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Zurück aus der Zukunft
„Living Lab“: Eine Familie lebte sechs Monate im Passivhaus mit Ökostrom, fuhr ein Elektroauto und ernährte sich vegan. Ein Versuch von Schwedens Politik und Industrie in Richtung nachhaltiger Gesellschaft.
5. Oktober 2013 - Harald Gründl
Nach den Wahlen gibt es ja immer gute Vorsätze. Noch nie jedoch hat es nach österreichischenWahlen einen guten Vorsatz zu einer aktiven oder gar visionären Designpolitik gegeben. Die transformative Macht der Gestaltung und ihre Wirkung auf die Gesellschaft fehlen durchgehend in den Programmen der Parteien. Das ist bedauerlich. Denn der notwendige Wandel in eine nachhaltige Gesellschaft braucht alternative Entwürfe, die so attraktiv sind, dass vorhandene Lebensentwürfe gegen neue getauscht werden. Eine zukunftsfähige Gesellschaft in den heute entwickelten Industrieländern kann wohl nicht dauerhaft einen Großteil der Weltressourcen verschlingen und dann auch noch maßgeblich zur Klima- und Umweltschädigung beitragen. Mangelnde Solidarität wird ja bereits innerhalb der EU beklagt. Eine weltumspannende entschlossene Solidarität im Kampf gegen Klimawandel und Armut vermisst man dann nicht zuletzt auf internationalen Klima- und Geberkonferenzen. Die Sorge um die heutige Form von Industrieproduktion und den damit in Verbindung stehenden globalisierten Konsum leitet weiterhin maßgeblich die politischen Entscheidungen. Fairer Handel ist eher die zertifizierte Ausnahme denn die Regel.
Aber wie sieht ein nachhaltiger Lebensstil aus? In Zahlen ist er inzwischen leicht zu fassen: zum Beispiel eine Tonne CO2-Äquivalent pro Kopf und Jahr. Keine Angst, Steinzeitmenschen hatten erheblich weniger Umweltauswirkungen. Wie wir allerdings von unserem heutigen Niveau auf eine Tonne kommen, ist ein Gestaltungsproblem, sowohl für die Politik als auch für das Design. Die politische Dimension liegt in der Annahme, dass die heute rund sieben Milliarden Menschen auf der Welt nicht mehr Kohlendioxid emittieren als die Biokapazität der Erde ausgleichen kann. Das politische Ziel wäre somit ein ausgeglichener ökologischer Fußabdruck. Den hat die Weltbevölkerung allerdings schon vor Jahrzehnten hinter sich gelassen. Wir steuern auf einen Erdenverbrauch zu, der mittlerweile schon eine weitere, nicht zur Verfügung stehende Erde erfordern würde. Um eine Vision für die Zukunft zu formulieren, wird die weltverträgliche Emission an klimaschädlichen Treibhausgasen einfach durch die Anzahl der Menschen dividiert. Warum wir uns daran halten sollen, das überlassen wir jetzt einmal dem Gestaltungswillen der Politik. Die Welt, in der wir dann leben würden, ist noch nicht entworfen. Wir schauen ungefähr 40 Jahre in die Zukunft, denn dorthin hat die Politik das Ziel verschoben. Ja, bis dahin werden wir schon 90 Prozent eingespart haben, hoffentlich.
In Schweden hat die Politik gemeinsam mit der Industrie einen Versuch unternommen. Sie hat eine Familie in die nachhaltige Zukunft geschickt, mit dem politischen Ziel, nur eine Tonne Kohlendioxid-Äquivalent pro Kopf und Jahr zu verbrauchen. Die Familie zog versuchsweise in ein Einfamilienhaus – manche Träume ändern sich auch in Zukunft nicht. Der schwedische Umweltminister schüttelte allen noch einmal die Hand und spornte die Versuchskaninchen an. Jedes Familienmitglied hat den durchschnittlichen Rucksack der Schweden von mehr als sieben Tonnen CO2-Äquivalent geschultert. Die Industrie sponserte natürlich ein Passivhaus aus dem aktuellen Fertigteilhauskatalog. Die Fahrzeugindustrie stellte ein nagelneues Auto mit Elektroantrieb für den Versuch bereit. Und aus der Energiewirtschaft wurde grüner Strom zur Verfügung gestellt. In der Zukunft muss natürlich alles „smart“ sein, darum wurden in das Haus auch jede Menge Computer und Flachbildschirme eingebaut. Ein paar intelligente Haushaltsgeräte gibt es auch noch dazu. Eine Universität überwachte den Versuch und kalkulierte die Umweltauswirkungen. Das ist leider gar nichtso einfach, da die Industrie nicht verpflichtet ist, Umweltdeklarationen für Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Wahrscheinlich auch nicht 2050. Klingt alles sehr zeitgemäß, ein „Living Lab“. Bei den ersten Gehversuchen in der Zukunft verzichtet die Familie auf Flugzeug und Benzin. Schon sind fast zwei Tonnen gespart. Und dasFahren mit dem Elektromobil macht auch Spaß. Der Urlaub wird halt in der Nähe verbracht. Weitere Treibhausgaseinsparungen kommen vom Ökostrom und einem sehrenergieeffizienten Haus.
