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Eine tote Ecke lebt auf
Spectrum

Im Tiroler St. Anton jodelt's offenbar nicht mehr an jeder Ecke. Über die neue Talstation der Rendlbahn, ein Stück sehenswert moderner Architektur.

12. Dezember 2009 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wenn an Churchill etwas wirklich sympathisch war, dann dieser Spruch: „No Sports“. Als Nicht-Skifahrer, den es um diese Jahreszeit nach St. Anton verschlägt, kann man dem Briten nur beipflichten. So eine grandiose Landschaftskulisse! Aber alles dreht sich nur um den Schnee: ob genug davon vom Himmel fällt und ob es wenigstens Minusgrade hat, damit die Schneekanonen erfolgreich arbeiten können. Die Saison beginnt gerade erst, die Hoteliers zittern, die Seilbahnen laufen (noch) mit reduziertem Tempo. Aber das wird sich innerhalb von Tagen ändern, und dann muss die neue Rendlbahn-Talstation ihre „Schneeprobe“ bestehen. Geplant wurde sie von Georg Driendl, einem gebürtigen Tiroler, dessen Büro Driendl*Architects in Wien ansässig ist. Und der sich schonmit dem Bau des Hotel Lux Alpinae und der Galzigbahn-Talstation unübersehbar ins Ortsbild eingeschrieben hat.

Man muss allerdings anmerken, dass in St. Anton im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2001 einiges an zeitgenössischer Architektur passiert ist. Denken wir nur an den Bahnhof und das Zielstadion von Manzl.Ritsch.Sandner, an die Mehrzweckhalle samt Wellnessbad von Dietrich.Untertrifaller, an das beispielhafte „Hotel Anton“ von Pöschl.Comploj. Damit entstanden Bauten, die dem „Haufendorf“, von dem noch ein Friedrich Achleitner in seinem Tirol-Führer reden konnte, urbanere Züge verliehen.

Und genau dieser Entwicklung trägt Georg Driendl mit seinen Arbeiten Rechnung. Die neue Talstation der Rendlbahn agiert weniger als bauplastischer Solitär – dieses Statement hat Driendl schon mit seiner vielfach ausgezeichneten Galzigbahn abgeliefert –, sondern als architektonische Intervention, die dem Ort auch unmittelbar zugute kommt, indemsie mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigt. Sie liegt zwar mitten im Ort, ist aber doch ein relativ niedriges Gebäude. Die markante Gebäudeform – an der Zentrumsseite gerundet, Richtung Hang ausgestreckt – ist aus der Luft, also von der Seilbahn aus, besser nachvollziehbar als zu ebener Erde. Denn das Haus nimmt auf seiner unteren Ebene den gesamten Busverkehr auf. Es ist Terminal für die öffentlichen Busse, liefert Parkmöglichkeiten für die Hotelbusse und stellt für Taxis und Busse eine Durchfahrt zur Verfügung. Obendrein auch noch einen überdachten Platz, an dem eventuell Tourismus-Informationskioske angesiedelt werden können.

Damit wird der Ortskern, der natürlich in der Hochsaison vom Verkehr überflutet ist, nachhaltig entlastet. Diverse Repräsentanten der Nachbargemeinden reisen schon an, um diese Lösung in Augenschein zu nehmen. Die Bahn selbst ist technisch als eher konventionelle Einseilbahn gelöst, die Materialien sind natürlich vor allem Beton, Stahl und Glas, die in diesem Fall extrem viel leisten müssen, weil das Gebäude in der „gelben Zone“ liegt, also lawinengefährdet ist. Und sie sind durchwegs sehr roh belassen. Denn: Die tatsächliche Bauzeit für ein solches Objekt ist extrem kurz. Nur wenige Monate stehen zur Verfügung. Im konkreten Fall: Juni bis jetzt. Da kann man es sich nicht leisten, etwa eine Ausblühung im Beton nachzubessern, es gibt andere Prioritäten. Zu Recht: So ein Verkehrsbauwerk ist keine Kathedrale.

Wichtig erscheint aber die Einbindung dieser Talstation einer Seilbahn ins Gelände. Driendl musste eine Fußgängerbrücke planen, die sich in einem langen Schwung von der Ortsmitte bis hinüber erstreckt, wo die Skifahrer von der Piste herunterkommen. So gelangen sie ohne Probleme und Barrieren wieder zum Ausgangspunkt zurück. Allein die Fahrt hinauf auf den Rendl, auf den Galzig ist ein Erlebnis, das man als Architekt vom Start weg, also der Talstation, entsprechend zu inszenieren hat. Interessant übrigens, nur so als Zwischenruf, dass diese Berge alle männlich sind. Das Einbinden der Talstationen in den Ortskern bedarf möglicherweise einer genaueren Betrachtung. Denn eigentlich möchte man meinen, je weiter weg, aus dem Ort hinaus, desto besser. Aber genau das stimmt nicht, weil man damit unendlich viel Verkehr produzieren würde. Kein Skifahrer schultert heute seine Ski und marschiert stundenlang zu Fuß, er lässt sich – egal ob mit öffentlichem Bus aus einem Nachbarort, mit einem Hotelbus oder dem Taxi – direkt zur Seilbahn bringen. Und viele, die direkt in
St. Anton wohnen, können jetzt tatsächlich in wenigen Fußminuten an den Talstationen sein.

Außerdem tragen beide Gebäude zu einer sinnvollen Zentrumsbildung bei: die Rendlbahn, weil sie im Bereich einer aufgelassenen Bahntrasse errichtet wurde, einer Art städtischer Brache, mit der man sowieso etwas machen musste (eine ungenutzte „Restfläche“ gibt es dort immer noch). Und die Galzigbahn, weil sie eine so spektakuläre architektonische Geste darstellt, dass sich um sie herum und ihr zugewandt Geschäfte und Lokale angesiedelt haben, so dass ein vernachlässigter Ort, eine tote Ecke, zum belebten Mittelpunkt geworden ist.

Darauf hat Driendl ganz bewusst spekuliert: Sein gläsernes Implantat – immerhin 20 Meter hoch und 85 Meter lang – macht die aufregende und innovative technische Lösung dieser Zweiseilbahn weithin sichtbar. Da dreht sich ein Riesenrad (fast zehn Meter Durchmesser) und hebt die Gondeln zur Seilbahn hinauf, so dass die Skifahrer ebenerdig einsteigen können. Das ist wirklich sehenswert und hat sich nicht von ungefähr erst kürzlich, bei den IOC/IAKS Awards des Internationalen Olympischen Komitees und beim ISR Award für herausragende Architektur am Berg, neben Sportbauten der allerersten internationalen Architekturprominenz durchsetzen können.

Von St. Anton, wo immerhin auch ein Clemens Holzmeister seine Spuren hinterlassen hat, kann man heute jedenfalls nicht mehr sagen, dass es an jeder Gebäudeecke jodelt. Die architektonischen Tirolerhüte sind natürlich nach wie vor da, aber sie treten ein wenig in den Hintergrund. Und die neuen Bauten, das zeigen gerade Hotels wie das Anton von Pöschl.Comploj und das Lux Alpinae von Driendl selbst, finden ihre Klientel. In Zeiten des Internets schauen sich die Leute einfach genau an, wie ihr mögliches Feriendomizil beschaffen ist. Und entgegen der landläufigen Meinung ziehen viele den zeitgenössischen Ausdruck eines Ambientes der vorgegaukelten, hölzernen Bodenständigkeit vor.

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