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Poliertes Bijou
1. Juni 2012 - Tina Cieslik
Architektur der Moderne ist nicht das Erste, was einem einfällt, denkt man an die ländliche Region zwischen Thun und Bern. Und doch findet sich hier, gut versteckt hinter jahrzehntealten Eichen, an der Hangkante zur Autobahn A6 ein architektonisches Kleinod aus den 1930er-Jahren: die Villa Caldwell, ein Einfamilienhaus für eine schweizerisch-britische Familie. Der von der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege in seiner Bedeutung zwischen regional und national eingestufte Bau befand sich 2004, als es zu einem Besitzerwechsel kam, noch weitgehend im Originalzustand. Von 2010 bis September 2011 wurde er vom Zürcher Architekturbüro Hauswirth instand gesetzt – ein nachahmenswertes Beispiel für den Umgang mit Bauten der Moderne.
Zwischen den herrschaftlichen Landsitzen der Bernburger wirkt der Bau, südöstlich von Bern in der Gemeinde Allmendingen gelegen, auch heute noch wie ein Fremdkörper. Der Gegensatz zu seiner landwirtschaftlich geprägten Nachbarschaft dürfte zur Entstehungszeit 1934/35 noch grösser gewesen sein. So verwundert es nicht, dass sich um Bau und Bewohner allerlei Gerüchte rankten: Von einer zum Schutz des Flugplatzes Bern-Belp auf dem Glockenturm installierten Flugabwehrkanone während des Zweiten Weltkriegs war die Rede; als später die belgische Gesandtschaft die Villa als Residenz nutzte, hiess es, der Bau diene untergetauchten Nazis als Versteck vor den Alliierten.
Konventionelles Raumprogramm mit seltsamen Ausnahmen
Bauherrin der Villa war Agnes Edith Welti, die jüngste Tochter einer britischen Mutter und eines Berner Vaters. Während des Physik- und Mathematikstudiums an der Universität Göttingen hatte sie ihren späteren Ehemann John Caldwell kennengelernt, der dort Chemie studierte. Anfang der 1930er-Jahre beauftragte das Ehepaar den befreundeten deutschen Architekten Otto Voepel1 aus Weimar mit einem Entwurf für eine Villa auf dem Bergliacker in Allmendingen. Das Grundstück befand sich an privilegierter Lage über dem Aaretal, mit Blick auf Belpberg und das Dreigestirn Eiger-Mönch-Jungfrau. Zwar existierte der Flugplatz Bern-Belp bereits seit 1929, die heute an das Grundstück grenzende Autobahn A6 zwischen Bern und Thun wurde aber erst rund 40 Jahre später gebaut.
Voepel entwarf einen Bau, der sich in seiner Gestaltung sowohl beim Formenkanon der Reform-Moderne bediente als auch traditionelle Elemente enthielt. Eine rückwärtige Vorfahrt führte zum Eingang des Hauses. Über die zentral gelegene Eingangshalle gelangte man in die drei repräsentativen Räume Bibliothek, Wohn- und Esszimmer, die alle südwärts zur Aussicht hin angeordnet sind. Anstelle der üblichen Gartenanlage, die wegen der Hanglage nicht möglich war, ordnete Voepel jedem Raum einen individuellen Aussenbereich in Form einer Terrasse zu. Das Flachdach und die gemauerten Brüstungen liessen den Bau als scharfgeschnittenes geometrisches Volumen wirken, das von weitem die Landschaft prägte – insbesondere da die Villa damals noch nicht von der heute ebenfalls geschützten Vegetation verdeckt wurde. Im hinteren nördlichen Bereich waren Wirtschaftsräume, Küche und Garderobe untergebracht. Die Wegführung in die Repräsentationsräume ist unüblich: Statt vom Entree direkt in das mittig gelegene Wohnzimmer, gelangt man zunächst linker Hand in die Bibliothek, dort öffnet sich eine Art versetzte Enfilade zu den beiden anderen Räumen (Abb. 10 13). Ob diese verschlungene Wegführung von Otto Voepel stammt, ist ungewiss – auf den Originalplänen ist schwach eine Tür zwischen Eingangsbereich und Wohnzimmer zu erkennen.2 Voepel war für den Entwurf der Villa verantwortlich, die Bauleitung vor Ort besorgte der Berner Architekt Paul Riesen, Baumeister war Hans Wüthrich aus Muri.
