.

23. Juli 2006 Spectrum

Couturiers der Flächen

Wie man, dem rotierenden Rotstift zum Trotz, banale historische Architektur in ein zeitgenössiches Highlight verwandelt. Die umgebaute Rettungsstation in Wien-Hernals.

Sparen ist angesagt. Was der Ge werkschaftsbund erst noch ler nen muss, das wissen Architekten schon länger. Welche Sinnhaftigkeiten auch immer sie aufzeichnen, der Rotstift schlägt trotzdem zu. Das Kunststück besteht darin, die Abstriche mit Würde zu bewältigen. Und die (zeitlich) langen Durststrecken zu verkraften: Für den Umbau - und viel mehr ist es ja nicht - der Rettungsstation Hernals fand der Wettbewerb im Jahr 2002 statt. Jetzt schreiben wir 2006.

Geiswinkler & Geiswinkler haben die Wartezeit und das Sparprogramm aber souverän weggesteckt. Ihre Intervention im ziemlich verkorksten Altbestand weist sie als sensible Meister im Umgang mit Problemsituationen aus, die durch unaufdringliche Eleganz in Material- und Formensprache auch in banaler historischer Architektur ein ausgesprochen edles zeitgenössisches Highlight setzen. Zum Nutzen und Gewinn des Objekts insgesamt. Bauhistorisch ist der Bestand sicher nicht sehr bedeutend, auch wenn er unter Denkmalschutz steht. Der villenartige Kernbau war früher einmal ein Armenspital, 1905 - da wurde das Haus schon als Rettungsstation genutzt - hat der Architekt, ein gewisser Poppovits, zwei niedrigere Seitenflügel darangebaut und einen Pavillon in den Hof gestellt. Diese Bauteile haben Sichtziegelfassaden.

Was diese Zubauten in ein geradezu rätselhaftes Licht taucht, das ist der Umstand, dass sie überhaupt nicht ans Hauptgebäude anschließen. Die Niveaus sind einfach nicht gleich. Und es gab im Kernbau einen mickrigen Eingang, auch noch irgendwelche Nebeneingänge in den Seitentrakten. Wie auch immer, der Bau war orientierungslos. Und genau diesen Schwachpunkt haben Geiswinkler & Geiswinkler schon im Wettbewerb erfolgreich zum Thema gemacht. Neben dem Raumprogramm, das es natürlich zu erfüllen galt, ging es hauptsächlich darum, eine übersichtliche Raumabfolge zu schaffen, eine Durchwegung, die den verwinkelten Bestand in eine offene und praktikable Struktur transformiert. Man muss sich vor Augen halten, wozu dieses Gebäude dient: Hier steht eine spezifisch ausgebildete Belegschaft sozusagen in Warteposition, abrufbereit. Solang sie nicht gebraucht werden, haben diese Leute relativ wenig zu tun. Aber dann kommt ein Einsatz, und es geht um Zeit. Das ist über verwinkelte und ausgesprochen enge Treppen nur strapaziös zu schaffen. Das Thema der Geiswinkler-Intervention trifft insofern ins Schwarze.

Und sie haben städtebaulich gedacht und einen klar definierten Zugang geschaffen - der nicht nur durch den Schriftzug weithin erkennbar ist, sondern auch durch eine dezente, aber wirkungsvolle räumliche Lösung, die unter Arkaden auf einen verglasten Eingang hinführt. Man musste natürlich heftig entkernen und entsprechende statische Maßnahmen setzen, um so weit zu kommen. Das Kellergeschoß zum Beispiel: Das war vorher nichts und ist jetzt etwas. Nämlich einer der Hauptschauplätze des gewünschten Rettungsmuseums, das ebenfalls zum Raumprogramm gehörte. Übrigens das einzige Rettungsmuseum in Wien, zwar, was die Exponate betrifft, nicht sonderlich spektakulär, aber einen Klassenausflug für Volksschüler wird es schon wert sein. Zitat Markus Geiswinkler: „Auch wenn die Exponate im Grund unbedeutend sind - es ging trotzdem darum, einen würdevolle Rahmen zu schaffen.“

Toll ist der Hauptraum, der jetzt das ganze Gebäude aufschließt. 20 Meter hoch, mit einer Freitreppe, für die sich die Geiswinklers eine spezielle Handlauf-Lösung haben einfallen lassen, lichtdurchflutet (Oberlichten), großzügig, freundlich und offen. Es ist geradezu rührend, wenn man sieht, wie die Leute, die hier arbeiten, mit dieser Architektur umgehen: Sie ziehen die Schuhe aus.

Räumlich dominant: die gläserne „Führungskanzel“, eine Raumbox, von der man praktisch das gesamte Geschehen überblickt. Sie ist mit einer Lamellenjalousie „bekleidet“, die offen, aber auch geschlossen sein kann. Überhaupt muss man den Geiswinklers attestieren, dass sie sich über das konzeptuelle, strukturelle Denken hinaus längst auch als Bekleidungskünstler, als Couturiers der Oberflächen profiliert haben. Ein Beispiel: Kein Steinboden im ganzen Haus, weil zu teuer. Man hat sich mit schieferfarbigen, großformatigen Fliesen beholfen. Aber nicht auf der Treppe. Da liegt wirklich Schiefer. Die Fugenteilungen der Fliesen waren für die Architekten inakzeptabel. Das haben sie auch durchgesetzt. Und es ist gut so.

Wunderbar ist die Beleuchtung im Haus. Die Geiswinklers haben Leuchtbalken genommen, die man in beliebiger Länge bekommt und die fugenlos versenkt werden können. Irgendwie werden hier Boden, Wände und Decken zu regelrechten Häuten. Man fühlt sich angenehm umhüllt - sei es nun durch die alte Bausubstanz, durch die silbrigen Metall- oder auch Plattenverkleidungen der Geiswinklers, sei es durch Glas und Licht - das natürlich ebenfalls die Geiswinklers ins Haus gebracht haben.

Es ist müßig, darüber zu debattieren, wie toll es noch gewesen wäre, wenn man die Dachterrasse umgesetzt hätte, die im Projekt der Geiswinklers vorgesehen war. Der berühmte Rotstift. Jetzt gibt es eben nur einen wundervollen Vorgarten, heftig begrünt, leider nicht ganz so uneinsehbar zu nutzen, wie das auf dem Dach der Fall gewesen wäre. Außerdem könnte man das ja immer noch machen, wenn irgendwann die Gelder wieder üppiger fließen. Veränderungen, Nutzungsverschiebungen, die auf die jetzige räumliche Lösung Auswirkungen haben, haben die Geiswinklers angedacht.

Es ist nicht gesagt, dass irgendjemand in der Rettungsstation - sie haben die Bauleitung selbst gemacht - weiß, wie viel Gutes ihnen da widerfährt. Aber sie werden es noch einsehen. Sie werden begreifen, dass es eben doch ein Vorteil ist, Leute vom Fach zur Hand zu haben. Im Übrigen soll bei der Eröffnung - allen widrigen Vorkommnissen in der Vergangenheit zum Trotz - allgemeines Einvernehmen geherrscht haben.

18. Juni 2006 Spectrum

Falscher Marmor für Mozart

Innen: viel güldene Repräsentation, außen: ein Debakel. Die Decke: schlampig, die Traufe: ein grauenhafter Balken. Und wer ist für diese entsetzliche Eiche verantwortlich? Das neue „Haus für Mozart“ in Salzburg.

Es ist ein altmodisches Haus, dieses neue „Haus für Mozart“. Und es ist kein großer architektonischer Wurf. Es steckt nicht die Kraft einer individuellen künstlerischen Handschrift dahinter. Und es ist kein Statement, das die heutige Architektur irgendwie beeinflussen, weiterbringen wird. Nur darf man zum jetzigen Zeitpunkt bei solchen Bilanzen nicht stehen bleiben. Auch wenn in Zukunft kein Mensch mehr danach fragt, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist: In diesem „historischen“ Moment, an der Schnittstelle vom Fertigwerden zum Entlassen des Gebäudes in den Gebrauch, muss man auch die Umstände in Betracht ziehen, die dazu geführt haben, dass es so ist, wie es nun einmal ist.

Die Vorgeschichte sollte man sich schenken. Sie ist ein einziger Krampf mit entsetzlichen Architekten-Querelen. Wilhelm Holzbauer (Holzbauer und Irresberger), engagierter Salzburger, hat all seine Macht eingesetzt, um eine Jury-Entscheidung rückgängig zu machen, die ihn um diese Aufgabe gebracht hätte. François Valentiny (Büro Hermann & Valentiny und Partner) fühlte sich zu einem gewissen Zeitpunkt herausgefordert, am eigenen Lehrmeister auch die eigene architektonische Potenz zu messen. Es gibt Hinweise, dass das durchaus erfolgreich gelungen ist. Es gibt aber auch Hinweise, dass Holzbauer mittlerweile die Gelassenheit des „alten Meisters“ hat.

Das „Haus für Mozart“ war zunächst eine konzeptuelle Aufgabe, die man als die Quadratur des Kreises bezeichnen könnte: Denn es ging um einen viel kürzeren Saal (zehn Meter), damit das Publikum besser sieht, es ging um eine Verbesserung der Akustik und zugleich um eine Steigerung der Sitzanzahl.

In funktioneller Hinsicht kann man Wilhelm Holzbauer und François Valentiny wenig ankreiden. Man geht ins Haus hinein, das legendäre Faistauer-Foyer hat eine - durch neue Öffnungen - hervorragend gelöste Verteilerfunktion. Überhaupt halte ich die neue Erschließung - auch der Felsenreitschule - für das große Plus des Neu- beziehungsweise Umbaus. Vor allem der Umgang - man geht ebenerdig hinein, verteilt sich, hat aber in der Pause die Möglichkeit, im ersten Obergeschoß auf eine Terrasse zu treten, die sich fast über die volle Gebäudelänge erstreckt und in einer Treppe hinunter mündet. Also ein richtiger Kreislauf, das hat schon etwas. Auch das Foyer im Neubauteil ist mit seinen 20 Metern Raumhöhe eine Attraktion. Die geschwungene, hinterleuchtete, goldene Lamellenwand vor einem Mozart-Bild aus Swarowski-Kristallen ist kein Willkürakt, sondern eine unverzichtbare Schall absorbierende Maßnahme.

Sicher stellt sich hier - und dann erst recht im neuen Saal - die Geschmacksfrage. Ist so viel „güldene“ Repräsentation heute noch verträglich? Ist es verträglich, dass man zur traditionellen Technik der Wandmalerei greift, die die Maserung von Marmor imitiert? Und das in einer Abfolge hochrechteckiger Felder, die wiederum golden gerahmt sind? Gut, jedes dieser Felder ist leicht schräg gestellt - wiederum eine akustische Maßnahme. Die Wände des Saals sind parallel, er hätte aber - um eine optimale Akustik zu gewährleisten - konisch sein müssen. Dafür war kein Platz. Nur sind sicher auch andere gestalterische Maßnahmen vorstellbar, die mehr mit heutigen Ausdrucksmöglichkeiten zu tun haben.

Das funktionelle Problem, fairerweise muss man das sagen, haben die Architekten bewältigt: weniger Distanz zur Bühne, eine Galerie mehr, Seitensitze, von denen man immer noch einen Großteil der Bühne sieht, sogar 50 Stehplätze.

Danebengegangen ist das Tonnengewölbe über dem Saal. Es besteht aus Stahlträgern, in die Betonfertigteile eingehängt sind. Die Träger mussten aus brandschutztechnischen Gründen anders behandelt werden als die Betonteile, die Decke sieht unheimlich schlampig aus. Lauter Unebenheiten, wo eigentlich eine glatte Haut sein sollte. Waren es Kostengründe? Zeitgründe? Oder war es einfach eine Fehlentscheidung, das Tonnengewölbe nicht zu schalen und zu betonieren? Mängel dieser Art, auch schwache Materialentscheidungen, lassen sich im Haus an allen Ecken und Enden ausmachen. Wer zum Beispiel ist für diese entsetzliche Eiche verantwortlich? Nur oben, in der VIP-Lounge, der sogenannten „Salzburg Kulisse“, wurde Holzbauers Lieblingsholz, Birne, verwendet. Die hat in der Tat eine ganz andere Anmutung.

Der Außenauftritt des Hauses: ein ziemliches Debakel. Er hat keine Gesetzmäßigkeit, keine Logik. Die Eingangstore unten stehen in einer zufälligen Beziehung zu den fünf schmalen, hohen Fixverglasungen, die nur einen fragmentierten Ausblick auf das spektakuläre architektonische Vis-à-vis erlauben. Es gibt ein großes Schaufenster für Plakate, Informationen. So etwas Läppisches habe ich überhaupt noch nie gesehen. Lauter hochformatige Glasstreifen, aneinander gereiht. Und von der Traufe will ich überhaupt nicht reden: Die ist als grauenhafter Balken ausgebildet, der den Anschluss an den Holzmeister überhaupt nicht bewältigt.

Aber der kritische Punkt sind die Verglasungen: Im Wettbewerb haben die Architekten eine Art Panorama-Glaselement vorgeschlagen, ein gefasstes Bild des architekturhistorischen Gegenübers. Das hat die Altstadtkommission als unmaßstäblich abgeschmettert. Die Frage, was denn den Maßstab abgibt, bleibt bei solchen Entscheidungen allerdings immer unbeantwortet.

Und damit sind wir bei einer Kernfrage zum Projekt: Wie kann man über Architektur reden, wenn ununterbrochen irgendwelche Leute, die in irgendwelchen Gremien sitzen, ihre Existenzberechtigung beweisen wollen. Ein Hydrant unmittelbar vor dem Eingang, dabei ist der nächste schräg gegenüber; eine kleine Bar, in einem der oberen Geschoße - ein eigener Brandabschnitt; tausend Fluchtschilder, so dass im Notfall sicher niemand weiß, wo er hinrennen soll; Garderoben, die aus Brandschutzgründen abschließbar sein müssen (wie soll sich das im Gebrauch jemals bewähren?), und das lässt sich beliebig fortsetzen.

Wenn es immer nur um absurde Vorschriften geht, um Geldknappheit, sodass bei jeder speziellen Maßnahme erst ein Sponsor aufgetan werden muss, dann werden grundsätzlichere Fragen illusorisch. Was bleibt, wenn man die so genannte Geschmacksfrage und den ganzen Zeitgeist von einer architektonischen Lösung subtrahiert? Unter diesen Umständen muss ich die Antwort schuldig bleiben.

20. Mai 2006 Spectrum

Passiv und ganz von selbst

Ein konsequentes Passivhaus-Konzept, wie man es bei Großobjekten selten findet: das Studentenheim in der Wiener Molkereistraße von Baumschlager|Eberle.

Ein kleines Lächeln hat mir der Folder schon abgenötigt, der in einem der Gemeinschaftsräume des Studentenheims von Baumschlager Eberle P.Arc aufliegt: Er enthält eine verständliche Gebrauchsanweisung für die technischen Obliegenheiten im Passivhaus. Ein Gebäude, für das man eine Bedienungsanleitung braucht? Nein, so schlimm ist es nicht. Hier steht nur, dass man nicht gerade dort etwas davorhängen darf, wo die Frischluft eingeblasen wird, und nicht bei Temperaturen unter 16 Grad das Fenster stundenlang offen halten soll, denn dann stellt sich die Heizung ab. Im Grunde ist Lüften in einem solchen Haus ohnehin überflüssig: Hier wird die Luft automatisch im Zwei-Stunden-Takt ausgetauscht.

Das Studentenheim steht im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Molkereistraße. Das Viertel - im Volksmund Stuwerviertel genannt - hat ein etwas anrüchiges Image. Rotlichtmilieu und so. Die Lage - zwischen Lassalle- und Ausstellungsstraße, Praternähe - ist trotzdem nicht schlecht. Früher einmal bildete hier eine Molkerei das lokale Zentrum. Die gibt es längst nicht mehr. Statt dessen entstanden eine Fachhochschule, eine Wohnbebauung mit Geschäften und einem Café und direkt an der Molkereistraße das U-förmige Studentenheim, das den grünen Innenhof der Wohnbebauung im Osten schließt.

Dieses Studentenheim - errichtet von Migra - Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft und betrieben vom Österreichischen Austauschdienst, bewohnt von Erasmus-Studenten - stellt zweifellos das architektonische Highlight der Neubebauung dar. Baumschlager Eberle P.Arc und ihr Projektleiter Eckehart Loidolt haben einen sehr kompakten Baukörper hingestellt. Es gibt keine Balkone, keine Terrassen, nur französische Fenster. Es gibt auch kein Flachdach mit zurückgesetztem Dachaufbau, sondern das, was auf gut Wienerisch „Sargdeckel“ heißt: ein voll ausgebautes Dachgeschoß mit Fenstern in der Dachschräge. Baumschlager[*]Eberle haben es immer schon verstanden, den formalen Aufwand bei ihren Bauten scheinbar spartanisch zu bemessen, noch dazu streng geometrisiert, und trotzdem eine Handschrift zu entwickeln, die unverkennbar ist.

Das Haus ist Ost-West-orientiert, der Hauptzugang liegt an der Molkereistraße. Er wurde als zweigeschoßiger Raum formuliert, in den einer von zwei Gemeinschaftsbereichen als Galerie eingeschoben ist. Die Trakttiefe an dieser Hauptfassade beträgt ungewöhnliche 19 Meter, an den beiden Schenkeln des U nur 14 Meter. Dass es ein Passivhaus ist, merkt man von außen kaum. Man muss sich schon gut auskennen, um gewisse Anzeichen richtig zu deuten. Die Dachgeschoß-Lösung fällt aus dem Rahmen des üblichen Baumschlager[*]Eberle-Vokabulars. Ein zurückgesetzter Dachaufbau mit rundum liegender Terrasse hätte wesentlich mehr Oberfläche zur Folge gehabt als die Lösung mit der diagonalen Schräge. Für ein Passivhaus ist so etwas bedeutsam.

Wenn man aufmerksam hinschaut, merkt man, dass das Studentenheim den Anschluss an die benachbarte Wohnbebauung nicht nahtlos bewältigt: Es springt einige Zentimeter vor. Daraus kann man ablesen, dass die Wärmedämmung dicker ist. Sie sollte ursprünglich 30 Zentimeter betragen, wurde aber dann - nicht zuletzt aufgrund eines besseren Dämmmaterials - auf 26 Zentimeter reduziert. Durch die Wärmedämmung sind die Fensterlaibungen ungewöhnlich tief. Baumschlager[*]Eberle haben sie jeweils an einer Seite abgeschrägt und damit eine Reflexionsfläche für den natürlichen Lichteinfall geschaffen.

Die Fenstergeometrie ist eine Bemerkung wert. Es sind durchwegs hochrechteckige Fenster, straßenseitig immer zwei und zwei zusammengefasst und geschoßweise versetzt. Zwischen den Fenstern leuchten intensiv grüne Putzflächen in der ansonsten blassgelben Gebäudehaut auf. Wichtigstes Charakteristikum für den Außenauftritt des Gebäudes stellen aber die großen, vorpatinierten Schiebeelemente aus Kupferblech dar, mit denen sich die Fenster nach außen abschirmen lassen. Dadurch kommt es zu einem reizvollen Fassadenspiel.

Das Haus bietet 278 Bewohnern Platz, die hauptsächlich in Zwei-, Drei- und Vier-Zimmer-Einheiten untergebracht sind, es gibt aber auch Ein-Zimmer-Einheiten. Alle Zimmer haben rund 14 Quadratmeter, meistens einen rechteckigen Zuschnitt, manche einen quadratischen. Die Einrichtung stammt ebenfalls von Baumschlager[*]Eberle, sie ist einfach, aber höchst praktikabel. Außerdem gehört zu jeder Wohneinheit eine gut ausgestattete Kochnische, die zur Mittelgangerschließung im Haus ein fix verglastes, horizontal rechteckiges Fenster - zwischen Ober- und Unterschränken - hat. Das macht den ansonsten nicht natürlich belichteten Raum angenehmer und den Rundgang durchs Haus abwechslungsreich. Denn jeder geht anders mit dieser Öffnung um: Die einen lassen sie offen, die anderen hängen sie zu, es wurden aber auch „Vorhänge“ aus gestapelten Red-Bull- oder Bierdosen gesichtet.

Die Mittelgangerschließung ist an der Molkereistraßenseite immerhin 50 Meter lang. Es gibt zwei Lifte und sehr bescheidene (Flucht-)Stiegenhäuser, die keiner benutzt. Nun hat das Haus sechs Vollgeschoße plus Dachgeschoß. Das ist nicht wenig. Trotzdem braucht man auch auf der Null-Ebene, selbst wenn die Sonne nicht scheint, kein Kunstlicht. Die Architekten haben sogenannte Lichtkamine eingeschnitten, die das Tageslicht von ganz oben hinunterholen. Seitlich sind diese „ausgestanzten“ Leerräume durch Glasbrüstungen geschlossen, sodass sich vor jeder Eingangstür ein natürlich aufgehellter Vorplatz ergibt. Diese Lösung ist so einfach wie intelligent. Und sie strukturiert den langen Gang, sie verkürzt ihn quasi.