Die Familie steuert als Zwischenziel eine Reduktion an, die sie gerade noch als komfortabel wahrnimmt: weniger Fleisch, mehr vegetarische Gerichte, weniger Essen wegwerfen, saisonale Nahrung. Ein energieeffizientes Haus, eigene Energieproduktion und zugekaufte Energie aus erneuerbaren Energieträgern. Die Mobilität beschränkt sich auf öffentliche Verkehrsmittel und auf ein statt auf zwei Autos. Dieses fährt mit Ökostrom.
Der Konsum wurde eingeschränkt, hippe Secondhandmode oder qualitative Produkte, die lange gebraucht werden, kennzeichnen die neuen Konsumgewohnheiten. Das klingt ja gut, kann sich aber sicher nicht jede Familie in Zukunft leisten. Und leider ist es trotz Designkühlschrank noch immer kein nachhaltiger Lebensstil. Die Familie ist jetzt auf etwas unter drei Tonnen.
Die Ernährungsberaterin klingelt an der Tür. Vegane Diät! Kein Fisch, kein Fleisch mehr. Keine unterwegs gekauften Snacks. DieKinder verlassen das sinkende Schiff. Es ist zwar ihre Zukunft, aber so wollen sie nicht leben. Wasser sparen, kurzes Duschen und warm anziehen. Keine Reisen, und das Auto muss auch noch geteilt werden. Kein Fitnesscenter, keine neuen Fetzen. Keine Restaurant- und Kaffeehausbesuche. Die Besatzung des Zukunftshauses rebelliert. Aber das gehört zur medialen Dramaturgie.
Ein harter Aufschlag in der Realität nach sechs Monaten: 1,5 Tonnen CO2. Der Umweltminister schüttelt den Zukunftsforschern wieder die Hand. Ja, man hat viel gelernt. Offiziell beendet er den Versuch und schaltet das Energieüberwachungssystem feierlich aus. Die Versuchsfamilie freut sich über eine Einsparung von Treibhausgasen von 80 Prozent. Die Wissenschaftler beeilen sich zu versichern, dass man das bis 2050 dann auch alles wirklich schaffen kann. Eine Tonne sei möglich. Unerwähnt bleibt allerdings auch nicht, dass man ehrlicherweise für öffentliche Infrastruktur auf den persönlichen Konsum noch was draufrechnen muss. Dann wären wir heute trotz eines unkomfortablen Lebens wieder auf drei Tonnen! Die Familie verabschiedet sich von der Zukunft und lebt fortan weiter mit neun Tonnen Emissionen an Treibhausgas in der Gegenwart ihr altes Leben.
Aber wie sieht ein nachhaltiger Lebensstil aus? In Zahlen ist er inzwischen leicht zu fassen: zum Beispiel eine Tonne CO2-Äquivalent pro Kopf und Jahr. Keine Angst, Steinzeitmenschen hatten erheblich weniger Umweltauswirkungen. Wie wir allerdings von unserem heutigen Niveau auf eine Tonne kommen, ist ein Gestaltungsproblem, sowohl für die Politik als auch für das Design. Die politische Dimension liegt in der Annahme, dass die heute rund sieben Milliarden Menschen auf der Welt nicht mehr Kohlendioxid emittieren als die Biokapazität der Erde ausgleichen kann. Das politische Ziel wäre somit ein ausgeglichener ökologischer Fußabdruck. Den hat die Weltbevölkerung allerdings schon vor Jahrzehnten hinter sich gelassen. Wir steuern auf einen Erdenverbrauch zu, der mittlerweile schon eine weitere, nicht zur Verfügung stehende Erde erfordern würde. Um eine Vision für die Zukunft zu formulieren, wird die weltverträgliche Emission an klimaschädlichen Treibhausgasen einfach durch die Anzahl der Menschen dividiert. Warum wir uns daran halten sollen, das überlassen wir jetzt einmal dem Gestaltungswillen der Politik. Die Welt, in der wir dann leben würden, ist noch nicht entworfen. Wir schauen ungefähr 40 Jahre in die Zukunft, denn dorthin hat die Politik das Ziel verschoben. Ja, bis dahin werden wir schon 90 Prozent eingespart haben, hoffentlich.