Auch im Untergeschoss gab es eine seltsame räumliche Anordnung: Über eine nach rechts aus der Mitte versetzte Treppe gelangte man zunächst auf ein Podest, von dem aus zwei weitere Treppen rechts und links zu Salon, Gartenzimmer und Billardraum sowie zu zwei seitlich angeordneten Nebenräumen für das Personal führten (Abb. 1). Statt die grosse Geste des Eintretens über das halbhohe Podest zu zelebrieren, trennte Voepel die Räume mit Wänden zu drei kleinen Einheiten. Eine Besonderheit bildet das auf der Ostseite gelegene Billardzimmer: Um die Mindestabstandsflächen von 1.50 m um den neun Fuss grossen Poolbillardtisch zu gewährleisten, ist die nördliche Wand entsprechend versetzt. Im Obergeschoss hingegen sind die Zimmer symmetrisch um den Treppenaufgang gruppiert.
Eckfenster und Klinkerplatten
Mit seinen gestaffelten Terrassen erinnert das Haus an Bauten von Adolf Loos, namentlich an die Villa Müller in Prag von 1930 (Abb. 7). Auch die unterschiedliche Behandlung der Fenster in Dimension und Konstruktion – Schiebefenster in Baubronze, Schiebefenster in gestrichenem Stahl, doppelt verglaste Drehfenster in Holz mit modern geformten Beschlägen und doppelt verglaste Holzfenster mit traditionellen Rudern – lässt diesen Bezug vermuten, ebenso wie der auf einem Quadrat basierende Grundriss. Gleichzeitig finden sich aber vor allem in den Details auch traditionelle Anleihen an den Heimatstil, wie die Kunststeinfassung der Eingangstüre oder die durch eine Ritzung im Verputz betonten Fenstereinfassungen.3
Eine Referenz an die Bauten der Moderne waren hingegen die grosszügigen, stützenlos ausgeführten Eckfenster in Bibliothek und Esszimmer (Abb. 2 16). Das Glas zwischen den schlanken Fenstereinfassungen ist kaum wahrnehmbar und wirkt wie eine Membran zwischen Brüstung und auskragendem Baukörper, zwischen Innen- und Aussenraum. Da es sich bei der Decke um eine Hourdisdecke handelt, wurden Betonunterzüge in das Fassadenmauerwerk eingearbeitet, um dieses Detail stützenlos ausführen zu können.
In der Oberflächengestaltung setzte sich diese Ambivalenz im Ausdruck fort: Die Bibliothek war mit Kassettendecke, Klinkerboden und gemauertem Cheminée konservativ ausgestattet (Abb. 13), in Wohn- und Esszimmer fand sich dagegen Parkett und grüner Linoleum. In Ober- und Untergeschoss wurde diese Schlichtheit weitergeführt, mit Linoleum am Boden und in Grün-, Blau- und Beigetönen gestrichenen Wänden. Dazu gab es weitere Details, die an Loos erinnern, wie die eingebaute Eckbeleuchtung am Podest im Untergeschoss (Abb. 15). Sowohl Simplizität als auch Traditionalismus wurden im Treppenhaus gebrochen: Die Wände waren hier ursprünglich in einem kräftigen Türkis gestrichen. Mit seinen Anleihen an traditionelle Typologien in Grundriss und Oberflächengestaltung in Kombination mit Elementen der Moderne lässt sich der Bau der deutschen Reform-Moderne der Zwischenkriegszeit zuordnen. Zusammen mit seinem aussergewöhnlich guten Erhaltungszustand verleiht ihm dies eine singuläre Stellung in der Schweizer Architektur.4
Vergessenes Schmuckstück
Die Familie Caldwell-Welti lebte nicht lange in der Villa, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verliess sie die Schweiz Richtung England.5 In den 1950er-Jahren nutzte die belgische Botschaft das Haus als Residenz, 1981 erwarb es der Berner Schriftsteller und Sagenforscher Sergius Golowin, der es bis 2003 bewohnte. Der neue Besitzer, der den Bau 2004 erwarb (ursprünglich, um auf dem Grundstück eine Einstellhalle für seine Oldtimer-Sammlung zu erstellen), bewohnt die Villa nun seit Fertigstellung der Umbauarbeiten im Herbst 2011.