Das technische Konzept ist sehr komplex. Es gibt kontrollierte Be- und Entlüftung, Wärmerückgewinnung aus der verbrauchten Luft, individuell regelbare zusätzliche Heizung, über einen Fundamentabsorber Nutzung der Erdwärme. Wichtig dabei: Alle diese Einrichtungen sind dezentral in Haustechnik-Schächten untergebracht und versorgen jeweils die zwei benachbarten Wohneinheiten. Sie sind also auch leicht zugänglich, und im Fall eines technischen Problems sind nicht alle Wohneinheiten betroffen, sondern immer nur zwei.

Es heißt, dass das Gebäude international großes Interesse gefunden hat. Ein so konsequentes Passivhauskonzept findet man bei großen Objekten nach wie vor selten. In der Errichtung ist es um etwa 15 Prozent teurer als ein herkömmliches Haus. Dafür reduzieren sich die Betriebskosten erheblich. 380 Euro zahlt man für eine Einzimmereinheit. Dafür wird einem aber auch etwas geboten.

15. April 2006 Spectrum

Charme des Normalen

Ein Industriebau in Strebersdorf, unprätentiös, einfach in den Mitteln. Auch ein Werk des architektonischen Anstands: Beweis dafür, dass Bauten an der Peripherie nicht zwangsläufig schäbig sein müssen.

Wann wird Niederösterreich in stadtplanerischer und architektonischer Hinsicht etwas dazu lernen? Ein solcher Prozess ist nicht abzusehen. Und Argumente, die Sonderbauten ins Visier nehmen, greifen einfach nicht. Das gebaute Niveau in einer Region wird um nichts besser, wenn einzelne Sonderbauten einen gewissen Anspruch einlösen (was in Niederösterreich sowieso selten genug geschieht). Das strahlt auf die Alltagsarchitektur praktisch nicht ab. In Niederösterreich sieht man das an den hilflosen Gestaltungsversuchen in den Dörfern, an den neuen Wohngebieten, die rund um die alten Kerne entstehen, an den sogenannten Hauptplatzgestaltungen der Städte, und dramatisch sieht man es an den Gewerbezonen, an den Industrieansiedlungen, die sich an den Peripherien in uncharmantester Weise festsetzen.

Tatsächlich gibt es aber Peripherien, die durchaus etwas wie Charme - oder vielleicht zutreffender: Atmosphäre - haben. Das war auch das Thema für zahlreiche Theoretiker. Aber für die neuen, immer weiter wachsenden und für die jeweiligen Gemeinden offenbar ungemein lukrativen Gewerbe- oder Industrieparks gilt nichts davon. Sie sind einfach nur schäbig oder schlimmer noch: unappetitlich. Da lässt sich nichts mehr relativieren. Es steht einfach alles kreuz und quer, und die Rechtfertigung beschränkt sich eigentlich immer darauf, dass der ökonomische Druck so groß sei, dass er keinen architektonischen Spielraum im Kosten-Nutzen-Verhältnis erlaubt.

Der auch größenmäßig relativ bescheidene Industriebau von Hubert Hermann - Büro Hermann & Valentiny - in Strebersdorf, fast schon in Niederösterreich, gerade noch in Wien, ist in diesem Zusammenhang durchaus interessant. Eben weil er ein so normaler Industriebau ist. Errichtet auf einem dreieckigen Grundstück, das eher preisgünstig war, weil einfach kein Mensch wusste, was man mit einem solchen Bauplatzzuschnitt anfangen kann. Und dann, weil die - ökonomischen - Vorgaben auch so normal waren. Keine Sonderkonditionen, kein spezifischer Ehrgeiz des Bauherrn, über die Architektur Image zu lukrieren. Alles ganz im üblichen Rahmen. Aber halt nicht von irgendeinem No-Name-Architekten, sondern von einem, der sich bei seiner Arbeit etwas denkt.

Hubert Hermann hat ein mehr als anständiges Resultat erzielt. Er hat das etwa 70 Meter lange Gebäude nicht nur städtebaulich richtig auf dem unbequem zugeschnittenen Grundstück platziert und damit wenigstens einen bescheidenen Beitrag zur Beruhigung des chaotischen Umfeldes geleistet, er hat auch einen zwar einfachen, aber durchaus interessanten Baukörper entwickelt. Es geht um ein Unternehmen mit Namen „Englisch Dekor“, das mit Stoffen handelt und diese auch zuschneidet. Gefordert waren ein Lagerbereich mit angeschlossener Zuschneidewerkstatt und ein gar nicht so kleiner Bürobereich mit verschiedenen Besprechungszonen. Insgesamt arbeiten hier etwa 15 Menschen.

Hermann konnte schon durch den Grundstückszuschnitt nur einen langgestreckten Baukörper errichten, der sich an der einen Seite noch dazu verjüngt. Aber das ist ja nicht schlecht. Vor allem, weil es an der Straßenseite zwei deutliche Akzente gibt. Die markanteste Zäsur setzt der Ladehof, der etwa mittig im Gebäude eingeschnitten ist und abends durch ein großes Schiebeelement geschlossen wird. Für eine gewisse Dynamik an der Straßenseite sorgt aber vor allem die Entscheidung des Architekten, den Bürobereich ins Obergeschoß zu verlegen und darunter einen Vorplatz zu schaffen, der sowohl gedeckte Parkplätze für die Geschäftsleitung als auch einen - ebenfalls gedeckten - Vorbereich für den Eingang schafft. Das geschieht mit Hilfe einer Gebäudeauskragung von etwa 20 Meter Länge bei einer Tiefe von ungefähr sieben Metern. Eine einzelne Stütze, die noch als Werbeträger für das Unternehmen genutzt werden soll, war nicht zu vermeiden. Nicht aus technischen, sondern aus Kostengründen. Es ist eben wirklich ein ganz normaler Industriebau.

Hermann hat auf unprätentiöse Weise ablesbar gemacht, worum es in den Gebäudeteilen links und rechts vom Ladehof geht. Schlichte Fensterbänder ziehen sich rund um das Bürogeschoß, mit großen Fixverglasungen und öffenbaren Fensterelementen in einem regelmäßigen Takt. Die Beschattungslamellen sind vielleicht etwas schmal, aber es werden auch noch Innenjalousien installiert, damit die Lichtverhältnisse für die Computerarbeitsplätze wirklich so regulierbar sind, wie es die Mitarbeiter individuell wollen.

Ein reizvolles Detail: Hermann konnte das Mobiliar für den Bürobereich selbst entwerfen. Er hat zu den einfachsten Materialien gegriffen - im Wesentlichen Holzfaserplatten -, sie wirken aber keineswegs billig. Das hat eher etwas von edlem Purismus. Und er hat Schränke entwickelt, deren Schiebetüren mit (gemusterten) Stoffen des Unternehmens bespannt sind. Das ist ausgesprochen gut gelungen. Es verleiht den Büroräumen Charakter.

Etwas eigenartig berührt war ich beim Betreten des Bürotraktes. Heutzutage ist alles dermaßen von Sicherheitsmaßnahmen dominiert, dass es einem schon unglaublich vorkommt, wenn man in ein Haus hineingehen kann und nicht gleich abgefangen wird. Hier geht man unten hinein - nüchterner, anthrazit beschichteter Betonboden, tomatenrote Wand, weißer Stiegenlauf -, aber kein Mensch ist da, der einen kontrolliert. Und das ist gar nicht schlecht. Im Oberstock wird man dann sowieso „empfangen“.

Auch der Lagerbereich ist gut gelungen. Es ist ein Hochregallager voller Stoffrollen, die Breite der Gänge zwischen den Regalen war durch den Gabelstapler vorgegeben. Wichtig ist: Es ist keine dunkle Angelegenheit; es gibt Oberlicht. Und im Bereich der Zuschneidewerkstatt sitzen dann auch wieder Fensterbänder in der Fassade. Von außen erscheinen diese Öffnungen natürlich irgendwie willkürlich - sie sind es aber nicht, und sie sorgen bei aller Ruhe für eine dezente Dynamik.

Wie gesagt, Hubert Hermann musste mit den einfachsten Mitteln auskommen. Das Haus wurde daher aus Betonfertigteilen errichtet, die mit Aluwellblech verkleidet sind. Das ist eine gute, nachhaltige Fassadenlösung, aber wirklich nichts Besonderes. Nur, wir bewegen uns eben nicht im Bereich des Besonderen, seine Arbeit ist vielmehr der Beweis, dass es auch auf dem unteren finanziellen Level architektonischen Anstand, architektonische Qualität gibt.

Das Gebäude umfasst zirka 1.800 Quadratmeter Nutzfläche. Der Architekt hat mir sein Baubudget genannt, ich konnte den Quadratmeterpreis ganz einfach ausrechnen. Dann kam ein Anruf. Er möchte nicht, dass der tatsächliche Quadratmeterpreis veröffentlicht wird - er fürchtet sich, dass dann lauter Bauherren kommen, die ebenfalls um diesen extrem niedrigen Preis von einem Architekten bedient werden wollen. Das ist fast schon wieder lustig.

Ich möchte aber doch die Klammer zu meiner Einleitung schließen: Da war von den Zuständen in Niederösterreich die Rede. Es gibt sicher das Gegenbeispiel Vorarlberg. Dort errichtet man Gewerbeparks, die nicht nur städtebaulich überlegt sind - Beispiel: Millenniumspark Lustenau -, sondern auch bemerkenswerte Einzelobjekte aufweisen. Als Außenstehender hat man fast das Gefühl, die einzelnen Unternehmen ebenso wie die Architekten würden sich am liebsten übertreffen. Das ist immerhin ein Weg für eine Gesellschaft, die auch ihrer Wirtschaft einen kulturellen Stellenwert beimisst.

25. Februar 2006 Spectrum

Der coole Campus

Zeitgemäß, nicht zeitgeistig, für die Dauer, nicht für die Stunde: Andreas Treuschs Fachhochschule in Wels. Elegant, urban und bis ins Detail überzeugend.

Bei der Präsentation des neuen Gebäudekomplexes von Andreas Treusch in Wels tut man sich als Schreiber schwer: Es handelt sich dabei um eine Art Fachhochschule mit Studiengängen technisch/wirtschaftlicher Orientierung. Kurioserweise darf man sie aber „niemals“ (Zitat aus einer schriftlichen Mitteilung an den Architekten) Fachhochschule nennen, nur „FH OÖ Campus Wels“. „FH“ - wofür das wohl steht? Fachhochschule kann es - siehe oben - nicht sein. Ein Fall für versierte Rätselrater.

Tatsache ist, Andreas Treusch hat seinerzeit einen EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb unter 46 Teilnehmern eindeutig für sich entschieden. Es ging dabei um „eine Art Fachhochschule“ - einigen wir uns auf diesen Terminus -, die auf dem letzten Ausstattungsstand sein sollte, um ein entsprechendes Ausbildungsniveau - immerhin 1.200 Studienplätze - anbieten zu können.

Treusch fand ein L-förmiges Grundstück vor, dessen kurzer Schenkel an der Straße liegt, während sich der lange 100 Meter in die Tiefe erstreckt. Der Standort ist nahe am Zentrum von Wels, eine Handelsakademie, das Berufsförderungsinstitut bilden die unmittelbare Nachbarschaft, dazu Stadtvillen und ein Wohngebiet. Städtebaulich war auf dieses Umfeld Rücksicht zu nehmen, vor allem hinsichtlich der Gebäudehöhe. Es hagelte trotzdem Einsprüche von den Anrainern.

Dabei stellt die Treusch-Architektur eine regelrechte Aufwertung für das Umfeld dar. Aber das sieht man natürlich erst jetzt. Sie präsentiert sich als ausgesprochen elegantes, urbanes Statement in diesem heterogenen Umfeld. Sie fuchtelt nicht formalistisch herum, aber sie hebt sich souverän von der banalen Nachbarschaft ab: mit einer ruhigen, zweischaligen Glasfassade und der deutlich, durch einen Gebäudeeinschnitt auch als Vorplatz artikulierten Eingangszone, die quasi vom „untergeschobenen“ Baukörper eines repräsentativen Mehrzwecksaales flankiert wird.

Treusch hatte - bezogen auf die Grundstücksgröße - mit einem sehr umfangreichen Raumprogramm zu kämpfen. Um das überhaupt unterzubringen, musste er auch ins Untergeschoß gehen - nicht nur mit der Tiefgarage und irgendwelchen Haustechnikeinrichtungen, sondern auch mit tagesbelichteten, voll nutzbaren Seminarräumen und einem Labor. Im Übrigen konnte er an der (kurzen) Straßenseite vier Obergeschoße errichten, beim (langen) Hoftrakt aber nur drei.

Auf Anhieb besticht das Gebäude durch sein überaus klares Konzept. Man tritt ein und sieht linkerhand in die Mensa. Aber die große räumliche Attraktion erstreckt sich in die Grundstückstiefe: Es ist die Erschließungshalle des langen Hoftraktes mit ihrer Kaskadentreppe, glasüberdacht, also von oben belichtet, ein Luftraum an die 19 Meter hoch. Diese Höhe des Raumes ermöglichte es übrigens auch, dass ein Foucaultsches Pendel aufgehängt werden konnte (das gibt es in Österreich sonst nur noch im Technischen Museum in Wien).

Die große Halle vermittelt ein ziemlich spannendes Raumerlebnis. Sie ist auf den ersten Blick - um auf die Sprache der Kids zurückzugreifen - unheimlich „cool“. Es gibt vor allem helle, aber gebrochene Farben, vom Natursteinboden bis zu den transluzenten Glasbrüstungen der Treppen und umlaufenden Erschließungsgänge, und es gibt die Sichtbetonkerne - nicht ganz ideal realisiert, weil der Architekt den Ehrgeiz hatte, eine ankerlose Schalung zu versuchen -, die vor allem Haustechnik und Nebenräume beinhalten, aber natürlich auch der Gebäudeaussteifung dienen.

Funktionell ist das Haus überraschend übersichtlich: Zu ebener Erde sind Mensa, Mehrzwecksaal, Auditorien und Hörsäle angeordnet; darüber Hörsäle, Chemietrakt und Seminarräume; wieder darüber Labors und Verwaltung, schließlich die Bibliothek, Labors, Büros und an der Straße im vierten Obergeschoß ebenfalls Büros für das wissenschaftliche Personal. Eine Sondereinheit stellt wohl das zweigeschoßige CIM-Labor (Computer Integrated Manufacturing) dar, das über eine Rampe auch über einen Anlieferungsbereich im Untergeschoß verfügt.

Geradezu verblüffend ist die Dachlandschaft: Sie ist sozusagen begeh- und befahrbar. Hier gibt es Einrichtungen für technische Prüfungen. Von hier sieht man aber auch, dass die Glasüberdachung der Erschließungshalle als Sheddach ausgebildet wurde. Von drinnen spürt man das überhaupt nicht. Da hat man wirklich den Eindruck einer flächigen Verglasung, der allerdings außen eine Schicht flexibler Beschattungslamellen vorgelagert ist. Jetzt, bei Schnee, stehen die Lamellen senkrecht. In der warmen Jahreszeit reagieren sie hingegen auf die Sonneneinstrahlung.

Was die technischen Finessen betrifft, leistet dieses Haus überhaupt einiges. Es verfügt über Erdkollektoren und Quelllüftung - das Gebäude ist als Niedrigenergiehaus eingestuft -, und die äußere Fassadenschicht aus überlappenden Glasscheiben sorgt für einen angenehmen Luftstrom und gleichzeitig für Schallschutz.

Treusch demonstriert im gesamten Gebäude eine Architekturhaltung, die sich als zeitgemäß, aber nicht zeitgeistig beschreiben lässt. Seinem Haus ist kein Entstehungsdatum eingeschrieben. Es ist auf Dauer, auf langfristige Haltbarkeit in jeder Hinsicht angelegt. Er hatte offensichtlich in seinem Bauherrn einen kongenialen Partner, der auf seine architektonische Zielrichtung voll eingestiegen ist. Deswegen ist das Haus auch bis ins Detail so überzeugend gelungen: Sogar die Möblierung ist viel besser als an vergleichbaren Ausbildungsstätten. Die Zusammenarbeit geht daher auch weiter: Schräg gegenüber steht ein Gebäude, das demnächst generalsaniert und durch eine Brücke mit der „FH OÖ Campus Wels“ verbunden werden soll. Eine bessere Bestätigung kann sich ein Architekt eigentlich nicht wünschen.

21. Januar 2006 Spectrum

Skylink zieht den Bauch ein

800 Meter Fassade, extreme Anforderungen und ein beeindruckender Entwurf: der erweiterte Flughafen Wien-Schwechat. Aus Anlass der Grundsteinlegung.

In aller Stille ist es ja schon im Herbst losgegangen. So richtig offiziell wird es am kommenden Montag: Da findet die Grundsteinlegung zum „Skylink“ statt. Zum architektonischen Herzstück des neuen, erweiterten Wiener Flughafens, von dem es erstaunlicherweise heißt, dass er derzeit die größte Baustelle in Europa sei. Das hat bisher nur wirklich niemand so richtig realisiert.

Denn es ging in Schwechat alles so nebenbei vor sich, aus der Perspektive des gelegentlich Flugreisenden fast schon beliebig. Hier ein kleineres Bürohaus (Baumschlager Eberle P.Arc), dort ein großes (Office Park, Holzbauer & Partner), hier ein neues Parkhaus (Dieter Haide), dort ein aufgestocktes (Baumschlager Eberle P.Arc). Zugegeben, unübersehbar: das architektonisch tatsächlich bemerkenswerte Zeichen des neuen Towers (Zechner & Zechner) und in bescheidenerer Dimension auch der temporäre „Zeltbau“ Terminal 1A (Baumschlager Eberle P.Arc). Ein neues VIP- und General Aviation Center (Holzbauer & Partner). Ein paar Zweckbauten im Abseits des eigentlichen Zentrums - so genannte Handling-Gebäude für Gerätschaften, die am Boden gebraucht werden, wie Stiegen, Catering-Fahrzeuge et cetera (Baumschlager Eberle P.Arc, Andy Treusch) und ein „Kältezentrum“ (Baumschlager Eberle P.Arc). Auch ein neuer Busterminal (Baumschlager Eberle P.Arc).

So große Baustellen sind naturgemäß eine langwierige Angelegenheit. Und für die Nutzer, für den alltäglichen Gebrauch stellen sie zweifellos eine Härteprobe dar. Es ist aber einfacher und sinnfälliger, als man glaubt: Gebaut wurde, was abgerissen werden musste, um den Raum für die Flughafenerweiterung freizumachen. Der alte Tower ist gefallen, daher gibt es den neuen. Das alte VIP-Center ist gefallen, das neue wurde den heutigen Anforderungen angepasst. Zweckbauten oder etwa ein Verwaltungstrakt sind gefallen, daher die neuen Handling- beziehungsweise Infrastrukturgebäude und - die neue Bleibe für die Betriebsgesellschaft des Wiener Flughafens. Was so heterogen wirkt, dem wohnt also doch eine sinnfällige Logik inne. Und die ordnet sich der Hauptsache unter: der Terminal-Erweiterung. Nach fünf Jahren Arbeit war dieser gewaltige Bau von der Gebäudekonfiguration her ein eindrucksvoller Entwurf. Über 800 Meter Fassadenabwicklung! Im Lauf dieser - für den Flugverkehr turbulenten und sicher auch krisenhaften - Jahre hat sich noch nicht einmal viel oder gar Prinzipielles geändert. Es wurden Flächen verknappt, der Komplex „hat den Bauch eingezogen“ (Zitat Architekten). Die „Empfangs- und Verteilungssichel“ ist von einem Viertel- zum Achtelkreis geschrumpft, der Pier wurde von der Rollgasse 80 zur Rollgasse 70 verschoben. Rollgassen sind die „Straßen“, über die die Flugzeuge kommen und dann irgendwo andocken.

Der interessanteste Aspekt an dem Erneuerungsprozesses ist aber sicher die architektonische Umsetzung der weiß Gott nicht einfachen Anforderungen an den heutigen Flugverkehr. Hinzu kommt, speziell in Wien, auch die formale Frage. Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind in den Fünfzigerjahren mit meinem Vater Flughafen schauen gegangen bin. Das war ein Erlebnis. Nach den Eingriffen von Fehringer & Co hat Wien-Schwechat allerdings die Ästhetik von Ostblock-Flughäfen bekommen (ohne diese Länder verunglimpfen zu wollen). Das war ein Schock.

Nun weiß man, dass das jetzige Team - Itten + Brechbühl und Baumschlager & Eberle - in jeder Hinsicht qualifizierter ist. Ein aufmerksames Auge sollte man aber doch auf das Werden dieses für Wien, für ganz Österreich so ungemein wichtigen Bauwerks werfen.