In Schweden hat die Politik gemeinsam mit der Industrie einen Versuch unternommen. Sie hat eine Familie in die nachhaltige Zukunft geschickt, mit dem politischen Ziel, nur eine Tonne Kohlendioxid-Äquivalent pro Kopf und Jahr zu verbrauchen. Die Familie zog versuchsweise in ein Einfamilienhaus – manche Träume ändern sich auch in Zukunft nicht. Der schwedische Umweltminister schüttelte allen noch einmal die Hand und spornte die Versuchskaninchen an. Jedes Familienmitglied hat den durchschnittlichen Rucksack der Schweden von mehr als sieben Tonnen CO2-Äquivalent geschultert. Die Industrie sponserte natürlich ein Passivhaus aus dem aktuellen Fertigteilhauskatalog. Die Fahrzeugindustrie stellte ein nagelneues Auto mit Elektroantrieb für den Versuch bereit. Und aus der Energiewirtschaft wurde grüner Strom zur Verfügung gestellt. In der Zukunft muss natürlich alles „smart“ sein, darum wurden in das Haus auch jede Menge Computer und Flachbildschirme eingebaut. Ein paar intelligente Haushaltsgeräte gibt es auch noch dazu. Eine Universität überwachte den Versuch und kalkulierte die Umweltauswirkungen. Das ist leider gar nichtso einfach, da die Industrie nicht verpflichtet ist, Umweltdeklarationen für Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Wahrscheinlich auch nicht 2050. Klingt alles sehr zeitgemäß, ein „Living Lab“. Bei den ersten Gehversuchen in der Zukunft verzichtet die Familie auf Flugzeug und Benzin. Schon sind fast zwei Tonnen gespart. Und dasFahren mit dem Elektromobil macht auch Spaß. Der Urlaub wird halt in der Nähe verbracht. Weitere Treibhausgaseinsparungen kommen vom Ökostrom und einem sehrenergieeffizienten Haus.
Die Familie steuert als Zwischenziel eine Reduktion an, die sie gerade noch als komfortabel wahrnimmt: weniger Fleisch, mehr vegetarische Gerichte, weniger Essen wegwerfen, saisonale Nahrung. Ein energieeffizientes Haus, eigene Energieproduktion und zugekaufte Energie aus erneuerbaren Energieträgern. Die Mobilität beschränkt sich auf öffentliche Verkehrsmittel und auf ein statt auf zwei Autos. Dieses fährt mit Ökostrom.
Der Konsum wurde eingeschränkt, hippe Secondhandmode oder qualitative Produkte, die lange gebraucht werden, kennzeichnen die neuen Konsumgewohnheiten. Das klingt ja gut, kann sich aber sicher nicht jede Familie in Zukunft leisten. Und leider ist es trotz Designkühlschrank noch immer kein nachhaltiger Lebensstil. Die Familie ist jetzt auf etwas unter drei Tonnen.
Die Ernährungsberaterin klingelt an der Tür. Vegane Diät! Kein Fisch, kein Fleisch mehr. Keine unterwegs gekauften Snacks. DieKinder verlassen das sinkende Schiff. Es ist zwar ihre Zukunft, aber so wollen sie nicht leben. Wasser sparen, kurzes Duschen und warm anziehen. Keine Reisen, und das Auto muss auch noch geteilt werden. Kein Fitnesscenter, keine neuen Fetzen. Keine Restaurant- und Kaffeehausbesuche. Die Besatzung des Zukunftshauses rebelliert. Aber das gehört zur medialen Dramaturgie.
Ein harter Aufschlag in der Realität nach sechs Monaten: 1,5 Tonnen CO2. Der Umweltminister schüttelt den Zukunftsforschern wieder die Hand. Ja, man hat viel gelernt. Offiziell beendet er den Versuch und schaltet das Energieüberwachungssystem feierlich aus. Die Versuchsfamilie freut sich über eine Einsparung von Treibhausgasen von 80 Prozent. Die Wissenschaftler beeilen sich zu versichern, dass man das bis 2050 dann auch alles wirklich schaffen kann. Eine Tonne sei möglich. Unerwähnt bleibt allerdings auch nicht, dass man ehrlicherweise für öffentliche Infrastruktur auf den persönlichen Konsum noch was draufrechnen muss. Dann wären wir heute trotz eines unkomfortablen Lebens wieder auf drei Tonnen! Die Familie verabschiedet sich von der Zukunft und lebt fortan weiter mit neun Tonnen Emissionen an Treibhausgas in der Gegenwart ihr altes Leben.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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