Mit der durch den Besitzerwechsel ausgelösten Instandsetzung nach 70 Jahren wurde der Zürcher Architekt Stefan Hauswirth betreut. In enger Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege entwickelte er ein Konzept für den Umgang mit dem geschützten Bau.
Die augenfälligste nachträgliche Veränderung an der Originalbausubstanz war die Verdoppelung der Kaminwandscheibe an der Nordostecke des Baus zu einem Glockenturm (in der Gegend «Fressglöggli» genannt6 und verantwortlich für die Mutmassungen über eine Flak auf dem Dach), die allerdings noch unter den ursprünglichen Besitzern ausgeführt wurde. 2006 wies der Bau noch in weiten Teilen den Originalverputz auf. Die detailreichen Beschläge an den Fenstern waren ebenso wie die Mechanismen für den Sonnenschutz grösstenteils intakt, teilweise aber nicht mehr funktionsfähig. Da die filigranen Fenster integraler Bestandteil des Gebäudes sind, kam eine Ertüchtigung auf heutige Wärmedämmwerte oder auch ein besserer Schallschutz nur sehr bedingt infrage.
Reparaturen, Nachbildungen und neue Einbauten
Die Erneuerungsmassnahmen bestanden grösstenteils aus Reinigungs- und Ausbesserungsarbeiten. Ein bedeutender Eingriff war der neue Verputz der Aussenfassade. Obwohl der Putz generell in gutem Zustand war, wies er an wenigen Stellen grosse Risse aus, die
lokal ausgebessert werden sollten. Die Ausführung war aber so homogen, dass sich beim Ausbessern statt der zu reparierenden Stelle jeweils die gesamte Oberfläche vom Mauerwerk löste. Um die wertvollen originalen Spenglerarbeiten wie Brüstungsabdeckungen und Sonnenschutzmechanismen nicht zu gefährden, entschied man, den gesamten Bau mit einem als Kratzputz ausgeführten Kalkhydrat-Zementputz zu versehen, der in Zusammensetzung und Ausführung dem Original entsprach. Wie dieses enthält die neue Oberfläche einen Glimmeranteil von 25 %, die Nachzeichnungen der Fenster wurden ebenfalls wieder aufgenommen. Eine weitere Massnahme im Aussenbereich betraf die Abdichtung der Terrassen, die wohl wegen der teilweise falschen Ausrichtung des Gefälles nie vollständig dicht waren. Um dies in Zukunft zu gewährleisten, erhielten die Terrassen eine Oberfläche aus Flüssigkunststoff, dem Leuchtchips aus wasserlöslichen Polymeren beigemischt sind, um die ursprünglich enthaltene Glimmermischung nachzubilden. Die Sonnenstoren waren integral erhalten und wurden wieder funktionstüchtig gemacht, teilweise fertigten die Handwerker auch Nachbildungen an. Bei den Fenstern gingen die Architekten differenziert vor: Die originalen Holzfenster mit Zweifachverglasung an der Nord- und teilweise an der Ost- und Westfassade wurden ausgebessert und mit einer Doppelisolierverglasung von 14 mm energetisch ertüchtigt. Schwieriger war dies bei den Metallfenstern mit ihren sehr schlanken Profilen. Im Obergeschoss griff man auf in Japan hergestelltes Vakuumglas (High Performance Insulation Floatglas, Schallschutz 30 Rw/dB) zurück. Dieses ermöglicht einen U-Wert von 1.4 W/m2K bei einer Dicke von 6.5 mm (Abb. 21) und eignet sich damit für Instandsetzungen denkmalgeschützter Gebäude aus den 1930er-Jahren. Bei den Fenstern im Erdgeschoss konnte dieses Glas wegen der grossen Formate von maximal 280 × 170 cm nicht verwendet werden. Um den U-Wert zu optimieren, entschieden sich die Architekten hier für 8.5 mm dickes VSG-Glas mit einer eingelegten transparenten Wärmefolie, das einen U-Wert von 3.2 W/m2K erreicht.