Tatsächlich gilt es, unendlich komplexe Funktionen planerisch in den Griff zu bekommen. Der „Skylink“ empfängt nicht nur die Passagiere, er fertigt sie ab, er verteilt sie. Hier gibt es die erste wesentliche Änderung im Vergleich zu anderen Flughäfen. Die Sicherheitskontrollen, die so unerhört an Bedeutung gewonnen haben, werden im neuen Terminal nicht mehr an den Gates, sondern zentral abgewickelt. Möglicherweise eine Erleichterung, die ihre Fortsetzung in der dreigeschoßigen Ausbildung der Piers finden soll. Das ist weltweit ein Novum, bietet aber deutliche Vorteile: So können Schengen- und Nicht-Schengen-Passagiere entflochten werden, die Passagierströme nach Sicherheits-, Pass-, Visum- und Gepäckkontrollen besser entflochten und sozusagen auf Parallelebenen geleitet werden. Ein bisschen makaber ist es schon: Menschenströme werden eingeteilt, klassifiziert, entflochten und dann dem Weiterflug zugeführt. Klingt irgendwie nach Kaninchenstall. Andererseits hat sich die AUA vorgenommen, den Passagieren eine Umsteigefrist von 25 Minuten zu garantieren. Das ist sehr wenig.

Die Gretchenfrage: Wie wird das neue Flughafengebäude aussehen? Die Fliesen pervertierten Jugendstildekorationen, die wollen wir sicher nicht. Und von den Architekten ist derartiges auch nicht zu erwarten. Aber was schlagen sie vor? Eine Fassadenlösung, zweischalig, eigentlich wie beim Bürohaus neben dem Tower, nur ungleich aufwendiger und komplexer.

Es ist also eine Glasfassade. Aber es wird keine der Allerwelts-Glasfassaden sein, die heute jeder Kommerzarchitekt macht. Die Fassade ist zweischalig, mit einer Tiefe von 1,50 Metern, und hat außen schuppenartig vorgestellte Gläser - mit dunkler Sonnenbrille und sehr komplexen Beschichtungen -, sodass das Gebäude fast schwarz wirken wird.

Ein Problem, das man von anderen Bauvorhaben überhaupt nicht kennt, betrifft die Radar-Situation. Man muss architektonisch darauf reagieren, man darf einem Gebäude nicht einfach nur glatte Oberflächen verpassen. Die Architekten haben daher ein eigenes Muster unterschiedlich positionierter Außenlamellen entwickelt, ein unregelmäßiges „chaotisches“ Muster, das aber doch einen gewissen Rapport aufweist: Es wiederholt sich alle 45 Meter. Auf diese Länge erkennt jedoch kein Mensch, dass das Muster auf einem wiederholten Raster basiert.

Die Möblierung: Im Vielflieger-Check-in der AUA und im „Zelt“ für die Billigflieger kann man schon Prototypen des Möbelinventars in Augenschein nehmen. Es stammt von Gregor Eichinger. Und ein guter Wiener Barbenutzer, wurde mir von einem Schweizer Architekten versichert, weiß die Lümmel-Borde an den hölzernen Einchek-Schaltern zu schätzen.

In Wien wurden unendlich viele architektonische Chancen verpasst. Über viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Vor allem städtebaulich geht so viel schief. Auch das überzeugendste städtebauliche Konzept - für die Flughafen-Stadt kann man das wirklich gelten lassen - wird unheimlich abgewertet, wenn sich die gebaute Architektur breit macht und die Verantwortung eigentlich nur in die Verantwortung von Wettbewerben fällt.

Wie hat Hermann Czech vor vielen Jahren gesagt: Die Verbesserung besteht in der Einführung von Wettbewerben, nicht in ihren Ergebnissen.

24. Dezember 2005 Spectrum

Ando war blass vor Neid

Spürbar, greifbar, überschaubar: von kleineren Bauten, größeren Eindrücken und dem, was man Atmosphäre nennt. Das Haus Hitz am Bodensee und das Gasthaus „Manna“ in Innsbruck.

In der Architektur vermitteln die kleineren Bauten nicht selten die größeren Eindrücke. Da lässt sich einfach alles so richtig unmittelbar erfahren. Konzepte sind überschaubar und fast automatisch zu lesen, die Materialsprache erspürt man geradezu hautnah, Details kann man beinahe greifen - und irgendwie verdichtet sich doch alles zu jener höchst unscharfen Kategorie, die man Atmosphäre nennt.

Rainer Köberl hat auch große MPreis- Märkte gebaut, die viel Beachtung gefunden haben. Hier ist von zwei kleineren Bauten aus der jüngsten Zeit die Rede - einem Einfamilienhaus am Bodensee, das er gemeinsam mit Paul Pointecker geplant hat, und dem Lokal „Manna“ in der prominenten Innsbrucker Maria-Theresien-Straße.

Es war schon komisch, dass ich nicht einmal gemerkt habe, dass am Haus Hitz - Hanglage mit wunderbarem Seeblick - an der Rückseite die Autobahn vorbeiführt. Ich habe es erst durch das Fenster des Elternbadezimmers gesehen, das unten mattiert und oben klar ist. Gar nicht reizlos.

Das Haus steht auf der Schweizer Seite des Bodensees. Der See liegt allerdings im Norden, die Autobahn im Süden. Was sich so gar nicht gut anhört, ist in Wirklichkeit kein Problem. Denn Köberl und Pointecker haben ein Atriumhaus geplant, das effektiv wegblendet, was unangenehm ist, und echte Qualitäten schafft. Es ist ein Haus mit einem „kalten“ Herzen. Und das ist nicht negativ gemeint: Alles dreht sich auf der Wohnebene um dieses Atrium, dieses große Zimmer ohne Dach.

Das Haus sprengt natürlich das heterogene Bild solcher Ortschaften total. Es steht da wie ein Monolith, schwarz und gläsern - Letzteres in einem doppelten Sinn, denn auch die schwarze Fassade ist aus Glas, aus Formglas, jenem - ich wurde belehrt: schwefelhaltigen Schaum, den man üblicherweise zur Dämmung von Dächern verwendet. Die Fassade ist also Haut im engen Wortsinn, einfach so darübergezogen über den Hausorganismus.

Und der ist nicht gerade klein. Zugeschnitten für Eltern, vier Kinder und die Mutter der Bauherrin, außerdem für ein Büro mit fünf Arbeitsplätzen. Der Bauherr betreibt Schuh- und Modegeschäfte, aber auch eine Firma, die sich mit Gebäudereinigung beschäftigt. Letzteres sollte eine ganz spezifische Bedeutung erhalten: Denn genau vor einem Jahr wollte die Familie einziehen. Diese Hoffnung hat aber ein Schwelbrand gründlich zunichte gemacht. Es mussten danach nicht nur alle „weichen“ Teile des Hauses erneuert werden, auch die Sichtbetonflächen im Haus waren schwarz. Und da dieses Haus überhaupt keine geputzten Wände hat, kann man sich das Ausmaß der Bescherung vorstellen. Der Bauherr hat jedenfalls all seinen Ehrgeiz als Gebäudereiniger in dieses Problem gesteckt. Herausgekommen ist dabei der schönste Sichtbeton, den ich jemals gesehen habe. Eine Oberfläche wie Sandstein, einfach makellos. Ando würde vor Neid erblassen.

Das Haus ist folgendermaßen organisiert: Unten liegen der Bürobereich, der Wirtschaftsraum und das Apartment für die Mutter der Bauherrin. Eine sehr schöne, luftige, leichte Treppe führt dann ins Wohngeschoß hinauf. Und da ist man zum ersten Mal mit dem rundum verglasten Atrium konfrontiert, Küche, Ess- und Wohnbereich bilden ein barrierefreies Raumkontinuum, und es schließt der „Kindertrakt“ an. Für die Küche hat Köberl eine ungewöhnliche Lösung gewählt. Die Erschließung der Kinderzimmer führt durch den Küchenbereich hindurch. Der besteht nur aus zwei Zeilen, die eine mit einer Nische für einen kleinen Esstisch und Blick nach draußen, die andere mit Blick zum Atrium. Und der Gang dazwischen ist auch der Weg zu den Kinderzimmern. Komischerweise scheint das überhaupt kein Problem zu sein.

Sehr schön sind die Materialien. Wenn man ins Haus hineinkommt, sind die Garderobenschränke mit einem schwarzen, textilen Material bespannt. Das Motiv der schwarzen Außenhaut setzt sich hier also - in einer Innenraumvariante - fort. Es gibt viel Holz - Eiche, gedämpfte Akazie, Zeder. Und rundherum überall dieser unglaubliche Sichtbeton.

Köberl hat im Wohngeschoß einige kleine Maßnahmen gesetzt, die viel für die Wohnqualität im Haus bringen. Zum Beispiel gibt es eine durchscheinende Kunststofffassade, die sich aufschieben lässt und in der warmen Jahreszeit ein Wohnen hinaus ins Freie ermöglicht. Und auf der höchsten Ebene ist dem Elternschlafzimmer eine Terrasse vorgelagert, die den Blick auf den Bodensee großartig in Szene setzt. Dabei ist die Brüstung ungewöhnlich „dick“, dafür aber nur 60 Zentimeter hoch.

Köberl hat in Innsbruck, wie eingangs erwähnt, auch ein Kaffeehaus/Restaurant realisiert. Dabei gibt es einen gleichsam direkten „Link“ zur Küchenlösung am Bodensee. Denn die Erschließung zu den Bürogeschoßen im Haus darüber führt durch das Lokal hindurch. Erstaunlich, dass das genehmigt wurde. Andererseits: Man hätte das Erdgeschoss - das Lokal erstreckt sich über zwei Ebenen - zumindest nicht für diesen Zweck nutzen können, wenn auch noch eine separate Erschließung notwendig gewesen wäre. Das denkmalgeschützte Haus aus dem 15. Jahrhundert ist nämlich nur 3,80 Meter breit, misst dafür in der vollen Parzellentiefe aber 30 Meter. Extreme Bedingungen, die ungewöhnliche Lösungen herausfordern.

Ungewöhnlich ist vor allem, dass das Konzept des Architekten einen Rundumgang durch die beiden Ebenen des Lokals ermöglicht. Man geht unten hinein, in die Tiefe und kann dort ins Obergeschoß hinauf-, zurück- und wieder hinuntergehen. Sicher wurde diese Lösung erst durch die räumlichen Zwänge suggeriert. Aber sie macht aus der Platznot in der Breite eine Tugend: Köberl schlägt den Gästen einen Einbahnverkehr vor, sie brauchen nicht umzudrehen und wieder an den selben besetzten Tischen vorüberzugehen, die sie gerade passiert haben.

Auch vom Material her gibt es Verwandtschaften mit dem Haus Hitz. Viel Holz - Eiche, gedämpfte Akazie, Zeder, aber auch Stein, osttiroler Serpentin - schafft eine gediegene Atmosphäre. Wäre es kein Klischee, ich würde sagen: englischer Klub. Köberl hat eine Art architektonisches Pausenzeichen geschaffen. Einen Ort, der beruhigt.

8. Oktober 2005 Spectrum

Münze, Muse, Männchen

Nichts wurde geschönt oder geglättet, nichts zu Tode restauriert. Das neue Münzmuseum im Tiroler Hall: ein Produkt des Feingefühls und der Disziplin, lieber weniger als zu viel zu gestalten.

Die touristische Hauptattraktion von Hall ist sicher die Altstadt mit ihren engen Gassen und einem Baubestand, der teilweise bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Daneben gibt es aber auch die durchaus sehenswerte Salinenarchitektur viel jüngeren Datums (19. Jahrhundert).

Und dann ist da noch die Burg Hasegg. Sie besteht im Grunde aus einem Konglomerat von Bauteilen, die über Jahrhunderte gewachsen sind, auch verändert wurden. Noch Anfang der Achtzigerjahre kam eine gar nicht so kleine Halle hinzu, die als Werkstatt für die „Münze Österreich“ diente. Denn hier wurden, tatsächlich über Jahrhunderte hinweg, Münzen geprägt. Und heute noch gibt es hier Maschinen - darunter auch eine originalgetreu nachgebaute Sehenswürdigkeit -, die prägen können und das etwa im Auftrag von Firmen zu bestimmten Anlässen auch tun.

Dass die Haller hier ein Münzmuseum eingerichtet haben - neben dem Stadtmuseum in einem anderen Teil der Burg -, hat also seine historische Begründung. Nur war dieses Museum bei weitem nicht auf dem Standard, den man heute von einer solchen Einrichtung erwartet. Architekt Benedikt Gratl und die Museumspädagogin Petra Paolazzi, dazu eine Reihe von Fachleuten, haben daher ein umfassendes Nutzungskonzept erstellt. Das neue Museum „Münze Hall“ ist das Ergebnis dieser Vorarbeit.

Es gibt einen architektonischen Höhepunkt beim Rundgang durch dieses Museum, das auch jeden Nicht-Numismatiker faszinieren wird: den alten, zweiläufigen „Münzerturm“ mit seinen 46 Metern Höhe, über dessen ursprüngliche Funktion sich die Historiker nicht ganz einig sind. Für einen Wehrturm ist er nämlich etwas aufwendig ausgeführt. Von der zweiläufigen Erschließung blieb die alte, sehr schmale, die bestenfalls Kindern Freude bereitet, erhalten. Die neue Haupterschließung - eine Wendeltreppe aus Stahl, der mit Grafitwachs eingelassen ist - hat Benedikt Gratl entworfen. Und sie ist wirklich ein skulpturales Highlight dieses ganzen Museums. Jedes Element dieser Treppe ist praktisch ein Prototyp, nicht nur aufgrund der Krümmung, sondern weil auch die Wände so unregelmäßig sind. An der Basis sind sie 2,84 Meter stark, nach oben werden sie dünner, und der Raum wird größer.

Der größte Mehrwert, den Gratl mit seiner Behandlung des Turmes erzielt hat, besteht wahrscheinlich darin, dass er ihn zwar in den Ausstellungsrundgang integriert, ihn aber nicht musealisiert. Der Turm stellt sich selbst aus. Gratl hat darauf verzichtet, hier irgendwelche Vitrinen zu platzieren oder die Wände voll zu hängen. Er hat sich darauf beschränkt, die Materialwirkung des alten Mauerwerks herauszuarbeiten und die alte Wendeltreppe so zu erhalten, dass sie auch visuell präsent bleibt. Und ganz oben ist dann nicht nur der Punkt, wo man den grandiosesten Ausblick hat, sondern auch eine Informationsplattform, in die man sich einklicken kann.

Natürlich war die Problematik rund um das neue Museum „Münze Hall“ viel komplexer. Vor allem war es notwendig, städtebauliche Maßnahmen zu setzen, die die Burg wieder mit dem Umfeld verbinden und eine eindeutige, erkennbare Eingangssituation schaffen. Seinerzeit, in den Siebzigerjahren, wurde hier ein Autobahnzubringer gebaut, der das gesamte Areal zerschneidet. Und es gibt - aufgrund der aktuellen Verkehrswegesituation - keinen eindeutigen Haupteingang mehr. Das große „Burgtor“ liegt viel zu abseits, heute kommen die Leute von Westen (Autobahnzubringer), vom Parkplatz.

Gratl hat daher den Zugang zur Burg schon von weitem „inszeniert“. Jetzt ist der Autobahnzubringer untertunnelt. Eine reizvolle Installation: eine 20 Meter lange Lichtscheibe, in die ein springendes Männchen über die volle Länge Bewegung bringt (Lichtplanung: Manfred Draxl, Grafik: Lilly Moser).

Ganz neu ist der Eingang: Er wurde in den Bestand eingeschnitten und mit weißem Glas verkleidet, ein großes Schaufenster bietet erste Informationen. Man sieht gleich den zentralen Ticketschalter und kommt in ein neues Foyer, das mit einfachsten Mitteln sehr transparent hergestellt wurde. Gratl hat den kleinen Burghof teilweise glasüberdacht, sodass der Blick auf die Architektur und die Atmosphäre der Hofsituation erhalten bleiben. Trotzdem ist es ein eindeutiger Innenraum (geheizt) und der Verteiler zu den verschiedenen funktionalen Räumen, den Garderoben etwa, die in der ehemaligen Esse untergebracht sind. Es war eine der Hauptaufgaben des Architekten, den Bestand zu entrümpeln und zu sanieren, einen modernen Museumsbetrieb zu ermöglichen und zugleich der alten Substanz noch zusätzliche, verwendbare Räume abzuringen.

Einen Fehler, der sich in Wien bei der Sanierung der Museen immer wieder bemerkbar machte, hat Gratl vermieden. Natürlich ist man auch hier auf historische Fragmente gestoßen, Fresken aus der Renaissance zum Beispiel, die gesichert, gesäubert und hergezeigt wurden. Aber als Fragmente. Es wurde nichts ergänzt, geglättet und geschönt, nichts zu Tode restauriert.

Der alte Werkstättentrakt der Münze Österreich aus den Achtzigerjahren - Gratl hätte ihn wohl am liebsten abgerissen - wurde erhalten und ist heute Ausstellungsraum. Sogar die großen Tore zum kleinen Burghof, die früher als Einfahrtsmöglichkeit gebraucht wurden, sind noch da. Allerdings sitzen sie jetzt als große schwarze Kastenelemente (Eiche) in der Mauer, umgeben von einem Glasband, das sie erst richtig zur Wirkung bringt. Und man kann sie nötigenfalls - etwa bei Veranstaltungen - öffnen.

Gestalterisch ist in diesem Museum durchwegs alles vom Feinsten. Jede neue Treppenstufe, jede Sitzgelegenheit. Die Vitrinen sind perfekt designte Objekte, meist aus schwarz lackierten Holzfaser-Platten, höchst elegant und zugleich „brauchbar“. Denn sie funktionieren oft auf zwei verschiedenen Ebenen: Für den Rundgang des Laien bieten sie auf den ersten Blick die notwendige Grundinformation, aber dann kann man durch Klappen, Drehen, Herausziehen tiefer in die Materie eindringen. Das hat schon Elsa Prochazka bei ihren Museumseinrichtungen vorgeführt, hier ist es vielleicht noch kompakter, konzentrierter.

Glücklicherweise wurde bei der Einrichtung dieses Museums auf eine „Übermedialisierung“ verzichtet. Es kommt alles vor, was die heutige Technik bietet, trotzdem flimmert es nicht an jeder Wand. Und nicht einmal das Bildmaterial wurde auf Hochglanz reproduziert, sondern auf einen textilen Untergrund gedruckt. Atmosphärisch verbinden sich die neuen Maßnahmen mit der historischen Substanz perfekt. So etwas gelingt nur mit viel Feingefühl - und mit der Disziplin, lieber weniger als zu viel zu gestalten. Besseres kann man einem solchen Museum kaum nachsagen.

23. Juli 2005 Spectrum

Reizvoll irritiert

Wie man ein Schlossdach ausbaut, elegant und großzügig, ohne dass der Eingriff von außen allzu sichtbar wird. Schloss Esterházy, Eisenstadt: Understatement mit Kunstgriffen.

Es sind verschiedene Themen, die beim Ausbau eines der Nebengebäude des Schlosses Esterházy in Eisenstadt eine Rolle gespielt haben. Wenn man es aus der reinen Architekturperspektive sieht, dann geht es um alt und neu, und darum, wie man einen Dachausbau bewerkstelligt, der unter äußerst strengen Denkmalschutz-Auflagen stattzufinden hat. In Wirklichkeit kam aber noch allerhand dazu: unter anderem sehr viele und dicke Mauern und Gewölbedecken, deren unübersehbare „Schräglage“ den Tischler vor Probleme stellte - und jetzt für durchaus reizvolle Irritationsmomente sorgt.

Wer Eisenstadt kennt, kennt auch die städtebauliche Situation vor dem Schloss. Dem ist ein großer Platz vorgelagert, der links und rechts - streng symmetrisch - von zwei Nebengebäude-Komplexen flankiert wird. Beide sind durch eine ziemlich massive Arkadierung mit toskanischen Säulen charakterisiert. Vom Schloss aus gesehen, wirken die Gebäude relativ niedrig, aber das sind in Wahrheit nur die stirnseitigen Fassaden. Das Gelände fällt hier rund vier Meter (!) ab. Das merkt man zwar kaum, aber im umgebauten östlichen Gebäudeflügel hat man dadurch eine Erdgeschoßebene und drei Obergeschoße.

Das Wiener Büro Pichler & Traupmann Architekten ist mit diesen Voraussetzungen feinfühlig, vor allem aber intelligent umgegangen. Ohne aufgeregte Inszenierungen - die findet man in der Arbeit dieser Architekten nie -, dafür mit dem Understatement einer konsequenten, an den Bedürfnissen orientierten und formal einfachen, aber bestechenden Lösung.

Der Trakt, um den es geht, wurde ursprünglich als Quartier für die Hauptwache der fürstlichen Grenadiere genutzt (daher auch die vielen „Kämmerchen“, in die die einzelnen Geschoße unterteilt waren). Und er stand in direkter Verbindung mit den Stallungen. Der Komplex wurde 1790 gebaut, und das Denkmalamt hat - zu Recht - verlangt, dass die Umbaumaßnahmen nach außen nicht sichtbar werden, dass sie die Ensemblewirkung nicht beeinträchtigen.

Tatsächlich muss man die Punkte, von denen man die neue Dachlandschaft aus sieht, suchen. Zum Beispiel im obersten Geschoß des Schlosses oder auch an der rückwärtigen Schmalseite findet sich der eine oder andere Punkt, wo man einen Blick auf den Dachausbau erhaschen kann.