Im Inneren erfolgte zunächst eine Bestandsaufnahme der Originalfarbigkeit, die bei den Erneuerungsarbeiten als Referenz diente, aber wesentlich dezenter ausgeführt wurde. Grössere bauliche Eingriffe betrafen vor allem Küche und Nasszellen. Die Küche war ursprünglich durch eine Wand mit Einbauschränken vom Esszimmer getrennt, lediglich ein in die Schrankwand integrierter schmaler Durchgang schuf eine Verbindung. Einer der Schränke wurde entfernt, die Nische dient nun als Durchreiche oder Bar, der Raum und vor allem die Eckverglasung an der Südseite sind nun in ihrer ganzen Tiefe erfahrbar (Abb. 16 – 18).
Bei den Nasszellen wünschte der Bauherr eine komplette Veränderung: Während die Anordnung identisch blieb, ist die Oberflächenbehandlung eine zeitgenössische. Die Architekten fotografierten jeweils einen Ast der gleichzeitig mit dem Bau gepflanzten Eichen, abstrahierten und verpixelten die Form und brachten dieses Motiv in die beiden neuen Bäder im Obergeschoss ein (Abb. 19 20). Wie die originalen Fliesen sind auch die neuen Plättli der Nasszellen fugenlos verarbeitet. Diese drastische Intervention versinnbildlicht die gute Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege: Die Villa kann nur erhalten werden, wenn sie bewohnt ist. Daher galt es, zwischen den denkmalpflegerischen Ansprüchen und den individuellen Wünschen des Bauherrn abzuwägen und, wo nötig, Kompromisse einzugehen. Die Eingriffe in den Bädern sind dazu reversibel, also aus denkmalpflegerischer Sicht vertretbar.
Im Untergeschoss korrigierten die Architekten die räumliche Disposition. Sie entfernten die Wände zwischen Salon, Billard- und Gartenzimmer, und es entstand ein grosszügiger, lichtdurchfluteter Raum, der über eine weitere Terrasse Zugang in den Garten gewährt. Auch
bei diesem Eingriff stellten die Beteiligten den Wohnkomfort über die originalgetreue Rekonstruktion. Als Erinnerung an die Wände erhielten die Originalstützen aus Kalksandstein eine Aufdopplung, die die Wandstärke der verschwundenen Raumteiler andeutet (Abb. 15).
Schönheit gegen Lärm
Das Problem der Dauerbeschallung durch die Autobahn konnte die Instandsetzung nicht beheben. Die Metallprofile der Fenster waren zu schlank für Schallschutzscheiben. Es ist den heutigen und künftigen Bewohnern daher zu wünschen, dass baldmöglichst Lärmschutzmassnahmen an der Autobahn durchgeführt werden. Ein Eingriff am Haus selber, wie es noch das Projekt von Peter Schenker und Kurt Gossenreiter 1997 vorsah (Abb. 24), steht heute aus denkmalpflegerischen Gründen ausser Frage.