Der Eingang zum neuen Bürohaus der „Esterházy Betriebe“ ist eigentlich ein Durchgang. Der führt in den Hof und zu zwei gläsern gelösten Eingängen ins Haus, von denen einer speziell den Konferenzraum erschließt, der dadurch auch extern genutzt werden kann. In diesem Konferenzraum sieht man, wie die Architekten mit Farben, Oberflächen und der Substanz umgegangen sind: Grautöne, vom Teppichboden über die Außenjalousien, den innen liegenden, ganz individuell steuerbaren Blendschutz, bis zu den Fensterläden aus emailliertem Glas; und rubinrot für die längs eingestellten Boxen in der Raummitte, die alles enthalten - Haustechnik, Teeküchen, WC-Gruppen et cetera -, was man so braucht. Die WCs sind einfach grandios: tiefes Rubinrot, mit einem schlossbezogenen Text bedruckte Glaswände, typografisch wunderbar gelöst.

Wir reden von einem Gebäudetrakt, der rund 60 Meter lang ist. Und nachdem er modern, das heißt offen, interpretiert wurde, spürt man diese Dimension auch. Im obersten, im ausgebauten Dachgeschoß steigert sich diese Länge durch die neue Dachlösung von Pichler & Traupmann zur spannenden, dynamischen Raumfigur. Da wurde einiges an architektonischen Kunstgriffen aufgewendet, da wurde mehrfach aufgeklappt und verdreht, um zu einer Raumlandschaft zu kommen, die als temporeiche, aber auch elegante Baumaßnahme wahrgenommen wird.

Pichler & Traupmann haben ihren Dachaufbau als Wanne gestaltet, die nicht zuletzt aus akustischen Gründen mit Spannteppich ausgelegt ist. Darüber haben sie dann rundum eine verglaste Zone errichtet, wodurch die Arbeitsplätze mit Tageslicht versorgt werden. Dabei wurde auf Grund der Denkmalamt-Auflagen straßenseitig ein Rücksprung des Ausbaus notwendig. Zur Straße hin ist dadurch den Büros in der obersten Etage das historische Mauerwerk bis auf halbe Raumhöhe vorgeblendet. Das klingt nicht gut - ist es aber. Was man normalerweise für heutige Computerarbeitsplätze an Lichtschutz aufwendig herstellt, das ergibt sich hier wie von selbst.

Pichler & Traupmann haben sich natürlich ganz am Anforderungsprofil des Bauherrn - vertreten durch Generaldirektor Stefan Ottrubay - orientiert. Aber wie sie diese Anforderungen interpretiert und umgesetzt haben, das ist das Besondere. Die Lösung mit den in der Mittelzone eingestellten, rubinrot lackierten Boxen aus Holzfaserplatten zum Beispiel, mit denen eigentlich alle - notwendigen - Nebennutzungen abgedeckt wurden und die als funktionelle Möbel ins historische Gewölbe eingestellt sind. Apropos Gewölbe: Es gibt keine abgehängte Beleuchtung. Die Gewölbedecken sind unangetastet. Es sind die eingestellten „Boxen“, die von unten und oben beleuchtet sind. Und die Arbeitsplätze selbst werden durch eine individuelle Beleuchtung versorgt, die sich von selbst ausschaltet, wenn sich nichts tut.

Technisch ist das Gebäude - obwohl nicht vollklimatisiert - auf einem sehr hohen Niveau ausgestattet. Da wird natürlich gekühlt, nachts gehen automatisch die Fenster auf, um für die nötige Belüftung zu sorgen. Und die Architekten haben es sich nicht nehmen lassen, sogar eine spezielle Lösung für das Regenwasser zu entwickeln: Es musste von der einen Regenrinne zu einer tiefer liegenden transportiert werden. Das sollte aber ohne sichtbare Fallrohre geschehen, denn eines ist Pichler & Traupmann ein Anliegen: eine homogene Haut, innen wie außen, mit möglichst wenig Details, denen man den Zwang ansieht, dem sie sich gegebenenfalls verdanken. Die Eleganz und Großzügigkeit ihrer Architektur basieren letztlich darauf, dass, was nicht wirklich wichtig ist, auch nicht so in Erscheinung tritt.

Zurück zum Regenwasser: Pichler & Traupmann sind die Erfinder der Regenwasser-Glasrutsche, beheizt selbstverständlich. Im Winter hätte man sonst mit ungeahnten Folgen zu rechnen. Sie tritt optisch fast nicht in Erscheinung, nur durch die Heizdrähte im Glas. Sie ist einfach Bestandteil des rundum laufenden Glasbandes. Aber sie funktioniert. Und sie zeigt, was es bedeutet, konsequent zu sein.

14. Mai 2005 Spectrum

Nichts im Lot, alles stimmt

Zum Wettbewerb nicht geladen _ und ihn gewonnen. Einen Saal um ein halbes Geschoß versenkt. Ganz zu schweigen von der Akustik. Das alles: rundum geglückt. Die Landesmusikschule in Kufstein.

Es zählt zu den ungewöhnlichen Vorkommnissen, wenn es von einem öffentlichen Bauauftrag heißt, er sei zügig und in durchwegs positiver Stimmung umgesetzt worden. Und alle Beteiligten - Bauherr, Nutzer, beteiligte Firmen und Fachleute, sogar die Architekten - seien mit dem Ergebnis zufrieden. Ein solches Resümee bekommt man so selten zu hören, dass man gleich einmal denkt: Stimmt da was nicht?

Bei der Landesmusikschule in Kufstein scheint aber alles zu stimmen. Riccione Architekten, das sind Mario Ramoni, Clemens Bortolotti und Tilwin Cede, eine Architektengruppe aus Innsbruck, die schon früher - vor allem durch einen Schulbau - aufgefallen ist, haben ihr Wettbewerbsprojekt praktisch 1 : 1 umsetzen können. Das Kuriose daran: Zum Wettbewerb (sechs Teilnehmer) waren sie gar nicht geladen. Sie haben sich nur beworben. Erst als eines der geladenen Büros - nämlich Henke/Schreieck, deren nahe gelegener Schulbau in Kufstein erweitert wird - von der Wettbewerbsteilnahme zurücktrat, rückten Riccione Architekten nach. Und sie legten ein Projekt vor, das in zweifacher Hinsicht alle anderen Vorschläge in den Schatten stellte.

Zunächst hinsichtlich der städtebaulichen Problematik. Denn einfach ist es nicht, im verbauten Stadtgebiet ein Eckhaus zu planen, das links und rechts an zwei Baulücken grenzt, die aber von der Widmung her geschlossen werden sollen. Das kann zwar noch zehn oder noch mehr Jahre dauern. Aber jetzt muss das Haus beides leisten: als Solitär Wirkung entfalten und langfristig Anbauten erlauben. Durch Auskragungen an den beiden Schmalseiten des Baukörpers - unter der einen liegt die Einfahrt in die Tiefgarage - ist das möglich. Diese Lösung macht den Baukörper auch noch in anderer Hinsicht interessant: Sie drückt die Binnenstruktur des Hauses aus - Schule im engen Sinn, mit Klassen und Verwaltung, findet in den drei Obergeschoßen statt, die als ganz schlichter Baukörper über Eck auf einer Art „Sockelgeschoß“ aufgesetzt sind.

Und darin liegt auch die zweite Qualität des Projektes: die Organisation des ziemlich komplexen Programms. Gefordert waren einerseits 27 Schulklassen und Räume für die Verwaltung, andererseits ein großer Saal, der zwar hauptsächlich schulischen Zwecken (Proben, Prüfungen) dient, aber auch für Konzerte und andere, externe Veranstaltungen mit Publikum geeignet sein sollte; gefordert waren andererseits Räume für zwei nicht schulische Institutionen - die öffentlich zugängliche Stadtbibliothek von Kufstein und das (nicht öffentliche, dafür einbruchsichere) Stadtarchiv.

Das Bestechende am räumlichen Konzept von Riccione Architekten liegt in der scheinbaren Einfachheit der Organisation des Erdgeschoßes. Dieses „räumliche Kontinuum“ hat die Jury schon im Wettbewerb hervorgehoben. Die Lösung ist wirklich komplex. Man kommt ins ebenerdige Foyer hinein, geht entweder in den halbgeschoßig in die Tiefe versetzten Saal hinunter oder in die halbgeschoßig nach oben versetzte Stadtbibliothek, das nicht öffentliche Archiv liegt darunter.

Die sensibelste Frage betraf die Absenkung des Saales um ein halbes Geschoß. Denn zur Straße hin ist er voll verglast, man sieht also hinunter. Und das muss man wollen. Die Nutzervertreter in der Jury wollten es, sie stehen noch heute dazu (was übrigens nicht selbstverständlich ist!). Die Offenheit, die Transparenz des Hauses macht überhaupt seine Besonderheit aus. Riccione Architekten haben einen formalen Ausdruck gewählt, der städtische Eleganz vermittelt. Und der demonstriert, dass es sich hier um ein besonderes, ein öffentliches Gebäude handelt, auf das die Stadt wohl auch stolz ist.

Das vermittelt der großzügige Umgang mit Glas. Aber auch die ziemlich edle, pulverbeschichtete Fassade aus Aluminiumpaneelen in einem sehr dunklen Braun, das in manchen Lichtsituationen fast schwarz wirkt. Alle Hauptfassaden Richtung Straße haben große vorspringende Rahmen, sind voll verglast und strukturiert durch die schmalen, hohen Lochbleche der „Ersatzbrüstungen“. Die „Feuermauern“ an den Schmalseiten, also dort, wo einmal angebaut werden könnte, sind schlicht und geschlossen, nur verkleidet mit Metallpaneelen. Die hofseitige Fassade, vor den Erschließungsgängen, ist ebenfalls verglast, mit einer Schicht Putzbalkonen davor und einer weiteren Schicht aus lotrechten Lamellen zur Beschattung. Daraus ergibt sich ebenfalls ein reizvoller Effekt: Wenn man weiter weg oder schräg vom Gebäude steht, wirkt es an dieser Seite sehr geschlossen. Steht man frontal davor, ergibt sich ein offenes Bild, die Lamellen scheinen fast zu verschwinden.

Ein besonderes Kapitel ist die Akustik. Denn Musikschulen sind üblicherweise in Altbauten untergebracht, also zwischen dicken Wänden. Riccione Architekten gingen kein Risiko ein, sie haben mit einem der besten Fachleute zusammengearbeitet, mit Karl-Bernd Quirin, der schon die vier neuen Säle im Wiener Musikverein (Wilhelm Holzbauer) akustisch zu verantworten hat.

Man muss zwischen Bau- und Raumakustik unterscheiden. Die Bauakustik wurde in Kufstein in einer Form umgesetzt, die nach außen ungemein freundlich in Erscheinung tritt. Das Haus hat an der Hauptfassade diese gewissen „Blumenfenster“, plastische Elemente, in großen, raumhohen Rahmen, die verglast und jeweils nur durch schmale Lochblech-Elemente strukturiert sind. In dieser Fassadenlösung wird sichtbar, dass die einzelnen Klasseneinheiten horizontal und vertikal getrennt sind. Sonst würde es Schallbrücken geben. Überhaupt wurden in Bezug auf die Schallproblematik weit reichende Maßnahmen gesetzt: keine planparallelen Flächen in den Innenräumen, kaum wahrnehmbar schräge Decken, in die Schallmatten einbetoniert sind, kein rechter Winkel.

Etwas Besonderes ist den Architekten im Erdgeschoss, an der Ecke des Saales gelungen. Sie haben sie gerundet entworfen, was bei der Materialisierung meistens zum wunden Punkt wird. Denn solche Gläser müssen maßgefertigt werden und sind, speziell wenn sie großformatig sein sollen, in der Regel unbezahlbar. In Kufstein hat man sich diesen Luxus glücklicherweise geleistet - und blieb trotzdem im Kostenrahmen.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass Riccione Architekten einen Generalplaner-Auftrag bekamen, also selbst entscheiden konnten, an wen die verschiedenen Subaufträge gehen. Das Aufsplitten der Verantwortung für die Umsetzung eines Entwurfs bedeutet in der Regel nur seine Verwässerung und Schwächung.

26. Februar 2005 Spectrum

Späne, Lärche, Zirbe

Beton, Stahl, Glas und vor allem Holz, viel Holz. Ein Paradebeispiel, wie man aus einem Industriebau ein Stück Eventarchitektur macht: Helmut Reitters Biomasse-Heizkraftwerk im Zillertal.

Das Tiroler Holzwerk Binder zählt zu den ganz großen Holzverarbeitenden Unternehmen nicht nur in Österreich, sondern in Europa. Es verarbeitet jährlich eine Million Festmeter Rundholz - im ganzen Land wurden vergangenes Jahr 1,3 Millionen Festmeter eingeschlagen -, das ist beinahe die gesamte „Holzernte“ von Tirol. Dementsprechend umfangreich fällt auch jener Abfall aus, der bei der Holzverarbeitung entsteht und den wir heute, in Zeiten eines geänderten Umweltbewusstseins, respektvoll „Biomasse“ nennen. Die Binder-Biomasse besteht aus Sägespänen, Holzschnitzeln und Rinde.

Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen für die Industrieanlage - ein Biomasse-Heizkraftwerk und eine Pelletserzeugung - skizziert, die Helmut Reitter auf einer Grundfläche von 70 mal 70 Metern und mit einer Höhe von immerhin 27 Metern errichtet hat. Die Anlage wurde am Beginn des Zillertales, auf dem riesigen Werksgelände von Binder, am Rand von Fügen gebaut. Und sie ist eingebettet in eine Art Urlandschaft aus Holz - Holz in Form von endlosen, gigantischen Stapeln von Stämmen, in unmittelbarer Nachbarschaft der Anlage, dann aber auch in weniger geordneter, mehr „organischer“ Form, zum Beispiel als 20 Meter hohe Rindenberge. Das alles ist ein recht großartiger Eindruck, optisch genauso wie geruchsmäßig.

Helmut Reitter war Sieger eines Wettbewerbs, den die Binder-Werke ausgeschrieben haben. Den haben sie vielleicht nicht ganz freiwillig durchgeführt, sondern unter dem Druck der Touristiker und der Öffentlichkeit, die um das „Erscheinungsbild der Region“ fürchteten. Böse Argumente sollen im Vorfeld des Baus gefallen sein - unter anderem wurde Binder unterstellt, er wolle dioxinverseuchtes Holz aus Russland in seinem Biomasse-Heizkraftwerk verbrennen.

In diesem Zusammenhang ist übrigens ein Einwurf angebracht: Die Binder-Werke haben immerhin jahrzehntelang mit Josef Lackner gearbeitet und verdanken ihm ein paar wirklich bemerkenswerte Bauten. Der Beitrag des Unternehmens zur Baukultur in der Region ist also nicht ganz uninteressant. Was hingegen die Touristiker für das Zillertal getan haben, ist mir nicht klar. Das Ortsbild von Fügen zum Beispiel wurde ungemein verschandelt.

Wenden wir uns erfreulicheren Dingen zu - und die Anlage von Helmut Reitter ist erfreulich. Er hat gleich beim Wettbewerb erkannt, dass es bei dieser Aufgabe inhaltlich um etwas geht, das man als Weiterstricken eines Produktionsprozesses bezeichnen könnte. Biomasse fällt in diesem Prozess reichlich an, und jetzt kann man sie an Ort und Stelle in großem Stil verwerten - für Fernwärme, die für ganz Fügen und wahrscheinlich noch für einen zweiten Ort reicht, die aber auch den eigenen Wärmebedarf des Unternehmens deckt (einschließlich der Kammern zum Trocknen des Holzes). Sägespäne fallen an und werden zu Pellets weiterverarbeitet, das sind jene gepressten Holzwürstchen, die man sich dann mittels Tankwagen liefern lassen kann. So kommt man zu einer Holzheizung, die den Komfort einer Ölheizung bietet.

Wenn man sich die architektonische Durchbildung der Anlage anschaut, versteht man gleich, dass Reitter die einzelnen Funktionsgruppen erkennbar macht. Er hat sie in eine sinnvolle Ordnung unterschiedlicher Körper zergliedert, die jeweils auch ganz unterschiedlich materialisiert sind. Die Anlage wird dadurch zu einem höchst komplexen Konglomerat von Notwendigkeiten, und obendrein - „oben“ stimmt in diesem Fall wörtlich - veredelt durch eine sowohl architektonisch als auch konstruktiv besondere Maßnahme: eine Art Brückenbauwerk aus Holz, das über 28 Meter gespannt ist und dann 18 Meter frei auskragt.

Der gesamte Komplex ist von vornherein so ausgelegt, dass Besucherrundgänge möglich sind. Diese Besucher kommen zunächst in ein Empfangsbauwerk mit Shop, Galerie und einem kleinen (technisch bestens ausgestatteten) Kinosaal. Man sieht hier schon - und das zieht sich bis zur Skybar durch -, worauf Wert gelegt wurde: die eigenen Produkte von Binder zu verwenden. Das können Plattenelemente aus Lärche sein - nur im reinen Industriebereich hat man sich mit Fichte begnügt - oder zum Beispiel Räuchereiche auf dem Boden; oben, im Seminarraum, ist es die so aus der Mode gekommene, dabei tirolspezifische Zirbe (Zirbenstube!).

Beim Wettbewerb hatten natürlich vor allem Architekten mitgemacht, die sich für den Holzbau interessieren. Helmut Reitter selbst hat vor Jahren beim Freizeitpark in Zell am Ziller eine wunderbare Holzkonstruktion realisiert. Trotzdem war es der richtige Vorschlag, nichts zu verkleiden und zu verstecken, sondern das Material entsprechend der jeweiligen Aufgabe zu wählen. Im Turbinenhaus zum Beispiel gibt es einen enormen Lärmpegel - einen Holzbau so zu dämmen, dass man ihn akustisch in den Griff bekommt, wäre nur mit ungeheurem Aufwand möglich. Reitter hat ganz pragmatisch reagiert: Die lauten Teile und die Silos sind in Beton, der Beton ist sehr dunkel, anthrazitfarben, aber nicht gefärbt, sondern gestrichen. Das Kesselhaus wiederum ist in rot lackiertem Stahl ausgeführt. Und der böse, böse Schornstein schießt aus einem gläsernen Gehäuse in die Höhe, er ist auch aus Stahl. Dieser geordnete Materialmix, wie er sich nach außen präsentiert, in Verbindung mit Holz und Glas, macht aus etwas so Statischem wie einem Bauwerk auf einer zweiten, eben nicht kitschigen Ebene spannendste Eventarchitektur.

Reitter hat den Komplex an einer Stelle sozusagen „durchschnitten“. Es ist ein gläserner Schnitt, mit Treppenanlagen. Und irgendwie darüber schwebt dann die Gebäudekrone - sichtbar von weitem, kristallin, besonders. Im Programm war bloß ein Seminarraum gefordert. Der Architekt hat diese Forderung genutzt, um ein Statement abzugeben, das zeigt, was einem kreativen Denker zum Thema Holzbau heutzutage einfallen kann.

Sein schwebender Baukörper - mit von Christian Vogt gestaltetem Dachgarten, einer stimmungsvollen Skybar und einem großen, teilbaren, zum Garten hin zu öffnenden Seminarraum - ist weithin sichtbar, auch beim bloßen Vorbeifahren. Er schwebt gleichsam frei in der Gegend herum. Dass es zwei Stützen gibt, vergisst man ganz. Möglich war das nur, weil Reitter zusammen mit seinem Statiker eine Technologie in den Holzbau eingebracht hat, die aus dem Betonbau stammt. Sie haben kein starres Fachwerk, sondern eine Konstruktion mit Spannkabeln gewählt, die man auch nachjustieren konnte. (Weil der Brückenbau aus Holz eine weiche Konstruktion ist.) Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht bemerkenswert - räumlich und konstruktiv.

Diese Anlage wird noch viel von sich reden machen. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass es auch bei einem Industriebau nicht allein auf die Maschinenbauer und ihre Ordnungssysteme ankommt, sondern dass der Architekt einen substanziellen Beitrag zu leisten vermag. Die Bauherren glauben immer, sie können sich diesen Kostenfaktor sparen; und die Techniker belächeln die gestalterische Komponente in der Arbeit des Architekten. Ach Gott, ist das falsch!

15. Januar 2005 Spectrum

Licht unter der Erde

Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit: eine Tiefgarage in der Grazer Altstadt, die ohne „Frauenparkplätze“ auskommt. Weil nichts an den sonst üblichen „Angstraum“ erinnert.

Tiefgaragen sind keine Orte architektonischer Profilierung. Sie sind vorgeschrieben, notwendig und - kommerziell. Sie müssen sich rechnen. Und weil niemand fürs Parken viel zahlen will, bleibt für die Architektur auch nichts übrig. Tiefgaragen sind triste Orte. Ein Balken vorn bei der Einfahrt, ein Balken hinten bei der Ausfahrt. Und dazwischen Bunkeratmosphäre.