Dass dieses für die Schweiz so aussergewöhnliche Haus gemäss denkmalpflegerischen Vorgaben erneuert und gleichzeitig weiterhin bewohnbar gemacht wurde, ist ein Glücksfall. Es wäre schön, wenn die dabei gemachten Erfahrungen hinsichtlich Materialverarbeitung und -technologie weiteren Bauten der Epoche zugutekommen könnten.
Tina Cieslik, cieslik@tec21.ch
Zwischen den herrschaftlichen Landsitzen der Bernburger wirkt der Bau, südöstlich von Bern in der Gemeinde Allmendingen gelegen, auch heute noch wie ein Fremdkörper. Der Gegensatz zu seiner landwirtschaftlich geprägten Nachbarschaft dürfte zur Entstehungszeit 1934/35 noch grösser gewesen sein. So verwundert es nicht, dass sich um Bau und Bewohner allerlei Gerüchte rankten: Von einer zum Schutz des Flugplatzes Bern-Belp auf dem Glockenturm installierten Flugabwehrkanone während des Zweiten Weltkriegs war die Rede; als später die belgische Gesandtschaft die Villa als Residenz nutzte, hiess es, der Bau diene untergetauchten Nazis als Versteck vor den Alliierten.
Konventionelles Raumprogramm mit seltsamen Ausnahmen
Bauherrin der Villa war Agnes Edith Welti, die jüngste Tochter einer britischen Mutter und eines Berner Vaters. Während des Physik- und Mathematikstudiums an der Universität Göttingen hatte sie ihren späteren Ehemann John Caldwell kennengelernt, der dort Chemie studierte. Anfang der 1930er-Jahre beauftragte das Ehepaar den befreundeten deutschen Architekten Otto Voepel1 aus Weimar mit einem Entwurf für eine Villa auf dem Bergliacker in Allmendingen. Das Grundstück befand sich an privilegierter Lage über dem Aaretal, mit Blick auf Belpberg und das Dreigestirn Eiger-Mönch-Jungfrau. Zwar existierte der Flugplatz Bern-Belp bereits seit 1929, die heute an das Grundstück grenzende Autobahn A6 zwischen Bern und Thun wurde aber erst rund 40 Jahre später gebaut.
Voepel entwarf einen Bau, der sich in seiner Gestaltung sowohl beim Formenkanon der Reform-Moderne bediente als auch traditionelle Elemente enthielt. Eine rückwärtige Vorfahrt führte zum Eingang des Hauses. Über die zentral gelegene Eingangshalle gelangte man in die drei repräsentativen Räume Bibliothek, Wohn- und Esszimmer, die alle südwärts zur Aussicht hin angeordnet sind. Anstelle der üblichen Gartenanlage, die wegen der Hanglage nicht möglich war, ordnete Voepel jedem Raum einen individuellen Aussenbereich in Form einer Terrasse zu. Das Flachdach und die gemauerten Brüstungen liessen den Bau als scharfgeschnittenes geometrisches Volumen wirken, das von weitem die Landschaft prägte – insbesondere da die Villa damals noch nicht von der heute ebenfalls geschützten Vegetation verdeckt wurde. Im hinteren nördlichen Bereich waren Wirtschaftsräume, Küche und Garderobe untergebracht. Die Wegführung in die Repräsentationsräume ist unüblich: Statt vom Entree direkt in das mittig gelegene Wohnzimmer, gelangt man zunächst linker Hand in die Bibliothek, dort öffnet sich eine Art versetzte Enfilade zu den beiden anderen Räumen (Abb. 10 13). Ob diese verschlungene Wegführung von Otto Voepel stammt, ist ungewiss – auf den Originalplänen ist schwach eine Tür zwischen Eingangsbereich und Wohnzimmer zu erkennen.2 Voepel war für den Entwurf der Villa verantwortlich, die Bauleitung vor Ort besorgte der Berner Architekt Paul Riesen, Baumeister war Hans Wüthrich aus Muri.