Das Grazer Architektenehepaar Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz hat in der Grazer Altstadt eine Tiefgarage gebaut. Sie steht im Zusammenhang mit vielen architektonischen Maßnahmen, die die beiden für das größte Kaufhaus der Stadt, für Kastner & Oehler, realisiert haben. Man konnte es über lange Jahre beobachten, wie in der Grazer Altstadt, zunächst im Stammhaus von Helmer und Fellner, dann in den angrenzenden Stadtpalais und Bürgerhäusern, in die sich das Kaufhaus ausgedehnt hatte, zeitgenössische architektonische Interventionen stattgefunden haben.

Ein gläsernes Vordach entlang der Sackstraße hier, gläserne Brückenverbindungen zu den hinzugekommenen Häusern da. Feine, sensible Maßnahmen, Hofüberglasungen eingeschlossen, die eine überaus angenehme Atmosphäre schaffen und das schwierige Problem meistern, aus einem durchaus heterogenen Gebäudeensemble eine - wenn auch differenzierte - Nutzungseinheit zu machen. Das konnte nur mit fließenden Übergängen bewerkstelligt werden, die für die Besucher und Kunden reizvoll sind. Diese Erlebniskomponente gehört heute zum Einkaufen dazu. Hier wird sie durch die architektonische Lösung unterstützt, weil sich Gegenwart und Altbestand immer wieder interessant überlappen. All das riecht ein wenig nach Süden, und von den Grazern wurde es offensichtlich angenommen.

Von der Tiefgarage heißt es angeblich, sie sei die einzige „bewohnbare Tiefgarage Europas“. Das klingt hoch gegriffen, falsch ist es sicher nicht. Auch wenn Szyszkowitz und Kowalski betonen, dass es Vorbilder für ihr Konzept gegeben habe, und zwar in Frankreich. Das Konzept ist jedenfalls auf den ersten Blick so einfach wie einleuchtend: Es gibt das eigentliche Garagenbauwerk, für das eine bestehende Straßenunterführung als Einfahrt genutzt werden konnte. Man kommt dadurch sehr flach hinein und kann schon im ersten Untergeschoß parken. Die Parkgeschoße selbst sind als durchgehende Rampe mit einer ganz geringen Schräge ausgebildet und durchaus großzügig dimensioniert. Neben dieses Garagengebäude sind zwei Erschließungseinheiten gesellt, jede mit voll verglastem Lift und einem formal sehr schön gelöstem Treppenhaus, das sich geradezu skulptural in die Höhe windet - mit einem „vollen“ Geländer aus gebürstetem Edelstahl.

Einer der „Tricks“, die sich so wohltuend auswirken, besteht im verschwenderischen Einsatz von Glas. Glas in der Architektur - nicht schon wieder, wird mancher denken. Aber diese Glaswände in den Ausgangsbereichen machen die gesamte Garage zu einem überschaubaren Ort. Man ist zwar im Keller, aber dieser Keller ist transparent. Und damit werden von vornherein, allein durch die architektonische Lösung, viele der unangenehmen Begleiterscheinungen solcher Unorte ausgeschaltet.

Neben diesem Garagengebäude steht aber noch ein zweites. Es ist die Ausfahrt, die sich geradezu guggenheimmäßig in die Höhe schraubt. Man kann von jeder Parkebene in diese Spirale einfahren. Aber wenn man ganz unten steht, dann bietet sie ein besonders eindrucksvolles Bild. Kein Wunder, dass Kinder ihre Eltern immer überreden wollen, möglichst weit unten zu parken, weil sie das Spektakel der Ausfahrt genießen wollen.

Szyszkowitz und Kowalski haben im Garagenbereich ein Gestaltungskonzept durchgezogen, das für die Gesamtatmosphäre einen erstaunlichen Gewinn bringt. Weiße Decken, weiße Stützen, ansonsten eine Farbgebung, die sich aus Pfirsichtönen zusammensetzt. Die Stützen selbst sind formal speziell ausgebildet, nicht nur, um angenehm umfahrbar zu sein, sondern weil sie auch Träger der integrierten Beleuchtung sind - sie strahlt auf die Decke und auf den Boden und taucht den gesamten Raum in ein warmes, angenehmes Licht.

Es versteht sich von selbst, dass es in Graz keine „Frauenparkplätze“ gibt. Die braucht keiner. Weil nichts an den „Angstraum“ Tiefgarage erinnert. Sie liegt zwar unter der Erde, aber auch dort gibt es Licht, Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit.

Übrigens muss mit dem Bau dieser Tiefgarage eine extrem eindrucksvolle Baustelle verbunden gewesen sein. Es heißt, dass die Grazer in Scharen gekommen sind, um das Geschehen zu beobachten. Immerhin musste ein keineswegs kleiner Teil der Grazer Altstadt sozusagen „in der Luft“ gehalten werden. Dazu wurden 27 Meter hohe, provisorische Stützen neben die Häuser gestellt, die Häuser mit gewaltigen Trägern unterfangen - der Betrieb im Kaufhaus ging natürlich die ganze Bauzeit über weiter -, und erst dann konnte mit dem eigentlichen Aushub und der Errichtung einer Baugrube begonnen werden. Die unmittelbare Nähe zur Mur hat diesen Prozess nicht erleichtert: Man steckt mit zwölf Metern des Bauwerks im Grundwasserbereich. Die Sache war also auch technisch eine ungeheure Herausforderung. Mir ist kein Vergleichsbeispiel bekannt, wo ein Bauherr einen solchen Aufwand auf sich genommen hätte, um ein derartiges Projekt zu realisieren.

In Wien gibt es zwar zaghafte Versuche, bessere Parkhäuser zu bauen - ich kenne aber nur zwei Beispiele, das eine am Südbahnhof, das andere in Wien-Schwechat, auf dem Flughafen, beide von Architekt Haide. Die architektonischen Anstrengungen konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf die Außenfassade. Alles Übrige ist wie gehabt. Fuksas hat bei seinem Salzburger Einkaufszentrum einen Versuch zur Besserung unternommen. Aber der ist, auch bei freundlicher Betrachtung, vergleichsweise in den Kinderschuhen stecken geblieben, weil er nicht tiefer greifend konzeptionell, sondern oberflächlich-designerisch ist.

Mich deprimieren die Frauenparkplätze, ich habe noch nie einen benutzt. Den Umstand, dass es sie gibt - davon bin ich nach meinem Grazer Abstecher überzeugt - muss man den Errichtern und Planern anlasten, niemandem sonst. Das lässt sich vermeiden, wenn man nur etwas Intelligenz ins Konzept investiert.

27. November 2004 Spectrum

Tanz aus Glas

Selbst in der städtebaulich so fragwürdigen Wienerberg-City lassen sich Gebäude entdecken, die zur feinen zeitgenössischen Architektur zählen: zwei „City-Lofts“, der eine von Cuno Brullmann, der andere von Delugan-Meissl.

Langsam nimmt sie Gestalt an, die sogenannte „Wienerberg-City“ an der Ausfahrt Triester Straße, im Süden der Stadt, gleich bei den Twin Towers. Die Hochhäuser (Coop Himmelb(l)au, Delugan[*]Meissl, Albert Wimmer) stehen schon da, die niedrigeren Bauteile im Vorfeld, also Richtung Süden, sind teilweise fertig. Sie werden im großen Schwung durch die neue Herta-Firnberg-Straße erschlossen. Hier herrscht, bei aller Dichte, immerhin so viel Großzügigkeit, dass auch Grünräume möglich wurden. Trotzdem wird man des städtebaulichen Masterplans von Massimiliano Fuksas einfach nicht froh, rund um die Hochhäuser, also im nördlichen Teil dieses Stadterweiterungsgebietes, ist die Dichte eindeutig zu groß. Auch die beste Architektur kann hier keine Stadträume „retten“. Was sich atmosphärisch im Inneren der unteren Geschoße abspielt, möchte man am liebsten gar nicht sehen.

Nun lassen sich auch in einem problematischen Städtebau Gebäude entdecken, die für sich genommen interessant sind. Das gilt auf dem Wienerberg besonders für die Häuser von Cuno Brullmann und Delugan[*]Meissl. Es sind gewissermaßen Schwestergebäude, in der Dimension annähernd gleich und im ersten Obergeschoß, einem reinen Bürogeschoß, durch eine gläserne Brücke verbunden. Für beide Häuser galten gewisse Vorgaben: In der erdgeschoßigen Sockelzone sollten auch Sondernutzungen wie Geschäfte, eventuell Gastronomie und ein Kindergarten (Delugan[*]Meissl) Platz finden, es sollte ein richtiges Bürogeschoß geben und in den acht Obergeschoßen ein spezifisches Raumangebot umgesetzt werden, das Wohnen und Arbeiten miteinander verbindet.

Die verkaufsstrategische Worthülse dafür: City-Lofts - offenbar eine „neudeutsche“ Begriffsbildung. Denn was ein Loft ist, wissen wir: eine Gewerbeetage, begrenzt durch vier Wände - und sonst nicht viel. Das macht ihren Wert aus, dadurch lässt sie sich vielfältig nutzen. Davon kann weder bei Cuno Brullmann noch bei Delugan[*]Meissl die Rede sein. Ihre City-Lofts sind alles andere als horizontal organisiert, sie bestehen aus einem äußerst komplexen, vertikal verschachtelten Raumangebot - immer in Verbindung mit einem Freibereich, sei es in Form von Loggien oder von Terrassen.

Die Architekten haben einen Planungsaufwand in ihre Häuser investiert, der seinesgleichen sucht. Da gleicht kaum eine Einheit der anderen - von der Garçonnière bis zur Mehrpersonen-Wohnung -, es wird ein Raumspiel getrieben, das immer individuell zuschaltbare, womöglich auch separat nutzbare Arbeitsräume einschließt.

Nach außen bieten beide Häuser ein Erscheinungsbild, das man zur feinen zeitgenössischen Architektur zählen kann. Das überrascht bei Delugan-Meissl nicht, sie haben auf diesem Gebiet längst ihre Lorbeeren verdient. Selbst für einen großzügigen Freibereich nach Norden hin, eine „Esplanade“, die gärtnerisch und künstlerisch bemerkenswert von der Tochter des verdienten Bauträgers Wilfried Kallinger gestaltet wurde, haben sie eine Fassade mit Esprit entwickelt. Da tanzen L-förmige Verglasungen so beschwingt über die Fassade - und ermöglichen Ausblicke und Belichtungen -, dass es eine Freude ist. Aber auch bei Cuno Brullmann ist die Nordfassade besonders interessant. Sie bildet vielleicht noch deutlicher ab, was drinnen Sache ist: Ein vertikales Glasband begleitet die Haupterschließung, dunkle, vorspringende Elemente akzentuieren einzelne Raumeinheiten.

Cuno Brullman war uns gewissermaßen ein solches Gebäude schuldig. Immerhin hat er die Wohnbau-Professur an der Technischen Universität Wien bekommen, ohne je einen Wohnbau gebaut zu haben. Mit diesem Haus löst er ein, was als Versprechen schon lang im Raum stand. Und er hat es gut gemacht. Seine silberne Südfassade mit der großzügigen Loggienschicht davor setzt ein Signal. Und Delugan-Meissl nehmen dieses Signal auf und interpretieren es - mit einer schwarz bedruckten, mäandrierenden Litexverglasung vor ihren Loggien und Terrassen. Da kommt so etwas wie konzertierte Wirkung auf. Und es wundert einen nicht, dass der Bauträger, der beide Häuser zu verantworten hat, Wilfried Kallinger heißt. Auf sein Konto gehen viele ambitionierte Bauten in Wien.

Hinter all diesem Planungsaufwand steckt der Wille, ein Wohnungsangebot zu schaffen, das in Zeiten, in denen der nackte Wohnungsbedarf weitgehend befriedigt ist, zum Spezifischen fortschreitet. Und über allem schwebt der Gedanke des Teleworkings, eine Zukunftsvision, die den effizienten, singulär agierenden Computerarbeiter im Auge hat, den es heute in der Mehrzahl wohl noch nicht gibt. Und so werden die zuschaltbaren Arbeitsräume wahrscheinlich eher als Gästezimmer, wenn nicht überhaupt im Wohnungsverband genützt. Es ist eine Perspektive, die mit solchen Bauvorhaben frühzeitig durchgespielt wird. Das ist das Gute daran.

Das Schlechte ist, dass die gesamte Wienerberg-City städtebaulich so fragwürdig ist. Eigentlich hat nicht einmal diese Doppelhaus-Konzeption eine Begründung. Da könnten genauso gut zwei beliebige Häuser nebeneinander stehen. Und dass das gesamte Quartier so schlecht an den öffentlichen Verkehr angebunden ist, gibt einem in Bezug auf die Stadtplanung zu denken. Ein Bus, auch im kurzen Takt geführt, reicht für ein solches Stadtviertel nicht aus. Vor allem, wenn man bedenkt, dass hier unglaublich viele Menschen arbeiten (Twin Towers), dass es ein Kino-Center gibt und ein Entertainment-Center gebaut wird.

Wir müssen unseren Städtebau generell überprüfen. So wie er in den letzten ein, zwei Jahrzehnten umgesetzt wurde, basiert er offensichtlich auf reinen Verwertungsinteressen. Wäre es nicht Aufgabe der Stadt Wien, solchen Entwicklungen entgegenzusteuern?

9. Oktober 2004 Spectrum

Die Macht der Geste

Arbeiten muss man zwar auch hier noch, aber man tut es doch lieber in einer solchen Umgebung. Heinz Neumanns Uniqa-Tower am Wiener Donaukanal: ein Bericht aus der Büropraxis.

Städtebaulich ist der Uniqa-Tower ein solches Schwergewicht, dass man durchaus gespalten darauf reagieren kann. Er markiert die Ecke Aspernbrückengasse/Untere Donaustraße, direkt am Donaukanal und gegenüber der (nicht unproblematisch) sanierten Urania. Er setzt da ein unheimlich dramatisches Zeichen, das einerseits mit dem Hollein-Hochhaus, andererseits mit dem von Kohlbauer aufgestockten Galaxie-Turm in Konkurrenz tritt und beide - trotz keineswegs größerer Höhe, wir reden von 75 Metern - in den Schatten stellt. Da kann man wirklich nur von einer machtvollen architektonischen Geste reden.

Wäre das Stadtbild in diesem Bereich nicht ohnehin schon durch alle möglichen Baumaßnahmen zur „Verschönerung“ des Donaukanalufers aufgeweicht, wer weiß, wie das Haus dann wirken würde. Es wäre vielleicht ein architektonischer Hammerschlag, der das gesamte Umgebungsbild zertrümmert. Davon kann aber unter heutigen Umständen keine Rede sein. Am Donaukanal wurde alles schon viel früher verpatzt, und damit quälen wir uns seither herum. Erst in der jüngsten Vergangenheit ist es besser geworden. Und ich glaube, der Uniqa-Tower ist architektonisch doch etwas so Besonderes, dass er zur Entwicklung der Situation am Donaukanal beiträgt.

Das Haus, von Heinz Neumann geplant, setzt einen neuen Merkpunkt in der Stadt. „Beim Uniqa-Tower“, „links vom Uniqa-Tower“ wird es künftig heißen. Neumann hat ziemlich weit ausgeholt, um seinem Bürohaus eine unverwechselbare Gestalt zu verleihen. Es gibt die scharfe Kante Richtung Stadt und das Ellipsoid, das den Altbau zumindest an den Seiten umfängt, und dann gibt es diese ganz starke Geste in den unmittelbaren Straßenraum hinein, an dieser für die Stadtsilhouette so wichtigen Ecke. Da schießen die extrem massiven Betonpfeiler, die das ganze Haus tragen, skulptural in die Höhe, da biegt sich die äußere Gebäudehaut irgendwie durch und hinauf, die Fassade entlang - ziemlich eindrucksvoll.

Man muss die richtigen Relationen herstellen. Fuksas zum Beispiel hat es bei seinen Twin-Towers - sehr zum Leidwesen der dort Beschäftigten - nicht geschafft, er hat in Kauf genommen, dass aus seiner zweischaligen Fassade eine simple, einfache Glashaut wird. Neumann hat sein Konzept gebaut. Und dieses Konzept leistet etwas. Es beginnt schon damit, dass die in den unteren Geschoßen so weit in den Straßenraum greifende äußere Glashaut funktionell begründet ist. Normalerweise würde man ja niemals solche Abstände zwischen äußerer und thermischer Gebäudehaut vorsehen: Hier wird aber ins darunter liegende Fitnesscenter Tageslicht transportiert, und das ist ein überzeugender Grund.

Das Haus reicht fünf Geschoße in die Tiefe und 22 in die Höhe - da sind das Erdgeschoß und die Skylobby im 21. Obergeschoß eingeschlossen. Es hat eine flächenmäßig zwar vergleichsweise kleine Eingangshalle, wenn man bedenkt, dass es für immerhin 1100 Mitarbeiter ausgelegt ist und dass über diese Halle auch Nutzungen - Fitnesscenter, Bank, Kaffeehaus, Restaurant - erschlossen sind, zu denen jedermann Zutritt hat. Trotzdem scheint diese Halle ausgezeichnet zu funktionieren und bietet auch atmosphärisch so etwas wie Großzügigkeit. Das dürfte zumindest teilweise an der Raumhöhe liegen - der Raum umfasst immerhin vier Geschoße und öffnet sich über ein eingeschnittenes, verglastes Atrium über die volle Gebäudehöhe -, außerdem ist diese Halle aber auch rundum transparent und in mehrere Richtungen offen. Richtung Außenraum sorgt die Glashaut dafür, im Inneren sind es Ausblicke, Durchblicke und Wegführungen. Kaum steht man vor dem Empfang, kann man sich auch schon orientieren. Links geht es zur Bank und hinunter zum Fitnesscenter, rechts geht es zum Kaffeehaus und weiter ins Restaurant.

Dieses Restaurant ist ein architektonisches Gustostück. Es liegt im Hof zwischen Neubau und Altbau und ist spektakulär glasüberdacht. Man könnte auch vermuten, Heinz Neumann habe mit dem Bleistift sein Spiel getrieben und sei jetzt womöglich selbst überrascht, dass seine Skizze tatsächlich gebaut wurde. 350 unterschiedliche Glasscheiben - das Dach ist in jede Richtung irgendwie „verwunden“ - kann ein Architekt nur selten durchsetzen. Aber über Mangel an Verständnis bei der Bauherrschaft beklagt sich Neumann sowieso nicht.

Er konnte Bemerkenswertes realisieren. Das fängt schon außen, an der weit ausgreifenden Glashaut an, wo er gebogene Gläser gebraucht hat, um den Fassadenschwung nicht zu zerstückeln, sondern in einer eleganten Bewegung umzusetzen. Das geht weiter über die - ziemlich gewaltigen - Stahlbetonstützen mit ihren aufwendig gestockten Oberflächen bis hin zu den Granitoberflächen in der Eingangshalle, den Holzoberflächen in Olive und der Möblierung des Kaffeehauses. Setzen wir fort: Wir kommen hinein in die elegantesten (und frauenfreundlichsten) Toilettenanlagen, die ich je in einem Bürohaus gesehen habe, und haben es etwa im Restaurantbereich mit den edelsten Alcantara-Oberflächen zu tun, die sich nur denken lassen. Überhaupt lässt sich der Restaurantbereich durch Wegschieben der Kücheneinheiten, durch ein paar Drehmanöver bei den Wänden problemlos in einen Veranstaltungsraumverwandeln, der höchsten Ansprüchen genügt.

Es wird aber nicht nur in dieser öffentlichen/halböffentlichen Zone etwas geboten. Die Arbeitssituation im Haus ist ebenfalls durchgehend privilegiert. Gut, man kann einwenden, dass es bis sehr weit hinauf in der Gebäudehöhe und - parallel dazu - in der Unternehmenshierarchie Großbüros sind, in denen sich die Mitarbeiter einrichten müssen. Das mag nicht jedermanns Sache sein. Ich glaube aber, dass man sich daran gewöhnt, vor allem wenn man einen so spektakulären Ausblick von seinem Arbeitsplatz hat, wie das hier der Fall ist. Der Ausstattungsanspruch in dieser Bürowelt ist auch so konsequent durchgehalten, dass der Arbeitsalltag zweifellos profitiert. Arbeiten muss man trotzdem noch, aber man tut es doch lieber in einer solchen Umgebung.

Das Haus hat eine Skylobby in Verbindung mit einer Dachterrasse und auf den zwei Geschoßen darunter die Büroräume für das Topmanagement. Da galten Sonderkonditionen, aus denen jeder wahlweise seinen Maßanzug heraussuchen konnte; da sind auch Besprechungseinheiten, die sich rigoros abschließen lassen; da kann man aber auch alles wegräumen und aus den Tischen in den Konferenzzonen eine große Tafel bilden.