Auch im Untergeschoss gab es eine seltsame räumliche Anordnung: Über eine nach rechts aus der Mitte versetzte Treppe gelangte man zunächst auf ein Podest, von dem aus zwei weitere Treppen rechts und links zu Salon, Gartenzimmer und Billardraum sowie zu zwei seitlich angeordneten Nebenräumen für das Personal führten (Abb. 1). Statt die grosse Geste des Eintretens über das halbhohe Podest zu zelebrieren, trennte Voepel die Räume mit Wänden zu drei kleinen Einheiten. Eine Besonderheit bildet das auf der Ostseite gelegene Billardzimmer: Um die Mindestabstandsflächen von 1.50 m um den neun Fuss grossen Poolbillardtisch zu gewährleisten, ist die nördliche Wand entsprechend versetzt. Im Obergeschoss hingegen sind die Zimmer symmetrisch um den Treppenaufgang gruppiert.
Eckfenster und Klinkerplatten
Mit seinen gestaffelten Terrassen erinnert das Haus an Bauten von Adolf Loos, namentlich an die Villa Müller in Prag von 1930 (Abb. 7). Auch die unterschiedliche Behandlung der Fenster in Dimension und Konstruktion – Schiebefenster in Baubronze, Schiebefenster in gestrichenem Stahl, doppelt verglaste Drehfenster in Holz mit modern geformten Beschlägen und doppelt verglaste Holzfenster mit traditionellen Rudern – lässt diesen Bezug vermuten, ebenso wie der auf einem Quadrat basierende Grundriss. Gleichzeitig finden sich aber vor allem in den Details auch traditionelle Anleihen an den Heimatstil, wie die Kunststeinfassung der Eingangstüre oder die durch eine Ritzung im Verputz betonten Fenstereinfassungen.3
Eine Referenz an die Bauten der Moderne waren hingegen die grosszügigen, stützenlos ausgeführten Eckfenster in Bibliothek und Esszimmer (Abb. 2 16). Das Glas zwischen den schlanken Fenstereinfassungen ist kaum wahrnehmbar und wirkt wie eine Membran zwischen Brüstung und auskragendem Baukörper, zwischen Innen- und Aussenraum. Da es sich bei der Decke um eine Hourdisdecke handelt, wurden Betonunterzüge in das Fassadenmauerwerk eingearbeitet, um dieses Detail stützenlos ausführen zu können.
In der Oberflächengestaltung setzte sich diese Ambivalenz im Ausdruck fort: Die Bibliothek war mit Kassettendecke, Klinkerboden und gemauertem Cheminée konservativ ausgestattet (Abb. 13), in Wohn- und Esszimmer fand sich dagegen Parkett und grüner Linoleum. In Ober- und Untergeschoss wurde diese Schlichtheit weitergeführt, mit Linoleum am Boden und in Grün-, Blau- und Beigetönen gestrichenen Wänden. Dazu gab es weitere Details, die an Loos erinnern, wie die eingebaute Eckbeleuchtung am Podest im Untergeschoss (Abb. 15). Sowohl Simplizität als auch Traditionalismus wurden im Treppenhaus gebrochen: Die Wände waren hier ursprünglich in einem kräftigen Türkis gestrichen. Mit seinen Anleihen an traditionelle Typologien in Grundriss und Oberflächengestaltung in Kombination mit Elementen der Moderne lässt sich der Bau der deutschen Reform-Moderne der Zwischenkriegszeit zuordnen. Zusammen mit seinem aussergewöhnlich guten Erhaltungszustand verleiht ihm dies eine singuläre Stellung in der Schweizer Architektur.4
Vergessenes Schmuckstück
Die Familie Caldwell-Welti lebte nicht lange in der Villa, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verliess sie die Schweiz Richtung England.5 In den 1950er-Jahren nutzte die belgische Botschaft das Haus als Residenz, 1981 erwarb es der Berner Schriftsteller und Sagenforscher Sergius Golowin, der es bis 2003 bewohnte. Der neue Besitzer, der den Bau 2004 erwarb (ursprünglich, um auf dem Grundstück eine Einstellhalle für seine Oldtimer-Sammlung zu erstellen), bewohnt die Villa nun seit Fertigstellung der Umbauarbeiten im Herbst 2011.
Mit der durch den Besitzerwechsel ausgelösten Instandsetzung nach 70 Jahren wurde der Zürcher Architekt Stefan Hauswirth betreut. In enger Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege entwickelte er ein Konzept für den Umgang mit dem geschützten Bau.
Die augenfälligste nachträgliche Veränderung an der Originalbausubstanz war die Verdoppelung der Kaminwandscheibe an der Nordostecke des Baus zu einem Glockenturm (in der Gegend «Fressglöggli» genannt6 und verantwortlich für die Mutmassungen über eine Flak auf dem Dach), die allerdings noch unter den ursprünglichen Besitzern ausgeführt wurde. 2006 wies der Bau noch in weiten Teilen den Originalverputz auf. Die detailreichen Beschläge an den Fenstern waren ebenso wie die Mechanismen für den Sonnenschutz grösstenteils intakt, teilweise aber nicht mehr funktionsfähig. Da die filigranen Fenster integraler Bestandteil des Gebäudes sind, kam eine Ertüchtigung auf heutige Wärmedämmwerte oder auch ein besserer Schallschutz nur sehr bedingt infrage.
Reparaturen, Nachbildungen und neue Einbauten
Die Erneuerungsmassnahmen bestanden grösstenteils aus Reinigungs- und Ausbesserungsarbeiten. Ein bedeutender Eingriff war der neue Verputz der Aussenfassade. Obwohl der Putz generell in gutem Zustand war, wies er an wenigen Stellen grosse Risse aus, die
lokal ausgebessert werden sollten. Die Ausführung war aber so homogen, dass sich beim Ausbessern statt der zu reparierenden Stelle jeweils die gesamte Oberfläche vom Mauerwerk löste. Um die wertvollen originalen Spenglerarbeiten wie Brüstungsabdeckungen und Sonnenschutzmechanismen nicht zu gefährden, entschied man, den gesamten Bau mit einem als Kratzputz ausgeführten Kalkhydrat-Zementputz zu versehen, der in Zusammensetzung und Ausführung dem Original entsprach. Wie dieses enthält die neue Oberfläche einen Glimmeranteil von 25 %, die Nachzeichnungen der Fenster wurden ebenfalls wieder aufgenommen. Eine weitere Massnahme im Aussenbereich betraf die Abdichtung der Terrassen, die wohl wegen der teilweise falschen Ausrichtung des Gefälles nie vollständig dicht waren. Um dies in Zukunft zu gewährleisten, erhielten die Terrassen eine Oberfläche aus Flüssigkunststoff, dem Leuchtchips aus wasserlöslichen Polymeren beigemischt sind, um die ursprünglich enthaltene Glimmermischung nachzubilden. Die Sonnenstoren waren integral erhalten und wurden wieder funktionstüchtig gemacht, teilweise fertigten die Handwerker auch Nachbildungen an. Bei den Fenstern gingen die Architekten differenziert vor: Die originalen Holzfenster mit Zweifachverglasung an der Nord- und teilweise an der Ost- und Westfassade wurden ausgebessert und mit einer Doppelisolierverglasung von 14 mm energetisch ertüchtigt. Schwieriger war dies bei den Metallfenstern mit ihren sehr schlanken Profilen. Im Obergeschoss griff man auf in Japan hergestelltes Vakuumglas (High Performance Insulation Floatglas, Schallschutz 30 Rw/dB) zurück. Dieses ermöglicht einen U-Wert von 1.4 W/m2K bei einer Dicke von 6.5 mm (Abb. 21) und eignet sich damit für Instandsetzungen denkmalgeschützter Gebäude aus den 1930er-Jahren. Bei den Fenstern im Erdgeschoss konnte dieses Glas wegen der grossen Formate von maximal 280 × 170 cm nicht verwendet werden. Um den U-Wert zu optimieren, entschieden sich die Architekten hier für 8.5 mm dickes VSG-Glas mit einer eingelegten transparenten Wärmefolie, das einen U-Wert von 3.2 W/m2K erreicht.