Der Uniqa-Tower ist als aufsehenerregende Zentrale für ein großes Unternehmen konzipiert. Und das auf dem letzten technischen Stand. Das hat Vorteile - in Sachen Energieverbrauch zum Beispiel, da wurde kein Aufwand gescheut -, es zeigt aber auch, wo wir Grenzen akzeptieren müssen. Dass man den Blendschutz nur via Computer hochfahren kann und es keine Lichtschalter mehr gibt - auch dafür braucht man den Computer -, das ist zwar High-Tech, aber an den Nutzern vorbeigedacht. Ebenso wie das papierlose Büro. Neumann hat in letzter Minute noch wandfüllende Einbauschränke eingebaut. Sie sind prall gefüllt mit Ordnern. Manchmal ist die alte Methode eben doch die praktikablere.

28. August 2004 Spectrum

Lautlos in Stahl und Holz

Eine Fassade, die ahnen lässt, was dahinter ist. Eine Verglasung, die minuziös in die Gebäudehaut komponiert ist. Kreatives Understatement: das Segelzentrum am Neusiedler See.

Die österreichischen Segler, das hat man auch jetzt in Athen wieder gesehen, zählen zur Weltspitze. Trotzdem hält sich der mediale, der öffentliche Lärm rund um ihre Leistungen eigentlich in Grenzen. Offenbar ist der Segelsport nichts, das Massen emotionalisiert. Er wird gewissermaßen „lautlos“ ausgeübt. Und das spürt man auch beim Segelzentrum am Neusiedler See. Architektonisch macht es keinerlei Wirbel, es ordnet sich der wunderbaren Seeufer-Landschaft unter, es fügt sich fast bescheiden in die Situation zwischen Osthafen und Strandbad ein. Das allein ist schon eine Qualität, die man schätzen muss. Denn die Uferlandschaften unserer Seen, auch des Neusiedler Sees, sind durch allzu leichtfertige, nicht selten brutale Bauaktivitäten ohnehin stark beeinträchtigt.

Stephan Schurich vom Büro „S+Architekturstudio“, Sitz in Wien und Salzburg, war für diese Aufgabe aber ganz offensichtlich der richtige Mann. Er hat den Auftrag über ein Verhandlungsverfahren im Jahr 2002 bekommen, und das kam nicht von ungefähr: Er war selbst profilierter Segler und weiß daher über die Anforderungen eines Segelzentrums aus der Praxis des Sportlers besonders gut Bescheid. So viel ist es aber gar nicht, was hier an Funktionen räumlich verknüpft werden musste. Nur verlangte dieses Wenige nach einer sinnvollen Organisation, nach reibungslosen Abläufen - in einer architektonischen Hülle, die nicht unangenehm massiv in Erscheinung tritt.

Das Segelzentrum besteht aus zwei Baukörpern - der hohen, fast quadratischen Bootshalle und einem niedrigeren, angekoppelten Riegelbauwerk. Auffallend ist, dass der Architekt diese beiden Baukörper nicht einfach linear angeordnet hat. Durch einen doppelten Knick im Riegel passt er sie vielmehr dem Uferverlauf an. Es ist eine dezente Maßnahme, kaum der Rede wert, wer aber genau hinschaut, der erkennt, dass sie städtebaulich in zweierlei Hinsicht bedeutsam ist. Vom Wasser her sowieso, weil sie das Seeufer durch diese Gliederung nicht so demonstrativ verbaut, sondern eigentlich sehr sensibel ins Terrain gebettet ist. Vor allem aber auch landseitig: Man geht besser auf das Gebäude zu, die Gliederung thematisiert die Frage der Orientierung. Schurich hat hier das Problem der Ablesbarkeit des Eingangs durch den Gebäudeknick und einen Gebäudeeinschnitt, also mit rein architektonischen Mitteln gelöst.

Der funktionell und von seiner Dimension her dominantere Baukörper ist die Bootshalle. Sie ist fast quadratisch - 23 mal 24 Meter Grundfläche -, an der höchsten Stelle etwa 14 Meter hoch, an der niedrigeren elf Meter. Das Objekt sieht so simpel - um das Wort „minimalistisch“ zu vermeiden - aus, an die Statiker, das Wiener Büro Gmeiner Haferl, stellte es dennoch gewisse Anforderungen. Weniger, weil am Seeufer eine Tiefgründung notwendig war, mehr, weil vom See her mit enormen Windlasten zu rechnen ist. Dadurch wurde sowohl eine Unter- als auch Überspannung notwendig.

Die Halle ist ein Kaltraum, ausgeführt in einer simplen Holzriegel-Konstruktion, die mit einer sehr transparenten Fassade aus überlappenden Wellplexiglasplatten versehen ist. Auf dem Boden: eine einzige, monolithische, 460 Quadratmeter große Betonplatte über die gesamte Grundfläche. Wichtig war die Transparenz der Fassade - in dieser Ufersituation hätte ein solches Volumen zum Störfaktor werden können. Man kommt durch sehr hohe Tore - Sonderanfertigungen, die einfach gebraucht werden, um die Boote dorthin zu schaffen - in diese Halle hinein. Und sie ist drinnen genauso dimensioniert, dass auch noch Spielraum zum Manövrieren bleibt.

Von dieser Halle geht es dann weiter zu allen notwendigen, angelagerten Funktionen. Eine ursprünglich improvisierte, inzwischen schon fast institutionalisierte Treppe führt zum Segelmacher hinauf. Der Durchgang zum Riegelbauwerk erschließt die Bereiche der Sportmedizin und Forschung, einen Fitnessraum und natürlich auch die Verwaltungsbereiche und das Café beziehungsweise die Bar im Obergeschoss.

Von der Bootshalle her ist also alles erreichbar. Natürlich gibt es aber den landseitigen Hauptzugang, dessen architektonische Formulierung dem Architekten ein so spezielles Anliegen war. Und von der Seeseite, im Einschnitt des doppelten Knicks, wurde ein weiterer Zugang situiert.

Die Anlage zeichnet sich durch dreierlei aus: Sie ist durchlässig, sie ist sehr pragmatisch organisiert, und in architektonisch-formaler Hinsicht könnte man sie als kreatives Understatement bezeichnen.

Der Holzriegel hat eine geölte Lärchenholzfassade, nicht in Stülpschalung, das wäre dem Architekten zu rustikal gewesen, man spürt durch, was dahinter ist. Das verleiht der Gebäudehaut aber auch ihre Eleganz. Und die hat sie ganz unaufdringlich. Das Gebäude selbst ist übrigens keine reine Holzkonstruktion, es ist eine Holz-Stahl-Konstruktion. Das merkt man vorne, landseitig, beim Eingang vielleicht am deutlichsten. Außerdem ist es nicht nur eine - wenn auch geknickte - Holzkiste. Minuziös in die Gebäudehaut komponierte Verglasungen setzen ihre eigenen Akzente: im landseitigen Eingangsbereich noch bescheiden, aber über Eck; im Obergeschoss teilweise raumhoch. Da ist dann auch eine Stahlkonstruktion vorgestellt, eine großzügige, dem Café- und Bar-Bereich zugeordnete Terrasse, von der sich der großartigste Seeblick eröffnet, den man sich nur vorstellen kann.

Es gibt Elemente im Haus, die das Gesamtbild stören. Sie stammen durchwegs nicht vom Architekten. Da wurde eine - nicht einmal schlechte - Küche gesponsert, aber auch eine Bar, und die kann man berechtigt in Frage stellen. Irgendwo ist ein Kühlschrank hingepappt, das tut auch weh. Und im Verwaltungsbereich gibt es ein Möbelprogramm, das man bestenfalls als Missverständnis bezeichnen kann. Das sind die Dinge, die sich dem architektonischen Zugriff dann immer wieder entziehen und die so viel anrichten können, dass einem fast die Freude an den Räumen vergeht.

Denn die räumliche Komposition selbst ist eine feine, eine sehr feine Angelegenheit. Stephan Schurich wusste natürlich, worauf es ankommt. Als Segler kennt er sich aus. Und er weiß auch, dass es selbst in einem „leisen“ Sport wie dem Segeln immer wieder auf Sponsoren ankommt. Für die vor allem gibt es die Bar und das Café. Für die gibt es diese große Terrasse mit dem grandiosem Seeblick, wo Events stattfinden können, die auch rein gesellschaftlichen, repräsentativen Anlässen dienen, wo aber auch simple Schiffstaufen gefeiert werden.

Eingebettet sind die beiden Baukörper in eine äußerst lapidare Freiraumgestaltung. Es handelt sich um den seltenen Fall einer Grünraumgestaltung einfach mit Gras. Das lässt sich auch pragmatisch erklären, eine aufwendigere Landschaftsarchitektur wäre der Praxis der Nutzung nur im Weg. Darüber hinaus ist es einfach wohltuend, wieder einmal zu spüren, dass man nicht alle Flächen voll stopfen, mit irgendwie botschaftsreicher Gestaltung besetzen muss. Wir wissen es allerdings von den Wiener Parks: Flächen, die nur begrünt und sonst gar nicht möbliert sind, werden als leer empfunden und nicht akzeptiert.

Aber wie gesagt, der Segelsport ist eine leise Angelegenheit. Da gelten andere Regeln. Und wenn man sich vorstellt, dass dieses im Grunde so unglaublich bescheidene Zentrum des Segelsports einer Disziplin dient, deren lokale Leistung international immerhin so hoch eingeschätzt wird, dass in zwei Jahren die Segelweltmeisterschaft hier, im Segelzentrum in Neusiedl, abgehalten wird, dann weiß man ungefähr, worum es geht. Es geht um die Brauchbarkeit, es geht aber auch um die Akzeptanz eines Neubaus in dieser höchst sensiblen Umgebung. Deswegen hat der Architekt auch so viel Wert auf die Plastizität der Baukörper-Konfiguration gelegt, die durch das wechselnde Licht im Tagesablauf erst zu leben beginnt. Das gesamte Objekt ist ja nicht groß, irgendwie verlangt es einem aber auf angenehme Art Aufmerksamkeit ab. Schurich sagt, es erschließt sich nur langsam. Und das trifft die Charakteristik dieser neu geschaffenen Situation tatsächlich.

Man könnte in diesem Fall resümieren, dass alles, was vom Architekten selbst stammt, richtig ist. Wie man auf das Gebäude zukommt, und zwar von beiden Seiten, auch wie man sich im Gebäude bewegt. Aber es ist noch manches hinzugekommen - abgesehen von der Möblierung -, und das lässt sich teilweise anfechten. Im Freiraum sind das vor allem die Fahnenmasten mit ihren irgendwie lächerlichen Krönchen, auch sonst noch allerlei. Dabei wäre es - speziell im Fall der Fahnenmasten - so einfach gewesen: Vier permanente Masten in schlichtem Nirosta - für Österreich, die EU, das Burgenland und den Verband -, und ansonsten temporäre Masten, die spezifischen Events dienen. Bei solchen, wirklich groß angelegten, überregionalen Ereignissen reichen die jetzt aufgestellten Masten für alle beteiligten Nationen ohnehin nicht aus, und es müssen ja sogar die Zäune des relativ beschränkten Areals fallen. Aber Letzteres war immer so vorgesehen, es ist eben Teil der großen Lösung - für punktuelle, überregionale Events - im Rahmen der kleinen.

Stephan Schurich hat ein Segelzentrum gebaut, dem jeder anmerkt, dass es für Segler wirklich maßgeschneidert ist. Ohne großen Aufwand. Sogar mit einer Bescheidenheit in der architektonischen Haltung, die ihresgleichen sucht. Obwohl die Anlage symbolisch für eine Höchstleistung im österreichischen Sport steht und der Architekt selbst eine enge Verbindung zum Segeln hat. Vielleicht resultiert aus der Verquertheit dieser Verbindung auch das Besondere der architektonischen Lösung.

22. Mai 2004 Spectrum

Ja, mach nur einen Plan . . .

Die Qualität eines Wohnbaus hängt vom Architekten ab. Sollte man meinen. Freilich: Der Bauträger hat auch einiges mitzureden. Anmerkungen am Beispiel zweier neuer Wohnbauten von Leopold Dungl.

Die Qualität eines Wohnbaus hängt vom Architekten ab, sollte man meinen. Wie gewichtig ist, was der Bauträger dabei mitzureden hat, das sehen bestenfalls die Eingeweihten. Wenn man sich die jüngsten beiden Arbeiten von Leopold Dungl anschaut, dann wird einem das besonders deutlich vor Augen geführt. Hier ein relativ kleines Eckhaus in der Antonigasse im17.Wiener Gemeindebezirk, 26 Wohnungen; da eine Ver- und teilweise sogar Überbauung des Remisenareals in Erdberg, also rund um das Wiener Straßenbahnmuseum, 106 Wohnungen. Ersteres für die Gesiba, Letzteres für die GWSG.

Der Unterschied in der Ausführung, in der Detailqualität ist frappierend. Leopold Dungl ist unter den Wohnbauarchitekten sicher einer, der seine Aufgabe nicht nur einfach ernst nimmt, sondern mit besonderer Sorgfalt behandelt. Dass die Wohnanlage in Erdberg �eigentlich� von ihm stammt, merkt man trotzdem nur an der konzeptuellen Lösung, an gewissen Details, die zwar da sind, aber von der Ausführungsqualität her weit unter dem Niveau liegen, das man von ihm gewohnt ist.

Das Bauvorhaben umschließt das Straßenbahnmuseum, ist von bestehenden Wohnhäusern durchsetzt, also zergliedert. Und was man auf den ersten Blick sieht: Die Chance, das Areal mit der Remise, mit dem Straßenbahnmuseum öffentlichkeitswirksamzu entwickeln, die wurde verschenkt.

Dungl hatte mit enormen Trakttiefen zu kämpfen, er wählte letztlich die unangestrengteste Lösung: eine Mittelgangerschließung. Die ist aber so durchgeplant, dass das Raumklima trotzdem stimmt: Zuluftschlitze und Abluftkamine sorgen für beste atmosphärische Qualität. Und er hat die sehr eingeschränkten Möglichkeiten, auch den Wohnungen, die an der Straße liegen, einen Freiraum zuzuordnen, immerhin so genutzt, dass daraus sogar ein Gewinn für das Straßenbild resultiert. Er hat Loggien � nur eineinhalb Meter tief, mehr war nicht erlaubt � scheinbar willkürlich über die Fassade �gestreut�. Das bringt einen erfrischenden Touch in das eher triste Einerlei der Umgebung. Und an der Erdbergstraße, wo die Bebauung sozusagen in einem abgeschnittenen Spitz endet, hat er diese schmalste Gebäudeseite � ebenfalls durch Loggien � besonders plastisch artikuliert.

Trotzdem wird man nicht froh, wenn man sich das alles ansieht: Da gibt es zum Beispiel einen zweigeschoßigen, überbauten, also wettergeschützten Freibereich an der Dietrichstraße, aber es ist so schrecklich, wie er möbliert ist, dass man einfach nur wegsehen möchte. Und die Sonnenkollektoren, ebenfalls auf diesem Gebäudeteil, stören die Silhouette so entscheidend, dass man daraus nur schließen kann, sie wurden vom Architekten nicht integriert, sie sitzen irgendwie drüber, drauf.

Wie das kommt? Leopold Dungl war, um es so auszudrücken, wie es wahrscheinlich gewesen ist, Leopold Dungl war gerade gut genug dafür, die Einreichplanung zu zeichnen. Dann hat der Generalplaner das Heft in die Hand genommen. So etwas geht heutzutage ganz leicht: Man muss einem eher kleinen Büro wie dem von Leopold Dungl nur so enge Termine setzen, dass es damit in der bestehenden personellen Besetzung nicht zurechtkommen kann. Alles andere folgt ganz von selbst. Das ist schon traurige Praxis.

Beim Wohnhaus in der Antonigasse hatte es das Büro dann besser. Da war es wirklich möglich, nicht nur ein Konzept, sondern auch seine Materialisierung entsprechend umzusetzen. Das Haus liegt an einer interessanten Stelle im Stadtgebiet. Es gibt hier nämlich ein ziemlich starkes Gefälle im Gelände. Nach oben, Richtung Westen, sieht man gerade noch die letzten Ausläufer des Wienerwaldes, hinunter zu blickt man über die Stadt.

Dungl hat die Nordseite seines kleinen Eckhauses zum Straßenraum ziemlich geschlossen, es ist eine konventionelle Lochfassade. Die Ecke � im Erdgeschoß mit Geschäft und dem Hauseingang � ist dafür mit Balkonen recht expressiv formuliert. Und an der Westseite ist eine Laubengang-Erschließung angeordnet, die zwar wettergeschützt, aber doch Außenraumist.

Das Haus umschließt einen � nicht sehr großen � Innenhof, zu dem die Wohnbereiche orientiert sind. Hier stehen auch sehr schöne alte Bäume. � In dieser Lage, mit dieser Orientierung 26 Wohnungen unterzubringen, das war schon ein kleines Kunststück. Dungl hat auch alles ausgenutzt, was das Gelände hergegeben hat. Das spürt man sogar noch in der Tiefgarage, deren oberes Deck halbgeschoßig aus der Erde schaut. Alles ist irgendwie dicht an dicht, wiewohl der Architekt jede Möglichkeit nutzt und selbst ins Stiegenhaus durch einen Lichtschlitz von oben bis ganz unten noch einen Hauch Tageslicht holt.

Trotzdem halte ich das Projekt für gewagt. Eine Laubengang-Erschließung an die Westseite, zu einer sehr ruhigen Gasse, zu legen, um den Preis, die Wohnbereiche nach Osten orientieren zu müssen, das entspricht sicher nicht ganz den üblichen Wohnerwartungen. Denn wirklich attraktiv ist der Innenhof nicht. Und vom Ausblick über die Stadt hat man halt doch nur in den obersten Geschossen etwas.

Außerdem treffen bei diesem Haus sehr viele und auch sehr disparate formale Elemente zusammen. Die konventionelle Lochfassade auf der einen Seite, die höchst signifikante Plexiglas-Verkleidung des Laubengangs auf der anderen, dazwischen die plastischen Elemente der Eckbalkone, bei denen übrigens ein Ausführungsdetail in den Bodenplatten nicht wirklich geklappt hat. Zu all dem kommen dann in der Dachebene noch weit ausladende Vordächer vor den Dachgaupen, also ein weiteres, sehr starkes plastisches Element.

Die Gegend mit ihrem architektonischen Einerlei verträgt schon einen deutlichen zeitgenössischen Akzent. Das lässt sich nicht bestreiten. Bei diesem Haus, das ja ziemlich klein ist, prallt freilich sehr vieles aufeinander. Und es fügt sich im Endeffekt nicht zu einem angenehm selbstverständlichen Ganzen, wie es von einer Bauaufgabe wie dem städtischen Wohnbau zu erwarten wäre.

Schön, dass Dungl all das machen konnte. Und es ist in fast jedem Ausführungsdetail um Klassen besser, als in der Wohnanlage Remise. Aber in formaler Hinsicht ist hier die Grenze zur Überfrachtung fast überschritten. Und die generelle Frage, ob ein Laubengang im Westen und Wohnräume im Osten vertretbar sind, die muss man überhaupt offen lassen. Man könnte sie nur mit einem Gegenentwurf ohne Laubengang beantworten.

31. Januar 2004 Spectrum

Mehr Licht geht nicht

Schüler wie Lehrer verlassen das Gymnasium Wolkersdorf von Domenig-Eisenköck-Peyker nach dem Unterricht nicht, wie sonst üblich, fluchtartig - kann man einem Schulgebäude ein besseres Zeugnis ausstellen? Eine Inspektion.

Ein Schulhaus auf der grünen Wiese - und das im echten Wortsinn. Denn die BIG als Bauherr des Bundes hat den Wolkersdorfern ein Gymnasium an den Ortsrand, sozusagen mitten in die unberührte Natur des Weinviertels gestellt. Es ist eine sehr, sehr große Schule. Und in architektonischer Hinsicht ist sie ausgesprochen spektakulär. Ein richtiges Aha-Erlebnis im unqualifizierten Neubau-Einheitsbrei, mit dem man in dieser Region ansonsten konfrontiert wird.

Am Anfang stand, wie bei der BIG üblich, die ja praktisch keine Direktaufträge vergibt, ein Wettbewerb, in diesem Fall ein Bewerbungsverfahren. Das war im Jahr 2000. Gewonnen hat dieses Verfahren das Grazer Büro „Architektur Consult“, das sind Günter Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker. Und dass man von diesen Architekten etwas Besonderes bekommt, liegt ja auf der Hand. Bester Beweis: Bei meiner Hausbesichtigung hat jemand ganz nebenbei erwähnt, dass weder Schüler noch Lehrer bei „Arbeitsschluss“ das Gebäude, wie sonst üblich, fluchtartig verlassen. Sie bleiben ganz gern noch ein bisschen länger da. Ein besseres Zeugnis für die Aufenthaltsqualität im neuen Haus lässt sich kaum denken.

Der Entwurf nimmt strukturell ein typisches Merkmal der Bebauung im Weinviertel auf: Hier sind die Parzellen immer ziemlich schmal und tief, dem ist der Zuschnitt der Häuser angepasst. Auch die Schule ist nach diesem Grundmuster organisiert. Die Gebäudetrakte - Erdgeschoß, zwei Ober-geschoße - sind lang und schmal und nord-südgerichtet. Ein niedriger Bauteil - Zentralgarderobe, abgesenkte Doppelturnhalle - schiebt sich aus dem Gebäude heraus und bildet eine Art Hintergrundprospekt für den vorgelagerten Parkplatz und leitet zum Haupteingang weiter.