Im Inneren erfolgte zunächst eine Bestandsaufnahme der Originalfarbigkeit, die bei den Erneuerungsarbeiten als Referenz diente, aber wesentlich dezenter ausgeführt wurde. Grössere bauliche Eingriffe betrafen vor allem Küche und Nasszellen. Die Küche war ursprünglich durch eine Wand mit Einbauschränken vom Esszimmer getrennt, lediglich ein in die Schrankwand integrierter schmaler Durchgang schuf eine Verbindung. Einer der Schränke wurde entfernt, die Nische dient nun als Durchreiche oder Bar, der Raum und vor allem die Eckverglasung an der Südseite sind nun in ihrer ganzen Tiefe erfahrbar (Abb. 16 – 18).
Bei den Nasszellen wünschte der Bauherr eine komplette Veränderung: Während die Anordnung identisch blieb, ist die Oberflächenbehandlung eine zeitgenössische. Die Architekten fotografierten jeweils einen Ast der gleichzeitig mit dem Bau gepflanzten Eichen, abstrahierten und verpixelten die Form und brachten dieses Motiv in die beiden neuen Bäder im Obergeschoss ein (Abb. 19 20). Wie die originalen Fliesen sind auch die neuen Plättli der Nasszellen fugenlos verarbeitet. Diese drastische Intervention versinnbildlicht die gute Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege: Die Villa kann nur erhalten werden, wenn sie bewohnt ist. Daher galt es, zwischen den denkmalpflegerischen Ansprüchen und den individuellen Wünschen des Bauherrn abzuwägen und, wo nötig, Kompromisse einzugehen. Die Eingriffe in den Bädern sind dazu reversibel, also aus denkmalpflegerischer Sicht vertretbar.
Im Untergeschoss korrigierten die Architekten die räumliche Disposition. Sie entfernten die Wände zwischen Salon, Billard- und Gartenzimmer, und es entstand ein grosszügiger, lichtdurchfluteter Raum, der über eine weitere Terrasse Zugang in den Garten gewährt. Auch
bei diesem Eingriff stellten die Beteiligten den Wohnkomfort über die originalgetreue Rekonstruktion. Als Erinnerung an die Wände erhielten die Originalstützen aus Kalksandstein eine Aufdopplung, die die Wandstärke der verschwundenen Raumteiler andeutet (Abb. 15).
Schönheit gegen Lärm
Das Problem der Dauerbeschallung durch die Autobahn konnte die Instandsetzung nicht beheben. Die Metallprofile der Fenster waren zu schlank für Schallschutzscheiben. Es ist den heutigen und künftigen Bewohnern daher zu wünschen, dass baldmöglichst Lärmschutzmassnahmen an der Autobahn durchgeführt werden. Ein Eingriff am Haus selber, wie es noch das Projekt von Peter Schenker und Kurt Gossenreiter 1997 vorsah (Abb. 24), steht heute aus denkmalpflegerischen Gründen ausser Frage.
Dass dieses für die Schweiz so aussergewöhnliche Haus gemäss denkmalpflegerischen Vorgaben erneuert und gleichzeitig weiterhin bewohnbar gemacht wurde, ist ein Glücksfall. Es wäre schön, wenn die dabei gemachten Erfahrungen hinsichtlich Materialverarbeitung und -technologie weiteren Bauten der Epoche zugutekommen könnten.
Tina Cieslik, cieslik@tec21.ch
Für den Beitrag verantwortlich: TEC21
Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Solt