Der ist sehr deutlich artikuliert. Denn hier greift ein Gebäudeteil mit der großen Loge für den Schulwart bis zur Straße vor und definiert so den Vorplatz. Und oben drauf sitzt der überaus signifikante Glaskörper der Bibliothek, fast 20 Meter frei auskragend, ein weithin sichtbares Ruf- und Lockzeichen.

Da ist im Umgang mit den Baukörpern wirklich etwas gelungen. Denn die verschiedenen Funktionen - immerhin 20 Stammklassen, zahlreiche spezielle Unterrichtsräume, Verwaltung, Speisesaal, große Turnhalle, Bibliothek - sind zwar sehr kompakt organisiert, das Gebäude ist aber trotzdem wunderbar gegliedert. Dadurch spürt man die gewaltige Baukörpermasse nicht. Das hätte nämlich auch fatal ausgehen können: in Form von zwei riesigen Schachteln - eine für die Schule, eine für die Turnhalle -, die dann aber jeden Maßstab gesprengt hätten.

Das Maßstabargument hört sich möglicherweise merkwürdig an, weil das Haus vorläufig ja wirklich solitär auf der grünen Wiese steht. Aber daran wird sich in Zukunft viel ändern. Weil die Stadtgemeinde hier eine Entwicklungsmöglichkeit sieht. Die Schule steht praktisch an der Verlängerung der Wolkersdorfer Hauptstraße, gar nicht so weit vom Hauptplatz entfernt. Es hat eine gewisse Logik, wenn sich das langgestreckte „Straßendorf“ Wolkersdorf entlang dieser Achse entwickelt. - Innenräumlich hat das Haus jedenfalls etwas zu bieten: Man kommt in eine glasgedeckte, dreigeschoßige Eingangs- und Stiegenhalle hinein, die einladender nicht sein könnte. Die Stahl-konstruktion für das Glasdach ist allein schon ein sehenswertes Element, die Verglasung selbst trägt der Situation Rechnung: Verspiegelte Einschlüsse in der Glashaut sorgen dafür, dass von Süden kein direkter Sonneneinfall möglich ist, die Halle kann sich also nicht unkontrolliert aufheizen. Wenn man nach Norden schaut, sieht man nach wie vor den Himmel; schaut man aber nach Süden, dann verwandelt sich die Glasdecke in eine transluzente, immer noch lichtdurchlässige, aber nicht durchsichtige Haut. Auch Glas hat eben seine Farben. Und zusätzlich gibt es an den strategisch richtigen Stellen gläserne Lüftungsklappen, die sich automatisch öffnen und für Querdurchlüftung sorgen.

Was den Gesamteindruck des Innen-bereichs dominiert, ist die Armut an Farben und an Details. Und das ist wirklich angenehm. Weiß an den Wänden und Decken, ein silbriges Grau bei den Metallteilen wie Geländern (Lochblech) oder Installations-kanälen (jeweils mit integrierter Beleuchtung, dadurch hat man sich abgehängte
Decken erspart), ein sehr heller Boden aus Kunststein. Die Türen - ein wichtiges Element in einem Haus, wo es um Einzelräume geht, die von langen Korridoren erschlossen sind - setzen einen farbigen Akzent: Sie sind „oxydrot“, das ist eine Art von Ochsenblutfarbe, sehr wohltuend. Und in den Klassen ein Eichenholz-Fußboden, der für die Gesamtwirkung ebenfalls wirklich etwas bringt.

Das ist schon toll: In den Klassen gibt es natürlich eine vorgeschriebene Parapet-höhe: Aber darüber ziehen sich Fensterbänder durch, die alles derartig offen und lichtdurchflutet erscheinen lassen, dass man sich nicht mehr wundert, wenn die Lehrer und Schüler nach dem Unterricht nicht sofort das Weite suchen. Es ist zwar die falsche Jahreszeit dafür, aber es gibt hier auch ein Freiflächen-Angebot, das seinesgleichen sucht.

Natürlich ist es vor allem architektonische Selbstverwirklichung, die Domenigs Entwurf bestimmt. Es sind seine Überlegungen zur Situation und den Anforderungen, die dem Gebäude den Stempel aufdrücken. Er hat alles transformiert in eine Bauplastik, die wirklich etwas leistet. Zum Beispiel die Turnhalle, die hätte er ja auch einfach neben die Schule hinstellen können. Er hat sie aber ins Gelände integriert, eingegraben - das ist schon allein deswegen sinnvoll, weil bis zur Höhe der notwendigen Prellwände ohnehin alles dicht sein muss - und durch eine benutzbare Abtreppung Richtung Freisportanlagen für einen architektonischen Mehrwert gesorgt.

Was dieses Gebäude so interessant macht, das ist die Umsetzung, die Trans-formierung eines baukünstlerischen Anspruchs in ganz gewöhnliche und pragmatische Verhältnisse. Schließlich geht es „nur“ um eine Schule. Aber die ist besser geworden als alles, was man sich gemeinhin unter diesem Titel erwartet. Und es ist wundervoll, dass die Menschen in der Umgebung, dass die Bevölkerung das auch erkennt. Der Schuldirektor sagt, die Akzeptanz der Architektur bei den Leuten, die dort wohnen, ist ungeheuer. Ich frage mich nur: Wenn es so ist, warum ist dann die Architektur im Weinviertel ansonsten so schlecht?

27. Dezember 2003 Spectrum

Auf und davon!

Vis-à-vis ihrem Büro am Wiener Mittersteig haben Elke und Roman Delugan ihre Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends umgesetzt: in ihrem eigenen Haus - mit dem sie die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben haben.

Das Haus auf dem Haus war immer schon eine spannende Bauaufgabe. Früher sagte man Penthouse dazu, und ein Hauch von Luxus schwang dabei mit. Elke und Roman Delugan lassen diesen Amerikanismus weg und sprechen ganz schlicht von ihrem Haus, dabei schauen sie aus den Räumen des Architekturbüros Delugan- Meissl am Wiener Mittersteig Richtung Dachaufbau auf einem Bürohaus gegenüber, und weil es schon dunkel wird, sehen wir im erleuchteten Innenraum, allerdings abgeschirmt durch einen mächtigen Balken, zwei zarte Beinchen, die sich mit Schwung abwärts bewegen. „Das ist unsere Tochter“, lächelt Roman Delugan: „Sie rutscht auf der Schräge.“

Was es mit dieser Schräge auf sich hat, das sehe ich dann später. Zunächst bewundere ich die Rasanz, die Schnittigkeit der großen Linien, die den Auftritt dieses Hauses auf dem Haus nach außen charakterisieren.

Man muss hier wirklich vor allem von Linien, von räumlichen Linien reden, denn das eigentliche Bauvolumen ist durch den minutiös kalkulierten, großzügigen Einsatz von Glas so zergliedert, dass die „festen“ Bestandteile ganz in den Hintergrund
treten. Wenn man so auf dem Balkon des Büros steht und hinüber schaut, dann schießt der erwähnte mächtige Balken über die Breitseite des Bürohauses hinweg - wirklich überrascht wäre ich nicht gewesen, wenn das ganze Ding, das irgendwie so „dachverbunden“ aufsitzt, plötzlich doch abgehoben hätte.

Tatsächlich haben die Delugans in diesem Haus ihre persönliche Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends
umgesetzt. Außen waren sie durch die engen Wiener Bauvorschriften limitiert, aber solche Regeln tun architektonischen Lösungen im Allgemeinen gut. Innen konnten sie alles auf die privatesten Ansprüche maßschneidern.

Konstruktiv war das Unternehmen natürlich happig: Es ging darum, mit dem auszukommen, was der Bestand statisch anzubieten hatte. Das allerdings wurde optimal ausgenutzt, und so sind jetzt ungefähr 52 Tonnen Stahl auf dem Flachdach verbaut. Es gibt eine Sechs-Meter-Auskragung Richtung Hof, und es gibt im Innenraum tatsächlich nur eine einzige
tragende Stütze: Es waren also gewaltige Spannweiten zu bewältigen. Es gibt andererseits im Wohnbereich eine scheinbar schwebende Liegelandschaft, da ist das Glas an der Fassade tragend.

Ich beschreibe am besten den Weg durch das Haus: Man verlässt den Aufzug, geht ein paar Stufen hinauf zur
eigentlichen Wohnungstür und steht dann vor einem langen, schräg ansteigenden Vorraum, links raumhoch verglast, rechts eine lange Schrankwand. Die Delugans haben fast das ganze Mobiliar selbst entworfen, also auch diese Schrankwand. Und die schuppt sich höchst attraktiv hinauf zum Wohnraum, weil die schmalen Schranktüren keine Griffe haben, sondern die ganze Tür ist jeweils durch eine Außenwölbung verformt, so dass man sie öffnen kann. Alles weiß. Und auf dem Boden afrikanische Kirsche in einem tiefen, saftigen, warmen Braunton. Das zieht sich übrigens durch das gesamte Haus.

Man könnte das Ganze als Loftkonzept beschreiben, umgeben von Terrassen, die sich aus dem vorgeschriebenen 45-Grad-Rücksprung für Dachaufbauten ergeben (nebenbei angemerkt: Eine dieser Terrassen ist ausgesprochen bemerkenswert abgesichert: nicht durch eine Brüstung, sondern durch ein Wasserbecken).

Der Loftraum selbst ist höhenmäßig differenziert: Man kommt hinein, und links geht es zum Privatbereich der
Tochter, rechts sitzt etwas höher die Schaltstelle der offenen Küche. Da gibt es ein paar Stufen, dann steht man
wirklich mitten drin in der Küche, also zwischen Wandverbau und offenem Tresen, der aber als eine Art Raumskulptur
formuliert ist: Er wächst schräg aus dem Boden - in dieser Schräge ist auch die Schaltstation für die ausgeklügelte Beleuchtung et cetera -, dann geht er gerade weiter, und schließlich macht er sich schräg nach oben gewissermaßen
auf und davon. Diesem Niveausprung ist auch jene Schräge (oder Rampe) zugeordnet, auf der ich von vis-à-vis das Töchterlein habe rutschen sehen. Da oben ist dann die große, gepolsterte und mit Leder bespannte Liegewiese.

Eine völlig transparente Regalwand trennt diese Liegewiese von einem ganz besonderen, höher gelegenen Sitzplatz -in der sogenannten Gaube -, zu dem man stufenlos einen etwa 50 Zentimeter messenden Höhensprung überwinden muss. Der Esstisch, im rechten Winkel um die hofseitige Terrasse gelegen, ist wieder völlig im Raum- und Niveaufluss
des Lofts angeordnet.

Es gibt hier natürlich auch alles, was man alltäglich braucht: Das fängt beim Wirtschaftsraum an und hört beim Gästeklosett auf. Und das Schlafzimmer samt Badezimmer ist selbstverständlich separiert - freilich durch ein unheimlich zügiges Einbaumöbel charakterisiert, das vom Bett über das Bad et cetera alles in eins fasst. Und das Bett ist „städtebaulich“ ausgerichtet: Es steht schräg vor einer Glaswand mit dem Ausblick auf das schönste Panorama von Wien.

Man müsste bei diesem Haus jede Firma, die dazu beigetragen hat, extra erwähnen. Denn jede hat Außergewöhnliches geleistet. Für alle war es nicht nur eine Herausforderung auf dem Papier, sondern etwas, was die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben hat.

Aber bei aller Bewunderung für die Fugenlosigkeit des Zusammentreffens unterschiedlicher Materialien, für die unheimlich differenzierte Behandlung der verschiedenen Oberflächen, für die absolut detailgenaue Arbeit aller Beteiligten - der große Wurf liegt im Entwurf. Die Logik, mit der die Delugans die „Kraftlinien“ ihres Hauses von außen nach innen und wieder nach außen entwickeln, das ist die eigentliche Sensation.

Abgesehen von Glas besteht die Hülle des Hauses aus Alucobond. Das Dach ist in diesem Material ausgeführt, aber zum Beispiel auch der Balken, der den Innenraum abschirmt zum gegenüber liegenden Büro. Dieser Balken berührt aber auch den Innenraum. Und da hat er dann auch innen eine Alucobond-Oberfläche. Das ist äußerst konsequent und eindrucksvoll. Und das gibt dem Haus bei aller Materialeinheitlichkeit und Detailarmut auch eine unübertreffliche Komplexität.

Es ist ein Haus für Lifestyle-Magazine im besten Wortsinn. Es ist auf einen bestimmten Lebensstil zugeschnitten (der ganz und gar nichts mit irgendeiner Art von schicker Lebensführung zu tun hat - das ist zu unterstreichen): auf den Lebensstil von Leuten, denen der Beruf auch Berufung ist und die sich eine private Insel gebaut haben; für sich selbst, für die Tochter, für Freunde. Eine ideale Lösung, dass die wirkliche Arbeitsstätte gleich gegenüber liegt. Und eine tägliche Bestätigung der eigenen Haltung beim Blick hinüber.

22. November 2003 Spectrum

Engpass mit Extratour

Das Budget, das Grundstück, der zeitliche Rahmen: Alles war sehr knapp bemessen. Davon ist in der Handelsakademie und Handelsschule Gänserndorf von Nehrer + Medek nichts mehr zu spüren.

Im Schulbau sind die Zeiten der großen Neubauten vorläufig zu Ende. Günther Domenig hat zwar im niederösterreichischen Wolkersdorf gerade erst ein ziemlich großes Schulhaus für die BIG mitten auf die grüne Wiese gestellt, aber das ist inzwischen die Ausnahme. Denn erstens werden die grünen Wiesen langsam selten, und zweitens verlagert sich der Schwerpunkt der Aufgabenstellung zunehmend auf die Sanierung und Erweiterung bestehender Schulbauten.

Man kann das in Gänserndorf an einem markanten Beispiel studieren, wo alles zusammenkommt, was solche Bauaufgaben charakterisiert: ein sehr knappes Baubudget, ein sehr enges Grundstück und die Notwendigkeit, die Bauarbeiten - abgesehen von den Ferien - bei laufendem Schulbetrieb durchzuführen. Einfach ist das nicht.

Am Anfang stand ein Wettbewerb, den das Wiener Büro Nehrer + Medek im Jahr 2000 gewonnen hat. Aufgabe war, zwei bestehende dreigeschoßige Schultrakte, die durch einen ebenerdigen Gang verbunden waren, und einen eingeschoßigen Mehrzweckraum im Hofbereich in die Planung einzubeziehen, vorhandene Behelfsbauten, die im Lauf der Jahre dazugekommen waren, wurden hingegen abgerissen. Angrenzend an das Grundstück: auf der einen Seite ein öffentlicher Platz, der hauptsächlich als Parkplatz genutzt wird, auf der anderen der Gemeindesaal, der auch als Turnhalle für die Schule dient.

Es geht um eine Handelsakademie und eine Handelsschule, Einrichtungen also, die ein relativ großes Einzugsgebiet bedienen. Entsprechend war auch der Klassenbedarf. Nehrer + Medek haben diese Notwendigkeit mit einem Konzept bewältigt, das auf den ersten Blick unheimlich einfach erscheint: Sie haben als wesentlichste Maßnahme über den gesamten Bestand ein Brückenbauwerk - einen Virendeel-Träger - gespannt. Vorne, an der Straße, somit an der Schmalseite des Grundstücks, tritt diese Neubaumaßnahme nur durch eine dezente Auskragung, aber einen besonders freundlichen, sagen wir: kürbisgelben Anstrich in Erscheinung. In der Tiefe des Grundstücks wird dann die volle Länge dieser Neubaumaßnahme nachvollziehbar.

Eine simple, aber auch sehr geschickte Maßnahme des Konzepts bestand im Absenken des Schulhofs zwischen den beiden Altbautrakten um ein Geschoß. So wurde großzügiger „Kellerraum“ gewonnen - hier ist unter anderem die Bibliothek -, wunderbar belichtet und alles andere als ein Notbehelf.

Schließlich wurde dem zweiten Altbautrakt, dem in der Grundstückstiefe, auch noch ein kleiner, relativ schmaler Neubau vorgestellt, der jetzt den attraktiven neuen Eingang in die große Halle flankiert - der alte Haupteingang, vorne an der Straße, existiert aber nach wie vor. Durch diese Maßnahme ergeben sich zwar ein paar Klassenräume, die nicht optimal natürlich belichtet scheinen, aber in einer Schule, in der EDV eine so große Rolle spielt, wird dieses Problem eigentlich nicht virulent, es entspricht eher einem Bedarf. Denn Bildschirmarbeit bei strahlendem Sonnenschein ist sowieso nicht zumutbar.

Nehrer + Medek haben den Altbestand praktisch nicht verändert, sie haben ihn lediglich saniert. Sogar die alten Holzfenster, wenn auch neu gestrichen, sind noch da. Ebenso die sanitären Einrichtungen. Man hatte ja nur ein sehr knappes Budget, Extratouren waren daher nicht möglich. Und dass das gesamte Bauvorhaben in diesem Umfang überhaupt realisiert werden konnte, das hat auch damit zu tun, dass das Büro alle Aufgaben - einschließlich Bauaufsicht und Kostenverantwortung - übernommen hat. Das ist deswegen erwähnenswert, weil heute immer weniger Architekturbüros in der Lage sind, eine so breite Aufgabenpalette zu erfüllen. In Gänserndorf sieht man aber, wie entscheidend es ist, dass alles in einer Hand bleibt, in einer Verantwortung. Denn je mehr Partnerbüros zugeschaltet werden, desto stärker verwässern sich die architektonische Idee, das Konzept, vor allem aber seine Umsetzung.

Es kommt einfach etwas anderes heraus, wenn der Architekt selbst entscheidet, wo er sich welche Oberflächen leistet, wo er im Dienst der Sache mehr Geld ausgibt und wo er spart. Bei den Außenjalousien zum Beispiel haben Nehrer + Medek nicht gespart, da haben sie ein besonders robustes System gewählt, weil es hier im Weinviertel immer wieder zu einem ziemlich extremen Windaufprall kommt und ein filigraneres Jalousiensystem dem einfach nicht gewachsen wäre. Dafür hat man sich andererseits bei den Terrazzoböden mit einem preisgünstigen Plattensystem begnügt, anstelle eines aufwändigeren Gussterrazzos.

Räumlich stimmt alles. Wenn man vom unscheinbaren alten Haupteingang in die Schule hineinkommt, dann steht man zwar vor einem unheimlich langen Gang, aber der weitet sich perspektivisch auf - und vor allem: Man sieht durch bis ganz ans Ende und hinaus ins Freie. Sehr gelungen ist auch die Öffnung und Durchwegung des knapp bemessen Freibereichs in der Grundstücks-tiefe. Die Einfassung mit einer teils hohen neuen, teils niedrigen alten Mauer ist so aufgeschnitten, dass die Schüler auch den angrenzenden öffentlichen Platz nutzen könnten. Was sie aber kaum tun, weil der zur Schule gehörige Freibereich bei aller Begrenztheit eben ziemlich gut strukturiert ist, auch durch den abgesenkten und von außen zugänglichen großen Hof, so dass offenbar gar kein Bedürfnis besteht „zu expandieren“.

Das Haus ist natürlich sehr energiebewusst geplant: Es hat Vollwärmeschutz-Fassaden, die zwar nicht zum Attraktivsten zählen, was sich denken lässt, aber das muss man in Kauf nehmen, wenn man auf niedrige Betriebskosten Wert legt. Nur im Bereich des vorgestellten neuen Traktes haben sich die Architekten an der Fassade emailliertes Glas geleistet, und der vorgesetzte Windfang ist natürlich ganz gläsern und einladend transparent.

Da es flächenmäßig keinen Spielraum gab, bedurfte es schon einer ziemlich minutiösen Tüftelei um das gesamte Raumprogramm unterzubringen. Aber das vergisst man, wenn man durch das Gebäude geht. Und dazu trägt die neue Halle mit ihrer Zweigeschoßigkeit sehr wesentlich bei. Da entsteht Luftigkeit, Großzügigkeit, Offenheit, und das überstrahlt und relativiert alle räumlichen Engpässe.

Für die Architekten war das Haus, obwohl der Neubauteil ja gar nicht so groß ist, keine leichte Aufgabe. Umbau und Neubau bei laufendem Schulbetrieb, das heißt: Keine lauten Arbeiten während des Unterrichts, und die Schulklassen umgesiedelt in Container, die draußen vor der Baustelle standen.

Für Manfred Nehrer kam noch etwas hinzu: der völlig überraschende Tod seines Büropartners Reinhard Medek, in dessen Kompetenz dieses Projekt ursprünglich lag. Medek ist im Frühjahr gestorben, also noch vor den großen Sommerferien und damit einer Phase der intensivsten Bauarbeit. Da mussten im Büro letzte Kraftreserven mobilisiert werden, um diesen Verlust auszugleichen.

Übrigens ist eines auffällig: Die Niederösterreicher haben nur wenig Grund, auf ihre architektonischen Aktivitäten stolz zu sein. Es gibt die Hauptstadtplanung, na gut. Es gibt in Krems immer wieder bemerkenswerte Initiativen. Es gibt Ernst Beneder. Und neuerdings gibt es in Wolkersdorf den erwähnten Schulbau von Günther Domenig, der allerdings vom Bund beauftragt wurde. Aber dann muss man, vor allem im nördlichen Niederösterreich, schon ziemlich suchen. Nur Gänserndorf scheint über ein etwas offeneres Architekturklima zu verfügen: Da hat immerhin das BKK-2 eine bemerkenswerte Musikschule gebaut, und da haben Nehrer + Medek schon vor Jahren eine Volksschule geplant, die sich auch heute noch sehen lassen kann.

Eine kleine Boshaftigkeit kann ich mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen: Die Volksschule ist seit sieben Jahren in Betrieb und bis heute in tadellosem Zustand; die Handelsakademie/Handelsschule wird erst seit wenigen Wochen bespielt - aber unter einem gepflegten Schulhaus stelle ich mir etwas anderes vor.

11. Oktober 2003 Spectrum

Für die Nase bauen

Wie man zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur setzt; und wie man kreativ die Schulbauverordnung unterläuft: ein Lehrbeispiel aus Vorarlberg von Cukrowicz.Nachbaur.

Moderne, zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur zu setzen ist ein Problem. Oft eine Frage des Maßstabs, immer eine Frage des architektonischen Ausdrucks. In der kleinen Gemeinde Doren (1000 Einwohner) im Vorderen Bregenzerwald lässt sich dieses Thema wieder einmal studieren: am Beispiel einer Volksschule mit Kindergarten und Turnhalle, die, von „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“ geplant, im „Herzen“ des Dorfes, gleich neben Kirche und Friedhof, realisiert wurde.

Man muss vielleicht vorweg sagen, dass das landschaftliche Umfeld einfach spektakulär ist. Die Schule ist auf einem Hang errichtet, der vom tiefsten Punkt an der Straße bis hinauf zum Kinderspielplatz immerhin ein Gefälle von 20 Metern hat. Aber wenn man da oben, sozusagen auf dem höchsten Punkt des Schulgeländes, nur ein paar Schritte weitergeht, übrigens vorbei an Roland Gnaigers Kinderspielhaus, dann kommt da ein Wasserfall von den Bergen herunter, und man steht wirklich vor einem beeindruckend malerischen „Natur-Bild“. Noch viel eindrucksvoller ist aber der Fernblick: An schönen Tagen sieht man da fünf Bergrücken hintereinander gestaffelt!

Den Architekten war das natürlich bewusst. Es wird einem sofort klar, wenn man durch ihr Gebäude geht. Die geschoßweise unterschiedliche Orientierung hat auch mit diesem Fernblick zu tun: Man steht immer wieder vor einem anderen durch die Öffnungen in der Fassade quasi gerahmten Landschaftsbild.

Aber das ist gewissermaßen nur ein angenehmer Nebenaspekt des Entwurfs von „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“. Was wirklich wichtig dabei ist, was auch über diesen speziellen Bau hinausweist, das ist einerseits die Frage des Umgangs mit der Kubatur, das ist andererseits die Art und Weise des Innenausbaus.

Man muss sich vorstellen, dass der Bauplatz ziemlich klein ist. Es stand dort eine Volksschule, die aber in so schlechtem Zustand war, dass sie auf jeden Fall abgerissen werden musste. Schwierig war allerdings das Programm: Turnhalle, Kindergarten, Räume für die Lehrer, Mehrzweckraum, vier Klassenzimmer, zwei Werkräume - das ist nicht ganz leicht unterzubringen, wenn man kaum Platz hat. Das Kinderhaus von Roland Gnaiger wurde daher auch für den Abbruch freigegeben. „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“ haben von dieser Möglichkeit - man möchte sagen „natürlich“, denn es handelt sich um eine architektonische Ehrensache unter Kollegen - keinen Gebrauch gemacht. Sie haben vielmehr ein unheimlich kompaktes Gebäude entwickelt, das all die unterschiedlichen Funktionen auf fünf Geschoßen - im Dorf an sich eine unmögliche Gebäudehöhe - unterbringt, aber mit so viel Geschick, auch unter Ausnutzung der Hanglage, dass selbst vom tiefsten Punkt an der Straße nur vier Geschoße sichtbar sind.

Jedenfalls fiel die Entscheidung der Jury im Wettbewerb von 2001 auch auf Grund dieser Voraussetzungen klar und eindeutig aus. Alle anderen Projekte haben einfach viel mehr Platz beansprucht.

Das Gebäude ist aus Sichtbeton und hat ein Flachdach. Rundherum sind natürlich Satteldächer, Sichtbeton gibt es sowieso keinen. Letzterer ist, man weiß es, das Lieblingsmaterial heutiger Architekten, der Großteil der Bevölkerung tut sich trotzdem schwer damit. In Doren kann man aber studieren, was dieses Material auch in Bezug auf den architektonischen Ausdruck in einem traditionellen Umfeld leistet: Es drängt sich überhaupt nicht vor, es gebärdet sich geradezu bescheiden.

Dabei sind „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“ äußerst überlegt damit umgegangen. Es gibt ihn nur da, wo er tragend ist, also an den Fassaden und in Form raumüberspannender Träger, die über die gesamte Gebäudetiefe reichen und in die jeweils eine große Öffnung geschnitten ist - da liegt die Erschließung. Hinzugefügt werden muss unbedingt: Die Qualität des Sichtbetons ist sensationell, da stimmt jede Kante. Und selbst ein winziges Detail wie die bündig in der Wand des Stiegenhauses sitzenden Handläufe - 20 Zentimeter Einsparung bei der Gebäudetiefe, aber wie kompliziert für die Schalung! - wurde perfekt umgesetzt.

Straßenseitig betritt man das Gebäude, kommt in einen Windfang und danach in ein Foyer. Zuvor sieht man schon von außen, links vom Eingang durch große Verglasungen in den eingegrabenen Turnsaal, eine Kleinturnhalle mit fünf Metern Raumhöhe bei zehn mal 18 Metern Grundfläche; das Foyer selbst hat übrigens nur eine Raumhöhe von 2,30 Metern. Das ist aber gar nicht unangenehm, und durch den Ausblick in den Turnsaal mit seiner großen Raumhöhe ist man schon darauf eingestimmt, dass dahinter andere, höhere Räume kommen.

Die Architekten haben da wirklich etwas geleistet. Denn sie haben die Vorarlberger Schulbauverordnung in zweierlei Hinsicht unterlaufen. Erstens haben sie - und das ist insofern überraschend, als es wirklich positiv verbucht werden muss - die Raumhöhen um zehn Prozent reduziert, also von 3,20 Metern auf 2,90. Und zweitens haben sie durchgesetzt, dass zum ersten Mal in Österreich in einer Schule unbehandelte Oberflächen - Holzoberflächen aus Weißtanne, auf dem Boden sogar sägerau - zugelassen wurden.

Zunächst zur Raumhöhe: Die Reduktion hat natürlich maßgeblich dazu beigetragen, dass der Baukörper so minimiert ist. Sie wurde allerdings nur möglich, weil die Architekten eine kontrollierte Be- und Entlüftung vorgeschlagen haben. Die bisherige, eigentlich zwingend vorgeschriebene Raumhöhe basiert auf der Voraussetzung einer Fensterlüftung. Heute gibt es dazu Alternativen. Und wenn man die in ihren Auswirkungen durchdenkt, dann stellt sich die Einsicht ein, dass man diese Raumhöhen gar nicht braucht. Volksschüler sind klein, und die Lehrer sind auch nicht so groß, dass sie über drei Meter hohe Räume zwingend brauchen würden. Für den Bau - und sein Verhältnis zur Umgebung - hat diese Maßnahme wirklich etwas gebracht. Ich frage mich, ob es in der Bundeshauptstadt auch so einsichtige Behörden und Bauherrn gibt . . .

Und dann dieser Innenausbau mit der Weißtanne! Die unbehandelten Oberflächen! Das ist ja die reinste Geruchsarchitektur! In diesen Räumen gibt es einen Duft, nicht aufdringlich, aber so wohltuend - die Kinder sind zu beneiden. Und man glaubt es nicht: Die Böden sind derartig sauber - die Architekten sagen, sie sind selbstreinigend -, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die Schule längst in Betrieb ist.

Übrigens sind die Klassen ganz besonders schön: Die Kinder sitzen an Einzeltischen eines Schweizer Herstellers, die mit einem Handgriff höhenverstellbar und auch in der Tischplattenneigung verstellbar sind. Das ist natürlich viel teurer als ein herkömmliches Programm. Aber es ist halt auch viel besser. Und der Schuldirektor, der Bürgermeister, alle, die bei diesem Bau mitzureden hatten, haben eingesehen, dass damit etwas gewonnen ist: Wohlbefinden. Gerade für die Kleinsten.

Ich glaube nicht, dass man im Osten Österreichs derzeit ein solches Projekt - in dieser Qualität - umsetzen könnte. Vorarlberg ist wirklich, es gibt keinen Zweifel, ein gesegnetes Architektur-Land.

6. September 2003 Spectrum

Chips in Haute Couture

Die Bauaufgabe war an sich banal. Das Objekt aber, das Marte.Marte in den Lustenauer Gewerbepark gestellt haben, ist alles andere als banal. Es könnte sich baukünstlerisch auch im großstädtischen Raum ohne weiteres behaupten.

Gewerbegebiete sind in der Regel die „Nicht-Orte“ unserer städtischen Peripherien. Auf ganz ungebührliche Weise wuchern sie in die Landschaft hinaus, zersiedeln sie, ohne doch jemals Stadt, und sei es nur „Satellitenstadt“, zu werden. Gewerbegebiete sind öd. Ich kenne keines, wo ich hinfahren würde, einfach, um es zu „erleben“. Man fährt notgedrungen hin, weil man dort zu tun hat, sonst lässt man es bleiben.

Das gilt zwar grundsätzlich auch für den Millenniumspark in Lustenau. Aber eben nur grundsätzlich. Denn zumindest für Architekturinteressierte stellt er die unbedingt sehenswerte, die große Ausnahme dar. Einfach weil hier vorweg - städtebaulich - geplant, geordnet wurde. Da steht nichts kreuz und quer, da gibt es vielmehr eine erkennbare und überschaubare Struktur der Bebauung, die zwar nur durch ganz einfache und rigide Erschließungswege gegliedert ist, aber immerhin.

Nun muss man natürlich sagen: Auch der beste Städtebau entfaltet keine Wirkung, wenn die gebauten Objekte nicht interessant, wenn sie nur ökonomisch, billig und folglich meistens auch dümmlich sind. Genau das ist es aber, was den Millenniumspark zur großen Ausnahme macht: Hier lohnt es sich wirklich, die einzelnen realisierten Objekte - sie stammen von Baumschlager & Eberle bis Dietrich.Untertrifaller - in Augenschein zu nehmen.

Neuestes Highlight: das „SIE“-Gebäude von „Marte.Marte Architekten“. Es ist wirklich etwas Besonderes. Es könnte überall stehen, sogar mitten im großstädtischen Raum. Der baukünstlerische Anspruch ist einfach so umgesetzt, dass sich das Gebäude in seiner architektonischen Qualität unabhängig vom Umfeld behauptet.

Das Haus beherbergt ein Unternehmen, das sich mit Elektronik beschäftigt. Was immer das ist, hier findet Chip-Handel statt, hier werden aber auch Maßanfertigungen für spezielle Aufgaben entwickelt, also elektronische „Haute Couture“.

Kommen wir zur Architektur. Die ist einfach großartig. Ist es ein Hochhaus? Keineswegs. Auch wenn es nach der herrschenden Baugesetzgebung unter diesem Titel firmiert. Nein, es ist bloß ein hohes Haus. Ein Haus mit Erdgeschoß und fünf Obergeschoßen. Knapp 26 Meter hoch, also weit höher als die empfohlene Bebauungshöhe im Millenniumspark, die sieht etwa zwölf Meter vor. Macht aber nichts, dadurch, dass das Haus ganz in der Tiefe der Fläche des Gewerbeparks liegt, setzt es einen abschließenden Akzent. Städtebaulich ist es also in Ordnung.

Architektonisch ist es etwas Besonderes. Denn es ist ein Haus ohne Regelgeschoß: Kein Geschoß ist wie das andere. Reden wir gar nicht davon, dass es erst einmal einen Bauherrn braucht, der sich auf eine solche ökonomische Regelwidrigkeit einlässt. Reden wir nur davon, was ein solches architektonisches Konzept im größeren Zusammenhang üblicher Verwaltungs- und Produktionsgebäude für einen Stellenwert behauptet. Die Botschaft ist eindeutig: Selbst in Zeiten der ökonomisch bedingten architektonischen Banalität ist so etwas wie Baukunst möglich ist. Auch bei solchen Aufgaben.

Von außen erscheint das Haus sehr, sehr transparent. Das ist aber zu einfach. Denn das erste Obergeschoß - dort ist das Lager situiert - präsentiert sich hermetisch verschlossen. Es hat schmale Lichtschlitze und an einer Seite einen Fassadenteil, der aus dem rechten Winkel verschwenkt ist.

Für die Gestalt des Gebäudes ist dieser geschlossene Fassadenteil unheimlich wichtig. Die Wirkung der riesigen Glastafeln darüber - Formate im Bereich von zwei Metern Breite und sechs Metern Höhe oder von drei Metern Höhe und vier Metern Breite, wobei jede dieser Glastafeln ungefähr eine bis eineinhalb Tonnen schwer ist -, die ist natürlich toll. Die Gebäudehaut erscheint dadurch viel homogener, als das normalerweise der Fall ist. Und sie macht etwas auch nach außen sichtbar, was man so ja gar nicht glauben würde: dass jedes Geschoß eine andere Raumhöhe hat.

Sie hatten wirklich einen großartigen Bauherrn. Sonst wäre das sicher nicht gegangen. Man kommt in einen sehr niedrigen Empfangsbereich hinein - 2,60 Meter und weniger -, und als Besucher fährt man dann mit dem Lift ins oberste Geschoß, das ausschließlich der Verwaltung vorbehalten ist. Das ist übrigens das Geschoß, das baulich am wenigsten „kann“. Es ist völlig normal, drei Meter hoch, mit einer Besprechungszone im Kern. Mehr braucht es hier aber auch nicht, die Aussicht ist so sensationell, dass sich alles andere erübrigt.

Im Geschoß darunter sind die 4,50 Meter Raumhöhe schon eine Kategorie für sich. Das gibt es selten. Und noch seltener gibt es eine Cafeteria mit acht Metern Raumhöhe. Das Haus hat alles das. Es ist dabei intern völlig logisch, für den Blick des Außenstehenden aber doch ungewöhnlich organisiert: ganz unten Empfang, auch Anlieferung und Versand, darüber Lager (der Grundwasserspiegel ist hier so hoch, dass es viel zu riskant wäre, die empfindlichen Elektronikteile in einer Kellersituation aufzubewahren), dann Produktion, schließlich Entwicklung und ganz oben Verwaltung.

Wie gesagt, das Haus hat viele Besonderheiten. Architektonisch vorgesehene und andere. Zu den anderen gehört die Anlieferungsrampe, „der angenehmste Ort des Hauses“ (so die Architekten), wo sich die Mitarbeiter eine Art unkontrollierten Freibereich erobert haben; dann gibt es den Balkon im Produktionsbereich; schließlich den sechs Meter auskragenden, ganz schmalen Balkon, der irgendwie die Corporate Identity des Hauses ausmacht - als Raucherbalkon erfüllt er allemal einen Zweck.

Marte.Marte haben sogar die Erschließung speziell gelöst. Es gibt kurze interne Wege, einerseits in Form einer richtigen Stiegenhausskulptur, einer runden Wendeltreppe, und andererseits in Form einer sehr langen, geraden Treppe. Das erscheint zusätzlich zu Lift und Fluchttreppenhaus aufwendig, ist aber offenkundig praktisch, denn diese Treppen werden andauernd benutzt.

Eine andere Besonderheit findet sich auf der obersten, der Verwaltungsebene: Es ist eine Art Nachdenk-Raum, der sich durch Vorhänge zu einer Variante des Beduinenzelts schließen lässt.

Und vor allem gibt es die räumlich großartige Cafeteria, auf die ein Innenbalkon orientiert ist: Die gewaltige Raumhöhe - die Glastafeln an der Fassade sind sechs Meter hoch! - verlangt geradezu nach einem solchen architektonischen Aperçu.

Die Architekten haben sich auf ganz wenige Materialien beschränkt: Sichtbeton in hervorragender Ausführungsqualität, Glas (Dreifachgläser) in den erwähnten riesigen Formaten, gehalten von natureloxierten Aluminiumprofilen, die helle Farbigkeit von Birkensperrholz an Wänden und Decken (aus akustischen Gründen), schließlich ein schwarzgrauer Filzbelag auf dem Boden. Letzterer war notwendig, weil er erstens antistatisch und zweitens ableitfähig ist, und obendrein konnte man ihn in 60-mal- 60-Zentimeter-Elementen verlegen, ohne dass man die Fugen allzu deutlich (eigentlich fast gar nicht) sieht. Das war wichtig, weil darunter ein Doppelboden ist, in dem die ganze Technik geführt wird, und zu der muss man gegebenenfalls auch dazu können.

Die Architekten geben übrigens recht freimütig zu, dass das Gebäude kein Vorzeigeobjekt des Energiesparens ist, um es einmal so zu formulieren. Es ist natürlich voll klimatisiert. Aber es liegt nicht oder nicht allein an der Glasfassade, dass hier besonders in der warmen Jahreszeit recht aufwendig gekühlt werden muss.

Die Fassadengläser mit ihren sonnenschutzbeschichteten Dreifachgläsern und ihrem im Abstand von einem halben Meter innenliegenden, zusätzlichen Blendschutz, die leisten ohnehin sehr viel. Im Produktionsbereich aber, wo bei manchen Teststationen sechzig Computer gleichzeitig laufen, da entsteht so viel Wärme, dagegen kommt auch die beste Fassadentechnologie nicht auf.

Um so etwas wie ein Resümee zu ziehen: Man muss dem Bauherrn und den Architekten attestieren, dass sie ein rundum ungewöhnliches, weil so besonderes Gebäude in den Lustenauer Millenniumspark gestellt haben. Und um es noch einmal und nachdrücklich zu wiederholen: Es ist einfach wundervoll, wenn Architektur, wenn gebaute Objekte auch Momente beinhalten, die nicht unbedingt notwendig sind. Die Großzügigkeit des Unnützen ist es, die wir heute so sehr vermissen. Wo für sie auch noch Raum (und Geld) vorhanden ist und wo Architekten planen, die das entsprechende Feeling für das gebaute Detail haben, da kann sogar bei einer so banalen Bauaufgabe wie einem Objekt in einem Gewerbepark wirklich etwas entstehen.

Publikationen

2008

Hermann & Valentiny and Partners
Codes

Seit 25 Jahren führen Hubert Hermann und François Valentiny ihre Büros in Wien und Luxemburg. Was sie verbindet, ist eine gemeinsame Haltung, die sie über die Jahre im verbalen und entwerferischen Gedankenaustausch präzisieren. Was sie trennt ist der Standort: Hier die Großstadt Wien, dort das kleine,
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: Birkhäuser Verlag

2005

T-Center St. Marx, Wien / Vienna

Das spektakuläre T-Center Wien wurde von den Architekten Günther Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker entworfen und gebaut. Das kürzlich fertiggestellte Projekt beherbergt auf einer Nutzfläche von 119000 m² Büros für 3000 Angestellte. Der Bau ist eine ungewöhnlich proportionierte, liegende
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm, Günther Domenig, Hermann Eisenköck, Herfried Peyker
Verlag: Birkhäuser Verlag

2005

Wilhelm Holzbauer
Holzbauer und Partner / Holzbauer und Irresberger

Wilhelm Holzbauer zählt zu den bedeutendsten österreichischen Architekten und Architekturlehrern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine architektonische Haltung leitet sich von der Moderne ab, ist aber auch in einen großen geschichtlichen Entwicklungszusammenhang eingebettet. Er versteht es mit
Hrsg: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: SpringerWienNewYork

2004

Nehrer + Medek
30 Jahre Architektur im Kontext

Ein Buch, das fällig ist. Denn es stellt die Arbeit eines Büros vor, das unbeirrt von allen kurzlebigen Trends langlebige architektonische Lösungen präsentiert. Nehrer + Medek gelten als „die Schulbauer“ schlechthin; auf diesem Gebiet haben sie – vor allem auf der Basis von Wettbewerben – Hervorragendes
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: Verlag Anton Pustet

2003

Baumschlager & Eberle
Bauten und Projekte / Buildings and Projects 1996 - 2002

Der aktuelle Werkbericht aus dem erfolgreichen Vorarlberger Architekturbüro. Seit den Anfängen in den achtziger Jahren ist der Name B&E zum Markenzeichen für äußerst intelligente, ökonomische und ökologische Lösungen geworden, die immer auch durch ihre dauerhafte formale Qualität bestechen. Den Dimensionssprung
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: SpringerWienNewYork